Briefe (eBook)

1908-1974
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
828 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560582-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Briefe -  Carl J. Burckhardt
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Werden und Entfaltung eines großen Europäers, gespiegelt und erklärt in Briefen voller Einsichten und Voraussichten, voller Kultur = Humanität. Vielzählig die Briefpartner Carl Jacob Burckhardts und die Themen. Der Historiker spricht und der Politiker, und immer spricht der künstlerische Mensch, in dessen Leben und Wirken Hang und Fähigkeit zu dichten sich kreuzen mit der Notwendigkeit, zu erkennen und dem Auftrag, zu handeln. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Carl Jacob Burckhardt, geboren am 10. September 1891 in Basel, war ein Schweizer Diplomat, Essayist und Historiker und Großneffe des Kulturhistorikers Jacob Burckhardt. Als sein literarisches Hauptwerk gilt die von 1935 bis 1967 veröffentlichte dreibändige Biographie über Kardinal Richelieu. Burckhardt wurde 1937 vom Völkerbund zum Hohen Kommissar für die Freie Stadt Danzig ernannt und fungierte von 1944 bis 1948 als Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Er unterhielt zahlreiche Briefwechsel, u.a. mit Hugo von Hoffmansthal und Carl Zuckmayer und war Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1954. Am 3. März 1974 starb er in Vinzel, Kanton Waadt (Schweiz).

Carl Jacob Burckhardt, geboren am 10. September 1891 in Basel, war ein Schweizer Diplomat, Essayist und Historiker und Großneffe des Kulturhistorikers Jacob Burckhardt. Als sein literarisches Hauptwerk gilt die von 1935 bis 1967 veröffentlichte dreibändige Biographie über Kardinal Richelieu. Burckhardt wurde 1937 vom Völkerbund zum Hohen Kommissar für die Freie Stadt Danzig ernannt und fungierte von 1944 bis 1948 als Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Er unterhielt zahlreiche Briefwechsel, u.a. mit Hugo von Hoffmansthal und Carl Zuckmayer und war Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1954. Am 3. März 1974 starb er in Vinzel, Kanton Waadt (Schweiz).

An Max Rychner
[Entwurf]

[Paris] 29. 1. [1930]

 

Heute, lieber Max, wölbt sich einer dieser unbegreiflich leichten Himmel über uns von der unwirklichen Farbe, die Du in Deinem herrlichen Nancyergedicht besungen hast. Ich aber sitze im Archiv, von 2 bis 6, ich aber bin ein Schreiber, ein Kopist, ein Sklave, un pion und kopiere wörtlich bis auf die Schreibfehler, was ein längst vermoderter Herr de la Cour aus Wien im Jahre 49 an seine Regierung berichtete. Bis ins Jahr 53 muß ich gelangen, Tag für Tag die Verschiebungen des Geschehens in diesem völlig gespensterhaften Österreich durch Herrn de la Cours Gehirn verfolgen – und er sieht richtig – ohne Zweifel. Nie, mein guter Max, seit Jahren, habe ich so große Lust gehabt zu schreiben, zu schreiben trotz dieser vom Teufel erfundenen Füllfeder, und anstatt dessen lasse ich mich am Vormittag von krumm gewachsenen, leberkranken, negroiden, jakobinischen Beamten in der Bibliothèque nationale begraben.

Gestern Abend speiste ich mit dem»patricien continuateur de nos traditions les plus belles« Léopold Boissier, wir hörten dann eine Marseillerrührgeschichte für höhere Kinder vom Verfasser des Topaze, Marius, eine gräßliche Affaire, schön gespielt, besonders vom Träger der zweiten Rolle, vom »Vater«, der auch einen wirklichen Moment im Dialog hat, einen Augenblick. Nachher gingen B.u. ich noch in eine Montmartrepinte, wo eine Zigeunerin mir aus der Hand sagte, ich sei ein Genie, mag die Zigeunerin dorthin fahren, wo sie hingehört, mit dem Dämon hat sie nicht so unrecht.

