Medizinprodukte und IVD -  Wolfgang Ecker,  Andreas Aichinger

Medizinprodukte und IVD (eBook)

Fit für Europa
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2021 | 1. Auflage
436 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-0308-8 (ISBN)
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Die EU-Verordnungen zu Medizinprodukten und IVD schaffen neue Spielregeln für die Medizintechnik und Labordiagnostik in Europa. Prägnantes regulatorisches Know-how ist jetzt gefragt, um Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika auf dem europäischen Markt zu halten oder dort neu zu platzieren. Die richtige regulatorische Strategie einer Organisation kann im Hinblick auf Compliance, Time to Market und Reputation erfolgsentscheidend sein. Vor allem die Hersteller müssen dies auf der Basis eines hochspezifischen QM-Systems mit den eingebauten Lebenszyklusprozessen, allen voran dem Risikomanagement für Medizinprodukte, bewerkstelligen. Gründliche regulatorische Aus- und Weiterbildung von MitarbeiterInnen in den Betrieben und in Gesundheitseinrichtungen ist das Gebot der Stunde. Dies gilt auch für den biomedizinischen und medizintechnischen Nachwuchs an FHs und Universitäten, bei Start-ups und Spin-offs, die dieses Know-how von der ersten Produktidee über die weiteren Stadien der Produktentwicklung bis zum Marktzugang nutzen müssen. Das Buch liefert einen gründlichen, kompakten Einblick in die neuen Regularien und stellt ein Navigationssystem für eine rasche Orientierung bereit. Komplexe Sachverhalte werden übersichtlich und praxisnah mit zahlreichen Tipps aufbereitet. Sie werden von den Verordnungen auch zu den wichtigen interpretativen Dokumenten des Sektors geleitet, die nützliche Entscheidungsgrundlagen bereithalten. Die Corrigenda der beiden Verordnungen und die brandaktuelle Änderung der Medizinprodukte-Verordnung mit den geänderten Übergangsfristen sowie die vielen neuen Dokumente der EU Koordinierungsgruppe für Medizinprodukte (MDCG) sind hier ebenfalls berücksichtigt. Die Kapitel wurden mit Abbildungen und übersichtlichen Tabellen ausgestattet. Dieses Buch ist wahrscheinlich aktuell das führende Standardwerk zum Thema in Europa.

HON (FH) Prof. Dr. Wolfgang Ecker, Dr. med., promoviert an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien, hat seine medizinische Ausbildung als Arzt für Allgemeinmedizin in verschiedenen Wiener Krankenanstalten absolviert. Er stand mehr als 30 Jahre in den Diensten des österreichischen Gesundheitsministeriums und des EU-Medizinprodukte-Sektors. Er war Mitglied zahlreicher Expertengruppen auf EU-Ebene, u.a. als Vorsitzender der EU-Arbeitsgruppe für klinische Prüfung und Bewertung (CIE) und als EU-Vertreter in der globalen GHTF-Study Group 5 Clinical Evidence. Als Mitglied der EU-Ratsarbeitsgruppe für Medizinprodukte hat er die neuen EU-Verordnungen über Medizinprodukte und IVDs mitgestaltet. Er hält Vorlesungen und Ausbildungsseminare zu diesen neuen Verordnungen an verschiedenen Fachhochschulen in Österreich und an Gesundheitstechnologie-Clustern und nimmt an der Medizinprodukte-/IVD-Normung teil.

1. Überblick über das neue EU-Regelungssystem für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika


Werfen wir zunächst einen Blick auf den Übergang vom bisherigen Richtlinien-System auf die neuen EU-Verordnungen für Medizinprodukte und IVDs (Kap. 1.1.). Sodann sehen wir uns die Bauprinzipien und wesentlichen Rechtsgrundlagen des neuen Regelungssystems (Kap. I.2.) und schließlich weitere ihrer zentralen Konzepte für den Marktzugang (Kap. I.3.) an. Die wichtigsten Dokumente des neuen (und tlw. alten) Regelungssystems besprechen wir systematisch in (Kap. I.4.). Schließlich verfolgen wir im Überblick die regulatory compliance über den Lebenszyklus der MP/IVD (Kap. I.5.). Diese grundlegende Orientierung wird durch die Übergangsfristen von den alten auf die neuen Regelungen abgeschlossen, wobei wir hier die Änderungen durch die Verordnung (EU) 2020/561 berücksichtigen müssen. (Kap. I.6.)

