Ausgewählte Schriften (eBook)

(Autor)

Karl Gerhard Steck (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
284 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560584-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ausgewählte Schriften -  Martin Luther
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Diese Auswahl enthält Luthers wichtigste Schriften: über seine Entwicklung, über die Entdeckung des Evangeliums, über seine Reformvorschläge für Kirche und Welt, über den Umgang mit der Bibel und über sein Bekenntnis vor Kaiser und Reich - übersetzt und modernisiert, mit einer Einleitung und Erläuterungen des Herausgebers. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Karl Gerhard Steck (1908-1983) war Professor der Theologie. Zahlreiche Buchpublikationen und Zeitschriftenartikel. Karl Gerhard Steck (1908-1983) war Professor der Theologie. Zahlreiche Buchpublikationen und Zeitschriftenartikel.

Karl Gerhard Steck (1908–1983) war Professor der Theologie. Zahlreiche Buchpublikationen und Zeitschriftenartikel. Karl Gerhard Steck (1908–1983) war Professor der Theologie. Zahlreiche Buchpublikationen und Zeitschriftenartikel.

II


Eben dies macht den Zugang zu Luther und zu seinen Schriften – nur in ihnen wird er uns greifbar – für uns heute schwierig. Er ist für uns alle schwierig, auch wenn wir dem Erbe der christlichen Wahrheit nicht entfremdet sind, auch wenn wir Luther mit den Augen des heutigen Theologen lesen. Es ist nicht nur der Zeitabstand von fast fünfhundert Jahren, der uns von ihm trennt. Die schriftliche Hinterlassenschaft antiker Denker und Dichter erweist sich trotz des längeren Zeitabstandes manchmal als leichter zugänglich. Die ›Verweltlichung‹ der Neuzeit hat vor dem Christen, vor dem theologisch Interessierten und Geschulten ja nicht haltgemacht. Niemand kann sich einbilden, unmittelbar über die neuere Entwicklung hinweg bei Luther anknüpfen, ihn verstehen zu können. Es wird nicht selten darüber geklagt, wie wenig die intensive Arbeit der neueren Lutherforschung ins öffentliche Bewußtsein eingegangen sei. Es kann kaum anders sein, selbst wenn diese Forschung lesbarer und genußreicher wäre, als sie es ist. Der Abstand nicht nur in der Zeit, sondern vor allem in der Sache ist spürbar und vorhanden; er muß immer bedacht werden. Luther behält seine Fremdheit in der Gegenwart, und zwar nicht nur in manchen Zügen seines Denkens, etwa im Geister- und Teufelsglauben, oder in der naiv erscheinenden Geschichtsbetrachtung und Zukunftserwartung, sondern im Ganzen seines Ansatzes, seiner Denk- und Urteilsweise, in den Fragen, die ihn umtreiben, und in den Antworten, die er findet und sich geben läßt. Das mindert seine geschichtliche Wirkung nicht. Mehr noch: seine Fremdheit macht ihn und seine Schriften erst bemerkenswert und bewirkt, daß wir nicht von ihm loskommen.

Fremdartig und schwierig ist es schon, wenn wir in seinen Schriften bemerken und in Kauf nehmen müssen, wie er sich ständig auf die Bibel bezieht, unablässig aus ihr zitiert, alle eigenen Entscheidungen und Urteile ihr unterwirft, von ihr her versteht und zu begründen versucht. Darin ist er zunächst traditionell. Denn die Bibel war für die damalige Welt eine heilige Autorität und Instanz. Wie sich diese Autorität zur Autorität der Kirche und zur Autorität der Vernunft verhielt, war freilich offengeblieben. Luther intensiviert den Umgang mit der Bibel, nicht ohne Zusammenhang mit der humanistischen Bewegung ›Zurück zu den Quellen‹, und wird dabei unterstützt von einer Bibelkenntnis, die nicht erst dem heutigen Leser, sondern schon den Zeitgenossen erstaunlich erschien. Auch wenn wir heute, aus welchen Gründen immer, diese ständige und grundsätzliche Berufung auf die Bibel für richtig halten, so erscheint sie uns doch auch als eine Fessel. Für Luther und seine Zeitgenossen ist diese Bindung an das Bibelwort die große Befreiung: gegenüber der selbstverständlichen, aber schwer erträglichen Autorität der Kirche, in welche die Bibel eingefügt war, gibt es jetzt die überlegene Instanz der Heiligen Schrift. Von dieser neuen Instanz aus kann sich Luther in Worms vor Kaiser und Reich behaupten und den Widerruf verweigern. »Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde, so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, und mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es offenkundig ist, daß sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben.«

