Die Wiese (eBook)

Lockruf in eine geheimnisvolle Welt - Von dem preisgekrönten Dokumentarfilmer

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
256 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-23094-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Wiese -  Jan Haft
Systemvoraussetzungen
3,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Mit umfangreichem farbigen Bildteil
Kitzelnde Gräser, leuchtende Blumen, summende Insekten: So fühlt sich eine Sommerwiese an. Jan Haft nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise in ein wahres Naturparadies, in dem Hunderte bunter Pflanzen und bizarrer Tiere leben, deren Naturgeschichte oft noch gar nicht richtig erforscht ist. Nirgendwo sonst leben mehr Insektenarten, nirgendwo sonst herrscht eine solche Farbenpracht. Und gleichzeitig ist kein heimischer Lebensraum so sehr bedroht: Etwa ein Drittel unseres Landes war einst von blühenden Wiesen bedeckt. Heute sind es noch klägliche zwei Prozent. Das mit zahlreichen Fotos bebilderte Buch weckt Begeisterung für diesen artenreichen, lebendigen Lebensraum und ist zugleich ein Aufruf zur Rettung der letzten Blumenwiesen.

Das Buch wird nach höchsten ökologischen Standards (Cradle to Cradle) hergestellt und nicht in Folie eingeschweißt.

Der Biologe Jan Haft, geboren 1967, ist ein vielfach ausgezeichneter Natur- und Tierfilmer, dessen Filme sowohl im Kino als auch im Fernsehen gezeigt werden. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern auf einem Bauernhof im Isental bei München. Sein erstes Buch »Die Wiese. Lockruf in eine geheimnisvolle Welt« erschien 2019 parallel zu seinem Kinofilm »Die Wiese - ein Paradies nebenan«, beide waren ein großer Erfolg. 2024 erschien dazu das illustrierte Kindersachbuch »Meine Wiese«. In seinem zweiten Buch »Heimat Natur« (2021; im Taschenbuch 2023 unter dem Titel »Natur nebenan«) lenkte er den Blick auf die Lebensräume, Tiere und Pflanzen vor unserer Haustür, mit »Wildnis« (2023) skizzierte er ein neues Verständnis von wilder Natur.

KAPITEL 1   
Meine »heilige Wiese«

Als ich neun Jahre alt war, erzählte mir meine Mutter eine Geschichte aus ihrer Kindheit, die mir besonders im Gedächtnis geblieben ist. Sie schilderte, wie sie sich immer wieder in eine Blumenwiese in der Nachbarschaft ihres Elternhauses in München-Schwabing zurückzog, sich ins Gras legte und Marienkäfern und anderen Wieseninsekten beim Auf und Ab im Dschungel der Halme zusah. In ihrer Vorstellung wurde sie zu einer Zwergin unter Zwergen, verlieh den Wieseninsekten Namen und dachte sich Gespräche aus zwischen den Käfern, Raupen und Zikaden. Möglicherweise flüchtete sie sich in diese scheinbar friedliche, kleine Welt, um der Bedrückung zu entfliehen, die Kriegszeiten und Evakuierung mit sich brachten. Vielleicht war sie auch einfach von der Farben- und Formenvielfalt der Wiese fasziniert. Jedenfalls berührte mich diese Geschichte mehr als andere, als wenn ich geahnt hätte, dass die Wiese in den kommenden Jahrzehnten zu einer Art Lebensthema für mich werden würde; dass ich selbst immer wieder in einer Wiese stehen, sitzen und liegen würde, manchmal mit einer Kamera in der Hand. Und das auch noch in der allerschönsten Wiese der Welt, nämlich in meiner »heiligen Wiese«.

Unsere Familie wohnte in Weißenfeld, einem Örtchen in der Nähe von München, das heute wie eine Insel aus großen industriell bestellten Feldern ragt. Damals war es noch von einer bunten Mischung aus Getreideäckern und Wiesen umgeben. Unser Haus stand auf dem Grund eines Landwirts, bei dem mein Bruder und ich frische Milch holen mussten und wo es viel für uns zu erleben gab, etwa wenn der Bauer uns Kinder bei der Kartoffelernte mithelfen ließ und wir sogar den Traktor lenken durften. In diesem Elternhaus erwachte in mir mit acht oder neun Jahren eine schier grenzenlose Begeisterung für Tiere, und bald teilte ich mein Kinderzimmer mit einem frei fliegenden Nymphensittich, Rennmäusen, Fröschen und allerhand Krabbeltieren, die ich auf Familienausflügen sammelte oder für mein Taschengeld in der Zoohandlung erwarb.

