Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich (eBook)
160 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43952-7 (ISBN)
Tessa Randau,geboren 1976, arbeitete nach dem Studium als Journalistin, zuletzt als Ressortleiterin bei einer Frauenzeitschrift. 2016 machte sie sich als Stress- und Burnout-Beraterin selbständig. 2020 veröffentlichte sie ihr Debüt >Der Wald, vier Fragen, das Leben und ich<, das über ein halbes Jahr in den Top 20 der SPIEGEL-Bestsellerliste stand. Auch ihr zweites Buch >Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich< kam unter die Top 20, ebenso ihr drittes: >Das Meer und ich<. Seit der Veröffentlichung ihres ersten Buches konzentriert sie sich beruflich aufs Schreiben. Tessa Randau lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Koblenz.
Tessa Randau,geboren 1976, arbeitete nach dem Studium als Journalistin, zuletzt als Ressortleiterin bei einer Frauenzeitschrift. 2016 machte sie sich als Stress- und Burnout-Beraterin selbständig. 2020 veröffentlichte sie ihr Debüt ›Der Wald, vier Fragen, das Leben und ich‹, das über ein halbes Jahr in den Top 20 der SPIEGEL-Bestsellerliste stand. Auch ihr zweites Buch ›Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich‹ kam unter die Top 20, ebenso ihr drittes: ›Das Meer und ich‹. Seit der Veröffentlichung ihres ersten Buches konzentriert sie sich beruflich aufs Schreiben. Tessa Randau lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Koblenz.
Der rechte Pfad
»Dann geh ich eben ohne dich!«, murmelte ich, immer noch enttäuscht, schulterte meinen braunen Rucksack und trat vor die Tür. Leider half das Bild, das sich mir bot, nicht dabei, meine Stimmung wieder aufzuhellen. Im Gegenteil: Wie sehr hatte ich mich auf das Alpenpanorama gefreut. Und was sah ich? Eine undurchdringliche, trübe Suppe aus grauen Wolken und dichtem Nebel, die nicht mal erahnen ließ, dass ich in den Bergen war.
»Egal, du machst jetzt das Beste draus«, versuchte ich, mich zu motivieren. Dann nahm ich den schmalen Schotterpfad, der von unserer kleinen Blockhütte in den Wald führte.
Beim Frühstück hatte ich noch voller Begeisterung eine Wanderung ausgearbeitet: Sie führte zunächst über kleine Waldpfade bergauf, dann quer über eine große Wiese und von dort aus zu einem breiteren Wanderweg. Die letzten hundert Meter würden wir über einen steilen Hang hinaufkraxeln, um schließlich nach etwa vier Stunden oben auf dem Gipfel bei einem leckeren Picknick hoffentlich den Ausblick genießen zu können. Für den Rückweg hatte ich, etwa auf halber Strecke, noch eine kleine Verschnaufpause auf einer gemütlichen Alm eingeplant.
»Ich habe eine tolle Tour für uns rausgesucht«, hatte ich zu Chris gesagt, der neben mir an dem kleinen runden Holztisch in unserer Blockhütte saß, ebenfalls in verschiedene Karten vertieft war und zwischendurch an seinem Kaffee nippte.
Keine Reaktion.
»Schau mal, Chris, wäre das nicht eine schöne Wanderung für heute?«, fragte ich und berührte ihn am Oberarm.
Immer noch keine Reaktion.
»Erde an Christian!« Ich wedelte mit meiner Karte direkt vor seinen Augen.
»Mhm?«, brummelte er, hob den Blick und sah mich an, als hätte er vergessen, dass ich neben ihm saß.
Ich musste lachen. »Wo warst du denn gerade mit deinen Gedanken?«
»Der Bike-Park hier ist echt genial.« Chris’ Augen glänzten. »Schau mal, diese Abfahrt hier zum Beispiel: fünf Kilometer Downhill mit unterschiedlichen Hindernissen. Oder diese hier, mit der Sprungschanze. Oder die schwarze Piste. Die sieht echt heftig aus.« Dann zeigte er auf das blaue Geschlängel auf der Karte vor sich. »Ich denke, ich fange heute erst mal ganz entspannt mit der hier an.«
»Wie, du willst Fahrrad fahren? Wir wollten doch wandern«, entgegnete ich vollkommen überrumpelt.
»Können wir ja auch«, murmelte Chris, wieder in die Karte vertieft. »Aber heute ist erst mal Biken angesagt.«
»Du hast doch gar kein Rad dabei«, erwiderte ich, immer noch irritiert von dem, was ich da gerade hörte.
