Das herzensgute Schwein -  Sy Montgomery

Das herzensgute Schwein (eBook)

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2020 | 1. Auflage
272 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61020-8 (ISBN)
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Als eine Freundin ihr ein kleines Schweinchen in einem Schuhkarton überreicht, ahnt Sy Montgomery nicht, dass der neue Mitbewohner auf ihrer Farm in Kürze mehrere Zentner auf die Waage bringen sollte. Doch Chris wird zum Liebling des ganzen Orts: Alle füttern ihn um die Wette und lassen sich anstecken von seiner kugelrunden Zufriedenheit mit sich und dem Leben.

Sy Montgomery, geboren 1958, ist eine vielfach ausgezeichnete amerikanische Naturforscherin, Drehbuchautorin und Verfasserin von über zwanzig Sachbüchern. ?Rendezvous mit einem Oktopus? war ein ?New-York-Times?-Bestseller und unter den Finalisten für den National Book Award 2015. Montgomery lebt in New Hampshire.

Sy Montgomery, geboren 1958 in Frankfurt am Main, ist die Autorin des Bestsellers ›Rendezvous mit einem Oktopus‹ und des Kinderbuchs ›Tierisch gute Freunde‹. Zur Recherche für ihre Bücher war sie mit Piranhas, rosa Delphinen, Zitteraalen und Schneeleoparden unterwegs – um dann die wahren Wunder der Natur vor dem eigenen Fenster zu entdecken. Montgomery lebt in New Hampshire.

Kapitel 1 Der Überzählige


Christopher Hogwood kam in einem Schuhkarton auf meinem Schoß zu uns nach Hause.

Es war ein grauer, regnerischer Aprilnachmittag, an dem wir unsere Scheune im Nebel kaum sehen konnten. Mein Mann fuhr unseren rostigen alten Subaru über durchweichte, schlammige Feldwege, auf denen noch Schneereste lagen. Unsere Stiefel waren von Schweinemist überzogen, und in unseren Kleidern hing der Geruch kranker Tiere.

Es schien kein guter Zeitpunkt, um eine entscheidende Veränderung in meinem Leben vorzunehmen.

Das ganze Frühjahr war schrecklich gewesen. Mein Vater, ein ehemaliger Kriegsheld, den ich mehr als Jesus liebte, wie ich in der Sonntagsschule einmal bekannt hatte, starb langsam und qualvoll an Lungenkrebs. Er hatte den Todesmarsch von Bataan und drei Jahre in japanischer Kriegsgefangenschaft überlebt. Deshalb glaubte meine strahlende, schlanke Mutter, die ihn immer noch so rasend liebte wie vor vierzig Jahren, er könne auch den Krebs überleben. Sie ließ keinen Treppenlift, keinen Rollstuhl und keine Krankenschwester ins Haus.

Da ich das einzige Kind war, flog ich zwischen New Hampshire und Virginia hin und her, um so oft wie möglich bei meinen Eltern zu sein. Wenn ich von diesen herzzerreißenden Besuchen nach Hause zurückkam, versuchte ich mein erstes Buch zu Ende zu schreiben, eine Huldigung für Jane Goodall, Dian Fossey und Biruté Galdikas. Die Recherchen waren strapaziös gewesen: Im Kongo hatte ein Gorilla mich angegriffen, in Borneo hatte mir ein Orang-Utan die Kleider vom Leib gerissen, und auf einem Vulkan in Ruanda hatte ein schwerbewaffneter Wildhüter in dreitausend Meter Höhe Bargeld von mir gefordert. Jetzt hatte ich nur noch wenige Wochen, bis ich mein Manuskript abliefern musste, und konnte mich nicht konzentrieren.

Mein Mann ist ebenso wie ich freier Schriftsteller. Er schreibt über amerikanische Geschichte und Denkmalschutz. Seit unserer Hochzeit vor drei Jahren wohnten wir – erst als Mieter, dann als Verwalter – in einem idyllischen, über hundert Jahre alten Bauernhaus mit weißgestrichenen Schindeln auf acht Morgen Grund im Süden von New Hampshire. In den Bergen der Umgebung war Henry Thoreau noch persönlich gewandert, und in unserer kleinen Gemeinde war unsere Behausung fast noch die jüngste. Unsere Nachbarn wohnten in zweihundertjährigen Häusern, die von Immobilienmaklern als »Antiquitäten« geschätzt wurden. Aber unser Bauernhof hatte alles, was ich mir wünschte: ein Stück eingezäuntes Weideland, ein Wäldchen mit einem rieselnden Bach, eine Scheune mit Futterkrippen und Heuboden und große alte Fliederbüsche links und rechts von der Haustür. Allerdings sollte er uns unter dem Hintern weg verkauft werden. Die Besitzer, Schriftsteller und Maler in unserem Alter, denen die Eltern das Haus finanziert hatten, waren Freunde von uns. Sie lebten jetzt in Paris und hatten nicht die Absicht zurückzukommen. Natürlich wollten wir das Haus unbedingt kaufen, aber da wir beide bloß freie Schriftsteller waren, war keine Bank bereit, uns eine Hypothek zu geben. Unser Einkommen war einfach zu unregelmäßig.