Ja, mein guter Max, Du schreibst mir da so aus der Ruhe Deines von frischen Winden nie allzusehr erregten und doch stets angenehm belebten Bildungssynkretismus, Du schreibst mir von dem katholischen Philosophen Przywara, von Fritz, dem Zeppelin des protestantisch konservativen u. juristisch einwandfreien Kulturkampfes, Du schreibst mir von Du Bos’ Konversion, u. all das mit der Freiheit des ungestörten Synthetikers. Ja nun denk Dir, in Augenblicken mag mir scheinen, Fritz habe nicht so Unrecht; wenn man einmal die Unerbittlichkeit des neofranzösischen, neothomistischen Katholizismus gespürt hat und den Haß, der die Leute dieser Richtung uns gegenüber befeuert, ja Max, dann denkt man anders. Barthianer, Puritaner, alle sind ihnen näher als wir, wir vertreten das Prinzip »Satans«, wir sind – Individualisten – wie Jesus Christus ein Individualist war – wir vertreten das furchtbare, das nur durch Feuer und Schwert auszurottende Grundübel »des Hochmutes«, »de l’orgueil«. Und man muß sich keinem Zweifel hingeben, dieser Geist führt heute in der Kirche. Dem einen Hochmut: die volle, die ganze, die unveränderliche Wahrheit zu besitzen, diesem einen Hochmut muß jeder andere Hochmut fallen, man hat alles in Einem, ein für alle Mal muß man Selbstgefühl, Freiheit, alles hingeben um dieser einen Gabe willen, die man auf den Knien u. gläubig von der Kirche zu empfangen hat. Hier gibt es einen Neffen des Cardinals Mercier, der von meinem Schwiegervater auf mich dirigiert wurde. Kürzlich: il m’a entrepris. Lange Abhandlungen über die Greuel der Reformation, das Teufelswerk des 19. Jahrh. und hiezu nun moralische hors d’oeuvres von folgender Art.

Mercier: Würden Sie als Protestant Ihre Frau betrügen? (Man denke sich einen Engländer eine solche Frage stellend)

Ich: Bleiben wir, wenn Ihnen das Thema schon liegt, bei der Sache, schweifen wir nicht ins Persönliche ab.

Mercier: Das gehört zur Sache, das ist die Sache selbst, würden Sie es tun?

Ich: Ich würde es nicht tun!

Mercier: Das kann ich Ihnen nicht glauben, das ist unmöglich, verzeihen Sie, Sie würden es nicht tun? ja warum nicht? aus religiösen Gründen?

Ich: Nein, nicht aus religiösen Gründen.

M.: Ja dann, um Gottes Willen, warum denn nicht, ich würde es täglich tun ohne religiöse Gründe, ich tue es so trotz des Verbotes, es führt mich zu Reue, zu Besserung, zu Steigerung. Aber warum würden Sie es nicht tun?

Ich: Weil ich mein Wort gegeben habe.

M.: Und das genügt Ihnen – nun entweder sind Sie ein Tartuffe, oder dann von einem unvorstellbaren, sündhaften Hochmut, daß Ihr Wort Ihnen so viel gilt.

Ich: Es handelt sich doch ganz einfach um einen gegenseitigen Vertrag, Offenheit ist seine Grundbedingung, Einverständnis ist deren Folge, solange Offenheit u.Einverständnis herrscht, kann doch von Betrug gar keine Rede sein.