»Brauch ich auch nicht. Im Bikepark kann man super Räder leihen, neuester Standard, top gewartet. Hatte ich in den Rezensionen im Internet gelesen. Deshalb hab ich mein Bike zu Hause gelassen und nur den Helm und die Fahrradklamotten eingepackt.«
»Du willst heute ernsthaft Fahrradfahren gehen?«, fragte ich fassungslos und spürte, wie sich all meine Vorfreude wie aufsteigender Rauch verflüchtigte. Enttäuscht biss ich mir auf die Unterlippe.
»Ja, warum denn nicht?« Chris hob fragend die Augenbrauen.
Ich fühlte, dass mein Hals rau wurde. Bemerkte Chris denn gar nicht, wie sehr seine Idee mich gerade verletzte? »Aber Radfahren kannst du doch auch zu Hause …«, versuchte ich, ihn umzustimmen.
»Eben nicht!« Über seiner Nase bildeten sich zwei Steilfalten. »Wann hab ich da denn schon mal Zeit für mich und meine Hobbys? Außerdem gibt es hier viel bessere Abfahrten.«
»Hier geht es gerade nicht um dich und deine Hobbys, hier geht es um uns«, hätte ich ihm am liebsten an den Kopf geknallt. Aber ein Streit war das Letzte, was wir jetzt gebrauchen konnten. »Hier gibt es aber auch traumhafte Wanderwege«, hielt ich deshalb dagegen und rang mir mühsam ein Lächeln ab.
»Morgen haben wir doch auch noch Zeit zum Wandern.« Das Strahlen, das eben noch sein Gesicht aufgehellt hatte, war verschwunden.
Ich spürte, wie es in mir zu brodeln begann. »Das war aber nicht der Plan«, antwortete ich schriller und aggressiver, als ich es beabsichtigt hatte.
»Nicht dein Plan vielleicht«, konterte mein Mann. Auch seine Stimme klang jetzt gereizt.
»Mist, er meint das wirklich ernst«, dachte ich mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung. Dann sagte ich an ihn gewandt: »Komm schon, Chris, wir haben uns doch beide so sehr auf dieses Wochenende gefreut«, und legte besänftigend meine Hand auf seine, um die kippende Stimmung wieder einzufangen.
»Ja, und genau deshalb verstehe ich auch nicht, wo das Problem liegt.«
Verdammt noch mal, war das denn so schwer zu begreifen? Ich raffte meinen letzten Rest Beherrschung zusammen: »Das Problem ist, dass wir übermorgen schon wieder abreisen müssen. Da fände ich es gut, wenn wir unsere Prioritäten auf die wichtigen Dinge legen würden.«
Chris entzog mir seine Hand. »Mir ist Biken wichtig«, entgegnete er und verschränkte die Arme vor seinem Brustkorb.
In diesem Moment implodierte die Hoffnung, die ich in dieses Wochenende gesetzt hatte, und die Bilder, die ich mir davon ausgemalt hatte, zersprangen in Tausende kleine Splitter: Chris und ich händchenhaltend beim Wandern, so wie früher. Chris und ich auf einer urigen Hütte, intensiver Blickkontakt und Schnapsgläschen voll Enzian, die klirrend aneinanderstießen. Wir beide auf einem Gipfel, erschöpft, aber glücklich nach dem anstrengenden Aufstieg. Alles dahin. Der Feuerball kam so plötzlich, dass ich ihn nicht mehr aufhalten konnte.
»Und warum sind wir dann hier?«, schrie ich Chris an, nicht mehr fähig, die Wut zu kontrollieren. Im gleichen Moment sah ich, wie er sich innerlich von mir entfernte. Seine Gesichtszüge wurden starr und sein Blick stumpf. Es war, als hätte sich eine unsichtbare Glaswand zwischen uns geschoben.
Er schlug die Augen nieder und studierte die Karte.
Zurück blieb sein Schweigen, das zwischen uns im Raum hing.
»Hey, jetzt mach nicht wieder zu! Lass uns darüber sprechen.«
Mein Mann nippte an seinem Kaffee, ohne zu reagieren.
»Chris?!«
»Verdammt noch mal, Christian, ich rede mit dir!« Wütend sauste meine Hand auf den Holztisch nieder.
