Erinnerung und Vermächtnis (eBook)

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2018 | 1. Auflage
240 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-562128-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Erinnerung und Vermächtnis -  David Ben Gurion
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Ben Gurion gibt Einblick in seine Erinnerungen und Gedanken aus einem langen Leben im Dienste an seinem Volk und für seinen Staat. Lebhaft, persönlich und reich an Episoden, sind diese Erinnerungen Autobiographie und Geschichte zugleich, ein Buch zum Verständnis Israels und seiner Stellung unter den Staaten der Welt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

David Ben Gurion wird 1886 in Plonsk (Ostpolen) geboren. 1906 wandert er nach Palästina aus. Dort wird er zu einem der Führer der Arbeiterbewegung. Dann juristisches Studium in Konstantinopel; 1915 Ausweisung aus Palästina, Aufenthalt in den USA; 1917 Rückkehr und Mitbegründung der Gewerkschaft Histradut. Ab 1933 führend im Zionistischen Weltkongreß. Am 14. Mai 1948 verkündet er die Neuerrichtung des Staates Israel, wird Ministerpräsident und Verteidigungsminister. David Ben Gurion stirbt 1973 in Ramat Gan, Israel.

David Ben Gurion wird 1886 in Plonsk (Ostpolen) geboren. 1906 wandert er nach Palästina aus. Dort wird er zu einem der Führer der Arbeiterbewegung. Dann juristisches Studium in Konstantinopel; 1915 Ausweisung aus Palästina, Aufenthalt in den USA; 1917 Rückkehr und Mitbegründung der Gewerkschaft Histradut. Ab 1933 führend im Zionistischen Weltkongreß. Am 14. Mai 1948 verkündet er die Neuerrichtung des Staates Israel, wird Ministerpräsident und Verteidigungsminister. David Ben Gurion stirbt 1973 in Ramat Gan, Israel.

Die Juden


(»Ich sehe den Menschen durch die Sache.« So beurteilt General Mosche Dajan David Ben Gurion. Die Sache ist und war stets Israel, der Kern, um den alle Gedanken und Handlungen einer völlig an ihr Ideal hingegebenen Persönlichkeit unablässig kreisten. In diesem Zusammenhang bedeutet Israel die Erfüllung eines militanten Judentums, das über Religiosität hinausgeht, seine Vision jedoch aus der Thora und seine Kraft aus der Tatsache des Judeseins schöpft.

Am Anfang müssen die Juden stehen, was sie im Licht der Vergangenheit und der Gegenwart betrachtet sind, was sie sein wollen. Es folgt also Ben Gurions Meinung über ein Volk, von dem er meint, es habe ›es schwer mit sich selber‹, und doch sei es von den eigenen Propheten aufgefordert, der Menschheit ein Beispiel zu geben.)

 

Die Juden gleichen manchmal den Sternen, manchmal dem Staub. Das gilt wohl für die Menschheit ganz allgemein, für alle Individuen. Immerhin sagt der Talmud das ausdrücklich von uns. Und als Volk neigen wir zum Extrem.

Unsere Besten haben nach sehr hohen Sternen gegriffen. Unsere Schlechtesten sind sehr tief gefallen, denn sie mußten die jüdische Ethik verneinen, die das moralische Bewußtsein betont und nicht zuläßt, daß man sich mit Ausflüchten über die Folgen seiner Handlungen täuscht. Die traditionelle preußische Unschuldsbeteuerung, man habe nur Befehlen gehorcht, ist völlig unjüdisch. Über Recht und Unrecht muß unserer Ansicht nach jeder einzelne mit seinem Gewissen ins reine kommen. Der Jude, der Böses tut, tut das unter Mißachtung einer inneren Stimme, die ihm sagt, wie er eigentlich handeln müßte, und daher ist die Last seiner Schuld besonders drückend. Überdies sagt das jüdische Moralgesetz, anders als das der Christen, seinen Anhängern nicht: »Du sollst dies oder das tun«, sondern es bestimmt nur, was man nicht tun darf, überläßt also jedem einzelnen, was er tun will. Die Bibel, unsere Bibel, das Alte Testament also, fordert nicht: »Sei klug«, »sei tugendhaft«, sondern es mahnt: »Du sollst nicht töten«, »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib.« Wenn der Jude sündigen will, ist es nicht genug, daß er handelt, er muß auch fundamentale Verbote verletzen, und das ist schon ein sehr schweres Vergehen.

