Vor der Deportation (eBook)

Briefe an die Töchter. Januar 1939-Dezember 1942
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2017 | 1. Auflage
128 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-561950-6 (ISBN)

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Vor der Deportation -  Hertha Feiner
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Die erschütternden und bewegenden Briefe, die die deutsche Jüdin Hertha Feiner zwischen 1939 und 1942 an ihre halbwüchsigen Töchter in ein Schweizer Internat schrieb: »Es steht sehr ernst, und es gibt nur eine Rettung für mich, und das seid Ihr, eine oder beide. (...) Wenn es uns jetzt nicht gelingt, uns wiederzusehen, so ist keinerlei Hoffnung für später.« (19.6.1942) Am 12.3.1943 wurde Hertha Feiner mit dem 36. Osttransport nach Auschwitz deportiert und nahm sich während der Fahrt das Leben. Sie hat ihre beiden Töchter nicht wiedergesehen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Hertha Feiner, geboren 1896 in Hamburg, Tochter eines jüdischen Schuldirektors, studierte ebenfalls Pädagogik und arbeitete bis 1933 als Lehrerin an der Hamburger Schule Meerweinstraße. 1925 und 1927 Geburt der Töchter Inge und Marion, 1933 Scheidung, im selben Jahr Entlassung aus dem Staatsdienst und Arbeit als Hilfslehrerin an einer jüdischen Schule. 1935 Übersiedlung nach Berlin, bis 1941 Lehrerin an verschiedenen jüdischen Schulen. 1939 Übersiedlung der beiden Töchter in die Schweiz. Ab 1941 Zwangseinsatz bei der Jüdischen Gemeinde zur Vorbereitung der Deportationen. 1943 Selbstmord während des Transports nach Auschwitz.

Hertha Feiner, geboren 1896 in Hamburg, Tochter eines jüdischen Schuldirektors, studierte ebenfalls Pädagogik und arbeitete bis 1933 als Lehrerin an der Hamburger Schule Meerweinstraße. 1925 und 1927 Geburt der Töchter Inge und Marion, 1933 Scheidung, im selben Jahr Entlassung aus dem Staatsdienst und Arbeit als Hilfslehrerin an einer jüdischen Schule. 1935 Übersiedlung nach Berlin, bis 1941 Lehrerin an verschiedenen jüdischen Schulen. 1939 Übersiedlung der beiden Töchter in die Schweiz. Ab 1941 Zwangseinsatz bei der Jüdischen Gemeinde zur Vorbereitung der Deportationen. 1943 Selbstmord während des Transports nach Auschwitz. Karl Heinz Jahnke, geboren 1934, 1953–1968 Studium und anschließend Lehr- und Forschungstätigkeit (Geschichte) an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, 1960 Promotion, 1966 Habilitation, 1968–1991 Universität Rostock, ab 1973 als ordentlicher Professor für Deutsche Geschichte der Neuesten Zeit. 1991 Gastprofessur an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Hauptforschungsgebiete: Widerstand und Verfolgung im Dritten Reich, Jugendgeschichte, Regionalgeschichte Mecklenburgs. Karl Heinz Jahnke starb 2009 in Rostock. Karl Heinz Jahnke, geboren 1934, 1953–1968 Studium und anschließend Lehr- und Forschungstätigkeit (Geschichte) an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, 1960 Promotion, 1966 Habilitation, 1968–1991 Universität Rostock, ab 1973 als ordentlicher Professor für Deutsche Geschichte der Neuesten Zeit. 1991 Gastprofessur an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Hauptforschungsgebiete: Widerstand und Verfolgung im Dritten Reich, Jugendgeschichte, Regionalgeschichte Mecklenburgs. Karl Heinz Jahnke starb 2009 in Rostock. Wolfgang Benz, 1941 in Ellwangen/Jagst geboren, Dr. phil., Historiker, war bis 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte und von 1990 bis 2011 Professor und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Zudem war er Herausgeber der im Fischer Taschenbuch erschienenen Buchreihe »Europäische Geschichte«.