Es sah so aus, als sollte ich in diesem Jahr nicht nur meinen Vater, sondern auch mein Buch und mein Zuhause verlieren.

Aber für Christopher Hogwood war das Frühjahr noch schlimmer gewesen.

 

Er war Mitte Februar auf einer Farm geboren worden, die ungefähr eine halbe Stunde von unserer entfernt lag. Sie gehörte George und Mary Iselin, die wir über meine beste Freundin, Gretchen Vogel, kennengelernt hatten. »Die werden euch gefallen«, hatte Gretchen gesagt. »Die haben Schweine!«

In der Tat hatte George gewissermaßen schon immer Schweine gezüchtet. »Wenn man echter Farmer ist«, sagte er immer, »kann man mit Schweinezüchten Geld verdienen.« George und Mary waren echte Hippie-Farmer: Sie waren genau wie wir in den fünfziger Jahren geboren und lebten die Ideale der sechziger und siebziger Jahre: Friede, Freude und Liebe. Sie waren mit strahlend blauen Augen, blonden Haaren und roten Wangen gesegnet und sahen immer so aus, als wären sie gerade putzmunter aus einem Haufen Heu aufgestanden, wo Elfen über ihren erquickenden Schlummer gewacht hatten. Sie waren beide überzeugte Zurück-aufs-Land-Menschen, die ihre Lebensmittel aus dem eigenen Garten bezogen und ihre Mayonnaise aus Eiern ihrer eigenen, freilaufenden Hühner anrührten. Sie waren idealistisch, aber auch sehr pragmatisch. Es war ihnen nicht entgangen, dass es viel kostenloses Schweinefutter auf der Welt gibt: Lebensmittelabfälle von Bäckereien, Großküchen und Supermärkten. Mal rief jemand an, der sie bat, vierzig Pfund Kartoffelchips abzuholen, mal bot man ihnen eine Ladung Twinkies an. Zu ihrem Entsetzen mussten sie feststellen, dass ihre biologisch-dynamisch ernährten Kinder manchmal nachts in den Schweinestall schlichen, um sich Süßigkeiten zu holen, die für die Schweine gedacht waren. »Wir haben es gemerkt, weil sie morgens Schokolade am Mund hatten«, erzählte mir Mary.

Sie hatten 165 Morgen Land. Es war unkrautüberwuchert und struppig, aber es lieferte Feuerholz und Heu, und sie zogen nicht nur Schweine, sondern auch Pferde, Kaninchen, Enten, Hühner, Ziegen, Schafe und Kinder darauf. Trotzdem glaube ich, dass die Schweine Georges Lieblinge waren. Und meine auch.

Oft sahen wir Mary und George zwar nicht – unsere Lebensweise war zu verschieden –, aber die Ferkel sorgten dafür, dass wir uns nie ganz aus den Augen verloren. Wir besuchten sie jedes Frühjahr im März, gegen Ende der Zuckersaison, wenn George den Saft ihrer Ahornbäume zu Sirup einkochte.

Der März in New Hampshire ist eine schlammige Sache, und um diese Zeit sieht die Farm der beiden immer besonders zerrupft aus. Rostige Maschinen und Geräte, von denen man nicht wusste, ob sie je wieder benutzt werden würden, ragten aus den Zäunen und schmelzenden Schneehaufen auf, und bunte Wäschestücke flatterten im Wind wie Gebetsfahnen. Das alte Haus hätte dringend etwas Farbe gebraucht. Im Inneren quollen die Dielen nach oben, und die Deckenbalken schienen jedesmal tiefer herunterzuhängen.

