Impfen (eBook)
144 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-77164-4 (ISBN)
Krankheitserreger sind unberechenbare Gegner. Die größte Hoffnung, sie einzuhegen, ruht auf den Impfungen. Von der Veröffentlichung des Erbguts des neuen Corona-Virus bis zur Bereitstellung einsatzbereiter Impfstoffe hat es kaum ein Jahr gebraucht - schon jetzt eine der größten Erfolgsgeschichten der Medizin. Der international renommierte Immunologe Stefan Kaufmann, selbst Entwickler eines Impfstoffs gegen Tuberkulose, schlägt den Bogen von der Geburtsstunde der Impfung vor mehr als 200 Jahren über die Ausrottung der Pocken bis zu neuesten Ansätzen für Impfstoffe gegen Krebs und setzt sich auch mit Impfrisiken und Impfgegnern auseinander.
Stefan H. E. Kaufmann ist Gründungsdirektor em. des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie, Berlin, und leitet jetzt eine Emeritus-Gruppe am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen. Der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie und der Internationalen Union der Immunologischen Gesellschaften ist selbst Entwickler eines Impfstoffs gegen Tuberkulose, der gerade die letzte klinische Überprüfung auf Schutzwirkung durchläuft. Kaufmann ist Autor und Herausgeber mehrerer wissenschaftlicher und allgemeinverständlicher Bücher zu den Themen Immunologie, Mikrobiologie, Impfstoffentwicklung und Pandemien.
2. Blick zurück: Schlaglichter auf die Geschichte der Impfung
Die Geburtsstunde der Impfung wird üblicherweise auf 1798 datiert, als der Arzt Edward Jenner in England einen Jungen erfolgreich gegen Pocken geimpft hat – ein Erfolg, der 180 Jahre später in der weltweiten Ausrottung dieser Seuche gipfelte. Die systematische Entwicklung von Impfstoffen begann erst 150 Jahre später. Möglich wurde sie auf Basis wegweisender Erkenntnisse, deren Urheber heute als Ikonen der Medizinforschung gelten: Louis Pasteur zeigte, dass Erreger sich so weit abschwächen lassen, dass sie nicht mehr krank machen, aber dennoch eine Immunität gegen die Krankheit erzeugen. Aufbauend auf diesem Prinzip, wurden später zahlreiche Lebendimpfstoffe entwickelt, wie z.B. der Tuberkulose-Impfstoff BCG (Bacille-Calmette-Guerin) oder der Dreifach-Impfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln. Die passive Immunisierung gegen Diphtherie und Tetanus wurde als Serumtherapie um 1890 von Emil von Behring eingeführt – eine Errungenschaft, die unter anderem die Entwicklung von Untereinheiten-Impfstoffen zur aktiven Immunisierung nach sich zog.
2.1 Zusammenspiel von Impfpraxis und immunologischer Grundlagenforschung
Impferfolge werden gern pauschal als Beispiele für die praktische Anwendung der Grundlagenforschung in der Immunologie vorgebracht. In meinen Augen ist es – wie ein Blick in die Geschichte zeigt – eher so, dass erst die Durchbrüche in der Anwendung von Impfungen die Erforschung der ihr zugrunde liegenden Immunmechanismen ins Leben riefen. Schließlich wurden die ersten Impfstoffe weitgehend ohne Kenntnisse der Immunvorgänge im Körperinnern entwickelt: Als Edward Jenner die Pockenimpfung erfand und Louis Pasteur die Vakzinen gegen Milzbrand und Tollwut zur Einsatzreife brachte, hatte man von der Immunologie noch keine Ahnung. Ihre Geburtsstunde schlug mit der Erforschung und Entwicklung der Serumtherapie.
Über viele Jahrzehnte schritten die Impfstoffforschung und die immunologische Forschung parallel voran, Erstere hauptsächlich in der Industrie, Letztere vorwiegend in akademischen Instituten. Erst in den zurückliegenden fünfzig Jahren begann die Immunologie, die Impfstoffentwicklung zu befruchten.
