Die fabelhafte Welt der fiesen Tiere (eBook)

Von fürsorglichen Schaben, tauchenden Libellen und boxenden Krebsen – Eine Liebe auf den zweiten Blick

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
256 Seiten
Ludwig Buchverlag
978-3-641-23896-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die fabelhafte Welt der fiesen Tiere - Frank Nischk
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Was hat eine Grille mit einem Streichinstrument gemeinsam? Gibt es tatsächlich Käfer, die ihre Leuchtorgane dimmen können? Und wie kann es sein, dass man Heuschrecken einer bestimmten Spezies mal mit roten, mal mit grünen Beinen findet? Nur eine Laune der Natur, oder hat die Evolution hier eine neue Art hervorgebracht? Kakerlaken, Ameisen, Wespen, Quallen und Würmer - oft sind es die unscheinbaren, die stechenden, die vermeintlich ekligen Tierchen, die uns mit ihren faszinierenden Geschichten besonders überraschen. Frank Nischk, passionierter Zoologe und Insektenliebhaber, lässt uns staunen über die verborgene Schönheit, die unglaubliche Formenvielfalt und die komplexen Verhaltensweisen der Insekten, sei es im heimischen Baggersee oder im tropischen Regenwald. Verblüffende Einblicke in die unbekannten Lebenswelten unterschätzter Tierarten!



Frank Nischk, geboren 1967, studierte Biologie in Köln. Grundlage seiner Doktorarbeit sind mehrere Expeditionen in die Regenwälder Ecuadors. Dort erforschte der Zoologe das überwältigende Konzert der Tierstimmen in den artenreichen tropischen Urwäldern. Seit 2000 arbeitet er als Kultur- und Wissenschaftsjournalist, Regisseur und Autor von TV-Dokumentationen (arte, WDR, ARD) - darunter teils preisgekrönte Natur- und Tierfilme über die Unterwasserwelt am Rhein, die Nebelwälder Ecuadors und den Colorado River.

Kapitel Eins

Kakerlaken statt Kolibris

Jede Reise hat ihren Anfang. Meine Expedition zu den unbeliebten Tieren dieses Planeten begann im Jahr 1993 in einem einfachen Hotelzimmer der kolumbianischen Millionenstadt Cali. Damals ging mein Biologiestudium in Köln dem Ende entgegen, und ich musste mir dringend ein Thema für meine Diplomarbeit suchen. Doch genauso sehr, wie ich Biologe sein mochte, wollte ich auch die Welt entdecken. Es sind die Regenwälder der Tropen, die mich seit meinen Kindertagen faszinieren. Der Amazonas, der gewaltigste Strom der Erde, war mein Sehnsuchtsort, den ich mit dem Finger im Schulatlas immer wieder nachfuhr. Also fragte ich mich durch bei Kölns Biologieprofessoren: »Wer kennt Kollegen in Südamerika, die einen Diplomanden suchen?« Zwar war ich komplett ahnungslos, was die Grundlagen der Tropenökologie betraf, dafür aber hoch motiviert.

Glücklicherweise bekam ich rasch Kontakt zu einer deutsch-kolumbianischen Forschergruppe, die mich als Praktikanten wollte. Praktikant, immerhin! Die Wissenschaftler, so erfuhr ich, hatten eine kleine Forschungsstation aufgebaut. Und zwar in einem der letzten Urwälder auf der Westseite der Anden in Kolumbien, zwei Busstunden entfernt von Cali, der drittgrößten Stadt des Landes. Der Amazonas fließt freilich auf der anderen, der Ostseite der Anden, aber das Wort Urwald elektrisierte mich sofort.

Auch das Forschungsobjekt der Biologen klang nach einem Hauptgewinn. Alles drehte sich um Kolibris, die schillernden kleinen Vögel, die brummend wie Helikopter von Blüte zu Blüte schwirren. Atemberaubende Flugakrobaten, die sogar rückwärts fliegen können und die im Schwirrflug, ohne landen zu müssen, den Nektar, ihren Treibstoff, aus den Blüten schlürfen. Eigentlich war ich damals kein »Birder«, also nur mäßig interessiert an der Vogelwelt. Für schillernde Kunstflieger als Eintrittskarte in den Dschungel wollte ich aber gerne eine Ausnahme machen.

Ich sagte also sofort zu und kaufte mir mein Flugticket nach Kolumbien. Die Aussichten für die folgenden Monate erschienen mir bestens – abgesehen von ein paar nicht unbedeutenden Ängsten, die langsam in mir wuchsen.

Nur wenige Länder hatten in den 1990er-Jahren so einen schlechten Ruf wie Kolumbien. Las man in der Zeitung über den Andenstaat, ging es ausschließlich um Gewalt: Drogen, Todesschwadronen und Guerillas. Jeder kannte den Namen des Drogenbosses Pablo Escobar, doch wie hieß noch mal der Präsident des Landes? Keinen Schimmer. Sicher, alle Schlagzeilen über die Mordopfer, die Entführten und die Gewalt entsprachen der Wahrheit. Doch dass es in Kolumbien auch Universitäten, Biologen und einen ganz normalen Alltag gab, war damals unvorstellbar für einen Durchschnittseuropäer.

Deshalb also saß ich in meinem billigen Hotelzimmer und wagte mich nicht hinaus in die fremde Großstadt Cali. Doch was sollte das für ein Tropenforscher werden, der schon am Großstadtdschungel scheitert? Also überlegte ich mir eine Konfrontationsstrategie, die mir helfen sollte, meine Ängste zu überwinden: Ich wollte auf direktem Weg zu Calis belebtester Straße gehen. Mir dort auf der Avenida Sexta einen Fensterplatz in einem Restaurant suchen und beim Lunch das Treiben auf der Straße beobachten – mit ausreichend Sicherheitsabstand. Wenn da Geschäftsleute, Schulkinder und andere normale Menschen auf dem Bürgersteig entlangkämen, sollte auch ich am normalen Leben Kolumbiens teilnehmen können. So mein Plan.

Zunächst lief alles wie erhofft. Nach kurzer Zeit saß ich in einem netten Restaurant, vor mir ein Teller mit Reis, Bohnen, Kochbananen und einem großen gegrillten Fisch. Auf der Straße, wie ich es mir gedacht hatte, waren Menschen wie du und ich unterwegs. Ich begann mich zu entspannen und widmete mich dem Mittagessen. Eines hatte ich aber nicht bedacht. Cali ist eine tropische Stadt, die Fenster des Lokals waren wegen der Hitze nicht verglast, keine schützende Schicht zwischen mir und den Gefahren der Metropole. Es dauerte nicht lange, und ein Obdachloser bemerkte mich im Restaurant. Er schlurfte ans Fenster, streckte seine Hand durch den glaslosen Rahmen und schaute mich fordernd an.

Gibt man einem Bettler in Cali etwas am Restaurantfenster? Der Mann sah mir beim Denken zu. Weil ihm das aber alles zu lange dauerte, schnappte er sich einfach meinen Fisch und schlenderte mampfend davon.

Mein Plan, mich langsam an das Leben in Kolumbien zu gewöhnen, schien vorerst gescheitert. Du wirst dieses Land nicht überleben, dachte ich.

Zum Glück hatte ich mich geirrt. Schon wenige Tage später war ich verliebt in das Land, in die Stadt Cali und in die fantastische tropische Natur. Mit dem Bus ging es weiter nach Bajo Anchicayá, einem kleinen Wasserkraftwerk an der alten Bergstraße, die von Cali zum Pazifikhafen Buenaventura führt. Im Gegensatz zu vielen Gegenden in den Anden waren dort die Hügel und Berge noch mit dichtem Urwald bewachsen. Vom Pazifik zogen jeden Nachmittag dicke Regenwolken auf. Kaum eine Region ist so regenreich wie Kolumbiens Westen. Steile Berge und viel Niederschlag sind die ideale Kombination, um mit der Kraft des Wassers Strom zu erzeugen. Zum Elektrizitätswerk gehörten ein Stausee, ein paar Baracken für Angestellte und Arbeiter, Werkstätten, eine Kantine und das Generatorhaus, in dem Turbinen und Generatoren Tag und Nacht surrten. Dort waren auch wir Biologen untergebracht: eine Kolumbianerin, ein deutscher Doktorand und drei Praktikanten aus Deutschland. Um uns herum, so weit wir schauen konnten, erstreckte sich der Urwald.

In den Wäldern sausten sie von Blüte zu Blüte: Kolibris mit Namen, die ebenso schillernd waren wie ihr Gefieder: Violett-Langschwanzsylphen, Andenamazilien und Smaragde schwirrten zwischen den Bäumen umher, brüteten und zogen ihre winzigen Küken groß. Ich befand mich inmitten meines Kindheitstraums. Noch nie war ich von so viel Schönheit umgeben gewesen, die Bäume hingen voller Bromelien und Orchideen. Baumfarne wuchsen mehrere Meter in die Höhe. Wir sahen langschnäblige Tukane und hörten die Rufe der Brüllaffen. Ich hielt meine erste Boa constrictor, eine drei Meter lange Würgeschlange, in der Hand. Alles schien perfekt.

