Genpoolparty (eBook)
240 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-26302-4 (ISBN)
Molekularbiologie auf Nobelpreis-Niveau - vom jüngsten und bestgebauten Science Buster.
Martin Moder, geboren 1988, ist promovierter Molekularbiologe am Forschungszentrum für Molekulare Medizin in Wien. 2014 wurde er der erste Science-Slam-Europameister. Er ist Mitglied der Science Busters. 2016 erschien sein Buch 'Treffen sich zwei Moleküle im Labor'.
Intelligenz: Ursachen und Nebenwirkungen
Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich aussuchen, als welches Tier Sie wiedergeboren werden. Wofür würden Sie sich entscheiden? Wären Sie gerne ein Vogel, um den Himmel zu erkunden und Unruhestiftern auf den Kopf zu kacken? Oder doch lieber ein Elefant, weil Ihnen während eines LSD-Trips bewusst wurde, wie wichtig es wäre, Dinge mit der Nase aufheben zu können? Ich respektiere Ihre naiven Wünsche, aber die beste Entscheidung wäre ohne Zweifel die Seescheide. Die Kaulquappen-ähnlichen Larven der Tiere haben simple Augen, Rückenmark und ein primitives Gehirn. Kaum sind sie geschlüpft, schwimmen sie durch die Weltmeere und suchen einen passenden Ort, um dauerhaft sesshaft zu werden. Dabei kann es sich um einen Schiffsrumpf handeln, einen Stein oder den Meeresboden, an den sich das Tier anheftet und nie mehr loslässt. In diesem Zustand haben Seescheiden jedoch keinerlei Verwendung mehr für ihr Gehirn. Sie bilden es deshalb einfach wieder zurück, indem sie es innerlich verdauen. Damit hat die Seescheide die Universallösung für sämtliche Probleme entwickelt, die man im Leben haben kann. Sollte einem alles zu blöd werden, lässt man sich einfach irgendwo nieder und das Gehirn allmählich verschwinden, ohne gleich tot umzufallen. Stress in der Arbeit? Kleben Sie sich frei von Gedanken in irgendeine Ecke. Keine Lust, für die Prüfung zu lernen? Weg mit dem Gehirn! Eigentlich sollte in jedem Meditationsseminar, in dem Freiheit von Gedanken als höchstes Ideal gepredigt wird, eine Seescheide als Schutzpatron stehen. Die Seescheide dient aber nicht bloß als spirituelles Vorbild. Sie veranschaulicht auch, dass wir nicht bloß denken, weil Gedanken so toll sind, sondern aus rein pragmatischen Überlebensgründen. Nichts könnte der Natur mehr egal sein, als die Frage, ob wir den Geheimnissen des Universums auf die Schliche kommen. Hauptsache, wir sind smart genug, um den Säbelzahntiger nicht in den Schwanz zu zwicken.
Erfolgsgarant Selbstüberschätzung
Der Grund, warum wir uns so clever fühlen, ist, dass die anderen Lebewesen noch blöder sind als wir. Es ist verlockend, sich für schlau zu halten, wenn man Mitglied der Art ist, die zum Mond geflogen ist und das Higgs-Boson nachgewiesen hat. Aber wissen Sie persönlich überhaupt, wie eine Klospülung funktioniert? Im Ernst, nehmen Sie sich bitte ein paar Minuten Zeit, um darüber nachzudenken, oder besser noch, zeichnen Sie es auf. Lässt man Studienteilnehmer bewerten, wie gut sie die Funktionsweise von Gegenständen wie einer Klaviertaste, einer Nähmaschine, einem Fahrrad oder einer Toilettenspülung verstehen, stufen die meisten ihr Wissen als ziemlich gut ein. Fordert man sie jedoch auf, detailliert zu beschreiben, wie diese Dinge funktionieren, oder es gar aufzuzeichnen, wird den Teilnehmern bewusst, wie ahnungslos sie eigentlich sind, und sie stufen ihr Wissen niedriger ein als davor. Wer weiß, vielleicht ging die Aussage Sokrates’ »Ich weiß, dass ich nichts weiß« ebenfalls auf den gescheiterten Versuch zurück, eine Klospülung zu malen.
In anderen Worten: Wir sind zu blöd, um die Welt um uns herum zu verstehen, aber das macht nichts, weil wir auch zu blöd sind, um zu erkennen, dass wir zu blöd sind. In der Forschung bezeichnet man dieses Phänomen als die »Illusion der Erklärtiefe« (aus dem Englischen ›Illusion of Explanatory Depth‹ – IOED). Aber wäre es nicht viel sinnvoller, wenn wir unser eigenes Können realistisch einschätzen würden? Nein. Zumindest wenn es nach dem amerikanischen Evolutionspsychologen Robert Trivers geht, der als Ikone auf dem Forschungsgebiet der Täuschung und Selbsttäuschung gilt. Lange Zeit waren Psychologen der Meinung, wir würden uns bloß deshalb überschätzen, um uns besser zu fühlen. Aber aus Sicht der Evolution ist es ziemlich egal, ob wir uns großartig finden oder nur so lala, was zählt, sind Vorteile beim Überleben und der Reproduktion. Trivers hatte eine andere Erklärung: Wir täuschen uns selbst, um besser darin zu werden, andere zu täuschen. Es kann nützlich sein, Menschen davon zu überzeugen, dass wir besonders toll sind. Aber bewusst zu lügen ist anstrengend, und die Gefahr, von anderen durchschaut zu werden, ist groß. Glauben wir aber selbst, besser zu sein, als wir eigentlich sind, fällt es uns leichter, auch andere davon zu überzeugen. Eine Studie konnte zeigen, dass Menschen, die sich selbst überschätzen, anderen gegenüber besonders kompetent erscheinen und höheres soziales Ansehen haben. Es kann deshalb durchaus sinnvoll sein, dass wir uns für intelligenter halten, als wir eigentlich sind.
Intelligenz ist nicht alles
Möchten wir uns aber nicht nur kompetent fühlen, sondern tatsächlich verstehen, wie die Welt um uns herum funktioniert, müssen wir bereit sein, unsere falschen Vorstellungen regelmäßig über Bord zu werfen. In der Wissenschaft bezeichnet man das als »Falsifizieren«, also das Überprüfen verschiedener Erklärungsmöglichkeiten und das Verwerfen derjenigen, die sich als falsch herausstellen. Anders ausgedrückt: Man muss die falschen Theorien sterben lassen, damit die richtigen sich durchsetzen können. Der österreichische Philosoph Sir Karl Popper, der als Vater des Falsifizierungs-Prinzips gilt, hat es radikal ausgedrückt: »Lasst Theorien sterben, nicht Menschen!« Gestorben ist er trotzdem. Hand aufs Herz, wann haben Sie das letzte Mal Ihre Meinung zu einem Thema grundlegend geändert, weil Sie mit besseren Argumenten konfrontiert wurden? Denken Sie wirklich darüber nach, es ist gar nicht einfach, ein Beispiel zu finden.
Das letzte Mal, als ich meine Meinung bewusst geändert habe, war das bezüglich Intelligenz. Ich war überzeugt, die Ergebnisse von Intelligenztests seien aussagelos, weil Intelligenztests nichts weiter messen würden, als wie gut man darin ist, Intelligenztests zu machen. Ich dachte, unsere Genetik hätte keinen nennenswerten Einfluss darauf, wie intelligent wir sind. Spricht man über das Thema Intelligenz, stößt man sehr häufig auf solche Aussagen. Aber sie stammen meist von Leuten, die sich entweder nicht ernsthaft mit Intelligenzforschung auseinandergesetzt haben oder sie aus ideologischen Gründen ablehnen. Möchte man aber wissen, ob sich die menschliche Intelligenz verbessern lässt, muss man zuallererst verstehen, was Intelligenz überhaupt ist, wie man sie zuverlässig messen kann und warum die Ergebnisse von Intelligenztests keineswegs ohne Aussagekraft sind.