In diesem Kapitel beleuchte ich die Geschichte der Impfstoffforschung an wenigen frühen Beispielen. Wichtige Etappen sind überblicksartig in der Abbildung «Meilensteine der Impfstoffentwicklung» auf der vorderen Umschlaginnenseite dargestellt. Einige zusätzliche Details werde ich hin und wieder in späteren Kapiteln ausführen.
2.2 Thukydides’ präziser Blick auf eine Seuche
Athen, Ende des fünften Jahrhunderts vor Christus: Die antike Großmacht kämpft mit Sparta im Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.) um Einfluss und Macht. Sparta siegt. Nicht zuletzt, weil 430 v. Chr. unter den Athenern eine Seuche ausbricht, die bis zu einem Drittel der Bewohner dahinrafft. Welche Krankheit damals grassierte, ist heute umstritten. Ihren Verlauf jedoch hat der Geschichtsschreiber Thukydides (460–396 v. Chr.) in Der Peloponnesische Krieg erstaunlich klar festgehalten. «Wenn sie aber zu den Kranken gingen, so war es ihr Verderben», schreibt er – und beschreibt die Übertragbarkeit der Seuche. Die Ansteckungsgefahr wird plastisch, wenn zu lesen ist, «dass sie [die Menschen] herdenweise starben, indem einer in Folge der Pflege des anderen mit dem Krankheitsstoff erfüllt wurde …». Weiterhin bemerkt der Schreiber, dass Überlebende immun werden: «Umso mehr nahmen sich die dem Übel Entronnenen der Sterbenden und der Kranken an, weil sie das Übel kannten und selbst in Sicherheit waren. Denn keiner wurde zum zweiten Male so befallen, dass es ihm den Tod gebracht hätte.» Heute ist Thukydides’ Geschichtsschreibung auch eine wichtige Quelle für Medizinhistoriker.
2.3 Edward Jenner und die Ausrottung der Pocken
Der Ausgangspunkt der Impfstoffforschung steht auf den Tag genau fest: Am 21. Juni 1798 berichtete der britische Arzt Edward Jenner (1749–1823) über einen erfolgreichen Impfversuch gegen Pocken. Dreiundzwanzig Menschen hatte er harmlose Kuhpockenviren verabreicht – und sie so gegen die gefürchteten menschlichen Pocken, auch Blattern genannt, immun gemacht. Diese Seuche grassierte zu jener Zeit in Europa. Schätzungen des französischen Philosophen Voltaire (1694–1778) zufolge erkrankten damals 60 Prozent der Menschen an Pocken, ein Drittel starb an den Folgen der Krankheit. Von den Überlebenden war ein Großteil für immer mit tiefen Narben gezeichnet.
Als Jenner in England Medizin studierte, war dort – anders als in Deutschland – eine (nicht ungefährliche) Art der Pockenimpfung bereits recht verbreitet: Man verabreichte gesunden Menschen zum Schutz ein wenig Material aus den Pocken Erkrankter, indem dieses per Ritzung in die Haut gegeben wurde. Auch in anderen Regionen der Welt waren Verfahren zur Pockenimpfung bekannt: In Afrika nahmen Menschen traditionell Sekret der abheilenden Blasen, übertrugen es auf Nichtinfizierte und machten diese so immun. In Asien lösten Heiler Pockenkrusten in Wasser auf und spritzten diese als Impfung. Aus China wissen wir, dass Menschen die Krusten zu einem Pulver mahlten und schnupften.