Dem entspricht, daß es, um tugendhaft zu sein, nicht ausreicht, das Böse zu meiden. Man muß vielmehr einen Schritt weitergehen und das menschliche Dasein erleichtern helfen.

Ich meine, dieser Nachdruck, den die Juden auf Verbote einerseits und tätige Tugend andererseits legen, erklärt einen gewissen an ihnen zu bemerkenden Ehrgeiz und ihren hochentwickelten Sinn für Gerechtigkeit, oder besser Ungerechtigkeit. Die Juden haben sich immer leidenschaftlich an der geistigen Auseinandersetzung mit der Ungerechtigkeit beteiligt, und zwar nicht nur, wenn diese sie selber betraf, sondern ganz allgemein im Namen der Menschlichkeit. Wo Juden sind, da wird die Unmenschlichkeit des Menschen seinem Mitmenschen gegenüber bekämpft, sei es nun die Diskriminierung der Schwarzen in den USA, sei es die Verweigerung der Meinungsfreiheit in der Sowjetunion (ich denke hier besonders an den Schriftsteller Juri Daniel, der gewagt hat, das Regime zu tadeln und dafür eingekerkert wurde. Ich könnte noch viele andere Gleichgesinnte nennen.) Greifen diese Menschen nicht wirklich nach den Sternen? Ich meine, ja.

Alles, was wir als Juden sind – nicht ausgeschlossen die Neigung, gelegentlich über die traditionellen Grenzen hinauszugehen –, kommt unmittelbar aus der Bibel. Als Volk sind wir an Zahl gering und sind es immer gewesen. Wären wir nicht das Volk der Bibel, wer hätte je von uns gehört? Wir müßten froh sein, wenn wir in den Geschichtsbüchern als Fußnote erschienen. So aber ist ein großer Teil der Menschheitsgeschichte unser Werk. Wir sind niemals weit vom Hauptschauplatz entfernt gewesen, oft zu unserem Unglück und unter großer Gefahr.

Immer wieder erstaunt mich der Beitrag, den Juden zum Denken der Menschheit geleistet haben. So viele beachtliche Denker waren Juden. Ihr Werk, ihre Gedanken beeinflussen das Leben der Menschen überall, auch jener, die nichts davon wissen oder die diese Gedankenwelt ablehnen. Man kann die Lehre von Marx leidenschaftlich verteidigen oder verdammen, aber die Wirkung von Marx’ Denken kann man nicht bestreiten. Und für Freud und sein Werk gilt das gleiche.

Vom Griff nach den Sternen sprach ich, weil ich an den dachte, der den Fortschritt der Menschen buchstäblich zu den Sternen hin ermöglicht hat, Albert Einstein. Soweit mir bekannt, ist er der bedeutendste Theoretiker unseres Jahrhunderts. Es war mir vergönnt, ihn persönlich zu kennen und einen Eindruck von dem Edelmut dieses Mannes zu gewinnen.

Wir haben heute in Israel keine Individuen, die nach den Sternen greifen. Solche Höhenflüge des Geistes müssen vorbereitet sein. Ein Franzose sagte mir einmal, ein wirklich erstklassiger Weinberg brauche tausend Jahre zu seiner Entstehung. Wir haben zwar eine viertausendjährige Geschichte, sind aber erst seit so kurzer Zeit wieder in Israel, daß wir alle unsere Aufmerksamkeit dem Überleben widmen müssen. Mit der Zeit werden wir gewiß auch unseren Anteil an Künstlern und Wissenschaftlern, Philosophen und Dichtern hervorbringen.

Immerhin ist das bloße Vorhandensein des Staates Israel bereits eine bemerkenswerte Leistung, an der ein jeder teilhat. Und ich kenne viele Juden, die hier, wenn man ihr Leben einmal daraufhin betrachtet, ob sie zum Heil der Menschheit beitragen, ein sehr viel nützlicheres Dasein führen als ihre Brüder in der Diaspora.

Was nun Tugenden und Laster angeht, so ist unsere Geschichte in Israel da recht bewegt gewesen. Zu Zeiten Jesajas haben die Propheten uns als das verworfenste Volk von allen geschmäht und uns den Untergang vorausgesagt. Hat etwa unsere Schlechtigkeit uns die Heimat gekostet? Heute, zweitausend Jahre später, kann ich darüber nicht urteilen. Immerhin weiß ich aber, daß die Wiedergewinnung unseres Heimatlandes auf einen außergewöhnlichen Akt kollektiver Tugend zurückzuführen ist, der von vielen Tausenden nur unter schweren Opfern vollzogen werden konnte, begleitet von allgemeinem Skeptizismus, ja Hohn, womit ja die große Mehrheit der Menschen, die Juden nicht ausgenommen, bedeutende Unternehmungen häufig bedenkt.

