Grundprobleme der Philosophie des Geistes (eBook)

Eine Einführung
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2015 | 1. Auflage
320 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560303-1 (ISBN)

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Grundprobleme der Philosophie des Geistes -  Michael Pauen
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An der Philosophie des Geistes scheiden sich die Geister. Die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein beschäftigt Philosophen und empirische Wissenschaftler seit Jahrhunderten. Entsprechend unübersichtlich ist die Diskussionslage. Michael Pauen gibt eine systematische, problemorientierte Darstellung der wichtigsten Positionen, Debatten und Argumente der letzten Jahrzehnte und unterscheidet dabei auch zwischen aussichtsreichen und weniger aussichtsreichen Vorschlägen. Berücksichtigt werden außerdem die Ergebnisse der empirischen Forschung sowie die möglichen Konsequenzen für unser Selbstverständnis als bewusste, frei handelnde Subjekte. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Michael Pauen, geboren 1956, studierte Philosophie in Marburg, Frankfurt am Main und Hamburg. Nach der Habilitation 1995 war er Professor für Philosophie an der Universität Magdeburg und lehrt nun am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er auch Sprecher der Berlin School of Mind and Brain ist. Im S. Fischer Verlag hat er veröffentlicht ?Illusion Freiheit? Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung? (2004), ?Grundprobleme der Philosophie des Geistes. Eine Einführung? (2005) sowie zuletzt gemeinsam mit Harald Welzer ?Autonomie. Eine Verteidigung? (2015).

Michael Pauen, geboren 1956, studierte Philosophie in Marburg, Frankfurt am Main und Hamburg. Nach der Habilitation 1995 war er Professor für Philosophie an der Universität Magdeburg und lehrt nun am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er auch Sprecher der Berlin School of Mind and Brain ist. Im S. Fischer Verlag hat er veröffentlicht ›Illusion Freiheit? Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung‹ (2004), ›Grundprobleme der Philosophie des Geistes. Eine Einführung‹ (2005) sowie zuletzt gemeinsam mit Harald Welzer ›Autonomie. Eine Verteidigung‹ (2015).

II. Gehirn und Bewusstsein


Die Tatsache, dass es sich bei Bewusstseinszuständen um Phänomene handelt, die in einer besonderen Weise aus der Perspektive der ersten Person zugänglich sind, liefert nicht nur den Ansatzpunkt für eine begriffliche Verständigung. Gleichzeitig ergeben sich hieraus auch charakteristische Probleme. Sie betreffen zum einen das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein selbst, man kann daher auch von ONTOLOGISCHEN FRAGEN sprechen. Daneben geht es aber auch um das Verhältnis unserer Erkenntnisse über das Gehirn zu unseren Erkenntnissen über das Bewusstsein; hier handelt es sich in erster Linie um ERKENNTNISTHEORETISCHE Probleme.[16] Im Folgenden möchte ich mich mit den ontologischen Fragen auseinander setzen; erkenntnistheoretische Fragen werden weiter unten (S. 164ff.) im Zusammenhang mit dem ERKLÄRUNGSLÜCKENARGUMENT diskutiert.

Im Kern handelt es sich bei den ontologischen Fragen um das berühmte LEIB-SEELE-PROBLEM. Da der Begriff der SEELE nicht nur starke theologische Konnotationen hat, sondern beispielsweise in der Lebensphilosophie in einen ausdrücklichen Gegensatz zum Geist gebracht worden ist,[17] scheint dessen Verwendung hier genauso wenig sinnvoll wie die des Begriffes LEIB, der zu ähnlichen Problemen führen kann. Nicht ganz treffend erscheint es mir aber auch, stattdessen von einem KÖRPER-GEIST-PROBLEM zu sprechen: Zum einen verführt die Rede von dem Geist sehr leicht zu einer substantialistischen, verdinglichenden Denkweise, zum Zweiten geht es nicht in erster Linie um den Körper, sondern um das Gehirn. Insofern ist es besser, ausgehend von den obigen Überlegungen zum Eigenschaftsstatus des Bewusstseins, von der Beziehung zwischen GEHIRN und BEWUSSTSEIN oder, besser noch, zwischen NEURONALEN EIGENSCHAFTEN und BEWUSSTSEINSEIGENSCHAFTEN zu sprechen.

