Robert Kochs Affe -  Michael Lichtwarck-Aschoff

Robert Kochs Affe (eBook)

Der grandiose Irrtum des berühmten Seuchenarztes
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
100 Seiten
S.Hirzel Verlag
978-3-7776-2982-7 (ISBN)
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Seine Wissenschaft von den Bakterien hat Robert Koch als totalen Krieg gegen das Unsaubere erfunden. Unsauber ist alles, was fremd ist. Und das unsaubere Fremde ist ansteckend. Ansteckung produziert angesteckte Massen. Die verseuchte Masse macht Aufstand. So sind Seuche und Aufstand vom selben schrecklichen Fleisch. In drei Episoden wird erzählt, wie eine solche Haltung zu Beginn des 20. Jahrhunderts im sauberen Berlin entsteht, und zu welch unmenschlichen Folgen sie zwangsläufig führt. Das kranke, aufsässige Afrika, für Koch das Unsaubere schlechthin, muss mit Menschenversuchen in concentration camps gesäubert werden. In New York dann erweist sich die Seuchenbekämpfung nach seinen Prinzipien als Zuchtinstrument gegen all jene, die unbelehrbar an der Hoffnung auf ein besseres Leben festhalten. Nun kommen Koch selber Zweifel.

Michael Lichtwarck-Aschoff hat viele Jahre als Intensivmediziner in Augsburg gearbeitet sowie in München, Basel, Freiburg und Uppsala geforscht und als außerplanmäßiger Professor für Anästhesiologie und Intensivmedizin gelehrt. Nach dem Ende seiner Klinikarbeit bedenkt er schreibend, was das wohl sein könnte: die Medizin.

Das Sommerhaus

Berlin
im Sommer und Herbst 1903

Der Affe, der ihm die Tür öffnete, besaß eine gewisse dünnfingrige Manierlichkeit. Ein Klavierschüler, der eben noch an Czernys Schule der Geläufigkeit gesessen hatte. In der Art.

Walther Hesse würde sich später fragen, wie um Himmels willen er in diesem Augenblick auf einen Klavierschüler kommen konnte. Das Samtjackett des Affen, wahrscheinlich war es das. Ausgewaschenes Grün, die Seitentaschen mit drei Knöpfen akkurat geschlossen.

Der Affe legte den Kopf schräg und studierte einen Punkt oberhalb Hesses rechter Schulter, auf dem Rand der Thujahecke. Ganz bei der Sache war er wohl nicht, trotzdem wirkte seine Haltung liebenswürdig. Hesse sagte sich, seine Klingelei mochte den armen Kerl aufgeschreckt haben. Wahrscheinlich hatte er sich das Jackett nur rasch übergeworfen, um an der Tür nachzusehen.

»Ich möchte zu Herrn Professor Koch, bitte«, sagte Hesse, »der Herr Professor hat mich herbestellt, respektive ist es so, dass man mich im Hygienischen Institut, also man hat mich wohl avisiert. Die Einstellung, wenn es recht ist, sozusagen.«

Plötzlich empfand Hesse, wie kühl der hauptstädtische Nachmittag geworden war. Überhaupt: War das nicht alles ein bisschen unernst? Nachlässig gekämmt war der Affe jedenfalls. Dünnes Haar klebte am platten Hinterkopf. Wie bei einem Säugling, der in der Milch geschlafen hat, die ihm aus dem Mund geronnen ist. So reinlich, wie man sich den Hausdiener des weltberühmten Hygienikers vorstellen muss, war das Tier nicht. Ist Hygiene nicht die Wissenschaft vom Sauberhalten, von der Reinheit an sich?

Später würde gefragt werden, ob Hesse tatsächlich angenommen hatte, der Affe verstünde ihn. Schwer zu sagen. Sicher ist nur, dass diese ironischen Augen ihn gerade jetzt beunruhigten. Zärtlich wanderten sie über Hesses steifen Kragen und dann, als sei noch längst nicht alles gesehen, an seinem schwarzen Anzug hinunter. Der wurde nur zu Beerdigungen aus dem Schrank geholt.

Der Affe hatte keinerlei Eile. Gelassen schweifte sein Blick von Hesses Händen zu dessen Knien. Dann wieder zurück. Als gäbe der Abstand zwischen, sagen wir, Daumenendglied und Kniescheibe Auskunft darüber, wie schwerwiegend das Anliegen eines Fremden überhaupt sein kann, der klingelt, wenn man gerade Klavier übt.