Doch das stimmte nur zur Hälfte. Ich hatte es zwar in die Tropen geschafft, aber ein Tropenforscher war ich damit noch lange nicht. Stattdessen waren wir Praktikanten zwischen die Fronten eines Streits geraten. Die Biologen der Universität in Cali und mein deutscher Chef bezichtigten sich gegenseitig, Absprachen nicht einzuhalten. Das Dumme für uns war, dass die Kolumbianer am längeren Hebel saßen (zudem schienen sie obendrein im Recht zu sein). Jede Arbeitserlaubnis war für alle Deutschen – ob Professor, Doktorand oder Praktikant – von heute auf morgen erloschen. Der Traum von der Diplomarbeit im Urwald war somit gestorben. Zwar durften wir noch weiter im Paradies wohnen, waren aber zur Untätigkeit verdonnert. Das renke sich wieder ein, hörten wir aus Deutschland. Also warteten wir auf bessere Nachrichten. Eine, zwei, drei Wochen. Irgendwann dämmerte mir, dass ich im Wald von Bajo Anchicayá meine Zeit vertrödelte. So schön es dort auch war und so nett uns die Arbeiter des kleinen Elektrizitätswerkes behandelten – mein Plan war gescheitert.

Das war es dann also mit den Kolibris, dachte ich. Zwei Monate blieben mir noch bis zum Heimflug. Zwei Monate als Tourist in Kolumbien: Ich schwamm im Pazifik, bestieg Vulkane, tanzte Salsa in Calis Salsotecas, dann musste ich zurück nach Deutschland, mich um meine berufliche Zukunft kümmern. Kein Diplomthema würde an die Aussicht herankommen, Kolibris in Kolumbiens Urwald zu beobachten, das war mir klar. Also wollte ich mich wenigstens bei der sympathischsten Arbeitsgruppe meiner Uni bewerben – so lautete mein Plan B.

Martin Dambach war damals einer der wenigen Professoren an der Kölner Uni, der noch klassische Verhaltensforschung lehrte. Genau mein Ding also, wollte ich doch lebende Tiere und ihr Verhalten studieren. »Ja«, sagt der grauhaarige und backenbärtige Zoologe zu mir, er hätte ein Diplomthema für mich. Und ich hätte doppeltes Glück, die Arbeit sei sogar mit einer Anstellung als studentische Hilfskraft verbunden. Eine bezahlte Diplomarbeit, das war die absolute Ausnahme und somit wie ein Sechser im Lotto. Ob die Sache einen Haken habe, fragte ich. Als Antwort führte mich der Professor in eine kleine Kammer. Dort stand eine große rote Plastikbox auf dem Fußboden. Genauer, sie schwamm in einem Wassertank. Das Wasser, so erklärte er mir, sollte den Bewohnern der Kiste das Entkommen erschweren. Dann hob er den Gazedeckel von der Kiste. Den oberen Rand der Box umspannten drei schmale Metallschienen. Sie wurden laufend unter Strom gehalten. Der Grund für dieses elektrische Hindernis war derselbe wie für den Wassergraben. Die Flucht der Versuchstiere musste unbedingt verhindert werden. In der Box waren Eierkartons auf dem Boden verteilt, zwischen denen es wimmelte, alles war in Bewegung. Hunderte, nein, Tausende kleiner Schaben liefen dort umher. Mir stieg ein unangenehmer Geruch in die Nase, der mich das kommende Jahr ständig begleiten sollte.

»Wir erforschen das Aggregationsverhalten der Deutschen Schabe, Blattella germanica«, eröffnete mir Professor Dambach. »Die Firma Bayer interessiert sich für eine Substanz, die in den Faeces der Tiere enthalten ist. Diese Substanz bewirkt, dass die Tiere eng in Gruppen beisammensitzen, anders ausgedrückt, sie aggregieren. Darum Aggregationsverhalten. Bayer bezahlt Ihre...

Erscheint lt. Verlag 2.3.2020
Zusatzinfo Strichzeichnungen im Text
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte autobiografische Anekdoten • Biologie • eBooks • eklige Tiere • Faible für unbeliebte Tiere • Faszination Insekten • faszinierende Geschichten • Gesang von Grillen • Insekten • Insektenforscher • Insektensterben • Natur-/Umweltschutz • Überlebenskünstler Schaben
ISBN-10 3-641-23896-X / 364123896X
ISBN-13 978-3-641-23896-4 / 9783641238964
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