Frau Wolff wird wunderlich (eBook)

Wie die Demenz meiner Mutter unser Leben verändert

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
190 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61255-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Frau Wolff wird wunderlich -  Peter Wolff
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Clara Wolff tut seltsame Dinge: Unverhofft steht sie im Garten ihres Sohnes und weiß nicht, wie sie hergekommen ist. Ehemals treusorgende Ehefrau, fängt sie an, Haushalt und Gatten zu vernachlässigen. Was ist nur los mit Frau Wolff? Alzheimer? Ein Wechselbad der Gefühle erleben Clara Wolff und ihre Familie, bis die Diagnose steht: Lewy-Body-Demenz. Über Phasen der Bagatellisierung, des Unverständnisses, der Wut und Trauer gelingt es allen schließlich, die Krankheit zu akzeptieren. Denn Clara Wolff bleibt in ihrer neuen Welt die alte: unternehmungslustig und liebenswert. Peter Wolff macht mit der lebendigen Geschichte seiner Mutter Angehörigen von Menschen mit Demenz Mut, das Unabänderliche anzunehmen und schöne, ja auch komische Momente gemeinsam fröhlich zu genießen.

Peter Wolff, Köln, war als Betriebswirt tätig. Seine Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte er als freier Mitarbeiter bei der "Kölnischen Rundschau" und beim "Kicker Sportmagazin".

Peter Wolff, Köln, war als Betriebswirt tätig. Seine Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte er als freier Mitarbeiter bei der "Kölnischen Rundschau" und beim "Kicker Sportmagazin".

Ein Grab schweigt nicht länger

„Ich kann schweigen wie ein Grab. Mir könnte man einen Mord beichten – ich würde niemals etwas verraten“.

Einer der Leitsätze meiner Mutter Clara, der immer dann postuliert und auch gelebt wurde, wenn ihr wieder einmal jemand aus Familie oder Nachbarschaft seine kleinen, bisweilen auch größeren Probleme offenbart hatte, sie jedoch einen Teufel tun würde, dieselben mit ihren Mitmenschen zu teilen.

Meine Mutter hat dieses „pastorale Etwas“, wie ich es gern nenne. Sie vermittelt ihren Mitmenschen wohl regelmäßig das Gefühl, dass man ihr alles erzählen, sich bei ihr ausweinen kann, bei ihr Verständnis findet.

Zudem war sie immer und für jeden da, der Inbegriff der Hilfsbereitschaft, insbesondere, aber nicht nur, was Familie und Nachbarschaft betraf.

Dies galt beileibe nicht nur für Alltagsprobleme und kleinere Gefälligkeiten, sondern auch dann, wenn existenzielle Aspekte des menschlichen Daseins betroffen waren.

So begleitete sie in dem Haus, in dem sie fünfzig Jahre ihres Lebens mit meinem Vater verbrachte, mehrere Nachbarn in den Tod, wenn die Angehörigen sich dazu nicht, oder zumindest nicht allein, in der Lage sahen.

Sie kümmerte sich um ehemalige Kollegen meines Vaters, wenn diese gesundheitliche Probleme hatten, hat so manche Zweierbeziehung im Umfeld gerettet oder zu retten versucht, half meinen Freunden und Freundinnen, wo immer sie konnte, und versorgte die Berber im nahe gelegenen Stadtwald des Öfteren mit Speis‘ und Trank.

Auf Frau Wolff kann man zählen. Jeder. Immer. Auch, weil sie mit 71 Jahren nur so vor Kraft, Vitalität und Tatendrang strotzt.

So ist es sowohl für sie als auch für mich beinahe selbstverständlich, dass sie mich tatkräftig unterstützt, als sich mein Leben im Frühjahr 2014 radikal verändert.

Ich wohne im äußersten Kölner Westen, muss meine Wohnung in einem alten Zweifamilienhaus aufgrund eines Vermieterwechsels jedoch aufgeben. Noch habe ich keine neue Bleibe gefunden, so dass ich beschließe, einen Großteil meiner Möbel zu verkaufen und die Teile, an denen ich besonders Gefallen gefunden habe, in einem Lager zu deponieren.