Ich war ein schwieriges Kind. Viele Vorschläge meiner Eltern zur gemeinsamen Freizeitgestaltung lehnte ich ab. Oft störte ich mit meiner Sturheit den Familienfrieden. Die Eltern wollten ihren beiden Söhnen ein humanistisches Fundament und eine möglichst breite Allgemeinbildung mit auf den Weg geben, uns vor allem die europäischen Kulturschätze nahebringen. Deswegen waren für mich viele Sonntage von Museumsaufenthalten in der Stadt überschattet und die Urlaube verbinden sich in meiner Erinnerung mit quälenden Besuchen von muffig riechenden Kirchen und staubigen Ausgrabungsstätten. Als die weltberühmte Büste der Nofretete nach München kam, brachte ich meinen Protest gegen den von meinen Eltern verordneten Ausstellungsbesuch zum Ausdruck, indem ich die gesamte Tour durch das Haus der Kunst mit gesenktem Kopf absolvierte. Eine Anekdote, die später unzählige Male vor Verwandten und Freunden zum Besten gegeben wurde.

Was mich als kleinen Naturfreak regelrecht kränkte, war, dass niemand zu sehen schien, dass ich mich nicht grundlos verweigerte, sondern dass in mir eine Sehnsucht brannte nach all dem was da draußen kreucht und fleucht. Ausflüge in Schlösser oder Museen hielten mich einfach nur von der Natur fern, das war es. Auf Familienausflügen zu Landgasthäusern motivierte mich die Aussicht, nebenbei Federn, leere Schneckenhäuser, Frösche und Ähnliches zu finden, viel stärker als Kaiserschmarrn oder drei Kugeln Eis.

Auslandsreisen versprachen exotische Tiererlebnisse, für die ich aber allerhand unangenehme Begleiterscheinungen in Kauf nehmen musste. Der jährliche Sommerurlaub am Mittelmeer war stets eine Mischung aus Schnorcheln, Lernen für die Schule und Besuchen von allerlei Ruinen. Knossos und Delphi, das Kolosseum, Florenz, Aix-en-Provence … all diese Namen hatten damals für mich einen unangenehmen Beigeschmack. Legendär und später am Familientisch ebenfalls immer wieder aufs Neue erzählt, waren meine Versuche, unter Bruchstücken von Säulen oder Statuen Tiere zu entdecken. Ob vor Jahrtausenden kunstvoll behauen oder nicht, mit etwas Glück ließen sich unter solchen Steinbrocken Skinke oder Geckos erbeuten oder zumindest Skorpione, Schwarzkäfer und andere Kostbarkeiten. Ich merkte früh, dass ich der Einzige weit und breit war, der diesen Funden so viel abgewinnen konnte. Mehr als ihren jahrtausendealten, steinernen Unterschlupfen jedenfalls. Aber ich war mir schon als Kind ganz sicher, dass ich es war, der all dem kriechenden und krabbelnden Viechzeug den richtigen Wert beimaß, und nicht die anderen, die sich vor dem Getier ekelten oder zumindest kein Interesse dafür aufbringen konnten. Solche Tierfunde jagten mir jedes Mal einen wohligen Schauer über den Rücken, und bald war meine Lieblingsbeschäftigung das Steinewenden. Tiere aufzustöbern schien so etwas wie meine Bestimmung zu sein; das Einzige, dem ich schier beliebig lange meine ganze Aufmerksamkeit widmen konnte. Mit der Zeit wurde ich immer besser darin, Tiere trotz Tarnung und Versteck ausfindig zu machen. Diese Fähigkeit sollte mir später zu den ersten Hilfsjobs beim Tierfilm verhelfen.

Ähnlich wie bei den Mittelmeerreisen im Sommer erging es mir – und meinen Eltern – im Winterurlaub. Jedes Jahr nach Weihnachten fuhren wir nach Tirol. Wann immer es mir gelang, entwischte ich der Gesellschaft der Skifahrer und zog mich in einen alten Wald oberhalb der Piste zurück, wo Rindenfetzen von mächtigen Bäumen hingen und wo auf den Ästen uralter Fichten und Bergahorne dicke Moospolster und lange Bärte aus Flechten wuchsen. Ich baute Verstecke aus Zweigen und suchte Tiere. Laufkäfer zum Beispiel, die sich unter loser Baumrinde in Winterstarre befanden. Vom Hang her drang der Lärm der anderen zu mir hinauf, die mit dem in meinen Augen immer gleichen Auf und Ab glücklich waren. Während ich, im Wald, immer neue, aufregende Entdeckungen machte. Neben kältestarren Insekten fand ich geheimnisvolle Tierspuren oder alte Vogelnester. Manchmal erhaschte ich einen flüchtigen Blick auf einen Tannenhäher oder einen Kolkraben. Meist währte mein Glück im Wald jedoch nicht lange. Ich wurde zurückgerufen, gerügt und anschließend überredet, den Skizirkus mitzumachen.

