Bis zum Ende der Zeit (eBook)

Der Mensch, das Universum und unsere Suche nach dem Sinn des Lebens

(Autor)

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2020
448 Seiten
Siedler Verlag
978-3-641-26159-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bis zum Ende der Zeit - Brian Greene
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Ein neuer Blick auf den Anfang und das Ende unseres Universums
Der weltbekannte Physiker Brian Greene schreibt die Geschichte des Universums, vom Urknall bis zu seinem Ende. Und die Geschichte des Menschen in diesem Universum. Er zeigt, wie sich in einem fast unendlichen Meer von Chaos und Unordnung Leben und Bewusstsein entwickeln konnten. Es ist eine Reise zu wandernden Planeten und wirbelnden Galaxien - und zugleich eine wunderbare Erzählung über das Streben des Menschen nach Sinn im Angesicht der Vergänglichkeit.

Brian Greene zählt zu den führenden Physikern auf dem Gebiet der Superstrings. Seit 1990 lehrt er an verschiedenen Universitäten und ist heute Professor für Physik und Mathematik an der Columbia University in New York. Seine Bücher, darunter »Das elegante Universum« (2000), »Der Stoff, aus dem der Kosmos ist« (2004), »Die verborgene Wirklichkeit: Paralleluniversen und die Gesetze des Kosmos« (2012) und »Bis zum Ende der Zeit: Die Geschichte des Kosmos« (2020), sind internationale Bestseller.

Vorwort


»Warum ich Mathematik betreibe? Ganz einfach: Wenn man ein Theorem einmal bewiesen hat, gilt es. Für immer.«1 Eine einfache, unverblümte, aber auch überraschende Aussage. Sie stammte von einem älteren Freund, der mir schon seit Jahren große Felder der Mathematik erschlossen hatte. Ich war auf dem College im zweiten Studienjahr und hatte ihm erzählt, dass ich für mein Psychologieseminar eine Hausarbeit über menschliche Motivation schrieb. Seine Antwort war für mich eine Offenbarung. Bis dahin hatte ich die Mathematik nie auch nur entfernt unter ähnlichen Aspekten betrachtet. Sie war für mich immer ein wundersames Spiel der abstrakten Präzision gewesen, und die sonderbare Gemeinde, die ihm anhing, fand Vergnügen an Pointen, in denen es um Quadratwurzeln oder die Division durch Null ging. Aber bei seiner Bemerkung machte es bei mir plötzlich »klick«. Ja, dachte ich, das ist die Romantik der Mathematik. Durch Logik gezügelte Kreativität und eine Reihe von Axiomen bestimmen darüber, wie man Ideen so manipulieren und kombinieren kann, dass unumstößliche Wahrheiten ans Licht kommen. Schon lange vor Pythagoras und bis in alle Ewigkeit erfüllt jedes rechtwinklige Dreieck, das jemals gezeichnet wurde oder gezeichnet werden wird, den berühmten Lehrsatz, der seinen Namen trägt. Ausnahmen gibt es nicht. Natürlich kann man die Voraussetzungen ändern und dann ganz neue Domänen erkunden, etwa Dreiecke, die auf einer gekrümmten Oberfläche wie der Hülle eines Basketballs gezeichnet werden – dann wird Pythagoras’ Erkenntnis aus den Angeln gehoben. Aber wenn man die Voraussetzungen festgelegt und die eigene Arbeit nochmals überprüft hat, könnte man das Ergebnis in Stein meißeln. Man muss nicht Berggipfel erklimmen, nicht durch Wüsten wandern, nicht über die Unterwelt triumphieren. Gemütlich am Schreibtisch, mit Papier, Bleistift und einem scharfen Verstand, kann man etwas Zeitloses erschaffen.

Diese Sichtweise eröffnete mir eine ganz neue Welt. Eigentlich hatte ich mich nie gefragt, warum ich mich so sehr zu Mathematik und Physik hingezogen fühlte. Probleme zu lösen, herauszufinden, wie das Universum aufgebaut ist, das hatte mich schon immer gefesselt. Jetzt reifte in mir die Einsicht, dass mich diese Fächer deshalb so reizten, weil sie über dem unsteten Wesen des Alltäglichen schwebten. So übersteigert meine Hingabe in meiner jugendlichen Empfindsamkeit vielleicht war, in einem war ich mir plötzlich sicher: Ich wollte zu Erkenntnissen gelangen, die so grundsätzlicher Natur sind, dass sie sich niemals ändern. Mögen Regierungen gewählt und abgewählt werden, möge die World Series immer wieder neue Sieger und Verlierer haben, mögen die Legenden der Leinwand und der Bühne kommen und gehen. Ich wollte mein Leben darauf verwenden, einen flüchtigen Blick auf etwas Jenseitiges zu erhaschen.

