Kometenfurcht (eBook)
128 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-2302-4 (ISBN)
Wilhelm Bölsche studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität Bonn. Er gilt als der Schöpfer des modernen Sachbuchs. In Dutzenden von Büchern und Bändchen popularisierte der Freidenker, Monist und Evolutionär das Wissen seiner Zeit.
EIN EIGENARTIGES HIMMELSGEBILDE
Lassen wir die Grauen und nehmen ein ganz aktuelles, überaus anmutiges Naturbild.
Die meisten von uns haben es in den letzten Tagen des Januar dieses Jahres genossen.
Nicht als Götterdämmerung, sondern in ihren gewohnten roten Abendfeuern ging die Sonne zur Rüste. In dem zauberhaften Farbenbogen, der aus duftigstem, durchsichtigstem Orangegelb, Mattgrün und ganz oben Violettblau sich noch eine Weile leise abklingend im Westen hielt, trat plötzlich hineinblitzend und dann rasch im eigenen Weißfeuer wachsend, bis sie als neuer Mittelpunkt das Ganze beherrschte, die Venus vor. Dieser schöne schneeweiße Planet, der uns so nahe ist und von dem wir doch so rein gar nichts wissen, weil ein ewiger dichter Wolkenschleier zäh das Geheimnis seiner Oberflächengestalt hütet.
Dann aber, rechts von dem strahlenden Auge des Abendsterns, jetzt ein zweites, ganz feines Himmelsgebilde. Wie ein phosphoreszierendes Federchen eben hingehaucht vor den blassen Kristall des abdunkelnden Himmels. Ein schwaches Sternchen, das aussah, als sei es an der freien Wölbung da oben ein Stückchen weit auf die Sonne zugekrochen und habe dabei eine feine Silberspur auf dem Untergrunde hinterlassen. Im Fernrohr erschien ein goldener Kern in einer weißlich verwaschenen Nebelhülle, nicht unähnlich einem ausgeschütteten rohen Ei; von dem floß jene Silberspur dann als langer Schweif aus, mit der starren Geradlinigkeit nicht eines Körpers, sondern viel eher eines breiten weißlichen Lichtstrahls. Nahm man den Kern als ein gelbes Schiffchen, das in einer Nebelwolke fuhr, so ergab sich mit großer Anschaulichkeit auch das Bild eines Scheinwerfers, mit dessen langem schleppenden Lichtbande die Gegend jenseits der Sonne von Bord aus abgesucht wurde.
Dieses höchst eigenartige Gebilde, das ein paar klare Abende lang die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, um dann still wieder zu verschwinden, wie es gekommen, war der sogenannte Komet von Johannesburg. Bahnschaffner im fernen Kapland, wo Johannesburg mit Kapstadt durch eine Schienenlinie verknüpft ist, hatten von einem andern kommenden Kometen gehört und zuerst die Kunde verbreitet, daß jetzt wirklich ein Komet am Westhimmel glänze; es war aber nicht der erwartete, sondern ein ganz neuer.
Aus den ungeheuren Raumesfernen zwischen der Sonne und den nächsten Fixsternen kam dieser Komet herangewandert, wie ein Zugvogel in den Schleiern der Nacht kommt. Wie solchen Vogel wohl die jäh auftauchende Flamme eines Leuchtturms auf einer einsamen Klippe über den nachtverhangenen Wassern ablenkt, daß er sich wie gebannt vom Licht ihr nähern muß, so wirkte bei einer gewissen Nähe mit bestimmtem Zuge auch unsere Sonne auf den kosmischen Wanderer. Er stürzte nicht mehr geradlinig fort wie ein Stein, der in den unendlichen Brunnen der Raumesewigkeit geworfen war. Er bog aus, beschrieb eine Kurve um den Sonnenleuchtturm.