1.1. Übergang von Richtlinien auf Verordnungen

Im Jahre 2017 hat der EU Gesetzgeber das bisherige, aus 3 EU-Richtlinien (Directives) und deren nationalen Umsetzungen bestehende Regelwerk für Medizinprodukte in ein neues System aus 2 EU-Verordnungen (Regulations), als nunmehr direkt anwendbares EU Recht, umgewandelt (siehe Abb. 1 Der Weg von den EU-Richtlinien auf EU-Verordnungen):

Die Verordnung (EU) 2017/745 betreffend Medizinprodukte (MDR)1, und

Die Verordnung (EU) 2017/746 betreffend In-vitro-Diagnostika (IVDR)2.

Beide Verordnungen wurden inhaltlich weitgehend parallel entwickelt und bestehen jeweils aus (siehe Abb.2+3 Überblick VO (EU) MP bzw. IVD)

Erwägungsgründen3 (Recitals), d.h. Absichten und Zielsetzungen des EU-Gesetzgebers, die bei Rechtsunsicherheiten als Interpretationshilfe herangezogen werden können,

  • den Kapiteln und deren Artikeln (Chapters, Articles), mit dem Kern der beiden Rechtstexte, und
  • den Anhängen (Annexes), die in Ergänzung zu den Kapiteln, den verbindlichen, mehr technisch orientierten Rechtstext enthalten, etwa zu Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen (General Safety and Performance Requirements, GSPR), zur Technischen Dokumentation oder zu den Konformitätsbewertungsmodulen (= Module der „Eurozulassung“).

Abb. 1: Der Weg von den EU-Richtlinien auf EU-Verordnungen

Abb. 2: Überblick VO (EU MP)

Abb. 3: Überblick VO (EU IVD)

Die MDR4/IVDR sind auf EU-Ebene am 25. Mai 2017 in Kraft getreten; Geltungsbeginn (Date of Application) ist für die MDR der 26. Mai 2021 (4 Jahre Übergangsfrist)5; für die IVDR der 26. Mai 2022 (5 Jahre Übergangsfrist6). Zu den speziellen Übergangsfristen siehe Kap. 1.6 in diesem Buch.

1.2. Das neue EU-Regelungssystem für Medizinprodukte und IVD: Die Bauprinzipien

(Siehe insbes. Abb. 4 EU-Regelungssystem für MP und IVD: Wesentliche Dokumente und Bauprinzipien) Beide Verordnungen basieren auf grundlegenden Rechtsprinzipien der EU: dem Binnenmarktkonzept und dem Gesundheitsschutz (der primär auf Sicherheit und Wirksamkeit, ein hohes Gesundheitsschutzniveau, positives klinisches Nutzen/Risiko-Verhältnis nach dem state of the art sowie Risiko- und Nebenwirkungsminimierung abzielt).

Beide Verordnungen folgen im Binnenmarktkonzept dem New Legislative Framework (NLF), als

1.2.1. Neuer Rechtsrahmen für die Produktvorschriften der EU

Es geht hier um den neuen generellen Rechtsrahmen für (viele) Produktvorschriften der EU, (New Legislative Framework - NLF)7, der sich weitgehend auch auf Medizinprodukte und IVD anwenden lässt. NLF baut in modernisierter Form auf wichtigen bisherigen Bauprinzipien8 auf, die für das Verständnis beider Verordnungen wesentlich sind: Diese sind das

  • Neue Konzept (New Approach) und das
  • Gesamtkonzept (Global Approach).
1.2.2. Das neue Konzept (New Approach) im Neuen Rechtsrahmen

Im New Approach geht es im Wesentlichen um Folgendes: Die beiden Verordnungen definieren in ihren jeweiligen Anhängen I checklistenartig die Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen (General Safety and Performance Requirements, GSPR; in den Medizinprodukte-Richtlinien früher als Grundlegende Anforderungen - GA9 bezeichnet) der MP bzw. IVD, die soweit sie auf ein bestimmtes MP/IVD zutreffen10, von den Produkten beim erstmaligen Inverkehrbringen bzw. bei der ersten Inbetriebnahme zu erfüllen sind. Die Details zu diesen Anforderungen inkl. allf. Nachweisverfahren und Tests bzw. zu bestimmten Prozessen und Verfahren des Regelungssystems11 werden abseits der Rechtstexte durch harmonisierte europäische Normen geliefert, deren Fundstellen (Titel) im Amtsblatt der EU zu den jeweiligen Verordnungen oder Richtlinien veröffentlicht werden.