Hertha Feiner

Briefe an die Töchter


Berlin/Wilm., 29. 1. 39

Rudolstädterstr. 104

Meine lieben, süßen Kinder!

Euren lieben Brief aus Frankfurt habe ich erhalten, vielen Dank, aber Ihr habt mir keine Adresse geschickt, so daß ich heute nach Zürich schreibe in der Hoffnung, daß Euch dieser Brief nachgeschickt wird. Ihr habt ja eine feine Fahrt gehabt, und sicherlich wird es weiter sehr schön für Euch sein. Auf Eure ausführlichen Berichte freue ich mich sehr und warte darauf. Genießt nur alles in vollen Zügen, vor allem die herrliche Natur, die viel wichtiger und besser ist und macht, als alles von Menschenhand Geschaffene. Und in der Natur gelten wir alle dasselbe, ob arm, ob reich, ob Jude, ob Christ, und da braucht sich keiner des anderen zu schämen. Wo Ihr wohl jetzt seid, während ich schreibe? Was ich denke und fühle, will ich Euch nicht schreiben, um Euch das Herz nicht schwer zu machen, aber Ihr wißt ja, all mein ganzes Sein ist bei Euch. Fragt mich, erzählt mir, alles möchte ich wissen und werde Euch auf alles antworten. Wie wohl das fremde Land, die fremden Menschen auf Euch wirken?

Den nächsten Brief schreibe ich in die Schule, hoffe aber, daß ich bis dahin wieder von Euch gehört habe.

Ich soll Euch schön grüßen von Onkel Hans und seiner Frau, ich war gestern den ganzen Tag bei ihnen. Sie wohnen sehr hübsch. Heute kam ein ganz langer Brief von Hochschilds aus Baltimore, sie denken viel an uns, ihnen geht es sehr gut. Ich soll ihnen Eure Adresse schreiben (sie gratulieren Dir, liebe Inge, zum Geburtstag).

Ob Ihr wohl Montag abend anruft??

Wenn Ihr schlafen geht, gebt Euch abwechselnd von mir einen Gutenachtkuß, Ihr wißt schon, wie ich das meine. Ich bin nur froh, daß Ihr zusammen seid! Sicherlich sorgt der Vati gut für Euch; seid Ihr auch so, daß Ihr meiner Erziehung Ehre macht? Ich glaub es! Ingelein, nicht so empfindlich, und Marion, nicht so hochnäsig?? Meine Gedanken sind immer bei Euch, nur wissen sie nicht, wo Ihr seid, aber sie brauchen ja weder Paß noch Fahrkarte!

Seid innigst, herzlichst, fest umarmt und geküßt von Eurer Euch sehr, sehr liebhabenden

Mutti

*

Berlin/Wilm., 7. 2. 39

Meine inniggeliebten Süßen!

Diesen Brief werdet Ihr wohl vorfinden, wenn Ihr von der Skihütte kommt. Sicherlich war’s fein, hoffentlich bekomme ich bald Nachricht von Euch über alles. Seid Ihr auch schön vorsichtig? Habt Ihr gutes Wetter gehabt? Schreibt nur ehrlich alles, auch wenn’s mal nicht so nach Eurem Geschmack ist, aber ich muß das Bewußtsein haben, daß Ihr mir alles mitteilt. Ihr versteht mich doch!! Von hier kann ich wenig Neues berichten. Ich habe noch nichts gehört und glaube jetzt bald nicht mehr daran, daß ich nach England komme. Tante Irma hat eine Stellung als Gesellschaftsdame nach England und kann sogar ihre Mutter mitnehmen. Am 14. 2. kommt sie aus Wien zurück und wird dann zur Ausreise rüsten. So wird es leer und leerer.

Ich soll Euch viele Grüße ausrichten; am meisten wird Euch ein Gruß von Herrn Klimke erfreuen und von dem Mann an der Sperre. Ich sammle für Euch »Sterne«, und wenn es 10 sind, schicke ich sie Euch. Wollt Ihr sonst noch Bücher haben; man kann Bücher zollfrei schicken und Warenproben bis 100 g; ich schicke Euch zum Wochenende ein paar Süßigkeiten. Bei Arnold Müller habe ich mir heute einen guten Mantel gekauft; schade daß Ihr ihn nicht sehen könnt. Habe ich Euch schon geschrieben, daß ich das Schlafzimmer für 300RM verkauft habe und die Küche für 30,–? Wer von der Leßler-Schule Ostern noch an Lehrern und Schülern da ist, wird zur Holdheim-Schule übergehen.

