Pferdefrauen ticken anders (eBook)
300 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98366-2 (ISBN)
1972 im Sauerland geboren, aber in Niedersachsen aufgewachsen, lebt Tina Wolff zwischen Moor und Heide auf dem platten Land. Eine Schauspielausbildung, ein Examen im medizinischen Bereich, die Familie, Ponys, Hunde, Katzen und ein dickes braunes Pferd ergeben das Resultat ihres Lebens: Ein Landei mit normalem Job und jeder Menge Geschichten im Kopf.
1972 im Sauerland geboren, aber in Niedersachsen aufgewachsen, lebt Tina Wolff zwischen Moor und Heide auf dem platten Land. Eine Schauspielausbildung, ein Examen im medizinischen Bereich, die Familie, Ponys, Hunde, Katzen und ein dickes braunes Pferd ergeben das Resultat ihres Lebens: Ein Landei mit normalem Job und jeder Menge Geschichten im Kopf.
Immer ich
Norddeutschland, Eichenloh
»Heinrich! Du verdammter alter Sack!« Lisa konnte schon immer fluchen wie ein altes Kesselflickerweib, sehr zum Leidwesen ihrer Familie. Freunde hatten sich damit längst abgefunden. Heinrich, das war ein stoffeliges Kaltblutpferd mit einer unterirdischen Arbeitsauffassung. Sein braunes Fell glänzte in der Spätsommersonne, die lange Wuschelmähne ließ er gekonnt im Wind wehen, er pupste unverdrossen und bockte durch die Reitbahn, weil er davon ausging, dass seine Herrin auf seinem Rücken das genauso toll fand wie er. Ihrem Geschimpfe nach zu urteilen, hatte er wohl recht.
»Ich möchte einmal erleben, dass du auf diesem Pferd reitest und nicht schimpfst«, ließ sich Tom vernehmen, der natürlich genau in diesem Moment auf das Gatter stieg, das die Reitbahn begrenzte. In typischer Cowboy-Manier setzte er sich auf den obersten Holm und rückte seine Baseballkappe gegen die Sonne zurecht, damit er nur ja nichts von dem Schauspiel verpasste.
»Hä-hä-hä«, lachte Lisa und tippte sich an die Stirn. »Herkommen, selber reiten und besser machen.«
»Der Dicke und ich haben ein Gentlemen’s Agreement, was nicht übers Füttern und Saubermachen hinausgeht. Schon vergessen?« Tom blinzelte. Wenn er die Augen zukniff und Lisa auf dem wilden Heinrich gegen die Sonne betrachtete, kam sie ihm vor wie eine Walküre. Ein bisschen wie Brunhilde vom Isenland, die gegen Männer kämpfte, mit Speeren warf und Steine schleudern konnte. Lisas dicker blonder Zopf wirbelte, als Heinrich zum nächsten Bocksprung ansetzte, aber er schaffte es nicht, seine Reiterin abzusetzen. Tom war sich sicher, dass er das auch gar nicht beabsichtigte. Er war felsenfest davon überzeugt, dass dieses braune Pferd – das Hufe wie Suppenterrinen besaß, einen Hintern so breit wie ein Sofa und das Gemüt eines störrischen Esels – genau wusste, wem es sein Leben zu verdanken hatte. Denn Lisa hatte vor fünf Jahren die Chuzpe besessen, diesen Berserker zu kaufen, damit er nicht in die Wurst musste.
Die beiden haben sich gegenseitig verdient, dachte Tom zufrieden, als Heinrich sich dann doch dazu herabließ anzugaloppieren, was Lisa in wahre Freudenjuchzer versetzte.
»Guck, Tommi, guck! Er kann Galopp auf dem Reitplatz.« Vor lauter Freude vergaß sie, sich weiter zu konzentrieren, und Heinrich beschloss daraufhin, die Stunde zu beenden. Er parierte selbstständig vom rumpeligen Kuh-Galopp zum Schritt durch, bog in die Mitte der Reitbahn ab und schlenderte seelenruhig auf Tom zu. Dass er dabei seine Reiterin verloren hatte, war ihm gar nicht aufgefallen.
Lisa hing am gegenüberliegenden Gatter und seufzte. »Möchte jemand ein dickes braunes Kaltblutpferd kaufen? Habe mich gerade dazu entschlossen, das Reiten aufzugeben.« Brummig rieb sie sich die Rippen und stapfte Heinrich hinterher, der sich von Tom mittlerweile mit Hustenbonbons füttern ließ.
»Nö, danke.« Tom grinste seine beste Freundin an. »Der Dicke ist eben ein Holzrücker und kein Dressurpferd. Aber es sah schon ganz gut aus.«
Kopfschüttelnd stand Lisa neben ihrem Pferd, das sich nun zu ihr umdrehte, als wolle es sagen: »Hey Lisa, auch da? Lange nicht gesehen. Du, der Tom hat Bonbons in der Tasche.«
Sie schnallte die Steigbügel hoch, nahm Sattel und Trense ab und wuschelte dem unmöglichen Ross durch den schwarzen Schopf.
Sie liebte dieses sture Pferd, weil es stur war oder besser selbstständig, wie Tom das nannte. Diese Charaktereigenschaft mochte sie, weil sie selber so war. Eine gewisse Art von Stolz war es wohl, die andere als Arroganz bezeichneten. Sollten sie doch. Lisa war das egal. Mit ihrer Körpergröße von eins fünfundachtzig konnte ihr sowieso kaum einer das Wasser reichen. Zumindest bildete sie sich das ein.
Sie setzte sich neben Tom, kramte einen zerknautschten Tabaksbeutel aus ihrer Reitweste und drehte sich eine Zigarette. Ihr war schon klar, dass sie damit eine Diskussion heraufbeschwor, von wegen Rauchen sei gesundheitsschädlich, auch für andere, die passiv mitrauchen müssen, Rauchen lässt die Haut früher altern und es gibt Krampfadern und schlimmen Husten und Mundgeruch und, und, und.
Aber Tom war damit beschäftigt, Heinrich dabei zuzusehen, wie er sich laut schnorchelnd einen Wälzplatz suchte, was sich minutenlang hinziehen konnte. Der Dicke war da sehr wählerisch. Endlich ließ er sich pupsend in den Sand fallen und begann sein Wälzritual. Erst umfallen, Kopf und Hals genüsslich im Sand scheuern, dann rumkullern auf die andere Seite, zurückkullern, das Gesicht an den Vorderbeinen abreiben und aufstehen. Wie ein Pistolenschuss knallte der letzte Pups hervor, und Heinrich bockte noch eine Runde ohne Lisa über den Platz.
»Du solltest wirklich mal was gegen seine Blähungen tun. Es ist doch nicht normal, dass ein Pferd so viel furzt«, sagte Lisa und pustete den Zigarettenrauch weit von Tom weg.
»Wieso ich? Ist doch dein Pferd.«
»Du bist hier der Futtermeister. Das kommt bestimmt von den Hustenbonbons, die du ihm immer zusteckst.«
»Er mag sie halt gerne.«
»Hmmh, von wegen Gentlemen’s Agreement. Hustenbonbon-Agreement trifft es wohl eher.«
Lisa entspannte sich bei dieser Unterhaltung. Blödsinn konnte sie mit Tom stundenlang machen. Manchmal waren sie so albern dabei, dass sie wie doof durch den Stall hopsten, sich mit Stroh bewarfen und Mickey-Maus-Stimmen nachahmten. Mit Tommi war es immer schön. Entspannt. Heimelig. Einfach. Gut.
»Wolltest du dich nicht wegen irgendwas beeilen?«, fragte Tom, und Lisa schoss hoch.
»Ach, du liebe Zeit! Oh Gott, ich muss ja noch in die Stadt. Wir treffen uns zum Essen. Oh-nein-oh-nein-oh-nein. Heinrich, komm schnell!«
Genüsslich verschränkte Tom die Arme. Es gab etwas, was niemals funktionierte, und das war: Heinrich und schnell.
»Lass mal gut sein, Lieschen. Fahr du los, ich mach das schon.«
Dafür kriegte er ein Küsschen auf die Wange und wurde um weiteree Hustenbonbons angebettelt. Eins schob Lisa sich selbst in den Mund, das andere gab sie Heinrich. Sie schmatzte auch ihm ein Bussi auf und dann düste sie mit einem »Mach’s gut, Dicki« davon.