Die in England genutzte Praxis der Variolation mit Material aus Hautbläschen pockenkranker Menschen hatte Lady Mary Montague, die Frau des englischen Botschafters in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, von dort auf die Insel gebracht. 1718 hatte sie ihren fünfjährigen Sohn dort auf diese Weise gegen Pocken impfen lassen. Kein ungefährliches Unterfangen, denn regelmäßig steckten sich Menschen dabei auch mit der lebensgefährlichen Krankheit an. Den Montague-Sohn aber schien die Behandlung zu schützen: Auf den zahlreichen Reisen der Familie kam der Junge mehrfach mit Pockenkranken in Kontakt, blieb jedoch gesund. Zurück in London, ließ die Familie 1721 schließlich auch ihre Tochter auf diese Weise gegen Pocken immunisieren; zu der Zeit litt England unter einem neuerlichen Ausbruch der Seuche. Die Schutzmethode erregte das Interesse von König George I. Er ließ das Verfahren zunächst an sechs zum Tode verurteilten Sträflingen testen. Alle Häftlinge überlebten sowohl die Variolation als auch die probeweise Ansteckung mit den Pocken und wurden anschließend freigelassen. Weil bereits bekannt war, dass Kinder grundsätzlich anfälliger für Pocken sind als Erwachsene, unterzogen Ärzte zusätzlich eine Gruppe Waisen einem solchen Menschenversuch. Nachdem auch dieser glimpflich ausging, ließen sich zahlreiche wohlhabende Menschen in England vorbeugend gegen die Pocken behandeln.
Die englischen Ärzte verbreiteten ihre Einpfropfmethode auch in Kontinentaleuropa, wie es bei Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), der als Jugendlicher die Pocken durchgemacht hatte und ein Befürworter der Variolation war, zu lesen ist. In seinem autobiographischen Werk Dichtung und Wahrheit heißt es: «Die Einimpfung derselben [der Pocken] ward bei uns noch immer für sehr problematisch angesehen und ob sie gleich populäre Schriftsteller schon fasslich und eindringlich empfohlen, so zauderten doch die deutschen Ärzte mit einer Operation, welche der Natur vorzugreifen schien. Spekulierende Engländer kamen daher aufs Festland und impften gegen ein ansehnliches Honorar die Kinder solcher Personen, die sie wohlhabend und frei von Vorurteil fanden. Die Mehrzahl jedoch war noch immer dem alten Unheil ausgesetzt; die Krankheit wütete durch die Familien, tötete und entstellte viele Kinder und wenige Eltern wagten es nach einem Mittel zu greifen, dessen wahrscheinliche Hilfe doch schon durch den Erfolg mannigfaltig bestätigt war.»
Unter der Landbevölkerung Englands war die mögliche Schutzwirkung von Kuhpocken zu dieser Zeit bereits Bestandteil des kollektiven Wissens. Mit der Rinderform der Krankheit, einem verwandten Virus, das beim Menschen lediglich Hautpusteln auslöst, steckten sich Mägde beim Melken regelmäßig an. Es schien, als seien sie danach immun gegen die menschlichen Pocken. Es gab auch schon einen ersten Impfversuch: Während der Pockenepidemie 1774 hatte ein englischer Bauer seine Frau und seine zwei Kinder erfolgreich mit Sekret aus den Pocken seiner Rinder geimpft. 1796 überprüfte Jenner diese Methode am achtjährigen James Phipps, dem Sohn seines Gärtners. Jenner ritzte die Haut am Arm des Jungen ein und gab etwas Eiter, den er aus einer Kuhpocken-Pustel von der Hand einer Kuhmagd gewonnen hatte, in die Wunde. Die Haut entzündete sich an der Impfstelle, heilte jedoch bald wieder ab. Anderthalb Monate später unternahm Jenner den...
Erscheint lt. Verlag | 13.5.2021 |
---|---|
Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Corona • Impfstoff • Impfungen • Krankheitserreger • Krebs • Medizin • Pocken • Tuberkulose • Viren • Virus |
ISBN-10 | 3-406-77164-5 / 3406771645 |
ISBN-13 | 978-3-406-77164-4 / 9783406771644 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 3,3 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich