Arthur Schnitzler (eBook)

Lieben Träumen Sterben
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
284 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560299-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Arthur Schnitzler -  Ulrich Weinzierl
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Lieben - Träumen - Sterben: Entlang dieser drei für Schnitzler so bezeichnenden Schlüsselwörter beschreibt Ulrich Weinzierl Leben und Werk des Autors. Weinzierl ist ein gründlicher Kenner sowohl der veröffentlichten wie auch vieler unveröffentlichter Schriften Schnitzlers und zudem ein ausgewiesener Fachmann für österreichische Literatur. Sein Buch hält wissenschaftlichen Ansprüchen stand und ist zugleich mit Esprit, Leichtigkeit und Sprachverstand geschrieben. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Ulrich Weinzierl, geboren 1954 in Wien, studierte Germanistik und berichtete ab Mitte der achtziger Jahre als Feuilletonkorrespondent für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, danach für »Die Welt«.

Ulrich Weinzierl, geboren 1954 in Wien, studierte Germanistik und berichtete ab Mitte der achtziger Jahre als Feuilletonkorrespondent für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, danach für »Die Welt«.

Dreiklang


Bei allem Respekt vor Thomas und trotz unzweifelhaft herzlicher Zuneigung zu Heinrich Mann – den ältesten Sohn und Neffen des ruhmreichen Brüderpaars mochte Arthur Schnitzler dezidiert nicht. Zumindest reagierte er allergisch auf das Romandebüt des frühreifen Erben großen Namens. Nach der Lektüre von Klaus Manns Der fromme Tanz meinte er knapp: »Fast nur widerwärtig, Talent kaum zu spüren.«[1] Der insgeheim Gescholtene hingegen erwies sich als dankbarer und durchaus verständiger Schnitzler-Leser. Nachdem er im Dezember 1936 Frau Berta Garlan beendet hatte, war er überrascht, beinah bestürzt: »In der Welt dieses Dichter-Arzts gibt es nichts nichts nichts – ausser Tod und Geschlecht.«[2] Nur eine emphatische Übertreibung? Nicht unbedingt, obwohl niemand abstreiten wird: Klaus Mann ist zeit seines allzu kurzen Lebens vom Sexuellen wie vom Sterben magisch, ja verhängnisvoll angezogen gewesen.

Ein zweites Beispiel: Der ausführlichste und meistzitierte Brief, den Sigmund Freud an Schnitzler sandte, war der Glückwunsch zum 60. Geburtstag, worin neben vielen anderen achtungsvollen Freundlichkeiten auch die folgende steht: »Ihr Determinismus wie Ihre Skepsis – was die Leute Pessimismus heißen –, Ihr Ergriffensein von den Wahrheiten des Unbewußten, von der Triebnatur des Menschen, Ihre Zersetzung der kulturell-konventionellen Sicherheiten, das Haften Ihrer Gedanken an der Polarität von Lieben und Sterben, das alles berührte mich mit einer unheimlichen Vertrautheit.«[3] Nun könnte man leicht einwenden, daß Freud eben bei der Charakterisierung seines angeblichen »Doppelgängers« nichts als sein eigenes Spiegelbild gesehen und beschrieben habe. Allein, das wäre wohl zu simpel.

Vernehmen wir einen weiteren, völlig unverdächtigen Zeugen. Georg Brandes, der bedeutende dänische Kulturkritiker und getreue Freund in der Ferne, bedankte sich beim Verfasser für die Übermittlung des Dramas Der Ruf des Lebens, indem er einen thematischen Bogen zu Schnitzlers epischem Frühwerk schlug: »Sie sind ein Grübler über den Tod, wie schon Ihr ›Sterben‹ zeigte. Die Hälfte Ihrer Produktion ist Thanatos, die Hälfte Eros gewidmet. Aber dadurch haben Ihre Arbeiten eine so große Spannweite (wenn das Wort deutsch ist).«[4] Schnitzlers Antwort ließ nicht auf sich warten: »Sie sagen«, erwiderte er schon zwei Tage darauf, am 13. März 1906, »daß meine Arbeiten eine so große Spannweite haben, weil ein Theil dem Tod, der andere der Liebe gewidmet sei. Kein Wunder. In dieser Spannweite hat nicht mehr und nicht weniger Platz als das Leben.«[5] Fürwahr, ein selbstbewußtes, ein stolzes Diktum – gerade in seiner Ausschließlichkeit. Und Jean Améry sollte später in bezug auf des Dichters Œuvre sogar pauschal von den »Schnitzler’schen ›Weisen von Liebe und Tod‹« sprechen, »denn das sind sie, wie abgebraucht dieser Rilke-Titel auch klinge«.[6]