Es war schon fast Mittag, auf dem Holzofen kochte ein Wasserkessel und erfüllte die Küche mit Dampf, während eine nicht zu ermittelnde Anzahl kleiner Kinder in Schlafanzügen herumsaß und Pfannkuchen futterte oder auf dem Boden herumkroch. Die meisten davon waren wohl Cousins und Freunde ihrer drei eigenen Kinder. Schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle. Sie hätten alle gerade die Grippe gehabt, sagte Mary und griff nach zwei Tassen. Ob wir einen Tee trinken wollten?

Nein, danke, sagten Howard und ich beide hastig. Aber wir würden uns gerne noch einmal die Ferkel ansehen.

Die Scheune war nicht wie bei Norman Rockwell. Es war eher eine Mischung von Norman Rockwell und Edward Hopper. Die Außenwände waren alt und verwittert, die Fensterläden verrottet. Das Innere des Stalls war höhlenhaft dunkel und voller Spinnweben. Wir fanden es großartig. Nachdem sich unsere Augen der Dunkelheit angepasst hatten, spähten wir über die Türen der einzelnen Verschläge und suchten nach den Ställen mit jungen Ferkeln. Wenn wir so eine Schweinefamilie entdeckt hatten, kletterten wir in den Verschlag, um mit den Ferkeln zu spielen.

Auf den meisten Bauernhöfen wäre das ziemlich gefährlich gewesen. Eine Muttersau wiegt leicht über fünfhundert Pfund, und wenn sie das Gefühl hat, dass ihre Ferkel bedroht sind, kann sie ganz schön zuschnappen. Mit ihren mächtigen Kiefern kann sie mühelos einen Pfirsichkern knacken – oder auch eine Kniescheibe. Die scharfen Eckzähne sind gefährliche Waffen. Und das hat auch seine Gründe: In freier Wildbahn müssen Schweine sehr tapfer und stark sein. Präsident Theodore Roosevelt, der spätere Namenspatron der »Teddy«-Bären, hat einmal beobachtet, wie ein Jaguar von südamerikanischen Wildschweinen in Stücke gerissen wurde. Obwohl Schweine im Allgemeinen gutmütig sind, werden alljährlich mehr Menschen von Schweinen getötet als zum Beispiel von Haien. Was eigentlich auch nicht besonders erstaunlich ist. Wie oft sieht man schon einen Hai? Schweine, die auf industriellen Schweinefarmen gemästet und bis zum Wahnsinn gequält werden, fressen alles, was ihnen vorgeworfen wird – und das gilt auch für kleine Kinder, deren Eltern unvernünftig genug sind, ihren Nachwuchs unbeaufsichtigt in Schweineställen herumlaufen zu lassen. Wildschweine, von denen es allein in den Vereinigten Staaten mehr als vier Millionen gibt, können sogar Erwachsene töten, wenn sie bedroht werden. Dass Schweine gelegentlich Menschen fressen, habe ich allerdings immer als eine Art fairen Ausgleich dafür gesehen, dass die Menschen so viel mehr Schweine verzehren.

Die Säue bei George dagegen waren alle sehr freundlich. Als wir den Stall betraten, lag die Muttersau auf der Seite, um ihre Ferkel zu säugen. Sie hob ihren gewaltigen, hundertfünfzig Pfund schweren Kopf, warf uns einen wohlwollenden Blick aus ihren wimpernbewachsenen Augen zu, runzelte ihren Rüssel, um unsere Witterung aufzunehmen, und grunzte kurz zur Begrüßung. Die Ferkelchen waren niedliche Miniaturausgaben ihrer gewaltigen Eltern – manche rosa, manche schwarz, manche rot, manche gefleckt und manche mit schwarzen Rennstreifen wie Wildschweine. Am Anfang schienen sich die Ferkel nicht sicher zu sein, ob sie uns fressen oder doch lieber weglaufen sollten. Sie stürmten quiekend auf uns zu wie die Rotte Korah, dann rannten sie auf ihren hohen Hufen hastig zu ihrer Mutter zurück, um noch ein bisschen an ihren milchprallen Zitzen zu ziehen. Dann griffen sie erneut an, inzwischen...

Erscheint lt. Verlag 25.3.2020
Übersetzer Melusine Stern
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte Christopher Hogwood • Farm • Forscher • Landleben • Mitgeschöpf • Naturbuch • Schwein • Seelenleben • Tiere • Tierintelligenz • Tierlieb • Zufriedenheit
ISBN-10 3-257-61020-3 / 3257610203
ISBN-13 978-3-257-61020-8 / 9783257610208
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