Diese harmonisierten Normen sind nicht verbindlich12, enthalten in ihren Anhängen Z jeweils Konformitätsvermutungen hinsichtlich der dort genannten GSPR für ein MP/ IVD; dh. folgt der Hersteller den in den Anhängen Z (ZA, ZB, …) der Normen aufgewiesenen Konformitätsvermutungen zur Erfüllung bestimmter GSPR, gebührt ihm bezüglich dieser Aspekte gegenüber seiner benannten Stelle (Notified Body – NB; „Eurozulassungsstelle“) bzw. gegenüber der Marktüberwachungsbehörde (widerleglich13) eine Konformitätsvermutung. Der Hersteller kann von harmonisierten Normen abweichen, muss dann aber seine alternativen Lösungen zur Erfüllung der betreffenden GSPR ausreichend begründen, was mit erhöhtem Aufwand verbunden ist. Harmonisierte europäische Normen können auch Konformitätsvermutungen bei wichtigen Prozessen, Verfahren (zB. Qualitätsmanagementsysteme, Klinische Prüfungen, Gebrauchstauglichkeit, Software-Validierung, Risikomanagement) bereitstellen.

Die Harmonisierten Normen werden von den europäischen Normungsinstitutionen CEN und CENELEC (letztere für den elektrotechnischen Bereich) auf der Basis von Normungsmandaten der EU-Kommission mithilfe der Normungsinstitute der MS14 erarbeitet, gemeinsam beschlossen und nach Prüfung durch die Kommission für bestimmte Verordnungen oder Richtlinien harmonisiert, d.h. ihre Fundstellen (Titel) werden periodisch für die betreffende Verordnung oder Richtlinie im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Die Texte der harmonisierten Normen können entgeltlich bei den jeweiligen nationalen Normenorganisationen (z.B. DE: DIN, VDE; AT: ON, OVE) erworben werden.

Europäische Normen werden heute in der Regel gemeinsam mit den globalen Normeninstitutionen ISO (<> CEN) und IEC (<> CENELEC) ausgearbeitet; die Anhänge Z mit den Konformitätsvermutungen sind jedoch nur für die Harmonisierten Europäischen Normen enthalten.

Weitere Konformitätsvermutungen können im Rahmen beider Verordnungen (v.a. im klinischen Bereich) nunmehr durch Gemeinsame Spezifikationen, GS, (common specifications, CS) in Form von Rechtsakten der COM für bestimmte MP-/IVD-Gruppen bereitgestellt werden15.

1.2.3. Das Gesamtkonzept (Global Approach) im neuen Rechtsrahmen

Im Global Approach geht es um die Konformitätsbewertung („Eurozulassung“) von Produkten auf der Basis modularer Konformitätsbewertungsverfahren, die je nach Klasse des MP/IVD nach den Klassifizierungsregeln der Anhänge VIII der MDR/IVDR ausgewählt werden können/müssen16.

Die Konformitätsbewertung wird bei mittleren und höheren Klassen der MP/IVD durch sog. benannte Stellen (Notified Bodies – NB) durchgeführt. Benannte Stellen werden von den MS nach ihrer nachgewiesenen Qualifikation und Kompetenz17 in einem komplexen, nunmehr europäisch überwachten Verfahren für

  • bestimmte Produktarten,
  • bestimmte Konformitätsbewertungsmodule (Anhänge IX-XI oder Teile daraus) und für
  • bestimmte Spezialgesichtspunkte (zB bestimmte Technologien [etwa Nanotechnologie] oder Verfahren [zB. Molekularbiologische Diagnostik]), sog. „Horizontale Codes“ benannt18.

Die positive Absolvierung von Zulassungsmodulen (oder bestimmten Teilen daraus) durch den Hersteller wird durch Bescheinigungen (Zertifikate, NB-certificates) des NB19 (mit einer Geltungsdauer von maximal 5 Jahren) dokumentiert.

Ergänzt wird die CE-Kennzeichnung durch die 4-stellige Kennnummer des NB, (falls) der in die Konformitätsbewertung involviert ist20.

Ziel der Konformitätsbewertung ist die...

Erscheint lt. Verlag 14.1.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Technik
ISBN-10 3-7526-0308-9 / 3752603089
ISBN-13 978-3-7526-0308-8 / 9783752603088
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