Luther hört und liest die Bibel als Gottes überlegenes, eindeutiges und verpflichtendes Wort und gewinnt darin die Freiheit eines Christenmenschen; mit ihr beginnt die freiheitliche Entwicklung der Neuzeit gegenüber dem kirchlichen Herrschaftssystem, aber auch dessen Abbau. Auch die Befreiung von der überlieferten Philosophie, vor allem derjenigen des seit dem Hochmittelalter geltenden Aristoteles, darf als wirksames begleitendes Moment nicht unterschätzt werden. Der Vernunft wird ihr Recht und ihre Funktion im irdischen Leben nicht bestritten, sondern erst ganz erstritten. Auf dem Weg zum ewigen Heil allerdings hat sie nicht mehr eigenständig mitzureden oder mitzuwirken. (Das mächtigste Dokument dieser Emanzipation von der philosophischen Tradition, Luthers Schrift gegen Erasmus ›Über den geknechteten Willen‹ [1525], können wir aus Raumgründen leider in dieser Auswahl nicht berücksichtigen!)

Auch wer die befreiende Wirkung von Luthers Berufung auf die Bibel, sein ›primum principium‹, sein Grundprinzip, wie er es gelegentlich nennt, für die damalige Zeit erkennt und gelten läßt, wird doch erhebliche Fragen haben. Brachte Luther sich und die Seinen damit nicht vom Regen in die Traufe? War es nicht richtiger und lebensnäher, in Glaubensfragen der Autorität der Kirche den obersten Platz zu lassen, als sich an ein uraltes Buch zu binden? War (und ist) die Bibel so eindeutig, wie Luther und seine Anhänger meinten? Waren der Glaube und das Leben der Christenheit damit nicht den Auslegungskünsten der Gelehrten ausgeliefert, ohne deren Vermittlung auch ›der gemeine Mann‹ die Bibel kaum verstehen kann? Ist der Papalismus der Wissenschaft christlicher und bekömmlicher als der Papalismus der Kirche? Ist Luthers eigener Umgang mit der Bibel nicht das grandioseste Beispiel einer subjektiven, individuellen Schau, die bestenfalls den Bedürfnissen einer Generation entsprach, aber weder das Maß an allgemeiner Geltung noch an Anpassungsfähigkeit erwerben und behalten konnte, die der menschliche und christliche Geist auf dem Weg durch die Geschichte braucht?

