Auf der Spur der wilden Bienen (eBook)
210 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490240-1 (ISBN)
Thomas D. Seeley ist Professor am Fachbereich für Neurobiologie und Verhalten an der Cornell University. Er studierte in den 1970er Jahren bei den großen Verhaltensbiologen und Ameisenexperten Bert Hölldobler und Edward O. Wilson an der Harvard University und erforscht seitdem intensiv das Leben von Bienen. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. von der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Thomas D. Seeley ist Professor am Fachbereich für Neurobiologie und Verhalten an der Cornell University. Er studierte in den 1970er Jahren bei den großen Verhaltensbiologen und Ameisenexperten Bert Hölldobler und Edward O. Wilson an der Harvard University und erforscht seitdem intensiv das Leben von Bienen. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. von der Alexander von Humboldt-Stiftung. Sebastian Vogel, geboren 1955 in Berlin, ist promovierter Biologe und langjähriger Übersetzer. Neben den Werken Neil Shubins hat er Bücher von Richard Dawkins, Jared Diamond, Stephen Jay Gould und Steven Pinker ins Deutsche übertragen.
Vorwort
Honigbienen haben im Laufe der letzten zehn Jahre stark an Beliebtheit gewonnen. Deshalb ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt für ein Buch darüber, wie man neben der Imkerei noch auf eine zweite Art Spaß mit diesen großartigen kleinen Lebewesen haben kann. Unser Thema ist die Freiluftsportart der Bienenjagd. Während der Imker seine Honigbienenvölker in Bienenstöcken hält, die er selbst zur Verfügung gestellt hat, sucht der Bienenjäger oder Zeidler nach Bienenvölkern, die in hohlen Baumstämmen und anderen selbst gewählten Behausungen leben. Wenn der Bienenjäger ein wildes Bienenvolk sucht, fängt er zunächst Bienen, die auf Blüten sitzen, und bietet ihnen als Köder einen kleinen Vorrat an Zuckersirup, dem er mit Anis einen betörenden Duft verliehen hat. Anschließend findet er durch Beobachtung der nach Hause fliegenden Bienen heraus, in welcher Richtung ihr geheimer Unterschlupf liegt. Nun wandert er mit seinem Zuckersirup-Futterspender und zusammen mit den Bienen in ihre Flugrichtung. Am Ende hat er ihren geheimnisvollen Wohnort ausfindig gemacht: einen hohlen Baum, ein altes Gebäude oder einen aufgegebenen Bienenstock.
Das alles hört sich ziemlich kompliziert an, und manch einer fragt sich jetzt vielleicht: Kann ich auch auf Bienenjagd gehen? Die Antwort lautet: ja. Um in der Bienenjagd Erfolg zu haben, braucht man wie in allen anderen wirklich faszinierenden Sportarten keine komplizierte Ausrüstung, sondern nur ein paar besondere Fähigkeiten. Dieses Buch ist ein Leitfaden: Es soll helfen, die einfachen Hilfsmittel zu beschaffen und die phantasievollen Methoden zu erlernen, die das Handwerk des Bienenjägers ausmachen. Die Bienenjagd ist zwar kein banal-einfacher Sport, aber sie eignet sich für jeden, der sich gern in der freien Natur aufhält, Geduld und Entschlossenheit mitbringt und sich für die Beherrschung einer Schatzsuche und den Spaß daran begeistern kann.
Die Bienenjagd oder Zeidlerei wurde früher überall in Europa, Nordamerika, dem Nahen Osten und Afrika praktiziert.[1] Vermutlich ist sie so alt wie die Menschheit selbst: Die Frühmenschen, die als Jäger und Sammler in Gruppen lebten, suchten nach Stöcken von Honigbienen und plünderten sowohl die Brut als auch den Honig. Das Gleiche tun manche Völker von Jägern und Sammlern noch heute. Die vermutlich älteste Beschreibung der Methoden, mit denen man das Nest eines wilden Honigbienenvolkes finden kann, stammt von Columella, einem römischen Gutsbesitzer, der im ersten Jahrhundert n. Chr. über Landwirtschaft schrieb.[2] In seinem Buch über Bienenzucht gibt er herrlich detaillierte Anweisungen: Man soll die Bienen im Frühjahr fangen, mit Honig füttern und dann einzeln wieder freilassen, um sie anschließend »bis zu dem Ort zu verfolgen, an dem sich der Schwarm versteckt«.
In Europa war die Bienenjagd vor allem in stark bewaldeten Regionen verbreitet, so im Westen Russlands und in Ungarn. Dort gehörte sie als entscheidender Bestandteil zum Handwerk der Bienenzucht mit hohlen Bäumen.[3] Die Zeidler bedienten sich unterschiedlicher Bienenfallen – manche bestanden zum Beispiel aus einem Kuhhorn mit einem beweglichen Eingang in einem Schlitz und einer kleinen Öffnung, die man mit einem Stopfen verschließen konnte. Man fing eine Biene oder auch mehrere, wartete, bis sie sich mit dem im Inneren des Horns aufgetragenen Honig beladen hatten[4], ließ dann eine Biene nach der anderen frei und folgte ihnen bis zu ihrem Nest, das sich meist in einem hohlen Baum befand.[5] Nun schnitt der Entdecker seine Eigentumsmarkierung in die Baumrinde, brachte im Stamm eine Tür an, um sich Zugang zu der Nisthöhle zu verschaffen, und kletterte in regelmäßigen Abständen auf den Baum, um immer wieder ein paar Waben zu entnehmen. In Nordamerika gewann die Zeidlerei an Beliebtheit, nachdem man Anfang des 17. Jahrhunderts die ersten Honigbienen aus Europa eingeführt hatte. Die nordamerikanischen Bienenjäger bedienten sich bei der Suche nach wilden Bienenvölkern der gleichen Methoden, die in Europa schon seit Jahrhunderten in Gebrauch waren, ernteten aber nur in seltenen Fällen mehrmals den Honig aus dem gleichen Nest. Meist fällten sie stattdessen die Bienenbäume und plünderten sämtliche Waben, wobei das Bienenvolk häufig vernichtet wurde.
Vom 16. bis zum 20. Jahrhundert verlor die Zeidlerei sowohl in Nordamerika als auch in Europa immer mehr an Bedeutung, während sich die Imkerei mit Bienenvölkern, die gruppenweise in Bienenhäusern untergebracht waren, durchsetzte. Bei den Bienenstöcken handelte es sich anfangs einfach um die hohlen, von Bienen bewohnten Stammabschnitte der Bäume; man brachte sie zum Wohnort des Imkers, wo sie als hölzerne Bienenstöcke dienten. Die Schwärme aus solchen Stöcken brachte man in Bienenkörben aus geflochtenem Stroh oder einfachen Kisten unter. Ende des 19. Jahrhunderts verwendeten die Imker zunehmend speziell konstruierte Bienenstöcke mit beweglichen hölzernen Rahmen, die fein säuberlich die Waben aufnahmen und dem Imker eine gezielte Bewirtschaftung seiner Völker ermöglichten.[6]
Die Erfindung der Bienenstöcke mit beweglichen Rahmen trug zusammen mit Selbstraucher, Honigschleuder und anderen modernen Imkereigerätschaften dazu bei, dass Menschen nun den Honig viel einfacher erzeugen konnten: Statt Wildbienenvölkern in den über die Landschaft verstreuten Bäumen nachzujagen, hielt man bewirtschaftete Bienenvölker in Stöcken, die zu Bienenhäusern zusammengefasst wurden. Heutzutage braucht der erfolgreiche Bienenjäger also den Bienenbaum nicht mehr zu fällen, um dann mit Hammer und Keil den Stamm zu öffnen, das Bienennest freizulegen und die honiggefüllten Waben herauszuschneiden. Statt Eimern voller gelblichweißer Waben kann er heute eine ganz andere Beute nach Hause bringen: köstliche Erinnerungen an den Aufenthalt auf sonnendurchfluteten Feldern mit Honigbienen, die von seiner Futterstation heimwärts fliegen, an die Verfolgung der Bienen auf ihrem Weg durch die Luft und an die Entdeckung ihres geheimnisvollen Wohnorts.
Auch wer als Bienenjäger die Bienen unbehelligt lässt, erlebt einen äußerst angenehmen Ausflug. Schließlich ist die Jagd eine der ältesten Tätigkeiten der Menschen, und die Leidenschaft, wilden Tieren nachzustellen, muss bis vor sehr kurzer Zeit ein ungeheuer wertvoller Teil der menschlichen Natur gewesen sein. Wenn ich selbst auf Bienenjagd gehe, spüre ich immer die Begeisterung, meiner Beute auf der Spur zu bleiben. Wenn ich auf der Flugbahn der Bienen weit vorangekommen bin, im Wald ein Volk wilder Bienen ausgemacht habe und schließlich die glitzernden Flügel der Bienen sehe, die in ihrem Zuhause im hohlen Baum verschwinden, macht sich in mir jedes Mal ein Gefühl des Erfolgs und sogar des Triumphes breit. Wenn ich mich dann schließlich auf den Weg zu meinem Zuhause mache, bin ich nicht reicher an Honig als am Morgen, denn ich hinterlasse einen unbeschädigten Bienenbaum und ein ungestörtes Bienenvolk. Der schwindelerregende Jubel des »Ich hab’s geschafft« ist vorüber, aber neben dem köstlichen, bleibenden Gefühl des Erfolgs stellt sich eine stillere, aber ebenso angenehme Empfindung ein: die Befriedigung, den Bienen keinen Schaden zugefügt zu haben.
Neben dem Jubel über die Entdeckung eines wilden Bienenvolkes und seiner versteckten Behausung kann sich der Bienenjäger noch über andere Belohnungen freuen. Eine davon ist das Vergnügen, die Überlebenskunst in der Natur mit der Handhabung von Karte und Kompass zu verbinden und mit körperlicher Anstrengung einen Bienenbaum ausfindig zu machen – eine Leistung, die heute nur die wenigsten Menschen vollbringen. Ein weiterer Lohn ist das ruhige, friedliche Gefühl beim Beobachten von Lebewesen, die aufgrund ihrer Evolution dem Gemeinwohl dienen und deshalb harmonisch zusammenarbeiten. Dieses Gefühl erfreut jeden Imker, der seinen wimmelnden Bienenstock öffnet und die vielen tausend Bewohner sieht: eine Königin, ihre Töchter (die Arbeiterinnen) und Söhne (die Drohnen), die alle friedlich zusammenleben. Ebenso spürt der Bienenjäger die harmonische Zusammengehörigkeit der Bienen, und so empfindet er ebenfalls eine stille Zufriedenheit, wenn er zusieht, wie die wilden Bienen unbeweglich nebeneinander an seinem Futterspender stehen, wobei jede ungestört den Zuckersirup trinkt, den er bereitgestellt hat. Es gibt keine Schubserei und keinen Streit um die reichhaltige Nahrung. Dann wieder wird der Bienenjäger Zeuge, wie die Bienen auf erstaunliche Weise gemeinsam funktionieren, wenn sie ihre Nestgenossen an die Futterstelle locken. Er selbst bringt nur eine Handvoll Kundschafterinnen mit seiner üppigen Zuckersirupquelle in Kontakt, aber aus den wenigen werden in ungefähr einer Stunde Dutzende oder Hunderte: Die ersten Bienen rekrutieren eine Einsatztruppe aus Nestgenossinnen, und alle helfen mit, den vom Bienenjäger dargebotenen Schatz zu heben. Wie können diese winzigen Insekten, deren Gehirn kleiner ist als ein Grassamen, so effizient kommunizieren? Und wie kommt es, dass sie sich nicht verirren, wenn sie – häufig über mehr als einen Kilometer – zwischen ihrem Heim und der Futterstelle des Jägers über Berg und Tal fliegen?
Wer die Bienenjagd einmal ausprobiert, wird sehr schnell aus erster Hand und nächster Nähe feststellen, dass Honigbienen viele Rätsel bergen, insbesondere was ihr erstaunliches Talent für Kommunikation und Orientierung betrifft. Für so manchen Bienenjäger ist es der größte Lohn, wenn sich eine Biene auf seine Mütze...
Erscheint lt. Verlag | 24.5.2017 |
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Übersetzer | Sebastian Vogel |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Bienen • Bienenbaum • Bienenbox • Bienenjagd • Bienenstöcke • Edgell • Flugroute • Honig • Imker • Imkerei • Jagdsaison • Maja Lunde • Pollen • Schwänzellauf • Thoreau • Triangulation • Waben • Zeidlerei |
ISBN-10 | 3-10-490240-2 / 3104902402 |
ISBN-13 | 978-3-10-490240-1 / 9783104902401 |
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Größe: 9,1 MB
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