Im Ganzen war es nur eine kurze Episode. Eine Verbeugung ohne Verweilen. Sehr bald sollte ihn wieder die alte ungestüme Kraft des freifallenden Körpers in der offenen Raumesöde packen und davonstürzen lassen in den Brunnengrund des Alls. Aber in der kurzen Spanne, da der kosmische Zugvogel in einem raschen Bogen an der strahlenden Leuchtturmkuppel näher hinglitt, als wolle er sie wirklich einmal ganz umkreisen: in diesem flüchtigen Moment geschah es, daß von einer kleineren einsamen Klippe in der Nähe der großen der vorbeischwebende Vogel gesehen wurde.
Diese Klippe empfing ihr Licht ganz von dem Leuchtturm. Auf ihr aber standen Hütten; Menschen wohnten dort. Und diese Menschen beobachteten vorübergehend den seltsamen Wanderer. Die Gelehrten erkannten in ihm etwas wieder, was man schon öfter beobachtet hatte, eine besondere Spezies kosmischer »Vögel«. Komet nannte man solche Gebilde seit alters; das Wort heißt Haarstern; also ein Stern, der hinter sich her ein langes silbernes Gelocke wallen läßt: den Schweif.
Es ist aber ein recht sonderbares Ding gerade um dieses Sternenhaar.
Wenn der Komet einsam da draußen, sonnenfern durch den unermeßlichen Brunnen des Raumes einfach fällt und fällt, besitzt er keinen Schweif. Er gleicht dann wirklich einem kleinen Sternchen gewöhnlicher Art, nur blasser, verwaschener. Etwas von einem Wölkchen hat er wohl immer, nur daß es jetzt noch ein rundes punkthaftes Wölkchen in kompaktester Zusammenziehung ist. Aber indem die engere Kurve an der Sonne vorbei beginnt, ändert sich da etwas.
Das Kernköpfchen hat sich im Bann dieser Sonne, wie gesagt, bequemt, eine kleine Reverenz zu machen. Aber dabei ist es jetzt vielfach wirklich, als werde etwas in seiner Frisur unruhig. Wie Haar, das sich sträubt, wogt seine Nebelhülle von dem eigentlichen Sternkopf empor. Erst ist es, als fasse die Magie der nahen Sonne sie stärker. Auf wallt sie gegen die Sonne hin. Aber alsbald auch scheint die Sonnenhand wieder abzuwinken. In der gesträubten Masse über dem Kometenhaupt entsteht ein Scheitel: rechts, links fließen für unsern Anblick die Nebelhaare des wunderlichen kosmischen Gesellen rückwärts gegen sein Hinterhaupt, entgegengesetzt zur Sonne, ab. Dort aber entfalten sie jetzt, als löse sich nochmals ein engeres Gewebe, erst ihre ganze Länge. Wie mit einem unsichtbaren Kamm strähnt die Sonne sie weit, immer weiter von dem Kometenkopf fort, bis sie als endloser Nebelschweif hinauswallen in den Raum, der die Sonnenklippe von den andern Klippen des Systems trennt. Immer aber weht dieser Schweif fort von der Sonne, so lange der Komet im ganzen seine Sonnenreverenz macht.
So entsteht jenes famose Bild eines kolossalen Scheinwerfers, der nach zähestem Gesetz nie auf die Sonne selber, sondern immer entgegengesetzt gerichtet werden muß. Und das eigentlich ist es, was für uns auf der fernen Erdenklippe die größeren Kometen zu einem so wunderbaren Schauspiel macht: dieser erst sich entwickelnde Schweif in der Sonnennähe, dieses plötzlich erst losgebundene und wie in einem magischen Sturm von der Sonne weggewehte Lockenhaar gerade in der Zeit, da doch im ganzen die anziehende Kraft dieser Sonne diesen Gesamtkometen so gepackt hat, daß er in kühnster Schwenkung ganz nahe an ihr vorbei muß; so nahe, daß dem Rechner bangt, ob es dem Kopf nicht gehen werde wie so manchem Zugvogel auf unserem Helgoland, der direkt auf Tod und Verderben bei zu kurzer Kurve wider die Kuppel des Leuchtturms selber prallt.