Woher mein ausgeprägtes Naturinteresse stammt, ist unklar. Meine Vorfahren hatten alle möglichen Berufe, aber Biologen und Tierkundler waren nicht darunter. Mein Vater war Physiker und Patentanwalt und meine Mutter Grundschullehrerin. Die Eltern akzeptierten meine Leidenschaft irgendwann und begannen sie schließlich zu fördern – und zu instrumentalisieren, wenn es um die Schule ging. So mancher Appell an mich wegen meiner chronisch schlechten schulischen Leistungen endete mit dem Halbsatz: »… dann bekommst du ein neues Terrarium.« Entsprechend begannen meine Widerreden häufig mit: »Wenn ich ein neues Terrarium bekomme, dann …« Bald war ich Mitglied in mehreren naturkundlichen Vereinen, und mein Kinderzimmer füllte sich mit Tieren. Beim Schein der Neonbeleuchtungen aus meinen mit Wurzeln und Pflanzen eingerichteten Terrarien und beim Zirpen der Futterheimchen fühlte ich mich wohl. Heimchen, die entkommen waren und sich hinter die Randleisten des Parkettbodens zurückgezogen hatten, fütterte ich mit Salat, den ich in kleine Fetzen rupfte und auf den Boden legte.

Es gibt nach wie vor Terrarien in unserem Haus. Nicht mehr so viele wie in meiner Kindheit, und sie bedeuten mir nicht mehr so viel. Aber aus einem der Kinderzimmer leuchtet eine moderne, energiesparende UV-Lampe, und wenn ich in meinem Büro am Schnittcomputer sitze und an der Montage eines Tierfilms arbeite, schaut mir von der Seite ein untertellergroßer afrikanischer Grabfrosch zu. Und wenn sich heutzutage ein Futterheimchen hinter den Kühlschrank unserer Küche zurückgezogen hat, weil es dort warm und dunkel ist, freue ich mich nach wie vor über sein Gezirpe. Und ich habe mich schon dabei ertappt, wie ich auch heute noch die kleinen Sänger in ihrem Versteck mit Salatfetzen füttere.

Über das Für und Wider der Tierhaltung in Kinder- oder Wohnzimmer lässt sich vieles sagen, und für beides gibt es gute Argumente. Mir erscheint es jedoch unbestreitbar, dass die Tierhaltung den Pfleger Verantwortung lehrt und Interesse weckt für das Lebendige an sich. Ein Kind, das liebevoll und interessiert mit Tieren umgeht, entdeckt jede Menge Zusammenhänge und lernt dadurch fürs Leben. Als mein Sohn unlängst einen Freund als Übernachtungsgast in unserem Haus hatte, streiften die beiden abends durch die Wiesen und fingen Heuschrecken. Beide hörten aufmerksam zu, als ich ihnen den Unterschied zwischen Männchen und Weibchen bei den Zwitscherschrecken erklärte. Sie entschieden sofort, dass das Männchen, das sie jetzt daran erkennen konnten, dass ihm die lange Legeröhre fehlt, die dem Weibchen bei der Eiablage dient, nachts zwischen ihren Betten stehen sollte. Das namengebende, zwitschernde Gezirpe war für uns Eltern, ein Stockwerk darüber, nur mit Wohlwollen als angenehm zu empfinden. Aber die beiden Jungs lauschten gebannt dem grünen Musikanten, leuchteten mit der Taschenlampe immer wieder in die Plastikschachtel und schliefen in dieser Nacht sicher unruhiger als sonst. Aber: Sie machten eine intensive Heuschreckenerfahrung. Wenn sie als Erwachsene von bedrohten Heuschreckenarten lesen oder hören, wird sie das sicher anders berühren als Menschen, die noch nie einen Grashüpfer oder ein Heupferd auf der Hand hatten.

Für mich als Kind waren Eidechsen und Geckos das Nonplusultra. Mehrmals in der Woche ging ich auf Fangexkursion, um Lebendfutter für meine insektenfressenden Lieblinge zu besorgen: Prachtkieleidechsen, die...

Erscheint lt. Verlag 25.3.2019
Zusatzinfo mit farbigen Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte Agrarwende • Artensterben • Bienen • biologische Vielfalt • eBooks • Feuchtwiese • Insektensterben • Klimawandel • Löwenzahn • Naturschutz • Pestizide • Peter Wohlleben • Schmetterling • Volksbegehren
ISBN-10 3-641-23094-2 / 3641230942
ISBN-13 978-3-641-23094-4 / 9783641230944
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 15,0 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Wie du Vögel in dein Leben lässt. Witziger Einstieg in die …

von Véro (Veronika) Mischitz

eBook Download (2024)
Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
14,99