Tom öffnete das Gatter, denn er wusste, dass alles, was nicht mit Strom gesichert war, irgendwann von Heinrich kaputtgemacht wurde. Deshalb war der großzügige Offenstall ausgerüstet wie ein Hochsicherheitstrakt. Es ging dem dicken Pferd gar nicht darum wegzulaufen. Es wollte einfach nur ausbrechen. Und so ein lächerlich kleiner Holzzaun zerbarst vor seiner massigen Brust wie ein Streichholz. Seitdem Heinrich bei Tom eingezogen war, ging ständig irgendwas kaputt. Seinen Einstand hatte er mit einer abgebrochenen Tränke gefeiert und dabei den halben Stall unter Wasser gesetzt. Dann waren nach und nach alle kleinen Bäume und Sträucher im Auslauf verschwunden, weil Heinrich sie entweder aufgefressen oder umgeknickt hatte. Sämtliche Eimer waren von ihm geschrottet worden, ein Stuhl, die Trittleiter, die als Aufstieghilfe gedient hatte, ebenso zwei Boxenwände, die Heuraufe und die Bürsten, die als Kratzstation an der Wand angebracht waren. Und immer guckte der Dicke seinen Hustenbonbon-Geber an, als wolle er sagen: »Das ist irgendwie kaputtgegangen. Ich weiß auch nicht warum.«
So ein Pferd hatte Tom noch nie erlebt. Er glaubte nicht, dass das alles typisch für Kaltblüter war, denn hier in der Lüneburger Heide gab es noch einige, die Planwagen mit Touristen durch die wunderschöne Landschaft zogen, und von denen hatte er nie solche Geschichten gehört.
Sattel und Trense nahm Tom mit und ging Heinrich hinterher, der selbstständig den Weg zum Stall entlangdrömmelte. Weglaufen würde er nicht, da war Tom sich sicher. Das Einzige, was Heinrich nach der anstrengenden Gymnastikstunde interessierte, war seine Heuraufe. Dazu bräuchte Tom ihm nur die Tür zum Stall zu öffnen, auf die Heinrich zustolperte. Toms Blick schweifte über den großzügigen Hofplatz, die alten Eichen, die wie Wächter vor dem Fachwerkhaus standen, und die weiten Wiesen, die sich anschlossen.
Opa Günther rollerte mit seinem Gehwagen um die Ecke, er wollte wohl zu einem Pläuschchen mit Käthe gehen, die am Ortsausgang in einem kleinen Häuschen lebte.
»Moin, Opa!«, rief Tom rüber.
»Moin, min Jung. Wie geiht di dat?«, krähte der Alte.
»Alles gut«, antwortete Tom und kam zu ihm, um einen kurzen Klönschnack zu halten. Danach ging jeder seines Weges. Tom betrat von der anderen Stallseite die Sattelkammer, hängte den breiten Kaltblutsattel und die riesige Trense auf, nahm Halfter und Putzkasten für sein Pferd mit und ging durch eine zweite Tür in den Offenstall hinüber. Eine schmale Stallgasse trennte zwei Notboxen vom Heulager und dem Innenbereich, der den Pferden jederzeit zur Verfügung stand. Hier konnten sich alle Tiere unterstellen, sich ins Stroh legen und schlafen, wenn das Wetter draußen zu ungemütlich wurde oder die Stechfliegen im Sommer zu sehr ärgerten.
Nur auf einen Pfiff hin kam Smokey vom weitläufigen Sandpaddock auf ihn zu. Sein lackschwarzes Fell glänzte, und mit einem tiefen »Höhöhöhmm« begrüßte er seinen Herrn. Am Wochenende bekam er immer das schicke Lederhalfter mit den Messingbeschlägen um und natürlich den schönsten Strick dazu. Tom achtete sehr darauf, dass alles gut passte und miteinander harmonierte.
Er war harmoniesüchtig, wie Lisa es nannte, sonst hätte er sich schon längst von seiner langjährigen Freundin...
Erscheint lt. Verlag | 1.12.2017 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Technik | |
Schlagworte | Bille und Zottel • Bücher • Chick-Lit • Frauenunterhaltung • Große Liebe • Jugendliebe • Kaltblut • Liebesromane • Neuerscheinung • Norddeutschland • Pferde • Pferdebuch • Pferdebuch für Erwachsene • Pferdegeschichte • Pferdemädchen • Poetry Slam • Reiten • Romane für Frauen • Schotte |
ISBN-10 | 3-492-98366-9 / 3492983669 |
ISBN-13 | 978-3-492-98366-2 / 9783492983662 |
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