Mittlerweile war Doktor Hesse überzeugt: Das Tier will mich gar nicht verstehen. Natürlich kann man Affen abrichten. Sie spielen zum Beispiel Czerny auf dem Klavier. Aber bestellen sie dem Hausherren auch, welches Anliegen Walther Hesse hat? Kann man sich in diesem Punkt auf einen Affen verlassen?

Hesse begann zu schwitzen. Sah sich nach einem Weg um, auf dem er sich zurückziehen konnte.

Dabei müsste ihm eigentlich, ein paar Schritte neben dem Gartentor, ja dort, wo die Thujahecke beginnt, ein Mann unbestimmbaren Alters mit einer langen Schürze aufgefallen sein. Er stützte sich auf eine Harke. Das war Witold Krol, Professor Kochs Mädchen für alles, Faktotum, Kräuterkundiger, Konservierer, Labordiener, was weiß ich, jedenfalls unter anderem auch: Gärtner. Hesse hätte ihn sehen können, durchaus.

Witold seinerseits beobachtete ihn scharf. Obwohl der Doktor wenig Ungewöhnliches an sich hatte. Sauber gestutzter Vollbart, über der Oberlippe vielleicht etwas ausladend, die grauen Augen schielten unmerklich, hohe Stirn, das Haar hatte früh begonnen zurückzuweichen. Seine erste Freundin hatte behauptet, er sehe Dostojewski geradezu lächerlich ähnlich, besitze überhaupt so etwas Russisches. Leider konnte Fanny, die Frau, die Hesse dann geheiratet hatte, das nie feststellen.

Witold besaß die Angewohnheit, sich auch Kleinigkeiten gut einzuprägen. Gelegenheit gab es genug, denn selber war Witold für die meisten unsichtbar. Wem fällt schon ein älterer Gärtner vor einer Thujahecke auf? Außerdem die Judasohren. Sind praktisch unverzichtbar für eine gute Beobachtungsgabe. Wachsen auf Holunderrinde, wissen Sie. Wenn man das Knorpelige mag, schmecken sie gar nicht mal so schlecht. Und diese Wülste. Jedes Mal überraschen sie mich, weil sie so fest daherkommen in dem samtigen Rot der Judas­ohren. Nach dem Verzehr bekommt die Welt eine scharfe Kantenlinie. Judasohren empfehle ich auch bei Schwachsichtigkeit.

Hesses Verwirrung vor der Haustür war begreiflich. Er war zum ersten Mal in der Hauptstadt Berlin. Und dann gleich beim großen Koch klingeln. Wohl war er ein bisschen herumgekommen in der Welt. Der Krieg hatte ihn 1871, als Feldarzt, bis knapp vor Paris geführt, der Friedensschluss hatte eine Besichtigung der schönen Stadt verhindert. Später als Schiffsarzt bis nach New York, von dort aus die Ostküste beider Amerika hinunter. Dabei hatte er erst die Seekrankheit studiert, und dann seine Frau Fanny kennengelernt. Oder war es umgekehrt? Gegenwärtig bekleidete er den Posten eines Bezirksarztes im erzgebirgischen Schwarzenberg. Bergbau, Staublunge, Blasenkrebs, unheilbares Zittern nach Verschüttungen, Gasvergiftungen, abgerissene Beine, Bergsucht. Interessantes Material, würde er später zu Witold sagen, aber man hat doch wenig Ansprache ansonsten.

Da also stand entmutigt vor Kochs Haustür der Doktor Walther Hesse. Und trotz einer gewissen, sagen wir: Welterfahrenheit, war dies hier der erste Affe seines Lebens, der ihm die Tür öffnete.

Das Schweigen zwischen den beiden zog sich in die Länge. Hesse hatte das Gefühl, es könnte zur Klärung beitragen, wenn er sein Anliegen wiederholte.

Noch einmal langsam und deutlich: Um seine Einstellung ginge es. Der Herr Professor sei im Bilde.

Den durchdringenden Blick unverwandt auf den Fremden gerichtet, begann der Affe jetzt, die Türe in Hesses Gesicht hinein zu schließen. Lehnte sie behutsam an. Drehte sich um. Durch den Türspalt sah Hesse, wie die Jackenärmel über die Fingerspitzen fielen, und wie tief die Taille hing.

Ein kleiner Mönch. Als Einziger lebt er noch in einem japanischen Kloster, so verschwand das Tier in die Stille. Das Samtjackett war eine Nummer zu groß.


