Neue Karte der Weltwunder (eBook)

Eine Forschungsreise zu den Rätseln der Naturwissenschaften
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
479 Seiten
Matthes & Seitz Berlin Verlag
978-3-95757-893-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Neue Karte der Weltwunder -  Caspar Henderson
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Anhand von sieben wahren Wundern führt uns Caspar Henderson in Mikrokosmen und Universen, die zum Staunen einladen und ein tieferes Verständnis erlauben, ohne uns den Zauber zu nehmen. Neugier ist die Voraussetzung für alles Wissen, vielleicht sogar Grundlage des Menschseins. Die Fähigkeit zum Staunen verbindet uns alle. Und je mehr wir über die Welt wissen, desto mehr vermag sie uns zu begeistern, wie Hendersons brillante Berichte aus den Wissenschaften beweisen: Photonen etwa haben weder Masse noch Ladung, können nicht zum Stillstand kommen, dafür aber die Form wechseln. Und bis heute ist nicht gänzlich geklärt, wie sie sich eigentlich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen können. Das Herz wiederum ist der variantenreichste Muskel, den die Natur hervorgebracht hat - mehr als tausend Mal schlägt ein Kolibriherz pro Minute, nur zwei Mal das Herz einer Muschel. Doch der Zauber dieses lange unerforschten Organs verliert sich auch durch seine Ergründung nicht. Ähnlich verhält es sich mit dem Gehirn, das weitaus komplexer ist als jeder Rechner, der bisher gebaut wurde, und das wir gerade erst zu verstehen beginnen. Mit seiner Karte der Weltwunder nimmt uns Caspar Henderson mit auf eine aufregende Reise in die Philosophie, Geschichte, Kunst, Religion, Naturwissenschaften und Technologie, um uns das Staunen als Möglichkeit der Weltwahrnehmung und Haltung zurückzugeben.

Caspar Henderson, geboren 1963, arbeitet als Autor zu Fragen der Natur und der Conditio humana und als Journalist für Zeitungen wie Financial Times, Independent und New Scientist. 2009 wurde er mit dem Roger Deakin Award der britischen Schriftstellergewerkschaft Society of Authors und ein Jahr später mit dem Royal Society of Literature Jerwood Award ausgezeichnet. Er lebt in Oxford.

Caspar Henderson, geboren 1963, arbeitet als Autor zu Fragen der Natur und der Conditio humana und als Journalist für Zeitungen wie Financial Times, Independent und New Scientist. 2009 wurde er mit dem Roger Deakin Award der britischen Schriftstellergewerkschaft Society of Authors und ein Jahr später mit dem Royal Society of Literature Jerwood Award ausgezeichnet. Er lebt in Oxford.

Eines Frühlingsmorgens entdeckte ich, als ich mit meiner Tochter in die Küche hinunterkam, einen hellen Lichtfleck an der Decke. Zunächst konnte ich mir keinen Reim auf dieses seltsame Etwas machen, das da waberte, sich verformte und zeitweise von Schatten abgedunkelt wurde. Doch allmählich begriff ich, was hier vor sich ging. Die Sonne, die sich tagelang hinter den Wolken versteckt gehalten hatte, war hervorgebrochen und so weit den Horizont hinaufgeklettert, dass ihre Strahlen auf die Fenster eines gegenüberliegenden Gebäudes fielen. Diese Fenster reflektierten nun das Licht durch die sich wiegenden Äste eines Baums auf eine weitere spiegelnde Oberfläche, die gerade in einem solchen Winkel angeordnet war, dass sie das von den Ästen abgeschattete Licht durch unser Küchenfenster an die Decke warf.

Manchmal erfordert es extreme oder außerordentliche Umstände, damit ganz gewöhnliche Dinge wundervoll erscheinen. Im Fall des Dichters Ko Un beispielsweise genügte ein briefmarkengroßer Flecken Sonnenlicht auf seiner Zellenwand im koreanischen Militärgefängnis, um wieder ein Gefühl des Staunens und der Hoffnung in ihm zu entfachen, wenngleich er auch um sein Leben fürchtete. Die Umstände an jenem Morgen in meiner Küche hingegen hatten nichts Außergewöhnliches an sich. Ich musste nicht um mein Leben bangen. Ich befand mich an keinem atemberaubend schönen oder exotischen Ort. Es war ein stinknormaler Arbeitsdienstag. Oder Mittwoch. Oder sonst ein Tag, ich vergesse solche Dinge. Jedenfalls waren weder Zeit noch Ort irgendwie besonders und ebenso wenig, könnte man meinen, das Phänomen, mit dem ich konfrontiert war. Wer hat nicht schon Sonnenlichtsprenkel auf einer Wand beobachtet oder sich gefragt, was diesen Effekt wohl hervorruft? Und wem hat sich in dem Klima, in dem ich lebe, nicht schon die Stimmung aufgehellt, wenn sich nach einer Reihe düsterer Tage endlich die Sonne wieder blicken ließ?

Und dennoch, mein Erstaunen – mein Gefühl, vollkommen wach zu sein – war außerordentlich. Mir mit meinem Wissenschaftsspleen war klar, dass das so sanfte und lebendige Spiel des Lichtflecks und seiner Schatten von Trillionen von Photonen (Lichtteilchen) hervorgerufen wurde, die von einer gewaltigen thermonuklearen Explosion in ungefähr 150 Millionen Kilometern Entfernung her stammten. Und ich wusste auch, dass diese Photonen nur einen winzigen Bruchteil einer ungleich gigantischeren Menge von Photonen ausmachten, die jede Sekunde geräuschlos und mit einer Geschwindigkeit weit jenseits unserer Vorstellungskraft auf unseren Planeten treffen. Wie Ko Un in einem anderen Gedicht schreibt: »Ich starre auf die unsichtbaren Bewegungen aller Dinge«.1

Noch größere Freude machte mir der Moment meiner Tochter wegen. Sie war damals fünf, und der Lichtfleck erschien ihr wahrscheinlich nicht mehr und nicht weniger erstaunlich als viele andere Dinge – von Postboten bis Fischstäbchen –, die eine Fünfjährige jede Woche zu sehen bekommt. Aber sie sah ihren Vater lachen, beschloss daher, dass daran etwas lustig sein musste, und lachte ebenfalls. Es war also Liebe dabei, und das machte es wundervoll. Aber das ist noch nicht die ganze Geschichte.

Sich über das Wundern wundern


Mein Küchenerlebnis brachte mich zum Nachdenken über das Wundern – darüber, was es auslöst und wie wir es erfahren, wie flüchtig es sein kann; darüber, auf wie vielfältige Weise es zum Schweigen gebracht und erstickt werden kann, aber auch, wie es ein Gefühl von Sinn vermitteln und essenzieller Bestandteil eines guten Lebens sein kann. Ich kam zu dem Schluss, dass all das einer genaueren Untersuchung wert wäre. Neue Karte der Weltwunder ist dabei herausgekommen.

Dieses Buch taucht in Philosophie, Geschichte, Kunst, Religion, Wissenschaft und Technologie ein, um zu einem besseren Verständnis und einer größeren Wertschätzung der Dinge, über die wir uns wundern, aber auch der Natur des Sich-Wunderns selbst zu gelangen. Auf besondere Expertise kann ich nicht verweisen und auch nicht auf andere Qualifikationen als nur meine Neugier und meinen Dickkopf. Ich stimme allerdings Samuel Johnson zu, der schrieb: »Niemals […] würde etwas unternommen werden, wenn erst alle möglichen Einwände widerlegt sein müssten.« Und wenn ich auch viel (eigentlich nahezu alles) ausgelassen habe, so war ich doch bemüht, meine Darstellung nach Kräften geerdet und kohärent zu halten. Geerdet dadurch, dass die verschiedenartigen und zahlreichen Wunder, denen ich in diesem Buch nachspüre, auch in einfachen und alltäglichen Situation wie der in meiner Küche bereits zu einem gewissen Grade gegenwärtig sind. Und kohärent dadurch, dass diese verschiedenen Wunder durch das Phänomen der Emergenz miteinander verbunden sind.

Ausgelassen habe Als Startpunkt eignen sich Wunder und die Ordnung der Natur 1150–1750 von Katherine Park und Lorraine Daston sowie The Age of Wonder von Richard Holmes.

Über Emergenz werde ich in dieser Einleitung noch ein paar Worte verlieren, doch zunächst einige Gedanken über die Bedeutung des Worts ›wundern‹, seine mögliche Geschichte sowie darüber, was das Wundern mit jenem großen Unterfangen zu tun hat, aus der Welt schlau zu werden und sich in ihr zurechtzufinden.

The Oxford Companion to Consciousness enthält keinen Eintrag zu Wundern oder Verwunderung – sehr wohl aber einen zu Wein – und das sollten wir vielleicht als einen Wink auffassen. Ein Standardwörterbuch bringt uns hier auch nicht viel weiter. Typischerweise wird Wunder2 als etwas definiert, das Erstaunen oder Bewunderung auslöst, und Verwunderung entsprechend als der Zustand der darüber nachsinnenden Person. Henry David Thoreau vermutete eine gemeinsame Wurzel mit ›wandern‹, während andere einen Zusammenhang mit ›Wunde‹ ins Spiel gebracht haben, doch diese Ableitungen sind rein spekulativ.

Ableitungen In der Kurzgeschichte »Undr« macht Luis Borges Wunder zu einem Urwort, das allen anderen vorhergeht und sie überflüssig macht. Ralph Waldo Emerson schreibt: »Wenngleich der Ursprung der meisten Wörter vergessen ist, war doch jedes Wort zuerst ein Genieblitz und wurde allgemein gültig, weil es im Augenblicke für den Ersten, der es sprach und hörte, die Welt versinnbildlichte«.

Im Folgenden eine etwas weitergehende Definition. Im Rückblick auf seine Erfahrung mit einer Esche in der Abendsonne beschreibt der Philosoph Martyn Evans ›wundern‹ als:

eine Haltung veränderter, unwiderstehlich intensivierter Aufmerksamkeit auf etwas, das wir unmittelbar als irgendwie bedeutsam anerkennen – etwas, dessen Erscheinen unsere Vorstellungskraft noch vor unserem Verstand anregt, das wir aber mit der Zeit vermutlich umfassender verstehen wollen.

Umfassender »Die Fantasie [ist] ein Hilfsmittel, um in einer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten Sinn zu finden, indem man diese Möglichkeiten reduziert.« Michael Lewis

Dies trifft meiner Ansicht nach einen bedeutenden Teil dessen, was vor sich geht, wenn wir von Verwunderung ergriffen werden. Jedenfalls kann ich das für meine Person sagen. Wie Evans sich ausdrückt: Wir erkennen oder erfassen intuitiv etwas Wesentliches und Schönes (etwa eine zugrunde liegenden Struktur oder Ordnung) und geraten in einen Zustand gesteigerter Aufmerksamkeit.

Wann hat es mit dem Wundern angefangen? Gehört es zur menschlichen Erfahrung seit den Anfängen unserer Geschichte? Oder reicht es sogar noch weiter zurück? Vor einigen Jahren wurden im Gombe Stream Nationalpark in Tansania zwei Schimpansen dabei beobachtet, wie sie unabhängig voneinander zum Sonnenuntergang auf den Grat eines Bergkamms kletterten. Dort grüßten sie einander, fassten sich bei den Händen, setzten sich gemeinsam hin und starrten lange Zeit auf das schwindende Licht der untergehenden Sonne. Wie sollen wir so einen Bericht deuten? Die Primatologin Jane Goodall hegt da keinen Zweifel. Nicht weit von dieser Stelle entfernt hat sie andere Schimpansen dabei beobachtet, wie sie einen Wasserfall betrachteten und dann überbordendes Ausdrucksverhalten und Tänze zeigten. Sie bemerkt dazu:

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass [solches Verhalten] durch Gefühle von Ehrfurcht und Staunen, die wir empfinden, ausgelöst wird. Das Gehirn der Schimpansen ähnelt so stark dem unseren. Sie haben Gefühle, ähnlich oder gleich wie [die unseren,] und unglaubliche intellektuelle Fähigkeiten, von denen wir dachten, sie wären uns vorbehalten. Warum sollten sie also nicht auch … irgendeine Art spirituelles [Leben] haben, das heißt wirklich in Erstaunen verfallen über Dinge, die um einen herum vorgehen. […] Ich glaube, Schimpansen sind so spirituell wie wir, nur können sie es nicht analysieren, sie sprechen...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2020
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte Einführung • Gehirn • Herz • Licht • Lichtpartikel • Makrokosmos • Mikrokosmos • Naturphänomen • Photon • Populärwissenschaft • Staunen • Technologie • Universum • Weltkarte • Weltwunder • Wissenschaft • Wundern
ISBN-10 3-95757-893-0 / 3957578930
ISBN-13 978-3-95757-893-8 / 9783957578938
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