Der Rhein (eBook)
576 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491035-2 (ISBN)
Hans Jürgen Balmes, 1958 in Koblenz geboren, ist Lektor und Übersetzer. Für »Mare« schrieb er über die »Quellen der Meere«. Porträts und Aufsätze schienen u. a. in der »Neuen Zürcher Zeitung« und der »Süddeutschen Zeitung«. Aus dem Englischen übersetzte er John Berger, Barry Lopez sowie Gedichte von Robert Hass, W. S. Merwin, Martine Bellen und Warsan Shire.
Hans Jürgen Balmes, 1958 in Koblenz geboren, ist Lektor und Übersetzer. Für »Mare« schrieb er über die »Quellen der Meere«. Porträts und Aufsätze schienen u. a. in der »Neuen Zürcher Zeitung« und der »Süddeutschen Zeitung«. Aus dem Englischen übersetzte er John Berger, Barry Lopez sowie Gedichte von Robert Hass, W. S. Merwin, Martine Bellen und Warsan Shire.
"Der Rhein. Biographie eines Flusses" ist eine nie langweilige Liebeserklärung an ein Gewässer. Und ein Lesegenuss.
Lesenswert ist Hans Jürgen Balmes' Buch, weil es [...] die Schönheit der Natur feiert.
ein gewaltiger Strom, den der Autor Hans Jürgen Balmes zum Erzählen bringt. [...] Mit großer Sachkunde spürt er der Seele des Flusses nach.
Das ist das Buch über den Rhein, das man sich immer gewünscht hat.
Dass der Verfasser des Buches seinen Gegenstand genau studiert hat und gerade deshalb liebt, spürt man an jeder Zeile seiner Prosa
Ein wunderbares Buch, so vielfältig und verschlungen wie sein Gegenstand.
Er ist vieles zugleich - naturkundliche Reportage, historische Erzählung, persönlicher Reisebericht - im Grunde aber ein langer Liebesbrief des Autors an den Fluss seines Lebens.
Balmes ruhiger, bedächtiger, differenzierter Erzählstil ähnelt irgendwie der Technik des Malers Turner.
Der Strom in seiner ganzen Länge hat wohl wenige so intime Kenner erlebt.
Wer diese Fluss-Biographie liest, bekommt Lust, zu den Orten zu reisen, die mit ebenso viel Empathie wie Leidenschaft beschrieben werden.
Das ultimative Buch über den Rhein
1 Bingen
In den Kribben
Mitten im Fluss sitze ich am Binger Loch auf einem der beiden längs im Flussbett liegenden Steindämme. Rheinkilometer 530, steht an der Tafel auf dem Ufer gegenüber. So viele Kilometer hat der Fluss von Konstanz bisher hinter sich gebracht, und noch einmal so viele liegen vor ihm bis zum Meer: Hier ist seine Mitte. Und hier war auch einmal sein Ende. Während links und rechts steile Berghänge schattig emporwachsen, reflektiert das Wasser vor mir das letzte Licht. Der Fluss steht hoch, und der schnell fließende Strom mit seinen Strudeln scheint fast über die Dämme zu schwappen. Hinter mir liegt zwischen den Uferverbauungen der völlig unbewegte Spiegel eines Auenteiches – als wollte das Wasser mir seine beiden Zustände demonstrieren: das Fließen und das Innehalten.
Die Dämme wurden gebaut, um den Rhein an dieser gefährlichen Biegung schiffbar zu machen. Das Binger Loch ist die Pforte, durch die sich der Fluss in das Rheinische Schiefergebirge drängt: Nach dem weiten Becken des Inselrheins, wie er von Mainz bis Rüdesheim heißt, verengt sich das Tal plötzlich. Stromauf, hinter dem mitten im Wasser stehenden Mäuseturm, ist noch etwas von dem breiten Flusslauf zu erkennen. Weil keine steilen Hänge es hindern, sammelt sich hier das Licht und lässt den Horizont in einem Glitzern unsichtbar werden. Dort liegen unter der Wasseroberfläche quer zum Strom Felsbänder, die bei Niedrigwasser sichtbar werden. Gleichzeitig mündet rechts die Nahe. Der Nebenfluss wird von einer Wand aus Rheinwasser gestaut und scheint auf den letzten Metern fast zu stehen, bis der Strom ihn wie ein rotbraunes Farbband an seinem Rand mitreißt. Erst nach ein paar Kilometern werden sie sich mischen.