In der Schule gibt es nichts Neues. Herr Poeschke hat keine Devisen bekommen, daher kann er Euch leider vorläufig nicht besuchen.

Vati hat geschrieben, daß er mich nächste Woche besuchen will; hoffentlich sehe ich dann schon klarer. Schnackchen läßt Euch schön grüßen; sie liegt schon im Bett. An Überarbeitung leidet sie momentan auch nicht, wie Ihr Euch denken könnt, vermietet habe ich noch nicht, aber ich möchte gern jemand Nettes hineinbekommen.

Nun schreibt mir viel, ehrlich und alles, was Ihr denkt und tut. Ich habe noch nicht an die Schule geschrieben; Ihr sollt mir sagen, an wen ich mich wenden soll, zu wem Ihr am meisten Vertrauen habt. Seid ganz lieb gegrüßt, umarmt und geherzt (in Gedanken nehme ich Euch beide auf den Schoß) von Eurer Euch sooo liebhabenden

Mutti

*

Berlin, 19. 2. 39

Meine innig Geliebten!

So ein Sonntag ist ja viel schöner, wenn morgens so ein goldiger Brief durch den Schlitz fällt. Recht innigen Dank!

Jetzt ist der Bann wohl gebrochen. Auf das heutige Telefongespräch freue ich mich. Ich bin allerdings bei Dr. Opfers, denn Tante Margot fährt am Dienstag, aber ich habe alle Gespräche von nachmittags 500 – abends 1000 durch den Kundendienst dorthin legen lassen.

Unsere Karte werdet Ihr inzwischen bekommen haben. Vati war Freitag und Sonnabend hier (jetzt ist er in Hamburg), und über eines habe ich mich ganz besonders gefreut: Er sagte mir, Ihr hättet Euch tadellos benommen. Na – bei der Erziehung!! Er war sehr nett und möchte mir gern helfen, aber bis jetzt hat sich noch kein Permit gezeigt. Gestern hatten wir Damenabschiedsabend bei Frau Hirschbach, alle fahren, nur Fräulein Cenki, sie rechnet mit Juli, Fräulein Schwarze in 2 Jahren, und ich sind nächste Woche noch hier. Frau Leßler und Fräulein Heine, die aber nicht da waren, verabschieden sich am Dienstag. Und wißt Ihr, wer zu mir zieht: Herr und Frau Marcus und eine Freundin von ihnen (ich sehe ganz genau Eure Gesichter). Fräulein Schn. geht am 1. 3.; sie sucht sich gerade ein Zimmer (alle Zähne sind ihr gezogen worden – schaurig). Ich behalte vorn das Zimmer und Marcus und Genossen bekommen das Schlaf- und Schnackchens Zimmer. Frau Marcus kocht für mich mit und macht mein Zimmer mit. Da spare ich viel Geld und hoffe doch, daß ich es gemütlich habe. Was sagt Ihr dazu?

Ich schreibe im Bett, wie Ihr vielleicht an der Schrift schon gemerkt habt, aber ich habe mich die ganze Woche sehr elend gefühlt (Erkältung und noch etwas anderes), so daß ich mich mal richtig ausruhen muß.

