Füchse (eBook)

Unsere wilden Nachbarn

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
208 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75114-1 (ISBN)
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Seit Urzeiten begleitet der Fuchs den Menschen, und schon immer war er für seine Intelligenz und Schlauheit berühmt. Heute ist er das am weitesten verbreitete Raubtier und sein leuchtendes Fell selbst in den Städten ein häufiger Anblick. Doch wer ist dieser wilde Nachbar des Menschen in Wirklichkeit? Adele Brand erschließt uns in ihrem klugen und warmherzigen Buch den mysteriösen Kosmos der Füchse mit ihren erstaunlichen Überlebenskünsten.
In Gegenden nördlich des Polarkreises und in nahezu tropischen Gebieten, in Wäldern, Grasland und mitten unter den Menschen - fast überall kann der Rotfuchs überleben und sich nach seinen Bedürfnissen einrichten. Welche uralten Fähigkeiten ihm dabei helfen, zeigt uns Adele Brand, die die Füchse seit zwanzig Jahren studiert, von den Wäldern Polens bis zur indischen Wüste Thar, vom subpolaren Kanada bis zum ländlichen England, wo sie sich auch um bedürftige Füchse kümmert. Auf charmanteste Weise verbindet sie in ihrem Buch die Erkenntnisse der Wissenschaft und die Geschichten von ihren persönlichen Abenteuern mit den Tieren. Wir lernen von ihr, wo die Füchse leben, wie sie ihr Familienleben gestalten, wie sie untereinander kommunizieren und mit anderen Tierarten - auch dem Menschen - interagieren. Daneben gibt sie eine praktische Anleitung zur Beobachtung von Füchsen. Nicht zuletzt erklärt sie, wie wir friedlich, Seite an Seite, mit der wilden Natur zusammenleben und dadurch auch unser Leben bereichern können.

Adele Brand ist Ökologin und hat schon als Kind in ihren Tagebüchern über Füchse geschrieben, die die Passion ihres Lebens wurden. Sie hat Füchse auf vier Kontinenten studiert, Forschungsprojekte in fünf verschiedenen Ländern geleitet, verwaiste Fuchswelpen aufgezogen und verletzte Füchse gepflegt. Bei all dem setzt sie sich leidenschaftlich dafür ein, die Verbindung der Menschen mit der Tierwelt zu stärken.

Prolog

Wer ist der Fuchs?


Stellen wir uns einen Fuchs vor: flammendes Orange auf weißer Leinwand, schwarze Pfoten und buschiger Schwanz, spitze Schnauze und aufmerksame Augen. Ein Rotfuchs, Vulpes vulpes mit wissenschaftlichem Namen, eine unscheinbare Existenz an den Rändern der Menschenwelt. Malen wir uns dann die Naturlandschaft aus, in der er zu Hause ist: Auf Pfaden, die Dachse ins Gestrüpp getreten haben, schnürt unser Fuchs durchs Unterholz. Die Spur seiner Pfoten in der vom Nachmittagsregen feuchten Erde ist schmal und ordentlich, sein Fell bleibt an Dornen hängen.

Wald, Ackerland, Hecken und knorrige alte Bäume. Eulen, Igel, brünftige Hirsche. Im Herbst schwarze Schlauchpilze, die ihre Fruchtkörper durch das Laub von Edelkastanien recken – unheimlich, fast wie die Finger von Toten. Im Frühjahr Spechte, die in lebhaftem Ratterattatt an toten Ästen hämmern.

Das ist der traditionelle Fuchs. Er lebt in den wenigen noch verbliebenen Landschaften, die nicht von industrieller Agrarwirtschaft und Zersiedelung verschluckt worden sind. Englische Autoren, die Tiere in den Mittelpunkt ihrer Werke stellen, haben sich immer wieder verzaubern lassen von diesen alten, lebensprallen Landschaften voller Geheimnis und Poesie, von Beatrix Potter bis zu Colin Dann mit seiner berühmt gewordenen Buchreihe Als die Tiere den Wald verließen. Der Fuchs unserer Fantasie lebt hier und nur hier, umwogt von Legenden, die Freunde und Feinde in die Welt gesetzt haben.

Doch er ist nicht der einzige Fuchs in unserer Mitte.