Aber erst mal musste ich die Hausarbeit in Psychologie schreiben. Die Aufgabe lautete: Entwickeln Sie eine Theorie dafür, warum wir Menschen auf bestimmte Weise handeln. Jedes Mal, wenn ich zu schreiben begann, kam mir das Ganze nebulös vor. Mir schien, als müsse man vernünftig klingende Ideen nur in die richtige Sprache kleiden, damit man sich im Laufe der Arbeit mehr oder weniger alles ausdenken kann. Das erwähnte ich einmal beim Abendessen im Studentenwohnheim, und einer der Studienbetreuer empfahl mir, Oswald Spenglers Werk Der Untergang des Abendlandes zu lesen. Spengler, ein deutscher Denker und Philosoph, hatte sich stets für Mathematik und Naturwissenschaft interessiert, und wohl deshalb hatte man mir sein Buch ans Herz gelegt.

Die Aspekte, derentwegen das Buch sowohl gerühmt wie auch geächtet wurde – die Prophezeiung eines politischen Zusammenbruchs, das versteckte Bekenntnis zum Faschismus –, sind zutiefst verstörend und dienten später dazu, so manche verabscheuungswürdige Ideologie zu unterfüttern, aber mein Blick war allzu verengt, als dass mich davon irgendetwas berührt hätte. Mich faszinierte vielmehr Spenglers Vision von einem allumfassenden System von Prinzipien, das offenbaren sollte, wie verborgene Gesetzmäßigkeiten in ganz unterschiedlichen Kulturen ihren Ausdruck finden. Solche Prinzipien sollten auf einer Stufe mit den Gesetzmäßigkeiten von Infinitesimalrechnung und euklidischer Geometrie stehen, die in Physik und Mathematik ein ganz neues Verständnis ermöglicht hatten. Spengler sprach meine Sprache. Dass ein geschichtsphilosophischer Text Mathematik und Physik als Vorbild für den Fortschritt pries, inspirierte mich. Dann aber gab es noch eine Beobachtung, die mich überraschte: »Der Mensch ist das einzige Wesen, welches den Tod kennt. Alle andern werden älter, aber mit einer durchaus auf den Augenblick eingeschränkten Bewusstheit, die ihnen ewig erscheinen muss.«2 Dieses Wissen, so Spengler, ist die Ursache für die »rein menschliche Angst vor dem Tode«. Und weiter schreibt er: »Jede Religion, jede Naturforschung, jede Philosophie geht von hier aus.«3

Ich weiß noch, wie ich an der letzten Zeile hängen blieb. Dies war eine Perspektive auf die Motivation menschlichen Handelns, die mir sinnvoll erschien. Die Schönheit eines mathematischen Beweises besteht wohl darin, dass er für alle Zeiten gültig ist. Der Reiz eines Naturgesetzes ist wahrscheinlich gerade seine Zeitlosigkeit. Aber was treibt uns an, nach dem Zeitlosen zu suchen, nach Eigenschaften, die auf ewig bestehen bleiben? Vielleicht liegt der Ursprung in unserem besonderen Bewusstsein davon, dass wir selber alles andere als zeitlos sind, dass unser Leben gerade nicht ewig währt. Im Einklang mit meinen neu gewonnenen Gedanken über Mathematik, Physik und den Reiz der Ewigkeit schien mir der Ansatz zu passen. Er ging davon aus, dass die Motivation der Menschen von einer nachvollziehbaren Reaktion auf eine grundlegende Erkenntnis bestimmt ist. Es war ein Ansatz, den man sich nicht mal eben schnell ausdenken konnte.