Intelligenztests haben nicht den Zweck, den Wert eines Menschen auf eine Zahl zu reduzieren. Wenn ich Ihren Bizepsumfang messe, erkläre ich deshalb ja auch nicht alle anderen Ihrer Eigenschaften für irrelevant. Intelligenztests treffen vor allem eine Aussage darüber, wie schnell jemand eine komplizierte neue Aufgabe erlernen kann. Das ist im Leben sehr hilfreich, aus moralischer Sicht jedoch vollkommen neutral. Es gibt unzählige andere Eigenschaften, die man an einem Menschen wertschätzen kann und sollte: Courage, Weisheit, Tugend, Begeisterungsfähigkeit, Güte, Humor und so weiter. Aber keine davon ist annähernd so gut untersucht wie Intelligenz, geschweige denn ihre biologischen Grundlagen. Trotzdem ranken sich um das Thema so viele Mythen, dass rund 80 Prozent der populärsten Psychologie-Einführungsbücher Falschaussagen zum Thema Intelligenz beinhalten, wie eine 2018 erschienene Untersuchung gezeigt hat. Wir aber stürzen uns jetzt auf die harten Fakten.
Bevor wir uns an ein so heikles Thema wie die Vermessung der Intelligenz wagen, sollten wir einen kurzen Moment innehalten und über ein Wort sprechen, das uns im Laufe dieses Buches öfters begegnen wird: Korrelation. Ohne sie wäre Statistik, wie wir sie heute kennen, nicht denkbar. Den meisten Menschen ist das Wort vermutlich bereits untergekommen, aber die wenigsten wissen, dass es von einem Mann stammt, der nicht nur als ein Ur-Vater der Statistik gilt, sondern auch als Begründer der Intelligenzforschung, der das Konzept der Korrelation zu exakt diesem Zweck entwickelt hat.
Die Entdeckung der Korrelation
In den 1880ern sah man den Naturforscher Francis Galton häufig durch die Straßen Großbritanniens ziehen, während er sämtlichen Frauen nachstarrte und dabei eifrig in seiner Hose herumfummelte. Für die Wissenschaft, versteht sich. In seiner Hosentasche befand sich eine Apparatur, durch die er festhalten konnte, welche Werte er den vorbeigehenden Frauen zuordnete – auf einer Schönheitsskala von attraktiv bis abstoßend. Nach Monaten der mühsamen Datenerhebung erstelle er daraus eine Schönheitskarte der Britischen Inseln. (Falls Sie mal in der Nähe sind: London landete auf Platz eins, Aberdeen bildet das Schlusslicht. Gern geschehen.) Eindrucksvoller lässt sich kaum veranschaulichen, dass die Vergabe von Forschungsgeldern damals wohl ausschließlich in männlichen Händen lag.
Galton versuchte mit großem Eifer alles zu vermessen, was sich irgendwie messen ließ. Regelmäßig besuchte er die Vorlesungen seiner Kollegen und notierte die Kopfneigungen der Studenten, um daraus abzuleiten, wer die langweiligsten Vorträge hält. Bei seinen Fachkollegen war er wohl ähnlich beliebt wie bei den Damen aus Aberdeen. Man hat den Eindruck, Galton hatte eine ungeheure wissenschaftliche Energie, ohne so recht zu wissen, was er damit anfangen soll. Das änderte sich jedoch schlagartig, als sein Halb-Cousin, Charles Darwin, sein Buch...
Erscheint lt. Verlag | 18.2.2019 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Biologie • CRSPR • Epigenetik • Genetik • Humor • Intelligenz • Michio Kaku • Molekularbiologie • Popular science • Randall Munroe • Schönheit • science busters • Science Slam • Unterhaltung • What if? • Zukunft |
ISBN-10 | 3-446-26302-0 / 3446263020 |
ISBN-13 | 978-3-446-26302-4 / 9783446263024 |
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Größe: 2,5 MB
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