Der Streit darüber währt in der Christenheit bis heute und kann hier nicht geschildert werden. Aber einige Voraussetzungen und Umstände sind zu bedenken, wenn man Luther in seinem Umgang mit der Bibel in all seinem Befremdlichen recht verstehen will. Daß die Bibel Gottes gültiges und wirksames Wort für den Menschen ist, war Luther und seiner Zeit niemals so selbstverständlich und leicht erschwinglich, wie es sich anhört. Da wir aus Luthers lebenslanger Bibelauslegung nur einige Proben bringen können, tritt dem Leser nicht so deutlich entgegen, welche innere Mühe Luther mit seinem ›Grundprinzip‹ immer wieder hatte. Er hinterläßt als letzte Notiz auf seinem Schreibtisch: wir sind Bettler, das ist wahr – und zwar Bettler im Umgang mit der Bibel als Gottes Wort! Wichtiger noch ist dies: Luthers Berufung auf die Bibel ist nicht so summarisch und formal wie sie klingt. Die Bibel ist nicht unterschiedslos Gottes Wort, sondern von ihrer Mitte, von ihrer eigentlichen Sache und Botschaft her. Weil er – im Wort von der gnädigen Gerechtigkeit Gottes – diese sachliche Mitte gefunden hat, kann er diese Entdeckung noch am Ende seines Lebens beschreiben, als wäre sie gestern geschehen: »Nun fühlte ich mich wie neugeboren und glaubte, durch weitgeöffnete Tore in das Paradies eingetreten zu sein« (Vorrede von 1545). Umgekehrt kann er dann einzelne Schriften der Bibel, wie den Jakobusbrief, aber nicht nur ihn, kritisch beurteilen und an den Rand stellen (Vorreden zum Neuen Testament 1522). Er weiß, »das Wort ist in mancherlei Weise geschehen von Anfang an. Man muß nicht allein ansehen, ob es Gottes Wort sei, ob es Gott geredet habe; sondern vielmehr, zu wem es geredet sei, ob es dich treffe oder einen andern.«[1] Es wird also der damalige und der heutige Adressat unterschieden. Die Bibel behält und bekommt ihre geschichtliche Mannigfaltigkeit und Tiefe. Freilich meldet sich auch schon die Frage, wie nun entschieden werden kann und soll, was mich trifft oder einen andern. Das hängt nach Luthers Einsicht von der sachlichen Mitte der biblischen Botschaft ab, aber auch von der Berufung des Einzelnen. »Luther hatte den Mut zu entscheiden, daß er von Gott berufen sei, und daß jene – seine schwärmerischen Gegner – es nicht seien« (R. Huch).

Dabei darf man aber einige der Fragestellungen, mit denen wir heute an die Bibel herantreten, bei Luther nicht suchen. Erliest die Bibel zwar nicht ungeschichtlich, vielmehr hat sein Umgang mit ihr zu der Erkenntnis ihres geschichtlichen Charakters beträchtlich beigetragen. Aber diese Erkenntnis führt nicht dazu, ihr deswegen Bedeutung und Wirksamkeit abzusprechen. Was ihn zur Erkenntnis und zur Freiheit gebracht hat, kann ja nicht als Joch empfunden werden, das man je eher desto besser abschüttelt. So hat erst die Neuzeit empfunden und die Erkenntnisse und Methoden der kritisch-historischen Forschung dazu benützt, der Bibel ihr besonderes Gewicht für den Menschen und die Gesellschaft abzusprechen. Diese Gebärde ist Luther fremd, und wo er sie findet oder auch nur wittert, lehnt er sie mit Härte und Leidenschaft ab. Darin ist es begründet, daß er mit denjenigen seiner Schüler, Anhänger und Zeitgenossen am schroffsten verfährt, die sich auf den eigenen Geist und seine Erleuchtung berufen, anstatt sich vom göttlichen Wort der Heiligen Schrift leiten zu lassen. Im übrigen hat hier jede Zeit von neuem zu prüfen, ob Luther und die Reformation von ihren hohen Voraussetzungen aus die Bibel besser verstanden haben als spätere Zeiten, die sie mit anderen Voraussetzungen lesen.

Weil Luther die sachliche Mitte der Bibel entdeckte, konnte und mußte er der bis dahin geltenden Autorität der Kirche und ihrer Tradition gegenüber kritischen Abstand und Freiheit gewinnen. Dafür hat man immer Verständnis gehabt; auch der heutige Leser wird sich der Faszination dieses Vorgangs kaum entziehen. Umso mehr mag er sich befremdet fühlen, wenn er nun auf das eingehen soll, was Luther als sachliche Mitte dieser Bibel entdeckt und bezeichnet. Wer sich von der nachklingenden Entdeckerfreude in der eben zitierten Vorrede von 1545 beeindruckt fühlt, wird von dem, was Luther im gleichen Zusammenhang über die Gerechtigkeit Gottes...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2015
Einführung Karl Gerhard Steck
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Aufruhr • Christenmensch • Epistel • Evangelium • Martin Luther • Neues Testament • Reformation • Rom • Sakrament • Schriften • sendbrief • Vermahnung • Wochenpredigt • Worms
ISBN-10 3-10-560584-3 / 3105605843
ISBN-13 978-3-10-560584-4 / 9783105605844
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