Chaos (eBook)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
130 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560238-6 (ISBN)

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Chaos -  Bruno Eckhardt
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FISCHER KOMPAKT. Verlässliches Wissen kompetent, übersichtlich und bündig dargestellt. Inhaltsverzeichnis Grundriss Deterministisches Chaos Mathematisches Pendel - Gleichgewichtspunkte - Pendel mit periodischem Antrieb - Der Satz von Kolmogorov, Arnold und Moser - Weitere konservative Systeme Dissipative Systeme Turbulenz Transientes Chaos Lyapunovexponent und Vorhersagbarkeit - Definition - Vorhersage - Wettervorhersage - Chaos und numerische Rechnungen Wann kann Chaos auftreten? Rekonstruktion und Chaos-Detektion Universelle Eigenschaften - Hufeisen- und Bäckerabbildungen - Seltsamer Attraktor Wege ins Chaos - Periodenverdopplung - Intermittenz - Quasiperiodische Bewegung und das Ruelle-Takens-Szenario Nützliches Chaos - Chaotische Advektion - Chaoskontrolle - Satellitenbahnen Quantenmechanik und Chaos Chaosforschung Vertiefungen - Frequenzanalysen - Periodische Bahnen - Rationale und reelle Zahlen - Billards - Sonnensystem - Lorenzmodell - Chemisches Chaos - Populationsmodelle - Apfelmännchen Frequenzanalyse Anhang - Glossar - Literaturhinweise (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Bruno Eckhardt: Professor für Theoretische Physik; 2002 wurde ihm der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft verliehen. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Physik komplexer Systeme.

Bruno Eckhardt: Professor für Theoretische Physik; 2002 wurde ihm der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft verliehen. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Physik komplexer Systeme.

2 Mathematische Pendel


2.1 Gleichgewichtspunkte


Ein mathematisches Pendel besteht aus einem masselosen starren Stab, der sich reibungsfrei um einen Aufhängepunkt drehen kann, und einer Punktmasse, die am anderen Ende befestigt ist und im Schwerefeld der Erde nach unten gezogen wird. Anders als beim Uhrpendel oder der Schiffschaukel werden Überschläge zugelassen. Dann gibt es zwei Zustände, in denen sich die Kräfte balancieren und keine Bewegung erfolgt: einen, in dem das Pendel genau nach unten hängt, und einen zweiten, in dem es senkrecht nach oben zeigt, also auf die Spitze gestellt ist (Abb. 1).

Die untere Ruhelage ist stabil: Bei kleiner Auslenkung aus der Ruhelage beginnt das Pendel gleichmäßig von der einen Seite auf die andere zu schwingen. Die Dauer dieser Schwingung ist durch die Formel (1) gegeben. Ohne Reibung wird diese Bewegung immerfort andauern. Reibung bremst sie aus und bringt sie zum Erliegen. Man unterscheidet daher mit dem russischen Mathematiker Alexander Lyapunov (18571918) zwei Formen der Stabilität: eine einfache, bei der das System eine Umgebung des Ruhepunktes nicht verlässt, und eine asymptotische, bei der das System für lange Zeiten wieder auf den Ruhepunkt zuläuft. Der untere Ruhepunkt eines Pendels ist daher ohne Reibung einfach stabil, mit Reibung asymptotisch stabil. In der Umgebung dieser Punkte haben kleine Störungen auch nur kleine Auswirkungen.

Die obere Ruhelage ist instabil: Kleine Auslenkungen führen dazu, dass das Pendel nach der einen oder anderen Seite herunterfällt. Die Störung selbst mag unmerklich klein sein, der Ausschlag nach der einen oder anderen Seite ist klar erkennbar. In einer solchen instabilen Situation verlassen die Bahnen die Umgebung des Gleichgewichtspunktes und erkunden neue Systemzustände.