Die Bücher schicke ich Dir gern, liebes Ingelein, aber vielleicht kann ich Mariönchen gleich einige mitschicken, also schreibe mir, kleines Makrönchen. Fein, daß Ihr Latein lernt, und daß Euch der Musikunterricht so viel Freude macht. Wie gut Ihr es habt, habe ich gestern erst wieder empfunden: Helga Horwitz aus Deiner Klasse, liebe Marion, ist im Ausland (ich weiß nicht, wo auf dem Lande bei Bauern, sie muß Dielen scheuern, Kühe melken und die gröbste Arbeit tun und kann keinen Brocken essen, weil die Leute so unmanierlich und schmutzig sind). Tante Irma ist noch in Wien. Rolf gebe ich die Marken. Wer hat Euch denn den Lampenschirm gekauft? Über das gute Essen freue ich mich; haust Du auch ordentlich rein, liebe Marion, bei Inge habe ich keine Sorge. Ich lege Euch ein anderes Bild ein, bitte tauscht es und schickt mir das alte wieder, aber ich finde diese Abzüge viel besser. Sogar Vati hat sich eines ausgebeten.

Wollt Ihr mal wieder ein Päckchen? Wie ist es mit B? Jetzt ist es 400, in 3 Stunden sprechen wir uns; wie fein! ick frei mi!!

Innigste, liebste Küßchen; ganz fest nehme ich Euch in meine Arme, Ihr beiden Süßen, und wenn Ihr diesen Brief gelesen habt, dann gebt Euch einen dicken Kuß, weil Ihr Euch so lieb habt. Vertragt Euch weiter so gut und behaltet lieb Euer

treues Mütterlein!

*

Berlin/Wilm., 20. 4. 39

Meine geliebten Kinder!

Heute erhielt ich Euren feinen Brief und auch Deinen Brief, liebes Mariönchen, fand ich hier vor, als ich aus Wien kam. Wenn Ihr schreibt, bin ich zufrieden. Muschichen, ich kann ja Deinen Wunsch, schneller älter zu werden, im Augenblick verstehen, aber so etwas gibt sich mit jedem Tag mehr, und wenn man erst in meine Jahre kommt, kann es einem gar nicht langsam genug gehen. Heute kann ich Dir, liebes Ingelein, meine Maße nicht schicken, denn es ist bereits 11 ½ Uhr nachts, und ich habe niemanden, der mich mißt; aber bestimmt im nächsten Brief.

War der Vati inzwischen dort? Schreibt mir nur ganz bald. Eure Ausflüge waren sicherlich nett, aber warum durfte Marion nicht mitgehen? Und Du hast auch getanzt, Ingelein, das ist recht; ich möchte auch mal wieder tanzen. Dein Spiel, Makrönchen, hat mich sehr interessiert und jetzt habe ich es auch verstanden, denn Du hat es hübsch aufgezeichnet. Ich werde es mal mit den Latté-Kindern spielen, denn die haben ja Schipps.

Mir geht es gut. Ich sehe noch braun aus. Gestern war der erste Schultag, und meine Kinder haben sich wirklich gefreut, mich als Lehrerin behalten zu haben. Heute war frei (Hitlers Geburtstag). Die Leßler-Schule gibt es nun nicht mehr; in das Gebäude in der Kronbergstr. zieht die Goldschmidt-Schule. Marion Latté geht bis zur Auswanderung dort hin, sie wird wohl bald fahren.

Postkarte von Hertha Feiner an ihre Töchter Inge und Marion Asmus in Gland, 15.3.1939. (Rückseite)

Tante Margot und Evchen sind in London bei einem jungen Ehepaar mit Baby gelandet und fühlen sich jetzt sehr wohl. Hochschilds haben...

Erscheint lt. Verlag 29.12.2017
Reihe/Serie Die Zeit des Nationalsozialismus – »Schwarze Reihe«
Die Zeit des Nationalsozialismus. "Schwarze Reihe".
Einführung Karl Heinz Jahnke
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Wolfgang Benz
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Abbildungsnachweis • Antisemitismus • Berlin • Briefe • Deportation • Deutschland • Drittes Reich • England • Geburtstagskuß • gland • Gösta Berling • Hamburg • Heinz Landau • Hertha Feiner • Johannes Asmus • Lebensbild • Marion Asmus • Marion Berlin • Meerweinstraße • Muschichen • Nationalsozialismus • Novemberpogrom • Ostern • Postkarte • Sachbuch • Schweiz • Stundenplan • Transport • Veranlagung • Weihnachten
ISBN-10 3-10-561950-X / 310561950X
ISBN-13 978-3-10-561950-6 / 9783105619506
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