Szenenwechsel. Zeit der Abenddämmerung im modernen England. Ein mit dem Geheul von Kettensägen und dem Gurgeln von Betonmischmaschinen erfüllter Tag geht zu Ende; von einem Dachstuhl pfeifen Bauarbeiter einer Frau hinterher. Ein Wald wird in ein Wohngebiet verwandelt, umgrenzt von einer kürzlich errichteten Backsteinmauer. Über die Mauer, die so mächtig ist, als wollte sie es mit dem Hadrianswall aufnehmen, gleiten die Scheinwerferlichter des dichten Feierabendverkehrs.

Eine kleine Füchsin mit schmalem Kopf und wachsamem Blick zerrt Reste aus den Pommes-Tüten, die die Arbeiter zurückgelassen haben, zerkleinert die künstlich gewürzten Kartoffelstücke mit ihren Reißzähnen. Diese vergrößerten Backenzähne kennzeichnen sie als Mitglied der Ordnung Carnivora – sie gehört also zu den Raubtieren. Sie wühlt sich unter einem Begrenzungszaun durch und schießt mit wirbelnden Pfoten und wippendem Schwanz über die Hauptstraße, vorbei an mir und meinem Hund. In dieser Begegnung liegt eine gewisse Ironie, denn früher lebten hier auch Wölfe, die Vorfahren der Hunde, und die Reste des von ihnen erbeuteten Rotwilds waren eine wichtige Nahrungsquelle für Füchse. Der letzte einheimische Wolf wurde vor achthundert Jahren getötet. Davon ahnen die aus London zurückkehrenden Menschenmassen nichts, der Wald jedoch hat es bestimmt nicht vergessen. Der Untergang einer Art ist für ein Ökosystem wie das Zerbrechen eines Glieds in einer Kette.

Füchse selbst sind aber nicht in Gefahr zu verschwinden. Die kleine Füchsin läuft auf ein Haus zu, vorbei an Büschen, die eigentlich in China heimisch sind, und schlüpft durch ein einbruchssicher abgesperrtes Seitentor in einen Garten, wo ein anderer Fuchs gerade Hundekekse verbuddelt. Auf diesem Terrain ist die kleine Füchsin ganz klar ein Eindringling. Der hier ansässige Fuchs stürzt sich auf sie und schleudert sie blitzschnell auf den Rücken. Markerschütternde Schreie durchdringen die Dunkelheit, übertönen sogar den Verkehrslärm – doch egal wie schrill und dramatisch das klingen mag, es fließt kein Blut.

Die Füchsin macht sich los und flitzt über die Straße in das letzte noch verbliebene Waldstück. Das Motiv für ihren waghalsigen, wenn auch leider missglückten Vorstoß ist klar: Sie hat Junge und braucht Nahrung und Wasser, um genug Milch bilden zu können. Ein unauslöschlicher Überlebensinstinkt treibt sie an.

Dieses kleine Drama ereignete sich im letzten Jahr. Seither habe ich die kleine Füchsin öfter wiedergesehen, wobei die letzte Begegnung inzwischen ein paar Tage her ist. Es ist jetzt Mitte März, sie wird sich mit einem neuen Wurf in einen Winkel zurückgezogen haben, da bin ich mir sicher. Obwohl ihr Wald von einer Ansammlung millionenschwerer Häuser geschluckt wurde und obwohl die benachbarte Fuchsgruppe sie immer wieder aus dem Garten vertrieben hat, hat sie es in den letzten zwölf Monaten geschafft, am Leben zu bleiben. Ihre Körpersprache wirkt deutlich angespannter als die der Gruppe, ihr Blick wacher und schärfer. Und immer wieder amüsiert mich ihre Angewohnheit, ihre schmale Schnauze durch die Löcher im Zaun zu stecken.

Wir befinden uns hier nicht etwa in der Stadt, sondern im zerfaserten Grüngürtel rings um London – in der hügeligen, von Land umschlossenen Grafschaft Surrey im Herzen Südostenglands. Obwohl unentwegt Bauentwickler die Gegend erkunden, mit Blicken so gierig wie die von Taschendieben auf der Jagd nach Geldbörsen, gibt es hier in Surrey zwischen Golfplätzen, Großmärkten und ständig verstopften Autobahnabschnitten noch üppige, reichhaltige Natur. Nur ein paar Meilen nördlich der Kreidehügel, wo seltene Wildblumen blühen, ändert sich die Stimmung allerdings. Dort reckt die Metropole London ihre Türme in den Himmel, nachts taucht ein Lichtschleier den Horizont in ein eigentümliches Orange. Wenn wir selbst in der Stadt sind, fällt es uns Menschen kaum noch auf, dass unsere Gebäude weit höher wachsen als Bäume.