Die Wiedergeburt Israels ging nicht von einem Tag auf den anderen vor sich. Sie ist auch nicht einer völkerrechtlichen Absprache zu danken. In allem Ernst hat sie vor genau hundert Jahren begonnen, im Jahre 1870, als die ersten Pioniere ihre relative Sicherheit in Osteuropa und Rußland aufgaben und herkamen, entschlossen, auf den Fundamenten der alten Heimat die neue nationale Heimstatt der Juden zu errichten. Selbstverständlich hatten in dem Palästina genannten Gebiet immer Juden gelebt, jüdische Gemeinwesen bestanden. Doch die Nation Israel ist das Werk dreier Generationen. Auch heute noch wird an diesem längst nicht beendeten Werk gearbeitet, und am reinsten ist diese Arbeit ausgeprägt hier in der Wüste, wo ich wohne, und wo alles, was ist, von uns geschaffen wurde, aus dem Nichts.

Um auf die intellektuelle Ruhelosigkeit der Juden zurückzukommen, ihre tradierte Abscheu gegen Ungerechtigkeit, einerlei wie abstrakt oder gegen wen gerichtet, ihre, man könnte fast sagen besessene Suche nach Wahrheit, so habe ich schon gesagt, daß diese ihre Neigung auch an der Bibel zu bemerken ist. Sowohl für die Bibel als auch für die Juden seither, als Individuen wie als Volk, war die Kernfrage die nach dem Auftrag des Menschen in dieser Welt. Dieser Auftrag scheint eine Funktion dessen zu sein, was als die höchste Eigenschaft des Menschen gilt, seine Schöpferkraft.

In dieser Hinsicht ist die Genesis höchst aufschlußreich. Die Evangelien beginnen mit der Geburt des Jesus; der Koran mit Mohammed. Die Thora jedoch beginnt weder mit Mose noch auch mit Abraham, dem ersten Juden, dem Mann, der von Chaldäa über den Euphrat ins Unbekannte wanderte, was ihn zum ersten Pionier machte und zum ersten Hebräer, also dem, ›der übersetzte‹, über den Fluß nämlich. Nein, die Thora beginnt mit der Schöpfungsgeschichte, und wir erfahren, daß sechs Tage nach Erschaffung des Lichtes, der Pflanzen und aller Tiere, am letzten Schöpfungstag ein Mann und eine Frau gemacht wurden, und zwar nach dem Bilde Gottes. Ich selber, der ich nicht religiös bin, meine, daß die Theologen hier den Lauf der Dinge umgekehrt haben, daß vielmehr Gott nach dem Bilde des Menschen ›erschaffen‹ wurde, weil dieser sich so das Geheimnis seines eigenen Daseins auf der Erde erklären wollte. Aber davon später mehr.

Die Bibel, derzufolge der Mensch von Gott gemacht wurde, bezeichnet Adam als Gottes Stellvertreter auf Erden. Gott steht so hoch über dem Menschen, daß dieser sich Ihn nicht einmal vorstellen kann. Man sagt uns, Gott sei die verkörperte Liebe, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, und wenn die Thora vom Menschen als nach Seinem Ebenbild geschaffen spricht, so will sie sagen, er müsse sich bemühen, diese Eigenschaften zu erwerben.

Das bemerkenswerteste an Gott ist aber seine Schöpferkraft, der der Mensch selber sein Dasein verdankt – der Bibel zufolge. Ob ihm dies nun zukommt oder nicht, der Mensch hat seit Adams Tagen sich bemüht, an dieser Schöpferkraft teilzuhaben. Das scheint mir der entscheidende Punkt zu sein. Gott tut das Unmögliche, der Mensch müht sich, das scheinbar Unmögliche zu vollbringen. Er fliegt zum Mond. In einer so offensichtlich unfruchtbaren Wüste wie dem Negev läßt er Milch und Honig fließen. Das ist unmittelbare Teilhabe am Abenteuer der Schöpfung.

Gott schuf auch den Garten Eden. Der gefiel dem Menschen aber nicht sehr. Der Mensch...

Erscheint lt. Verlag 29.6.2018
Übersetzer Günther Danehl
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Autobiographie • Autobiographie,Israel,Staat • Erinnerungen • Israel • Staat
ISBN-10 3-10-562128-8 / 3105621288
ISBN-13 978-3-10-562128-8 / 9783105621288
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