»Storm«, hörte Hesse kurze Zeit später eine Frauenstimme, »Storm! Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst nicht an die Tür gehen, wenn es klingelt. Das gehört nun wirklich nicht zu deinen Aufgaben, du neugieriger Mensch.«

Die Tür ging wieder auf. Eine feingliedrige Frau, das erhitzte Gesicht umrahmt von einem Schwall schwarzer Locken, schaute Hesse ärgerlich an. Ihre Oberlippe war eine Winzigkeit zu kurz. Neben ihr stand der Affe. Storm hieß er also. Sie hatte den Arm um seine Schulter gelegt. Diese entrückte Belustigung im Blick des Tieres. Vorher war Hesse sich nicht ganz sicher gewesen, jetzt war das unverkennbar. Man kann es Hesse nachfühlen – ein Affe im taillierten Jackett mit zugeknöpften Taschen, öffnet einem die Tür. Würde man da nicht glauben, die ganze Welt lache gerade über einen?

»Guten Tag!«, sagte Hesse, »mein Name ist Walther Hesse, Doktor Walther Hesse. Ich sollte mich bei Herrn Professor Koch zur Stelle melden, ich meine also, auf eine freie Stelle wollte ich, bewerbungshalber …«, er verstummte. Wusste nicht mehr weiter.

»Bewerbungshalber? Schön, Herr Doktor Hesse«, sagte die Frau, ihre Stimme war überraschend tief und rauh, Halsschmerzen vielleicht, »dann bin ich eben Frau Koch. Meinen Storm hier haben Sie ja schon kennengelernt. Kommen Sie herein, ich schaue nach, ob mein Mann Zeit für sie hat. Ich will wirklich nicht ungastlich sein, aber ich werde nie begreifen, warum er seine Bewerber immer in unser Haus bestellen muss statt ins Institut.«


Jahre danach, Walther Hesse und seine Frau hatten Berlin längst wieder verlassen, würde Hesse noch immer gerne von seiner Einführung in die Familie Koch erzählen. Mit jedem Mal wurde der Affe Storm mönchischer, sah Frau Koch feingliedriger aus, war das Haus stiller, und Witold Krol verschwand tiefer in der Thuja.


Frau Koch und Storm gingen Hesse voran ins Haus. Frau Koch hatte den Arm über die Schulter des Affen gelegt. Die beiden führten Hesse durch eine geräumige Diele, einen Gang entlang, in dem es nach überbackenem Blumenkohl roch, über eine Treppe hinauf, bis vor eine mit Schnitzereien überladene Tür.

»Robert, da ist schon wieder einer dieser jungen Männer für dich, die du beharrlich hierher bestellst anstatt in dein Institut«, sagte Frau Koch, während sie die schwere Tür aufdrückte.

Ausgerechnet jetzt nahm der Gedanke, die zarte Frau des Professors sei bestimmt nicht älter, eher sogar jünger als er selbst, Hesse ganz in Anspruch.

»Meinst du, es wäre möglich unser häusliches Leben und deinen Institutsbetrieb etwas säuberlicher auseinanderzuhalten? Du überschätzt mein Interesse an den Personalangelegenheiten der Hygiene.«

Ihr Unmut schien sich nicht auf Hesse zu beziehen. Im Gegenteil: Sie lächelte ihn an, fast als gäbe es seit der Haustür ein winziges Geheimnis zwischen ihnen.

Auch der Affe fand diese Art der Vorstellung offensichtlich angemessen. Sein Blick hatte jetzt definitiv etwas Versonnenes, was Hesses Unruhe aber nur verstärkte.

»Gehen Sie nur hinein, Herr …, Herr ..., na wie auch immer, gehen Sie ruhig hinein, Sie können ja nichts dafür, dass mein Mann so wenig Erfolg damit hat, den Unterschied zwischen unserem bescheidenen Haushalt und seinem kaiserlichen Labor zu erkennen. Jetzt gehen Sie schon.«

Sie konnte unmöglich älter sein als er.

Zögernd trat Hesse über die Schwelle.


Hinter seinem Schreibtisch saß Professor Robert Koch. Den stellt man sich nun immer als einen großen Menschen vor. Weil ein...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2021
Reihe/Serie Hirzel Literarisches Sachbuch
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Afrika • Bakterien • Deutsch Ostafrika • Kaiserreich • Medizin • Robert Koch • Typhus • Virus
ISBN-10 3-7776-2982-0 / 3777629820
ISBN-13 978-3-7776-2982-7 / 9783777629827
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