Chris zuckte zusammen und sah auf. In seinem Blick mischten sich Vorwurf und Ablehnung. »Musst du immer aus allem solch ein Drama machen?«
Sein Giftpfeil hatte ins Schwarze getroffen. »Ach, jetzt bin ich wieder schuld!« Verletzt sprang ich vom Esstisch auf. »Wofür mache ich all das hier eigentlich noch? Hat doch eh keinen Sinn mehr«, schleuderte ich zurück, gewillt, nun auch ihn zu verletzen. Dann flüchtete ich in das winzige Badezimmer, knallte lautstark die Tür hinter mir zu und ließ mich frustriert auf den Toilettendeckel fallen. Ich hatte es so satt! – Ja, ich war laut geworden. Aber doch nur, weil Christian mir signalisiert hatte, dass ihm mal wieder alles andere wichtiger war, als Zeit mit mir zu verbringen. War das nicht der beste Beweis dafür, dass ihm unsere Beziehung nichts mehr bedeutete? Dass ich ihm nichts mehr bedeutete?
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich wieder beruhigt hatte und meine Wut abgeebbt war. Zurück blieben die Enttäuschung über Chris’ Zurückweisung und das beschämende Gefühl, wieder einmal die Fassung verloren zu haben. Zerknirscht öffnete ich die Badezimmertür, bereit, mich für meinen Ausbruch zu entschuldigen und Chris noch einmal in Ruhe zu erklären, warum mich sein Wunsch, heute Mountainbiken zu gehen, so sehr verletzt hatte. Inständig hoffte ich, dass es uns gelang, den Tag noch zu retten. Doch als ich in den Raum blickte, war dieser leer. Ich trat zum Fenster und konnte gerade noch erkennen, wie Chris seinen Integralhelm in den Kofferraum legte. Dann stieg er in unser Auto und fuhr davon.
Fasziniert blickte ich in die Wipfel der Nadelbäume, die in gigantischer Höhe über meinem Kopf in den Himmel ragten. Etwa dreißig Minuten lang war ich nun schon einem schmalen Pfad gefolgt, der sich durch einen dichten Nadelwald bergauf schlängelte. Am Wegesrand wuchsen üppige Farne und kleine gelbe Sommerblumen, und der mit Tannennadeln bedeckte Boden war noch feucht vom Regen der letzten Nacht.
Es tat gut, endlich einmal wieder den eigenen Körper zu spüren. Die Muskeln in den Oberschenkeln, die sich bei jedem Schritt anspannten. Meinen Rücken, der zu Hause viel zu oft eine falsche Haltung einnahm und jetzt den kleinen braunen Rucksack trug. Und meine Waden, die sich schon ein bisschen schwer anfühlten, weil sie die körperliche Anstrengung kaum noch gewohnt waren. Ich öffnete den Reißverschluss meiner Regenjacke bis zur Hälfte. Als ich losgelaufen war, hatte ich ihn fröstelnd bis oben hin zugezogen, denn obwohl wir Mitte Juli hatten, war die Luft kühl und erinnerte mehr an einen Herbst- als an einen Sommertag. Doch durch das stete Bergauflaufen wurde mir langsam warm. Ich spürte, dass nicht nur mein Shirt allmählich am Rücken feucht wurde, sondern auch der harte Wutknoten in meinem Bauch sich Schritt für Schritt immer mehr auflöste.
Früher hatte ich nach einem heftigen Streit mit Chris oft geweint. Die Tränen hatten meist etwas Heilsames, trugen den Schmerz mit sich fort, und zurück blieb die Zuversicht, alles würde wieder gut werden. Mittlerweile fühlte ich mich nach einem Streit vor allem leer. Es war eine Leere, die sich ausdehnte, jedes Mal größer wurde, gleichzeitig aber auch...
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2021 |
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Illustrationen | Ruth Botzenhardt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schulbuch / Wörterbuch ► Lexikon / Chroniken | |
Technik | |
Schlagworte | Beziehung • Beziehungskrise • Beziehungsratgeber • Buchgeschenk • Das Café am Rande der Welt • Ehe • Ehekrise • Erwartungen • Erzählung • Feedback • Gemeinsamkeit • Geschenk Frau • Geschenk Freundin • John Strelecky • Kommunikationsproblem • Lebenshilfe • Lebensmut • Liebe • Midlife Crisis • Neuorientierung • Paar • Paarbeziehung • Paartherapie • Partnerschaft • Psychologie • Ratgeber • Sinnsuche • Streit • Vertrauen • Wendepunkt |
ISBN-10 | 3-423-43952-1 / 3423439521 |
ISBN-13 | 978-3-423-43952-7 / 9783423439527 |
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