Das Leben der Eichhörnchen (eBook)
224 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-26500-4 (ISBN)
Mit akrobatischen Sprüngen turnt es durch die Baumwipfel, um wenig später äußerst geschickt Nüsse im Garten zu verstecken: Das Eichhörnchen, Sympathieträger Nummer eins unserer Tierwelt. Der renommierte Biologe Josef H. Reichholf zeigt, dass es dafür gute Gründe gibt. Schließlich macht es nicht nur großen Spaß, Eichhörnchen zu beobachten, wir können von ihnen und ihren Verwandten auch viel über uns selbst lernen. Reichholf erklärt, warum auch Eichhörnchen spielen, wie Siebenschläfer uns helfen können, unsere Herbstmelancholie zu überwinden - und wie er es mit einem Eichhörnchen zu tun bekam, das vom Himmel fiel. Eine spannende Naturkunde, die uns die Tiere mit anderen Augen sehen lässt.
Prof. Dr. Josef H. Reichholf, 1945 in Niederbayern geboren, Evolutionsbiologe, war bis April 2010 Leiter der Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung München und Professor für Ökologie und Naturschutz an der Technischen Universität München. Er ist Träger der 'Treviranus-Medaille', der höchsten Auszeichnung der Deutschen Biologen, und des Grüter-Preises für Wissenschaftsvermittlung. 2007 wurde er zudem mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet. 2010 wurde sein Bestseller 'Rabenschwarze Intelligenz' als 'Wissenschaftsbuch des Jahres' prämiert. Zuletzt erschienen von ihm Evolution - Eine kurze Geschichte von Mensch und Natur (2016), der als Wissensbuch des Jahres ausgezeichnete Band 'Symbiosen' und 'Haustiere' (beide 2017 in der Reihe Naturkunden), Schmetterlinge - Warum sie verschwinden und was das für uns bedeutet (2018) sowie Das Leben der Eichhörnchen (2019).
Vorwort: Wie ich zu den Eichhörnchen kam
Mit einem vom Himmel gefallenen Eichhörnchen fing es an. Eine Frau ging im Münchner Norden gerade auf den Hof hinaus, als ihr etwas Kleines vor die Füße fiel. Es war ein winziges Eichhörnchenbaby. Zwei große dunkle Kugeln am Köpfchen, die Augen, waren daran am auffallendsten. Die Haut bedeckte sie noch vollständig. Das Fell war schwach entwickelt, aber erkennbar rotbraun. Das Schwänzchen sah fast wie zu einer jungen Ratte gehörend aus. Wahrscheinlich hatte eine Krähe das Eichhörnchen im Schnabel getragen und fallen gelassen, als sie von irgendetwas erschreckt wurde, vielleicht vom unerwarteten Erscheinen der Frau. Da ließ sie wohl ihre Beute los und zog es vor, fortzufliegen. Nun lag es auf dem Hof, das winzige Ding. Es lebte. Die Frau nahm es auf und überlegte, was tun. Das Eichhörnchenbaby allein zu lassen, bedeutete den sicheren Tod, gleichgültig, ob die Krähe wiedergekommen wäre, es zu holen, oder nicht. Ein Eichhörnchennest gab es in der Umgebung keines. Die Krähe hatte das Junge wahrscheinlich in einem Wäldchen am Rand der Siedlung erbeutet. Nun lag es viel zu weit entfernt für die Eichhörnchenmutter, um es zu finden. Der Tierarzt, den die Frau anrief und um Rat fragte, erklärte, er habe keine Erfahrung, wie man mit Eichhörnchenbabys umgeht. Da fiel ihr ein, dass sie jemanden kannte, der in der Zoologischen Staatssammlung arbeitete. Er war Schlangenspezialist. Wie man Eichhörnchenkinder großzieht, wusste er auch nicht. Er verfütterte lediglich ähnlich kleine Nager, nämlich junge Mäuse, an die Schlangen, die er in Terrarien hielt. Also riet er dazu, mich zu kontaktieren, da ich damals für längere Zeit kommissarischer Leiter der Sektion Säugetiere der Zoologischen Staatssammlung war.
Die Frau rief bei mir an, schilderte, was sich zugetragen hatte und bat um Rat, wie sie mit dem Eichhörnchen weiter verfahren sollte. In den Jahrzehnten meiner Tätigkeit in der Zoologischen Staatssammlung erreichten mich die seltsamsten Anfragen. Ziemlich verrückte mitunter. Diese war nun eine echte Herausforderung. Nicht allein deshalb, weil ich als Ornithologe nur vertretungsweise mit den Säugetieren zu tun hatte, bis die vakante Wissenschaftlerstelle wieder mit einem Säugetierkundler besetzt worden war. Vielmehr traf mich das Telefonat emotional. Denn gut ein Jahrzehnt vorher hatte ich mich in einer ähnlichen Lage befunden. Zwei Siebenschläferbabys lagen damals vor mir in einer Schachtel und es galt, sie aufzuziehen. Eines überlebte und wurde das reizendste Tierchen, mit dem ich je zu tun hatte. An diesen Siebenschläfer, den wir Schmurksi genannt hatten, erinnerte mich der Anruf und auch daran, dass er nicht mehr lebte. Er war in einem Frühjahr nicht mehr aus dem Winterschlaf erwacht, nachdem er viele Jahre bei uns gelebt hatte. Meine Erinnerung an Schmurksi rettete nun dem Eichhörnchenkind das Leben. Es sollte auch überleben, wie jenes Siebenschläferbaby. Also erzählte ich der Dame von meinen Erfahrungen mit den Siebenschläfern, betonte aber, dass mir vergleichbare mit Eichhörnchen fehlten. Ich würde mich bemühen, alles Verfügbare in der zoologischen Fachliteratur zusammenzusuchen und für die Beratung zu verwerten. Sie könne mich jederzeit anrufen.
Akut ging es aber um Wärme und Milch für das Kleine. Aus der Erfahrung mit Schmurksi riet ich ihr, Ersatzmilch aus Babytrockenmilch zu fertigen, mit einem kleinen Vitamintropfen eines Multivitaminpräparates anzureichern und über ein Schwämmchen zu bieten. Das ist wichtig, weil die Kleinen gegen die Brust der Mutter drücken. Dieses Milchstoßen regt den Milchfluss an. Saugen können sie in dem so winzigen Zustand noch nicht richtig. Die Milch darf nicht in die Nase und weiter in die Lunge geraten. Das Eichhörnchen würde daran ersticken. Ein noch größeres Problem war die Wärme. In diesem winzigen Zustand konnte das Baby nicht einfach auf einem Heizkissen gelagert werden, außer es würde andauernd genau gemessen, ob die Temperatur passt. Tagsüber geht das eher in einem Nestchen aus schützenden Tüchern und Wärme von einem untergelegten Heizkissen. Aber nachts kann so eine elektrische Heizung sehr gefährlich werden. Außerdem musste das Kleine mehrfach in der Nacht Milch bekommen, damit es überlebt. All diesen Herausforderungen wollte sich die Frau stellen, obwohl sie absolut keine Erfahrungen mit so diffizilen Kleintieren hatte.
Sie hatte den Vorsatz gefasst: Das Eichhörnchen soll unbedingt überleben. Dafür würde sie alles auf sich nehmen. Das klang so überzeugend, dass ich ihr riet, das Baby nachts in einem Stoffsäckchen zu sich zu nehmen. So würde ihr eigener Körper diesem Winzling die richtige Wärmezufuhr garantieren. Auch das akzeptierte sie bereitwillig. Als das Telefonat beendet war, fühlte ich mich ebenso in die Pflicht genommen, alles zu tun, damit das Tierchen überlebt. Fast täglich telefonierten wir nun, ob es so richtig sei und was jetzt getan werden müsse. Nach einer Woche lebte das Eichhörnchen immer noch. Es nahm an Gewicht zu und bearbeitete die Milchquelle immer kräftiger. Die Pflegemutter stimmte das zuversichtlich. Mich freuten alle positiven Nachrichten zur Entwicklung des Eichhörnchens. »Maxi« wurde es genannt und Maxi gedieh. Die Abstände zwischen den Telefonaten wurden größer. Das war ein gutes Zeichen. Maxi lebte viele Jahre. Er wurde ein super Eichhörnchen, soweit wir dies aus unserer voreingenommenen Menschensicht beurteilen können. Er bekam andere Eichhörnchen dazu, die als Findlinge gebracht wurden, und einen geräumigen Käfig. Es hatte sich herumgesprochen, dass bei der Frau ein so faszinierend Zahmes lebte und sich so prächtig entwickelt hatte. Maxi war auf die Pflegemutter geprägt. Männer empfand er als Konkurrenten. Mit ratternden Zähnen warnend hielt er sie auf Distanz — was Mann und Sohn ebenso belustigt wie gelassen hinnahmen. Mein Beitrag beschränkte sich auf die Ersatzvaterschaft durchs Telefon. Das war aufschlussreich genug und über die Jahre Anlass dafür, mich mit den Eichhörnchen wissenschaftlich näher zu befassen — auch um sie mit ihrer »Nachtausgabe«, dem Siebenschläfer, zu vergleichen. Maxi und mein Schmurksi wurden damit zu den Begründern dieses Buches. Es ist der Versuch, die Welt der Eichhörnchen und ihrer weiteren Verwandtschaft, der Nagetiere, mit unserer eigenen in Beziehung zu setzen. Erstaunliche Parallelen tun sich dabei auf. Reizvolles und nachdenklich Stimmendes kommt zutage.
Eichhörnchen großzuziehen ist ein Wagnis, das nur wenige Menschen eingehen sollten. Artenschutzrechtlich ist es genehmigungspflichtig, tierschutzrechtlich durchaus problematisch. Seit Schmurksi und Maxi haben sich die Zeiten geändert. Die Haltung geschützter Tierarten ist sehr erschwert worden. Den frei Lebenden wird hingegen kaum Schutz zuteil. Die Entfremdung der Menschen von der Natur nimmt zu. Weil zu viel verboten worden ist, ohne dass Wirksamkeit und Notwendigkeit der Verbote überprüft werden. Wer sich aus Neigung und Interesse mit Tieren befassen möchte, gerät sofort unter Verdacht, Schaden zu verursachen. Das Tun der Naturvernichter bleibt hingegen unbeschränkt. Sie haben es politisch geschafft, von nahezu allen Bestimmungen und Beschränkungen ausgenommen zu sein. Die private Tierhaltung aus Interesse ist genehmigungspflichtig gemacht worden, die Massentierhaltung aber unterliegt keiner wirklichen Einschränkung. Ein Eichhörnchen aufzunehmen, zu pflegen oder gar großzuziehen, erfordert eine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung. Die Forstwirtschaft darf bei der Holzernte genehmigungsfrei die Nester mit den kleinen Jungen darin vernichten. Vielleicht stimmt dieses Buch auch ein wenig nachdenklich, ob ein Naturschutz, der sich gegen die Naturfreunde richtet, weiter in dieser Form aufrechterhalten bleiben soll. Oder ob es nicht längst an der Zeit wäre, dass die großen Naturschutzverbände ihr politisches Gewicht vereinen, um einen neuen, wirkungsvollen Arten- und Naturschutz zu schaffen. Einen, der die Naturvernichter trifft und nicht die Naturfreunde.
Das Buch soll aber auch eine kleine Anleitung dafür sein, das Eichhörnchen und andere Tiere auf ihren Lebensstil bezogen zu betrachten. Warum ist es so, wie es ist? Warum wirkt es auf uns Menschen so niedlich mit dem rundlichen Gesicht und dem buschigen Schwanz? Warum halten Siebenschläfer einen langen Winterschlaf, die Eichhörnchen aber nicht. Liegt es daran, dass beide ...
Erscheint lt. Verlag | 23.9.2019 |
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Illustrationen | Johann Brandstetter |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Natur / Ökologie |
Technik | |
Schlagworte | Baumfuchs • Bienensterben • Biologie • Dave Goulson • Die seltensten Bienen der Welt • Eichel • Eichhase • Eichhörnchen • Eichkatzl • Elli Radinger • Ernst Paul Dörfler • Evolutionsbiologie • Fichten • Fichtenzapfen • Garten • Geheimnis alter Hunde • Grauhörnchen • Haselnuss • Herbstmelancholie • Hörnchen • Insektensterben • Landleben • Laubwald • Leben der Tiere • Mischwald • Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen • Nagekäfer • Nagetier • Natur • Nature writing • Naturkunde • Naturschutz • Natursehnsucht • Neozoon • Nestwärme • niedliches Tier • Nuss • Ohrpinsel • Ökologie • Peter Wohlleben • Schmetterlinge • Seelenleben der Tiere • Siebenschläfer • Sigmund-Freud-Preis • Sommerfell • Stadtleben • süße Tier • Treviranus Medaille • Und sie fliegt doch • Wald • Wildlife Gardening • Wildtiere • Winterfell • Winterruhe • Winterschlaf • wissenschaftliche Prosa • Zoologie • Zoologische Staatssammlung München |
ISBN-10 | 3-446-26500-7 / 3446265007 |
ISBN-13 | 978-3-446-26500-4 / 9783446265004 |
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