Die Nahe entlädt Schutt und Geröll in den Rhein, Kiesbänke, auf denen sich bei Niedrigwasser Flussregenpfeifer und Möwen niederlassen. Den Schiffern bleibt so nur eine schmale Fahrrinne, und damit diese immer genug Wasser führt und es sich nicht am Rand staut, hat man die Dämme gebaut: Einer setzt am hinter der Nahemündung vorspringenden Rheinufer an, der andere mitten im Fluss stromab des berüchtigten Hardsteins, eines Felsbrockens, der selbst bei Hochwasser lange sichtbar bleibt, genauso wie flussauf der Mühlstein, an dem früher Schiffsmühlen vertäut lagen. Mehl wurde auf dem Fluss gemahlen. Heute trägt diese Klippe ein Kreuz und birgt in einer Kassette das Herz und Hirn eines Mannes, der der Landschaft über den Tod hinaus verbunden sein wollte: Niklas Vogt, der als Abgesandter am Wiener Kongress teilgenommen hatte. Ein Dichter und zugleich Historiker, wer sonst würde sich ein Grab inmitten einer der wichtigsten Verkehrsadern Europas wünschen? An einer Stelle drohenden Schiffbruchs oder dankbarer Erleichterung, wenn die gefährliche Passage gemeistert war und die kleinen hölzernen Barken wieder gegen größere, stabiler im Wasser liegende Frachtschiffe getauscht werden konnten.
Die Klippe des Hardsteins ist hingegen ein Vogelfelsen, der meist, wie auch heute Abend, von ein paar Kormoranen gegen kreischend anfliegende Möwen verteidigt wird. Hinter ihren Schreien brummen schwere Dieselmotoren. Lastkähne stemmen sich gegen die Strömung bergan, die den Gegenverkehr mit einer fast gespenstischen Leichtigkeit nach unten trägt. Endlos rasseln Güterzüge vorbei. Als Kinder verloren wir oft nach 110 Waggons den Überblick, weil die Finger nicht reichten. Für einen Moment ist es still. Ein Auto wartet gegenüber an der Ampel der Baustelle, es fährt an, und einsam tutet eine Lokalbahn, die um die Kurve biegt. Das Signal wird als Echo vom gegenüberliegenden Uferhang zurückgeworfen.
Einst ragte hinter dem Hardstein beim Rheinkilometer 530,8 quer zur Strömung ein Quarzit-Riff aus dem Fluss: das Binger Loch, eine gerade zwei Meter breite Lücke in diesem Felsband. Als natürliche Wehrmauer staute das Riff das Wasser in den Inselrhein zurück. Um dieses Loch knapp vor dem rechten Flussufer, wo die Strömung plötzlich anzog, zu passieren, mussten im Mittelalter die Güter zwischen Rüdesheim und Bacharach in kleinere Boote umgeladen werden. Im 17. Jahrhundert konnte im Auftrag von Frankfurter Kaufleuten eine vier Meter breite Scharte in das Riff gesprengt werden. Schon allein dadurch sank der Wasserspiegel im Rheingau so sehr, dass viele der Inseln trockenfielen und in Mainz die Eichenpfähle, auf denen der Dom ruht, nicht mehr im Grundwasser standen. Sie begannen zu faulen. Erst 1925 konnte man die Rettungsarbeiten an dem Fundament abschließen.
Von 1831 bis 1840 sprengte man den Durchlass Meter für Meter breiter. Aber auch das reichte nicht für die Dampfschlepper. 1894 maß die Öffnung schließlich dreißig Meter, und inzwischen war auch das einen Kilometer lange Parallelwerk entstanden, der zweite Steindamm im Fluss, der eine zweite Fahrrinne für die Talfahrt schuf. Es wurde sogar eine dritte Fahrrinne geplant, die aber, so die Befürchtung, den Inselrhein hätte vollkommen leerlaufen lassen. Obwohl das Riff zwischen 1966 und 1974 durch Unterwasserexplosionen beinahe vollkommen abgetragen wurde und die Öffnung heute wie das Flussbett des Rheins an der Loreley 120 Meter breit ist, konnte im Rheingau durch quer zur Strömung liegende Buhnen oder Kribben das Fließen so verlangsamt werden, dass der Fluss ein Strom blieb. Überall am Rhein ragen vom Ufer diese Wehre wie steinerne Stege in das Wasser. Das Rauschen des Binger Lochs, das man früher bis hundert Meter hoch an den Aussichtspunkten über dem Wasser hören konnte, ist verstummt.
Nachdem er die Engstelle passiert hat, schwenkt der Strom vor einem steilen grünen Hang nach Norden ab und gerät aus dem Blick. Es ist eine tückisch enge Kurve; kein Wunder, dass man bis in die achtziger Jahre Lotsen brauchte, die die Schiffe begleiteten. Seitdem hat jeder Radar.