M.: Einverständnis, welch ein Gipfel von Unmoral, welch ein Greuel, jetzt kann ich gar nicht folgen, denken Sie sich, sogar wenn ich die üble Tat getan habe, wenn ich meiner Frau untreu war, wenn Reue mich bis aufs Blut peinigt, niemals würde ich meiner Frau ein Wort sagen. Und wissen Sie, warum nicht, wissen Sie, aus welchem Grunde nicht? – weil dieses Geständnis mich erleichtern würde, weil ich dadurch die Last meiner Reue erleichtern würde, weil ich dadurch des Heils verlustig ginge. Ecce ingenium catholicum – oder ein anderes Beispiel, die kleine heilige Theresa von Lisieux, Tochter tuberkuloser Eltern, Schwester frühverstorbener Geschwister (il faut donner des âmes à Dieu), wie sie im letzten Stadium ihrer Tuberkulose sterbend liegt, erhält eine Medizin von frommen Wohltätern dem Kloster gestiftet. Sie verweigert die Medizin, sie will die von Gott gesandte Krankheit ganz bis auf den Grund bestehn, – dann kommt ein Zweifel – vielleicht verletzt sie die Spender, ja gewiß verletzt sie die Spender, und noch ein Zweifel – die Medizin nicht zu nehmen könnte vielleicht ihre Leiden verkürzen, das darf sie nicht, dazu hat sie nicht das Recht – also sie nimmt die Medizin, aber sie betet, sie bittet, daß die Erleichterung, die sie ihr schafft, nicht ihr, nein daß sie irgend einem fremden Missionar zu Gute kommen möge, im Dienste seiner Mission. Solche Subtilitäten erfüllen mich mit Grauen. Und was nun Du Bos betrifft, so hätte ich ihn gerne gesehen wegen seiner Beziehung zu Hofmannsthal, seitdem ich aber kürzlich von seiner Konversion gehört habe, von den Modalitäten dieser Konversion etc. es graut mir fast. Maurras, munkelt man, mache auch daran herum, sogar von Gide mit seinem Pferdefuß munkelt man. Es ist recht schönes Intellektuellenplaisier, – ich nahm während meiner ganzen Wienerzeit daran Teil – so diese Vorführungen katholischer Philosophie wie bei Przywara, katholischen Rationalismi wie bei Maritain, katholischer romantischer Hysterie wie bei Huysmans, aber wenn dann die Sache wirklich wird, wenn sie einem auf den Leib rückt mit ihrer Sklaverei, ihrer Entpersönlichung, ihrer insinuanten Indiscretion, ihrem Himmel wie ein Versailles zur Zeit Louis XIV. – (– la Ste. Vierge ne désire pas –) – ja mein guter Max, in solchen Augenblicken ist mir der gute Rechtskonsulent des Fähnleins der 7 Aufrechten u. der Kreditanstalt beinah lieb, beinah, trotz seines Herrn N., seiner Beziehung zur steilen Ethik des Bingenermeisters und anderseits zur »simplification bien présentée« eines juristischen Weltbildes mit Klavierbegleitung. Und all das sind so Reaktionen, die mir in Momenten unsere Väter von anno 48 und die andern im 16ten Jahrh. doch wieder lebendig machen.

Man kann natürlich diese großartige Form des Christentums, den Katholizismus, genau so gut wie etwa das Franzosentum, ausschließlich weit sehen, weitherzig, seine Einzelnen erkennen, ihre Bezüge, ihre Ausnahmeeigenschaften, aber wenn man entfettet (wie Kassner sagt), auskocht, dann bleibt das Eigentliche, das, worauf es ankommt, das, was weiter wirkt, und dieses Eigentliche ist unversöhnlich, das Wesen der Kirche ist durch Macht bestimmt u. wieder durch Macht, Macht in Nord u.Süd u. jede andere Macht der Welt, ob sie dem Einzelnen oder einem Volke gehört, muß an der Macht der Kirche zu Grunde gehn quer durch die Geschichte hindurch; bei den Franzosen nun negativ gesehen heißen die beiden Pole: im Gefühl, Sadismus; im Geist, Rationalismus; und zwischen diesen beiden Polen liegt die jakobinische Methode, jakobinisch, ob sie der Macht Ludwigs XIV. diene oder der Terreur, der Theorie Bonalds, oder der Deklamation des principes du progrès et de la civilisation 1848, dem Deutschen-Haß seit 70, oder dem exclusiven mörderischen Neokatholizismus unserer Jahre. Das ist der negative Aspekt, – vom positiven möchte ich nächstens wieder einmal in ähnlicher Form wie kürzlich reden in einem Aufsatz über die Ausstellung »Romantisme«, man kann diese zum Anlaß zu Allgemeinstem nehmen, noch mehr als das Buch der Aussprüche. N.b. lies Gonzague’s Aufsatz in der Revue catholique: »Le Romantisme«. Du wirst dann vielleicht doch fast bedauern, daß ihr in eurer Herzensgüte nicht ein wenig mit ihm diskutiert habt, daß ihr im Gegenteil euch milde, gütig, ja dankbar ausschließlich als zu Bildende verhalten habt.

Auf Wiedersehn, Deine Nachrichten, auch kurze, freuen mich immer sehr.

Herzl. Carl

An Eduard Fueter

Genf, Plateau de Frontenex 3,
den 19. Juni 1933

Lieber Freund,

Ich kann Ihnen gleich zum Beginn eine gute Nachricht geben. Ich schickte vor drei Wochen die vier ersten Kapitel des Richelieu Buches an Endres nach Lübeck; diese allein machten schon den Umfang des gesamten Bändchens aus, Endres hat nun ein Einsehen...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Briefe • Briefwechsel • Charlotte König • Elisabeth Burckhardt • Hermann Hubacher • Hugo von Hofmannsthal • Korrespondenz • Max Rychner • München • Münsterplatz • Rhein • Wien • Zürich
ISBN-10 3-10-560582-7 / 3105605827
ISBN-13 978-3-10-560582-0 / 9783105605820
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