Warum nun eine solche Parade prominenter Stimmen, die beliebig fortzusetzen wäre? Wer den Versuch wagt, Arthur Schnitzler – den Mann zuvorderst und das Werk – bloß unter drei Gesichtspunkten zu betrachten, der läuft Gefahr, mutwilliger Perspektivenbeschränkung angeprangert zu werden. Gewiß nämlich bleibt dabei eine Menge unberücksichtigt: etwa die politische Position des liberalen Bürgers im Umbruch der Epochen oder die exemplarische Haltung zu Judentum und Antisemitismus; ferner sein Durchschauerblick, der ihm rechtens den Ehrentitel eines »›poetische[n] Soziologe[n]‹ der Wiener und europäischen Welt des fin de siècle«[7] eintrug. Auch daß Schnitzler, wie ihm Heinz Politzer so trefflich nachsagte, »ein Moralist in Moll«[8] war, dessen Kritik noch in ihrer Unerbittlichkeit Eleganz, somit die Würde der Form wahrte, kommt zu kurz.

Andererseits öffnen die Stichworte »Lieben – Träumen – Sterben« den Zugang zu jenem weiten Land der Seele, das in Arthur Schnitzler einen der kundigsten Führer im Literaturbezirk fand. Einer berufsbedingt neugierigen Doktorandin hat er höflich abweisend erklärt: »Das Publikum soll ja von mir nichts weiter wissen, als was es eben aus meinen Werken erfährt, die ich für die Öffentlichkeit geschrieben habe.«[9] Der geliebtesten Weggefährtin seiner späten Jahre, der Übersetzerin Suzanne Clauser, bekannte er dafür freimütig: »[…] wie wenig kennt man einen Menschen, den man nur aus seinen Werken kennt – und ein wie geheimnisvolles Ding ist Persönlichkeit.«[10]

Kein anderer Autor in diesem Jahrhundert hat so penibel über sich Protokoll geführt wie Schnitzler, Dokumente seiner privaten und künstlerischen Existenz gesammelt und archiviert. Die Scheu vor dem Einbruch der Zeitgenossen in seine Privatsphäre war untrennbar verbunden mit Offenbarungsbereitschaft gegenüber der Nachwelt: Arthur Schnitzler, der gnadenlose Skeptiker seiner selbst, wollte postum erkannt sein. Als er im Sommer 1918 in alten Diarien blätterte, bemerkte er: »Es ist mein brennender Wunsch, daß sie nicht verloren gehen. Ist das Eitelkeit? – Auch, gewiß. Aber irgendwie auch ein Gefühl der Verpflichtung. Und als könnt es mich von der quälenden inneren Einsamkeit befreien, wenn ich – jenseits meines Grabes Freunde wüßte. –«[11] Insbesondere Schnitzlers unerschrockenes Wahrheitsstreben, das weder seine Umgebung noch die Schwächen seines Charakters aussparte, bringt ihn uns nahe: als Menschen in all seiner Größe und Kleinlichkeit, mit zahlreichen Brüchen und Widersprüchen, die moralisierend zu bewerten oder gar zu verurteilen sich keiner anmaßen sollte. »Selbst infiziert, gezeichnet von den Symptomen der kollektiven Neurose, war er kein Rezepteschreiber […], sondern ihr unbestechlicher Diagnostiker.«[12]

Der poetische Gestalter von Liebe, Traumwelt und Tod wußte, wovon er erzählte: Er hat in seinen Erdentagen unter Problemen, Konflikten und Krisen überdurchschnittlich gelitten, er war begnadet und geschlagen zugleich, ein »Poeta dolorosus. Seine Leidensfähigkeit wurde über alles Erträgliche hinaus ausgeschöpft.«[13] Legendär sind die »Frauengeschichten«, die Amouren und Passionen in Schnitzlers Texten wie auch in seiner Biographie, mehr noch: Sie waren und sind buchenswert im eigentlichen Verständnis.[14] Er schuf – vom »süßen Mädel« bis zur »Mondänen« – Typen, die bei Publikum und Kritik alsbald zum Klischee verkamen, deren ›Modelle‹ er freilich sorgfältig und aus nächster Nähe studiert hatte. An einigen Beispielen läßt sich der Sublimationsprozeß verfolgen, der Realität zu Fiktion verdichtete, kruden Erlebnissen den schönen Schein der Kunst lieh. »Lieben« aber darf hier sicher nicht im engen Sinn sexueller Aktivitäten verstanden werden, sondern umfassender als emotionale Bindung und Abhängigkeit; auch Schnitzlers Familie – in erster Linie Vater, Mutter, Bruder, Tochter – und Freunde gehörten zum intimen Beziehungsgeflecht.

Sein Lebtag lang hat sich Arthur Schnitzler für seine Träume interessiert, sie bei Tag zu fixieren und oft zu deuten versucht. Nicht zuletzt diese Neigung beeinflußte seine Einstellung zur Psychoanalyse, zu Sigmund Freud und dessen Jüngern, die wiederum Schnitzlers literarischer Produktion ungewöhnliche Aufmerksamkeit widmeten, und das mit gutem Grund: Traumelemente und die Gewalt des Unbewußten spielen in seinen Dramen und erzählenden Schriften eine tragende Rolle. Es war ein – nicht immer einträchtiges – Gespräch unter Pionieren der höheren und tieferen Menschenkunde, in dem sich Nähe und Distanz, wahlverwandte Geistigkeit und Abgrenzungstendenzen seltsam mischten.

1919, mitten in der Agonie seiner Ehe, gedachte Schnitzler des peinigenden Schmerzes von ehedem, da Marie Reinhard gestorben war. Und in sein Journal trug er damals die kostbare, im ersten Moment rätselhafte Formulierung ein: »Auf den Tod ist man nicht eifersüchtig. Er ist ein zu großer Herr.«[15] Schnitzler galt und gilt als Spezialist für das Ineinander von erotischer Leidenschaft und Trauer; jede der von ihm geschilderten Liaisons trägt sichtbar den Keim der Zerstörung in sich, schon die erotischen Präludien sind verkappte Endspiele, der sexuelle Reigen wird schließlich zum Totentanz. »Trübe gespenstert im Licht – Liebe, die starb vor der Zeit«[16], lautet die – vermeintliche – Formel von Schnitzlers Verhältnis zum »Abenteuer seines Lebens«[17]: Olga Waissnix. Doch im Grunde steckt in dem Vers ein Axiom seines Empfindens: Für ihn starb Liebe stets »vor der Zeit«, sie hat die Aura des Todgeweihten, fast Totgeborenen. Wie stark ihn solches Wissen um Vergänglichkeit geprägt hat, beweisen zahllose Äußerungen, entstammten sie nun gleichsam klinischen Fallstudien oder literaturfernen, direkten Reflexionen. »Der Tod aber bedeutet«, schrieb Bernhard Blume bezogen auf Arthur Schnitzler, »die endgültige, restlose Vernichtung; ohne Trost, ohne Verklärung, ohne Verwandlung, ohne Versprechen, ohne Ausblick in ein Jenseits: das absolute Nichts.«[18]

Keinesfalls sind die Schwerpunkte »Lieben – Träumen – Sterben« als streng getrennte Bereiche zu verstehen, die Grenzlinien verschwimmen unter den Augen des Betrachters. Auch die gern geübte strikte Scheidung...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Arthur Schnitzler • Berlin • Biographie • Burgtheater • Frankfurt am Main • Fritz Wittels • Hypochondrie • Richard Beer-Hofmann • Sachbuch • Sigmund Freud • Theodor Reik • Traumdeutung • Unbewußte • Venedig • Wien • winterstein
ISBN-10 3-10-560299-2 / 3105602992
ISBN-13 978-3-10-560299-7 / 9783105602997
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