Trotzdem ist diese alte Stadt voller Löwenstatuen von einer unbestreitbaren Schönheit. Jede Turmspitze, jeder Straßenname in London atmet Geschichte, grandios, grotesk oder tragisch. Leicht überlässt man sich dem Rhythmus der Stadt. Jeden Morgen ergießt sich ein Strom von Pendlern aus der Victoria Station. Im St James’s Park fotografieren sich Touristen. Radfahrer rasen über Fußgängerübergänge, Unbekannte entschuldigen sich, wenn man sie anrempelt, Kriegsgegner hocken mit Protestplakaten auf Fensterbänken, während Polizisten das Geschehen angespannt im Blick behalten – London ist durch und durch geprägt von Menschen.

Geprägt von Menschen und doch voller Füchse. In ganz Großbritannien, von London bis Edinburgh, leben Tausende von ihnen in einem städtischen Umfeld. Und das ist kein rein britisches Phänomen. Ein ukrainischer Journalist bedrängte mich in einem Interview einmal mit der Frage, warum es in England derart viele Stadtfüchse gebe, und wollte mir kaum glauben, als ich sagte, das sei überhaupt nicht ungewöhnlich. Das Verbreitungsgebiet von Rotfüchsen ist groß, es gibt sie auf insgesamt vier Kontinenten. Und egal von welchem Land innerhalb dieses Gebietes wir sprechen – die Wahrscheinlichkeit, dass dort Füchse in von Menschen bewohnten Gegenden herumstreifen, ist hoch. Toronto in Kanada, Melbourne in Australien, Chicago in den USA, alle haben ihre Füchse.

Dass sich Wesen aus wilden alten Wäldern in Englands ausgedehnter Hauptstadt zu Hause fühlen, wühlt die Londoner auf – manche freuen sich, andere reagieren beunruhigt. So oder so wirkt die Anwesenheit von Füchsen unzeitgemäß, als würde sich eine elisabethanische Lady in eleganter Abendrobe unter die Feiernden in einem angesagten Club mischen. Der Gegensatz zwischen frei lebenden Wildtieren und Straßen aus hartem Asphalt erzeugt ein Bild von unwiderstehlicher Leuchtkraft, das sich tief in unser kollektives Bewusstsein brennt. Wildtiere kennen wir vor allem von Fernsehbildern, in denen sie unweigerlich mit unberührter Landschaft assoziiert werden. Daher sind Stadtfüchse eine Herausforderung für unsere Vorstellung von Normalität, die sowohl Staunen als auch Angst auslösen kann. Und vielleicht wirft die sprichwörtliche Zurückhaltung der Briten auch Fragen der Etikette auf: Viele Leute wissen einfach nicht, wie sie damit umgehen sollen, wenn ihnen ein Fuchs über den Weg läuft.

Solche Unsicherheit hat Folgen. Wir klagen den Fuchs an und zerren ihn vor Gericht. Wir werfen ihm vor, dass er unerlaubt in unser Terrain eingedrungen ist, dass er sich dreist benimmt und Krankheiten verbreitet, dass er unsere Haustiere gefährdet und auch für uns selbst ein beträchtliches Risiko darstellt. Doch unbeeindruckt von alldem streunen die Füchse immer weiter durch unsere Welt, finden Eingang in unsere Sprache, tauchen in der Popmusik, in Filmen und Fernsehwerbung auf und sogar in Namen von Pubs. In Büros, in Schulen und im Parlament – überall wird über sie debattiert. Kürzlich tauchte sogar einer vor der Downing Street 10 auf, gefilmt von verwunderten Journalisten, die auf einen Auftritt des Premierministers warteten. Ein...

Erscheint lt. Verlag 16.3.2020
Übersetzer Beate Schäfer
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte Bedürfnisse • Beobachtung • Familienleben • Fuchs • Füchse • Interaktion • Kommunikation • Lebensraum • Natur • Raubtier • Sachbuch • Tierverhalten • Überleben • Verhalten • Zusammenleben
ISBN-10 3-406-75114-8 / 3406751148
ISBN-13 978-3-406-75114-1 / 9783406751141
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