Zu einem Problem wird diese Beziehung vor allem aufgrund eines Dilemmas: Auf der einen Seite deuten unsere empirischen, insbesondere natürlich unsere neurobiologischen Erkenntnisse darauf hin, dass ein sehr enges Verhältnis zwischen diesen Eigenschaften besteht. Auf der anderen Seite ist jedoch schwer zu erkennen, was die Aktvitäten jener grauen, einförmigen Masse von Nervenzellen, mit der sich die Neurobiologie befasst, mit unserem inhaltlich und qualitativ höchst ausdifferenzierten Bewusstsein zu tun haben soll.

Rein schematisch gibt es hier zunächst zwei unterschiedliche Gruppen von Antworten: Während der MONISMUS glaubt, dass wir uns letztlich nur auf einen Typus von Prozessen beziehen, wenn wir von Aktivitäten in Gehirn und Bewusstsein sprechen, sieht der DUALISMUS hier zwei grundsätzlich differierende Arten von Zuständen, die auch unabhängig voneinander auftreten können. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage, ob und gegebenenfalls wie diese Zustände einander beeinflussen. Während INTERAKTIONISTISCHE Dualisten wie Descartes oder Popper und Eccles hier einen wechselseitigen Einfluss postulieren, räumen die Vertreter des EPIPHÄNOMENALISMUS lediglich einen Einfluss physischer auf psychische Prozesse ein. Psychische Phänomene gelten dagegen als wirkungslose Begleiterscheinungen physischer Prozesse. Viele der klassischen Vertreter des Dualismus beschreiben den Unterschied von Gehirn und Bewusstsein als ein Verhältnis von SUBSTANZEN, neuere Ansätze sprechen dagegen von mentalen und neuronalen PROZESSEN oder EIGENSCHAFTEN. Typischerweise wird dabei unterstellt, dass bestimmte neuronale Prozesse neben ihren physischen zusätzlich auch noch mentale Eigenschaften besitzen; die Position wird daher in der Regel als EIGENSCHAFTSDUALISMUS bezeichnet.

Zwar glauben auch die Eigenschaftsdualisten, dass mentale Eigenschaften theoretisch unabhängig von den neuronalen Prozessen auftreten könnten, an die sie normalerweise gebunden sind. Allerdings denken sie dabei in der Regel weniger an unsterbliche Seelen als vielmehr an andere intelligente Systeme wie etwa Computer oder Lebewesen mit einem ganz anderen Nervensystem. Die prinzipielle Unabhängigkeit von Bewusstsein und Gehirn führt hier also nicht zu der Annahme, Bewusstsein könne als völlig selbständiger Geist auftreten, vielmehr begnügt man sich mit der Annahme, dass es auch als Eigenschaft ganz anderer Prozesse als der uns bekannten neuronalen Aktivitäten zu entstehen vermöge.

Im Gegensatz dazu unterstellt der MONISMUS die Existenz nur eines einzigen Gegenstandsbereiches; für die heute relevanten Formen des Monismus ist dies die physische Realität.[18] Die Vertreter des Monismus stimmen also darin überein, dass wir uns de facto immer auf physische Prozesse beziehen, wenn wir von Vorgängen des Bewusstseins sprechen. Die wichtigsten Unterschiede zwischen den einzelnen Varianten dieser Position betreffen den Status der Rede vom Bewusstsein: Während die Vertreter von LOGISCHEM BEHAVIORISMUS und ELIMINATIVEM MATERIALISMUS meinen, dass eine eigenständige Auseinandersetzung mit Problemen des Bewusstseins aus der Perspektive der empirischen Wissenschaften letztlich überflüssig sei, weil mentalistische Aussagen vollständig durch Aussagen über Verhaltensdispositionen bzw. über neuronale Prozesse ersetzt werden können, postuliert die IDENTITÄTSTHEORIE, dass das Bewusstsein ein ebenso wichtiger Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung ist wie das Gehirn. Auch hier wird also nur ein Gegenstandsbereich akzeptiert, doch es gibt unterschiedliche Formen der Beschreibung oder des Zugangs, die prinzipiell gleichberechtigt sind.