Ich habe Clara gebeten, frühmorgens vorbeizukommen, da ich die komplette Küche verkauft habe und diese für den Abbau durch den Käufer vorbereiten will. Wie immer ist Clara eine tatkräftige Unterstützung. Pünktlich sehe ich den Kleintransporter des Käufers vorfahren, zwei Männer und eine Frau steigen aus, ich öffne die Tür und gewähre den Herrschaften Einlass. Als wir gemeinsam die Küche betreten, begrüßt meine Mutter jeden der drei mit Handschlag und legt los: „Und sie sind jetzt die neuen Mieter?! Das ist ja nicht alles hier oben. Hier lebt man ja wie in einem Haus, es geht ja noch die Treppe runter und im Keller sind ja auch noch zwei Räume. Und dann der schöne Garten – herrlich“.

Blicke wandern zwischen den neuen Besitzern meiner Küche und mir hin und her, ich bin irritiert. Was war das denn?

Als nach einer guten Stunde die Küche leer, der Kleintransporter der Käufer dafür voll beladen ist, spreche ich Clara auf ihren Monolog an.

„Was hast du denn da erzählt? Du wusstest doch, dass die Leute kommen, um die Küche abzuholen.“ – „Dann habe ich mich halt vertan. Ich dachte eben, das wären die neuen Mieter“. Punkt.

Damit ist das Thema Küche erledigt, wir begeben uns in den großen Garten, um dort unser Tageswerk fortzusetzen.

Als wir die Pflanzen, welche ich im Garten meiner Eltern „zwischenlagern“ und dann möglichst bald im Garten des neuen Heims wieder einpflanzen möchte, ausgraben, scheint meine Mutter ein wenig verwirrt zu sein. Sie kennt sich recht gut mit Pflanzen aus und hat zudem eine sehr gute Auffassungsgabe. Diesmal jedoch tut sie sich schwer damit, zu behalten, welche Pflanzen sie ausgraben soll. Sie spaziert hin und her zwischen Pflanzkübeln und Randbeet, wirkt äußerst unsicher und fragt immer wieder nach, was denn nun konkret zu tun sei. Darüber hinaus wirken ihre Bewegungen anders als sonst, sie „schleicht“ förmlich durch den Garten, bisweilen eher unkoordiniert, und scheint „wacklige Beine“ zu haben.

So habe ich Clara noch nie erlebt.

Als sie zwischen zwei Pflanzen hin und her geht, gerät sie ins Stolpern, fällt auf einen der Pflanzenkübel und zerbricht diesen. Sie ist untröstlich. Und ich zunehmend verwirrt. Was ist nur los mit meiner Mutter?

Im Nachbargarten wird gleichfalls gearbeitet.

Als wir uns eine kleine Pause gönnen und ich mich auf die Parkbank im Garten setze, geht Mutter unvermittelt zum Gartenzaun und begrüßt das Familienoberhaupt der Nachbarfamilie.

Schnell entwickelt sich ein Gespräch. Ich höre Clara sagen: „Mein Sohn hat sich von seiner Lebensgefährtin getrennt. Er hat auch schon eine Neue. Die wollte mit ihm hier einziehen, aber der neue Vermieter will das nicht. Darum sucht mein Sohn jetzt etwas anderes. Aber das ist gar nicht so einfach. Auch wegen der Krankheit. Und es muss ja auch etwas mit Garten sein wegen dem Hund.“

Ich bin völlig perplex. Einen Mord würde sie für sich behalten, aber intimste Einzelheiten meines Privatlebens gibt sie ungefragt preis. So kenne ich Clara gar nicht. Wie kann das sein?

Trotzdem: Nach ein paar Tagen mache ich mir keine Gedanken mehr über das auffallende Verhalten meiner Mutter. Ich habe zu dieser Zeit viel im Kopf, bin wie aus dem Nichts ernsthaft erkrankt, habe noch kein neues Zuhause gefunden und muss den Wechsel der Lebenspartnerin verarbeiten, hinter dem ich zwar vollends stehe, der mich aber trotzdem sehr beschäftigt.

So schenke ich den seltsamen Eingebungen meiner Mutter im Rahmen meines Auszugs keine sonderliche Beachtung mehr und tue sie damit ab, dass sie womöglich einen schlechten Tag, vielleicht schlecht geschlafen oder am Abend vorher ein Gläschen Wein zu viel getrunken hat.

Einige Wochen später jedoch holen mich die Begebenheiten in Küche und Garten wieder ein: Nachdem ich meinen heiß und innig geliebten Labrador-Rüden Carlos hatte einschläfern lassen müssen, habe ich einen neuen Hund aufgenommen. Es ist an der Zeit, die Begleithundprüfung mit dem neuen Familienmitglied zu absolvieren. Meine Mutter überrascht mich, als sie mir mitteilt, dass sie gern dazukommen würde. Ich kann sie jedoch davon überzeugen, dass es für den Hund besser ist, nur eine Bezugsperson dabei zu haben und darüber hinaus die Prüferin ja nun einmal sehen will, wie ICH mit dem Tier umgehe und ob er MIR gehorcht. Sie sieht das ein – denke ich.

Am nächsten Morgen betrete ich das Gelände, auf dem die Prüfung stattfinden soll. Ich sehe mehrere Hundehalter mit ihren Lieblingen umher spazieren und – meine Mutter. Sie läuft kreuz und quer über den vorbereiteten Parcours, guckt mal hier und mal da und nimmt mich anfangs gar nicht wahr.

Erst als die Prüferin bereits zu mir gekommen ist und wir uns ein wenig unterhalten haben, gesellt sich meine Mutter zu uns.

Die Prüfung kann beginnen. Allerdings mit Hindernissen, weil Clara unaufhörlich redet, diese und jene lustige Anekdote über Hunde als solche – und meinen neuen Hund Cielo im speziellen – zum Besten gibt und uns auf Schritt und Tritt folgt.

Höchst ungewöhnlich, sagt mir mein Bauchgefühl. Normalerweise hält sich meine Mutter in solchen Situationen diskret zurück, vor allem dann, wenn sie bestenfalls als Randfigur eine Rolle spielt.

So verläuft die Begleithundprüfung etwas holprig, letztendlich aber dennoch erfolgreich. Ich schüttele der Prüferin die Hand, bedanke und verabschiede mich.

Gleiches tut meine Mutter, begleitet von einem kräftigen „Und wann sehen wir uns wieder?“

Die Prüferin schaut mich entgeistert an, ich versuche, die Situation zu retten: „Na, so nett die Dame auch ist, zum Glück muss die Prüfung nicht wiederholt werden.“

Wir lachen alle drei, obwohl mir eigentlich gar nicht zum Lachen zumute ist.

Irgendetwas stimmt nicht. Irgendeine Erklärung für das Verhalten meiner Mutter muss es geben. Sie wäre früher kaum auf die Idee gekommen, entgegen unserer Absprache einfach irgendwo aufzutauchen. Sie hätte sicher nicht während der Hundeprüfung solch ein wirres Zeug erzählt.

Vielleicht sollte man mit ihr zum Arzt gehen? Aber warum? Sie erzählte ein bisschen viel und war nicht mehr ganz so fit, wie ich sie kannte.

Daran, dass das Verhalten meiner Mutter ein erstes Anzeichen für eine schwere Erkrankung sein könnte, verschwende ich keinen Gedanken.

Warum soll ich auch – ist sie doch zeitlebens ein Inbegriff von Vitalität, Energie, Optimismus und Lebensfreude gewesen.

Erst viel später fällt mir ein, dass mein Vater in dieser Zeit ab und an, Tendenz zunehmend, von ihm befremdlich vorkommenden Begebnissen im Haushalt meiner Eltern berichtet.

Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen: Mein Vater ist Jahrgang 1921, wuchs also in einer Zeit auf, in der die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau noch eindeutig definiert war. „Der Mann geht tagsüber mit seiner Keule auf die Jagd und die Familie sitzt in der Höhle und wartet“ (Zitat aus dem herrlichen Loriot-Film „Pappa ante portas“ von 1991). Mutter fügte sich nicht nur in diese Rolle, sie lebte sie.

Mein Vater liebte seine Arbeit. Er war ein bekannter Sportjournalist, mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz, der Ehrenurkunde der Stadt Köln und der Ehrenmitgliedschaft des Bundes Deutscher Sportpresse.

Seine Arbeit war sein Hobby, seine Berufung, in die...

Erscheint lt. Verlag 9.9.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Essen / Trinken
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Krankheiten / Heilverfahren
Medizin / Pharmazie Pflege
Technik
Schlagworte Altenpflege • Demenz • Lewy-Body-Demenz
ISBN-10 3-497-61255-3 / 3497612553
ISBN-13 978-3-497-61255-0 / 9783497612550
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