Der Komet von Johannesburg trat erst in unsere Schau, als er bereits in voller Pracht seines weithin wallenden Schweifes florierte. Wir hatten von unserm Klippenstande aus sein Herankommen zur Sonne und die Schweifentwickelung also selbst nicht beobachten können. Erst als die ganze Locke längst majestätisch dahinwogte, glänzte er plötzlich vor uns auf. Schon aber ging auch sein ganzes Sonnengastspiel damit zu Ende. Keinerlei wirkliche engere Gemeinschaft fesselte diesen Wanderer dauernd an unsern Leuchtturm. Frei sollte er jetzt wieder hinausfallen in den Brunnen der Unendlichkeit. Mit der Sonnennähe muß aber zugleich auch sein »Haarsträuben« wieder abnehmen, die erregten Nebellocken werden wie ermattet wieder sinken, der geheimnisvolle Zug, der die langen Strähnen von der Sonne fortjagte, muß im gleichen Verhältnis schwächer werden, wie der ganze Kometenkopf die Sonnenanziehung verläßt und selber wieder auf eigene Faust in die dunkle Weite strebt. Als wieder beruhigtes, gleichsam wieder ganz eingerolltes, ringsum geglättetes Sternköpfchen würden wir das seltsame Gebilde endlich verschwinden sehen, wenn wir ihm so lange mit unserm freien Blick folgen könnten.
Das Erlebnis dieses Johannesburger Kometen ist, wie gesagt, nur eines unter vielen. Wenn noch einmal das Gleichnis des Zugvogels gelten soll, so muß aus den Tiefen des Raumes zu unserer Sonne herauf ein unablässiger Wanderstrom solcher Vögel erfolgen. In dichtem Zuge kommen sie, schweben an, umkreisen die Leuchtklippe unseres Systems halb und entschweben wieder, einer nicht endenden Kette himmlischer Wildgänse gleich, in deren beständigem Zuge durch die Äonen der Zeit das momentane Abbiegen, die kleine Halbkurve vor dem Hemmnis der Sonnenklippe durchweg nur ein winzigstes Intermezzo ist.
Durchweg; doch nicht immer. Es gibt Fälle, wo der Wanderer dauernd gefesselt wird.
Denken wir uns im Bilde der Wildgans einen Vogel, der bei zu tiefem Fluge nicht einer einzelnen Klippe begegnet, der er in einer Kurve ausweichen kann. Er soll in ein Gewirre himmelhoher Schären geraten; wo er hin will, sperren ihm neue Klippenzacken den geraden Weg; ratlos beginnt er um die Hauptklippe zu kreisen. Das ist nach Lebensanalogie gedacht. Streng bloß auf Schwereverhältnisse umgesehen, bedeutet es für den Kometen, daß er bei seiner Kurve zu eng in die gesamten Anziehungslinien eines Systems, wie es unser Sonnensystem darstellt, sich hineinverheddert hat. Dieses System ist ja ein unendlich verwickelter Zugapparat. Von allen Seiten zerrt und drängelt es da. Eine gewisse zu kühne Kurvenwendung zur Sonne: und der Komet rollt nicht mehr über sie hinaus, sondern muß auch auf der andern Seite in eine Kurvenbiegung hinein. Die Halbkurven schließen sich aneinander zum gestreckten Kreis: der Komet ist gefangen von der Sonne.
Nun muß er dauernd gleich den schon vorhandenen Planeten um die große Leuchtklippe kreisen. Die alten Planeten selber helfen ihn dabei gründlich abfangen. Speziell unser System ist darin bedenklich für solche Eindringlinge, daß es eine leise Neigung zu dem hat, was bei andern am Fixsternhimmel sichtbaren vielfach offen proklamiert ist, nämlich zur Bildung eines Doppelstern-Systems. Der Planet Jupiter vor allem ist so groß, daß er neben der Sonne wirklich schon fast eine Art Nebensonne spielt, mit der zusammen im Kräftespiel die...
Erscheint lt. Verlag | 22.12.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
Technik | |
ISBN-10 | 3-7526-2302-0 / 3752623020 |
ISBN-13 | 978-3-7526-2302-4 / 9783752623024 |
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