Von dem Damm, auf dem ich sitze, führen in beinahe rechtem Winkel Steinwälle zum Ufer, die Kribben, die wie ein Fächer stromab immer etwas niedriger angelegt sind. Steht das Wasser hoch, schwappt etwas über die Steine, sammelt sich im ersten Becken und rieselt dann von Teich zu Teich. Am Ausgang der Verbauung hat sich zwischen Ufer und dem im Fluss auslaufenden Damm eine offene sandige Bucht gebildet. Unter den mit ihren Wurzeln in den Fluss ausgreifenden Weiden sollen Karpfen stehen, hofft der Angler, der einfach nicht aufgibt, aber seit Mittag nichts gefangen hat – und das mit drei Ruten.
Die Verbauung aus dem 19. Jahrhundert ist nun schon so alt, dass sie selbst zu einem Stück Natur geworden ist. Die obersten Becken sind völlig verlandet: sumpfige Parzellen voll riesiger Weiden und Pappeln, dazwischen ein versprengter Ahorn oder eine Eiche. Übereinandergestürzte Baumstämme, von Lianen überwachsen und mit Brombeergestrüpp überwuchert. Es ist ein Dschungel wie einst die Auenwälder am Oberrhein, die die Ingenieure im 19. Jahrhundert vertrieben: Der Fluss wurde dort zum Schifffahrtskanal. Aber hier pflanzte sich von selbst eine zweite Auenlandschaft, die uns zeigt, wie die Ufer einmal ausgesehen haben – und das so überzeugend, dass sogar Reiherenten aus Skandinavien hier statt auf weiten Altrheinarmen überwintern.
Flüsse stellen wir uns immer zwischen Mündung und Quelle eingespannt vor. Sie bestimmen den notwendig erscheinenden Lauf. Aber das Bild vom Rhein, das wir heute in Atlanten finden, ist nur die letzte Version von Hunderten, Tausenden. Der Fluss wuchs bergauf: Vom Kaiserstuhl bis in die Alpen erschloss er sich durch Rückwärtserosion immer neue Zuflüsse, bis endlich gegen Ende der letzten Eiszeit der Bodensee in seiner heutigen Form entstand und die beiden Quelläste, den des Vorder- und den des Hinterrheins, mit dem Strom verband. Gleichzeitig gab es die Mündung in der jetzigen Form nicht. Die Nordsee lag trocken und wurde von einer gewaltigen Ebene eingenommen, dem Doggerland, über das eiszeitliche Jäger riesigen Tierherden von Europa nach Britannien zu Fuß folgten.
Heute ist die ganze Natur am Rhein von der Mündung bis zum Fuß der Alpen und hinauf zu den Quellen vom Menschen geprägt. Eine Landkarte des Mündungsdeltas, aus dem um 600 n. Chr. friesische Kaufleute in die gesamte Nord- und Ostsee aufbrachen, aber auch auf dem Rhein hinauf bis Straßburg und Basel Handel trieben, wäre mit einer heutigen Karte nicht zu vergleichen – damals war es eine Sumpflandschaft, die Häuser standen auf morastigen Inseln und künstlich trockengelegten Anhöhen, deren Umrisse mit jeder Sturm- und Springflut neu gezeichnet wurden. Der Oberrhein, der in seinem mehrere Kilometer breiten Bett in unendlich vielen Schlaufen von Basel nach Mainz mäanderte, wurde vor rund 150 Jahren zu einer eingedeichten Wasserstraße kanalisiert, wodurch die Rheinschiffe zwischen Mannheim und Basel über hundert Kilometer sparten. Die Auenwälder an seinem Ufer sind heute nur noch spärliche Reste der einstigen Wildnis und wurden meist als Rückhalteflächen für Hochwasser neu angelegt. Eine renaturierte Szenerie, die den Anschein des Ursprünglichen weckt.
Die Entstehung des Rheins widerspricht so der einfachen Logik von Quelle und Mündung. Sein Anfang ist in der Mitte zu suchen, und es waren keine Quellen, die einen Wasserlauf entstehen ließen, sondern die Absenkung eines Geländes, die ihn ermöglichte. Die Bildung des Oberrheingrabens zwischen dem Schwarzwald und den Vogesen, dem Odenwald und...
Erscheint lt. Verlag | 28.4.2021 |
---|---|
Zusatzinfo | 29 Farbabbildungen und 30 s/w Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Natur / Ökologie |
Technik | |
Schlagworte | Alpen • Bingen am Rhein • Doggerland • Domburg • Faltboot • Gebirge • Grube Messel • Hochrhein • Koblenz • Loreley • Mikwe • Mittelrhein • Mündung • Nature writing • Niederrhein • Oberrhein • Quelle • Rheinfall • Rhein Romantik • Rheinwiesenlager • Rotterdam • Ruinaulta • Schaffhausen • Schalensteine • Schiefergebirge • Seekuh • Via Mala • Weltkulturerbe Mikwe • William Turner • Zugvögel |
ISBN-10 | 3-10-491035-9 / 3104910359 |
ISBN-13 | 978-3-10-491035-2 / 9783104910352 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 7,0 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich