Eine kurze Geschichte von jedem, der jemals gelebt hat (eBook)
464 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00095-7 (ISBN)
Dr. Adam Rutherford, geboren Mitte der 70er-Jahre in Ipswich, ist Science Autor und Radiojournalist. Er hat Genetik am University College London studiert und gehörte zu einem Team, das die genetischen Ursachen einer Form von Kinderblindheit identifizierte. Er schrieb und schreibt zahlreiche Serien und Radiofeatures für die BBC, darüber hinaus schreibt er für die Science-Seite des Guardian.
Dr. Adam Rutherford, geboren Mitte der 70er-Jahre in Ipswich, ist Science Autor und Radiojournalist. Er hat Genetik am University College London studiert und gehörte zu einem Team, das die genetischen Ursachen einer Form von Kinderblindheit identifizierte. Er schrieb und schreibt zahlreiche Serien und Radiofeatures für die BBC, darüber hinaus schreibt er für die Science-Seite des Guardian. Monika Niehaus, Diplom in Biologie, Promotion in Neuro- und Sinnesphysiologie, freiberuflich als Autorin (SF, Krimi, Sachbücher), Journalistin und naturwissenschaftliche Übersetzerin (englisch/französisch) tätig. Mag Katzen, kocht und isst gern in geselliger Runde. Trägerin des Martin-Wieland-Übersetzerpreises 2021. Coralie Wink, Biologin und Autorin, Studium (Diplom) mit Schwerpunkt Mikrobiologie an der Universität Bonn, Promotion an der TU Braunschweig; freie Übersetzerin, Autorin (Arzneipflanzen, Giftpflanzen), liebt Botanische Gärten und lebt an der Bergstraße bei Heidelberg.
Einleitung
In einer fernen Zukunft sehe ich die Felder für noch weit wichtigere Untersuchungen sich öffnen. […] Licht wird auf den Ursprung der Menschheit und ihre Geschichte fallen.
Charles Darwin, Über die Entstehung der Arten, Kapitel 14: Allgemeine Wiederholung und Schluss, 1859
Diese Geschichte handelt von Ihnen. Es geht darum, wer Sie sind und wie Sie entstanden sind. Es ist Ihre ureigenste Geschichte, denn die Geschichte des Lebens, die sich in Ihrer Existenz manifestiert, ist einzigartig, so wie es für jeden Menschen gilt, der jemals das Licht der Welt erblickt hat. Und es ist gleichzeitig unsere gemeinsame Geschichte, denn als Botschafter für die Gesamtheit unserer Art sind Sie gleichzeitig typisch und außergewöhnlich. Trotz unserer Unterschiede sind alle Menschen bemerkenswert eng miteinander verwandt. Unser Familienstammbaum ist gestutzt und sieht mit seinen gewundenen Verästelungen überhaupt nicht wie ein Baum aus. Dennoch sind wir seine Frucht.
Bis heute haben etwa 107 Milliarden moderne Menschen existiert, auch wenn diese Zahl davon abhängt, wann genau man zu zählen beginnt. Sie alle – jeder von uns – sind enge Vettern, denn unsere Art hat einen einzigen gemeinsamen Ursprung, der in Afrika liegt. Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden, um auszudrücken, was das wirklich bedeutet. Damit ist beispielsweise kein einzelnes Paar gemeint, ein hypothetischer Adam und eine hypothetische Eva. Wir denken eher an Familien, Stammbäume, Genealogien und Vorfahren und versuchen, uns die ferne Vergangenheit in derselben Weise vorzustellen. Wer waren meine Vorfahren? Vielleicht ist Ihr Familienstammbaum einfach und übersichtlich, oder er ist wie bei mir recht unordentlich mit Ranken, die sich wie alte Drähte in einer Schublade ineinander verheddern. Aber so oder so, jedermanns Vergangenheit wird früher oder später ein verworrenes Durcheinander.
Wir alle haben zwei Eltern, und unsere Eltern hatten zwei Eltern, und deren Eltern hatten zwei Eltern, und so weiter. Wenn man so fortfährt bis zum Zeitpunkt, als England zum letzten Mal erobert wurde, das heißt bis zum Jahr 1066, so führt diese Verdopplung einer jeden Generation zu insgesamt mehr Menschen, als jemals gelebt haben, und zwar um viele Milliarden mehr. In Wahrheit laufen unsere Ahnenlinien aber wieder zusammen, die verschlungenen Zweige bilden Schleifen und verschmelzen miteinander, und so sind alle Menschen, die jemals gelebt haben, nicht so sehr Teil eines Stamm-«Baums», sondern vielmehr eines komplizierten «Netzes» aus Ahnen. Wir müssen nur ein paar Dutzend Jahrhunderte zurückgehen, um festzustellen, dass der größte Teil der heute lebenden sieben Milliarden Menschen von einer Handvoll Personen abstammt, etwa der Bevölkerung eines Dorfes entsprechend.
Geschichte ist das, was wir dokumentiert haben. Da wir verstehen möchten, wer wir sind und woher wir kommen, haben wir seit Jahrtausenden die Geschichte unserer Vergangenheit und Gegenwart überliefert – in Malereien und Skulpturen, in Wort und Schrift. Nach allgemeinem Konsens beginnt Geschichte mit den ersten Schriftzeugnissen. Davor liegt die Vorgeschichte. Um das Ganze in seiner Perspektive zu sehen: Das Leben auf der Erde existiert seit rund 3,9 Milliarden Jahren. Die Art Homo sapiens, zu der wir gehören, tauchte erst vor rund 200000 Jahren in Ostafrika auf. Die Schrift wurde vor etwa 6000 Jahren in Mesopotamien entwickelt, irgendwo in der Region, die wir heute den Nahen Osten nennen.
Zum Vergleich: Das Buch, das Sie gerade lesen, ist rund 111000 Wörter oder 780000 Buchstaben lang (einschließlich Leerzeichen). Würde dieses Buch die Zeitspanne repräsentieren, seit der irdisches Leben existiert, stünde jeder Buchstabe einschließlich der Leerzeichen für rund 5000 Jahre. Die Existenz des anatomisch modernen Menschen auf der Erde entspräche genau der Länge dieses Teilsatzes.
Die Zeit, in der wir Geschichte schriftlich niedergelegt haben, ist wie aus Sicht der Evolution ein Flügelschlag und entspräche einem einzigen Buchstaben bzw. Satzzeichen von der Breite dieses Punktes ‹.›.
Und wie lückenhaft diese Geschichte ist! Dokumente verschwinden, lösen sich auf, zerfallen. Sie werden von der Witterung ausgewaschen, von Insekten oder Bakterien aufgefressen, zerstört, versteckt, verschleiert oder überarbeitet. Und dabei haben wir noch nicht die Subjektivität historischer Unterlagen berücksichtigt. Wir können uns nicht einmal definitiv darüber einigen, was in den letzten zehn Jahren geschehen ist. Zeitungen berichten über Ereignisse aus einer eindeutig verzerrten Perspektive. Kameras zeichnen Bilder auf, die von Menschen bearbeitet werden, und zeigen nur, was die Linse einfängt, häufig ohne jeden Kontext. Die Menschen selbst sind höchst unzuverlässige Zeugen, was die objektive Wirklichkeit angeht. Wir tappen unbeholfen umher.
Durchaus möglich, dass die genauen Details der Ereignisse am 11. September 2001, als die Türme des World Trade Center zerstört wurden, wegen widerstreitender Berichte und des Chaos in diesen schrecklichen Stunden im Dunkeln bleiben werden. Die Aussagen von Zeugen vor Gericht sind notorisch fehlerhaft und bedürfen genauer Überprüfung. Gehen Sie ein paar Jahrhunderte zurück, und es gibt keine zeitgenössischen Belege für die Existenz von Jesus Christus, dem vermutlich einflussreichsten Menschen in der Menschheitsgeschichte. Die meisten Geschichten über sein Leben wurden Jahrzehnte nach seinem Tod von Leuten verfasst, die ihm niemals begegnet sind. Heutzutage würden wir solche Berichte, wenn sie uns als historische Belege präsentiert würden, ernsthaft in Frage stellen. Selbst die Berichte, auf die sich Christen berufen, die Evangelien, sind widersprüchlich und haben sich im Lauf der Zeit unwiederbringlich verändert.
Damit soll keinesfalls die Geschichtswissenschaft (oder das Christentum) diskreditiert werden. Die Berichte sollen nur vor Augen führen, wie nebulös die Vergangenheit ist. Bis vor kurzem wurde sie vorwiegend in religiösen Texten, in Dokumenten über geschäftliche Transaktionen und in den Unterlagen über königliche Abstammungslinien überliefert. In modernen Zeiten haben wir das entgegengesetzte Problem – viel zu viele Informationen und fast keine Möglichkeit, sie zu verwalten. Bei jedem Kauf, den Sie online tätigen, bei jeder Internet-Suche hinterlassen Sie Spuren, die von Unternehmen im Netz abgeschöpft werden können. Bücher, Sagen, mündliche Überlieferungen, Inschriften, Archäologie, das Internet, Datenbanken, Film, Radio, Festplatten, Tonbänder. Wir fügen diese Informationsschnipsel zusammen, um die Vergangenheit zu rekonstruieren. Und nun ist auch die Biologie zu einem Teil dieser enormen Informationsüberflutung geworden.
Das Zitat am Anfang dieses Kapitels ist die einzige Stelle in seinem Werk Über die Entstehung der Arten, wo Darwin auf den Menschen verweist. Es steht ganz am Ende, als wolle es uns auf einen weiteren Band neugierig machen. Seine Theorie der Abstammung wird in veränderter Form auch Licht auf unsere eigene Geschichte werfen. Fortsetzung folgt.
Diese Zeit ist nun gekommen. Es gibt nun eine weitere Möglichkeit, unsere Vergangenheit zu lesen und unsere Ursprünge zu erhellen. Jeder Mensch trägt eine einzigartige Saga in seinen Genen – episch, einzigartig und verschlungen. Vor rund zehn Jahren, 50 Jahre nach der Entdeckung der Doppelhelix, haben unsere Fähigkeiten zur Entzifferung der DNA derart zugenommen, dass wir unsere Erbsubstanz inzwischen als historische Quelle benutzen können, als einen Text, über den wir nachgrübeln können. Unser Genom, unsere Gene und unsere DNA bergen einen Bericht über die Reise des Lebens auf der Erde in sich – vier Milliarden Jahre Versuch und Irrtum, die zu uns, zu Ihnen, geführt haben. Unser Genom ist die Gesamtheit unserer DNA, drei Milliarden «Buchstaben» (Basenpaare) stark. Die Art und Weise – durch die (biologisch gesehen) geheimnisvolle Sache mit dem Sex –, wie sich das Genom zusammenfügt, führt dazu, dass jedes, also auch Ihr Genom ein Unikat ist. Nicht nur, dass dieser genetische Fingerabdruck Ihnen allein gehört, sondern er unterscheidet sich auch von jedem Genom der 107 Milliarden Menschen, die bisher gelebt haben. Das gilt selbst dann, wenn Sie einen eineiigen Zwilling haben, denn die Genome eineiiger Zwillinge sind zwar im Augenblick der Empfängnis identisch, entwickeln sich aber auseinander, sobald sich die Embryonen getrennt haben. Um es mit den Worten von Dr. Seuss zu sagen:
Heute bist du du! Das ist wahrer als wahr!
Niemand ist da, der mehr du ist als du!
Das Spermium, das Sie entstehen ließ, begann sein Leben ein paar Tage vor Ihrer Empfängnis in den Hoden Ihres Vaters. Ein einziges von Milliarden Spermien bohrte sich in eine Eizelle hinein, eine von wenigen hundert, die Ihre Mutter besaß. Wie in einer russischen Puppe war diese Eizelle herangewachsen, während ihre Trägerin in Ihrer Mutter heranwuchs, doch reif wurde sie erst während ihres letzten Menstruationszyklus. Dann schlüpfte sie aus einem der Eileiter und verließ ihren komfortablen Entstehungsort. Beim Kontakt mit der Eizelle setze das erfolgreiche Spermium eine chemische Substanz frei, mit der es die Membran der Eizelle auflöste, und bohrte sich ins Innere, wobei es seinen Peitschenschwanz abwarf. Sobald das Spermium im Inneren angelangt war, errichtete die Eizelle eine unüberwindliche Barriere, die das Eindringen weiterer Spermien verhinderte. Das Spermium war wie die Eizelle ein Unikat, und aus...
Erscheint lt. Verlag | 15.5.2018 |
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Übersetzer | Monika Niehaus, Coralie Wink |
Zusatzinfo | Mit 6 s/w Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Bevölkerungsentwicklung • DNA • Genforschung • Genom • Menschheitsgeschichte • Neandertaler |
ISBN-10 | 3-644-00095-6 / 3644000956 |
ISBN-13 | 978-3-644-00095-7 / 9783644000957 |
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