Dualismus


Beginnen wir mit dem DUALISMUS. Die Vertreter dieser Position bestreiten nicht, dass die Neurobiologie wichtige Erkenntnisse liefern kann. Doch wenn wir von unserem Bewusstsein sprechen, dann meinen wir etwas, das mit den gegenwärtigen Methoden der Physiologie und der Physik überhaupt nicht zu erfassen ist: Das Bewusstsein ist den neuronalen Prozessen gegenüber AUTONOM. Nach dualistischer Auffassung handelt es sich bei Gehirn und Bewusstsein also um zwei völlig unterschiedliche Entitäten, die unabhängig voneinander auftreten können und zwei verschiedenen Gegenstandsbereichen angehören.

Uneinigkeit herrscht unter den Dualisten hinsichtlich der Frage, wie das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein zu beschreiben ist. Dies betrifft zum einen den bereits erwähnten Dissens, ob es sich hier um ein Verhältnis von SUBSTANZEN oder von EIGENSCHAFTEN handelt. Differenzen bestehen zum Zweiten in der Frage, ob es Kausalbeziehungen zwischen geistigen und neuronalen Prozessen gibt: Während der klassische PSYCHOPHYSISCHE PARALLELISMUS solche Beziehungen generell bestreitet, betrachtet der EPIPHÄNOMENALISMUS mentale Prozesse zwar als Produkte physischer Vorgänge, schließt aber umgekehrt aus, dass psychische Zustände ihrerseits kausal wirksam werden. Dagegen postuliert der INTERAKTIONISTISCHE Dualismus eine WECHSELWIRKUNG von Geist und Gehirn. Dieser wohl am weitesten verbreiteten Variante des Dualismus zufolge beeinflussen mentale Ereignisse wie Willensakte die neuronale Aktivität; auf der anderen Seite wirken sich physische Prozesse wie die Reizungen unserer Sinnesorgane auf das Bewusstsein aus.

Nehmen wir also an, ein herabfallender Dachziegel würde mich am Kopf treffen, ich verspürte einen Schmerz und würde mich entschließen, möglichst schnell das Weite zu suchen. Der interaktionistische Dualist würde hier physische und mentale Ereignisfolgen unterscheiden. Stark vereinfacht könnte seine Beschreibung etwa folgendermaßen aussehen: Am Beginn steht eine Kette physischer Ereignisse, die mit dem Fall des Ziegels beginnt, sich fortsetzt über die Verletzung meiner Kopfhaut sowie die Aktivierung von Schmerzrezeptoren und vorläufig in einer Erregung der Schmerzzentren in meinem Gehirn endet. Dieser neuronale Prozess würde auf der mentalen Ebene eine Schmerzerfahrung bewirken, einen autonomen geistigen Vorgang, der theoretisch auch in Abwesenheit jener physischen Ereignisfolge stattfinden könnte. Die Schmerzerfahrung führt ihrerseits zu einem weiteren geistigen Ereignis, nämlich meinem Entschluss zu flüchten. Dieser Entschluss bewirkt wiederum bestimmte neuronale und körperliche Aktivitäten, die schließlich zu meiner Flucht führen.

Interaktionistischer Dualismus
  • (1)

    Mentale Ereignisse sind keine physischen Ereignisse

  • (2)

    Mentale Ereignisse zählen zu den Ursachen physischer Ereignisse

  • (3)

    Mentale Ereignisse zählen zu den Ursachen jeweils anderer mentaler Ereignisse

  • (4)

    Mentale Ereignisse werden von physischen und mentalen Ereignissen verursacht

Intuitionen

Der interaktionistische Dualismus stimmt in vielen Punkten mit recht tiefsitzenden Intuitionen überein. In ethnologischen Studien zeigte sich, dass die Mehrzahl der Kulturen den Begriff einer ›Seele‹ kennt; in etwa der Hälfte der Fälle wurde zudem unterstellt, dass sich die Seele vom Körper trennen könne. Umfragen zufolge glauben 88 % aller Amerikaner und immerhin 61 % aller Europäer an die Existenz der menschlichen Seele.[19] Auch in den meisten vormodernen Theorien über...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Benjamin Libet • Bewusstseinszustand • Dualismus • Entität • Epiphänomenalismus • Gehirn • Geist • Interaktion • Interaktionstheorie • Jaegwon Kim • John Eccles • Karl Popper • Konflikt • Philosophie • Physikalischismus • Sachbuch • Saul Kripke • schmerzerfahrung • Willensakte
ISBN-10 3-10-560303-4 / 3105603034
ISBN-13 978-3-10-560303-1 / 9783105603031
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