Für die weiteren Betrachtungen ist es nützlich, ein Element der mathematischen Beschreibung der Systeme aufzugreifen und den Raum aller Zustände, den Phasenraum, einzuführen. Ein Phasenraum hat so viele Zustandsvariablen, wie zur eindeutigen Festlegung des Systemzustandes erforderlich sind. Bei einem mechanischen System ist die Bewegung eindeutig durch Angabe des Ortes und der Geschwindigkeit festgelegt. Daher ist für das Pendel der Phasenraum eine Ebene, aufgespannt durch eine Winkelangabe φ und eine Geschwindigkeit v. Die beiden Ruhelagen sind durch die Geschwindigkeit v=0 und den jeweiligen Winkel festgelegt. Im Falle des unteren Umkehrpunktes ist das der Winkel φ=0°. Für den oberen Umkehrpunkt kann der Winkel Φ=180° oder Φ=–180° sein: Dem Unterschied von 360° entspricht eine komplette Drehung des Pendels, die physikalisch auf denselben Zustand führt. Daher können Winkel, die außerhalb des Intervalls von –180° bis +180° liegen, durch Hinzufügen oder Abziehen von 360° wieder in das Intervall zurückgeführt werden. Mathematisch gesprochen, wird die Ebene auf einen Zylinder aufgerollt.

Abb. 2: Übertragung der Bewegungszustände eines Pendels auf eine Kurve im Phasenraum. Aus der periodischen Schwingung wird eine geschlossene Kurve (a–e). Die im Uhrzeigersinn überschlagenden Bewegungen laufen im Phasenraum von –180° bis +180°, werden dann auf –180° zurückgesetzt und durchlaufen die Bahn erneut (f). Entsprechendes gilt für die gegen den Uhrzeigersinn überschlagenden Bewegungen (g).

Die Schwingungen, die das Pendel um den unteren Gleichgewichtspunkt ausführt, werden zu geschlossenen Kurven im Phasenraum (siehe Abb. 2). In der Umgebung des stabilen Ruhepunktes finden sich nur geschlossene Bahnen. Man spricht daher auch von einem elliptischen oder O-Punkt.

In der Umgebung des oberen Umkehrpunktes gibt es Bahnen, die wieder umkehren, und solche, die überschlagen. Neben dem Ruhepunkt selbst sind vier Bahnstücke besonders ausgezeichnet. Da gibt es die Bahnen, die nie zurückfallen oder überschlagen und dem Ruhepunkt immer näher kommen. Das Pendel wird immer langsamer und erreicht nach unendlich langer Zeit den oberen Umkehrpunkt. Von diesen Bahnen gibt es zwei Stück, je nachdem, ob das Pendel im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn nach oben läuft. Man nennt sie die stabilen Mannigfaltigkeiten, weil sie Bewegungen beschreiben, die auf den Ruhepunkt zulaufen. Genauso gibt es Bewegungen, die vor unendlich langer Zeit im Ruhepunkt waren und nun nach unten fallen. Auch hiervon gibt es zwei, je nachdem, ob das Pendel im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn herunterfällt. Dies sind die instabilen Mannigfaltigkeiten, die die Bewegung, die vom Ruhepunkt wegführt, beschreiben (Abb. 3).

In der Umgebung eines bestimmten Punktes finden sich also kreuzförmig angeordnete stabile und instabile Mannigfaltigkeit und hyperbelartige Bruchstücke von Bahnen, die überschlagen oder zurückfallen. Man spricht daher auch von einem hyperbolischen oder X-Punkt.

Abb. 3: Phasenraumstrukturen beim ungestörten Pendel: Um den stabilen elliptischen Gleichgewichtspunkt finden sich geschlossene Kurven für die Schwingungsbewegung. In der Umgebung des instabilen hyperbolischen Gleichgewichtspunktes kreuzen sich die stabilen (Ms ) und instabilen (Mu) Mannigfaltigkeiten.

Das besondere beim ungestörten Pendel ist, dass die stabilen und instabilen Mannigfaltigkeiten zusammenfallen: wenn das Pendel im Uhrzeigersinn längs der instabilen Mannigfaltigkeit herunterfällt, so steigt es auf der anderen Seite längs der entsprechenden stabilen Mannigfaltigkeit wieder hinauf. Entsprechendes gilt für die Bewegung gegen den Uhrzeigersinn.