Und als ich weiter über meine Erkenntnis nachdachte, schien darin ein noch größeres Versprechen zu liegen. Wissenschaft ist, wie Spengler feststellte, eine Reaktion auf das Wissen um unser unausweichliches Ende. Ebenso die Religion. Und die Philosophie. Aber warum hier stehen bleiben? Otto Rank, ein Freund des jungen Sigmund Freud, war fasziniert vom kreativen Prozess. Beim Künstler, so Rank, »hat man das Verständnis des individuellen Kunstwollens im persönlichen Unsterblichkeitsdrang gefunden«.4 Jean-Paul Sartre ging noch einen Schritt weiter und stellte fest, das Leben als solches sei sinnentleert, »wenn man die Illusion verloren hat, unsterblich zu sein«.5 Demnach lässt sich bei diesen und anderen, späteren Denkern immer wieder die gleiche Annahme feststellen: Die menschliche Kultur, von der künstlerischen Entfaltung bis zur wissenschaftlichen Entdeckung, ist zum großen Teil davon geprägt, dass das Leben über die endliche Natur des Lebens reflektiert.

Schweres Fahrwasser. Wer hätte gedacht, dass die Beschäftigung mit Mathematik und Physik mir eine Vorstellung von einer einheitlichen Theorie der menschlichen Zivilisation erschließen würde, die von der großen Dualität von Leben und Tod bestimmt ist?

Nun gut. Ich hole tief Luft und erinnere mein altes Ich aus dem zweiten Studienjahr daran, sich nicht allzu sehr hinreißen zu lassen. Aber wie sich herausstellte, war die Erregung, die ich damals spürte, mehr als nur ein flüchtiges, naives Staunen. Seither sind fast vier Jahrzehnte vergangen, aber die gleichen Themen haben mich immer begleitet, auch wenn sie manchmal nur in einem geistigen Hinterstübchen vor sich hin köchelten. Während ich mich in meiner alltäglichen Arbeit mit vereinheitlichten Theorien und den Ursprüngen des Kosmos beschäftige oder über den Wert wissenschaftlichen Fortschritts grübele, ertappe ich mich dabei, dass ich immer wieder zu den großen Fragen nach der Zeit und der begrenzten Menge, die uns zugeteilt ist, zurückkehre. Heute machen meine Ausbildung und mein Temperament mich skeptisch gegenüber allgemeingültigen Erklärungen – die Physik ist durchsetzt mit gescheiterten einheitlichen Theorien der Naturkräfte –, und das gilt umso mehr, wenn wir uns in den komplizierten Bereich des menschlichen Verhaltens vorwagen. Mittlerweile bin ich sogar überzeugt, dass das Bewusstsein für mein eigenes unausweichliches Ende mich zwar ziemlich prägt, aber mitnichten alles erklärt, was ich tue. Diese Auffassung ist wohl im Großen und Ganzen Allgemeingut. Und doch sind die Tentakel der Sterblichkeit in einem bestimmten Bereich besonders gut sichtbar.

In allen Kulturen und zu allen Zeiten haben die Menschen großen Wert auf Beständigkeit gelegt. Dies tun sie auf vielfältige Weise: Manche suchen nach absoluter Wahrheit, andere wollen ein dauerhaftes Erbe hinterlassen, manche bauen imposante Denkmäler, andere erforschen unveränderliche Gesetze, und wieder andere wenden sich voller Inbrunst dieser oder jener Gestalt des Immerwährenden zu. Es scheint, als übe die Ewigkeit eine enorme Anziehungskraft auf den Geist aus, der sich nur allzu bewusst ist, dass seine materielle Existenz nicht von Dauer ist.

Heutzutage haben Wissenschaftler, mithilfe der Werkzeuge von Experiment, Beobachtung und mathematischer Analyse, einen neuen Weg in die Zukunft geebnet, der uns zum ersten Mal zeigt, wie die zukünftige, wenn auch noch weit entfernte Landschaft beschaffen sein wird. Das Panorama ist zwar bisweilen hinter Dunst und Nebel verborgen, zunehmend wird aber klar, dass wir als vernunftbegabte Wesen mehr denn je erkennen können, wo unser Platz ist in der grandiosen Weite der Zeit.

Mit dieser...

Erscheint lt. Verlag 27.4.2020
Übersetzer Sebastian Vogel
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Until the end of time
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte Astronomie • Astrophysik • Big Bang • Carlo Rovelli • eBooks • Harald Lesch • Physik • Schwarze Löcher • Stephen Hawking • Superstrings • Universum
ISBN-10 3-641-26159-7 / 3641261597
ISBN-13 978-3-641-26159-7 / 9783641261597
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