2.2 Pendel mit periodischem Antrieb


Das Pendel ist ein einfaches, schwingungsfähiges System, in dem stabile und instabile Gleichgewichtspunkte realisiert sind. Mit Poincaré können wir jetzt untersuchen, was passiert, wenn zusätzlich zur Gravitation eine weitere Kraft auf das Pendel einwirkt. Um den deterministischen Charakter der Dynamik zu erhalten, muss auch diese Kraft selbst deterministisch sein. Wir wählen dazu eine harmlos erscheinende kleine Modifikation: der Aufhängepunkt sei nicht mehr fixiert, sondern bewege sich mit einer einfachen Sinusschwingung in der Vertikalen (Abb. 4). Nun wird die Entscheidung, ob das Pendel oben überschlagen wird oder nicht, entscheidend durch die Phasenlage des Antriebes beeinflusst. Nähert sich das Pendel dem oberen Umkehrpunkt in einer Phase, in der das Pendel nach unten zieht, so wird es zusätzlich zur Mitte hin beschleunigt und die Störung hilft beim Überschlag. Bewegt sich der Aufhängepunkt allerdings in der Phase der Annäherung nach oben, so wird der Schwung des Pendels aufgefangen und es kann noch vor dem Überschlag zurückgeworfen werden. In welcher Phase das Pendel beim nächsten Anlauf auf den oberen Ruhepunkt wieder zurückkommt, hängt davon ab, wie lange es braucht, durch den unteren Ruhepunkt zu schwingen und wieder hochzulaufen: Da auch dies durch die Bewegung des Aufhängepunktes mitbestimmt wird, ist das Verhalten des Pendels das Ergebnis eines komplizierten Wechselspiels zwischen Schwerkraft und Bewegung des Aufhängepunktes. Dies führt dazu, dass die Bewegung nun nicht mehr einfach periodisch ist, sondern eine unregelmäßige Abfolge von erfolgreichen und gescheiterten Anläufen auf einen Überschlag zeigt.

Abb. 4: Pendel mit periodisch moduliertem Aufhängepunkt. Je nachdem ob sich der Aufhängepunkt nach unten oder nach oben bewegt, kann bei Annäherung an die vertikale Position ein Überschlag erfolgen oder nicht.

Abb. 5: Reduktion der kontinuierlichen Bewegung auf eine diskrete Abbildung durch eine stroboskopische Betrachtung der Orte und Geschwindigkeiten zu jeder vollen Periode.

Um nun einen Überblick über die gesamte mögliche Dynamik des Pendels zu bekommen, wird üblicherweise ein Trick angewendet, der auf Poincaré zurückgeht: Anstatt die Bewegung kontinuierlich in der Zeit zu verfolgen, werden Ort und Impuls nur noch stroboskopisch zu jeder Periode des äußeren Antriebes notiert (Abb. 5). Aus der kontinuierlichen Bahn in Winkel, Geschwindigkeit und Zeit wird eine diskrete Folge von Punkten in Winkel und Geschwindigkeit zu Zeiten, die Vielfache der Periode sind. Die Vorschrift, mit der aus den Orten und Geschwindigkeiten zu einer Zeit die Orte und Geschwindigkeiten nach einer Periode ausgerechnet werden, heißt stroboskopische oder Poincaré’sche Abbildung. Mathematisch gesehen, geht bei dieser Reduktion der kontinuierlichen Bewegung auf eine diskrete Abbildung wenig verloren, da die Bewegung über eine Periode hinweg recht glatt verläuft.

Angewandt auf das ungestörte Pendel, ergibt sich das in Abb. 6 gezeigte Punktemuster. Für die Interpretation wichtig ist das Verhältnis zwischen der Periode der ungestörten Bewegung und der des Antriebes. Stehen beide in einem rationalen Verhältnis zueinander, so hat eine Bahn nur endlich viele Durchstoßpunkte. Sind die Frequenzverhältnisse irrational, so gibt es unendlich viele Durchstoßpunkte, die auf einer glatten Kurve zu liegen kommen. In diesen glatten Kurven spiegelt sich die Tatsache wider, dass ohne Antrieb die Energie erhalten ist. Im vollen Phasenraum bilden die Kurven eine Röhre, die den stabilen unteren Ruhepunkt umschließt. Da sich die Zeitkoordinate mit der Periode des äußeren Antriebs wiederholt, können die Enden der Röhre zu Beginn und am Ende einer Periode...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Antrieb • Apfelmännchen • Billard • Chaos • Chaosforschung • Fischer Kompakt • Hydrodynamik • Iteration • Juliamenge • Lorenzmodell • Mandelbrotmenge • Pendel • Phasenraum • Populationsmodell • Quantummechanik • Sachbuch • Sonnensystem • Turbulenz • Wärmeleitungsgleichung
ISBN-10 3-10-560238-0 / 3105602380
ISBN-13 978-3-10-560238-6 / 9783105602386
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