Niegeschaute Welten (eBook)

Die Umwelten meiner Freunde
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2015 | 1. Auflage
262 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560235-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Niegeschaute Welten -  Jakob von Uexküll
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Jakob von Uexküll, 1864-1944, war ein bedeutender Zoologe des 20. Jahrhunderts. Er machte deutlich, dass Lebewesen ihre Umwelt subjektiv wahrnehmen und zeigte, wie die Wahrnehmung sich auf das Verhalten auswirkt. Das Erinnerungsbuch ?Niegeschaute Welten. Die Umwelten meiner Freunde? von Jakob von Uexküll erschien erstmals 1936.

Jakob von Uexküll, 1864-1944, war ein bedeutender Zoologe des 20. Jahrhunderts. Er machte deutlich, dass Lebewesen ihre Umwelt subjektiv wahrnehmen und zeigte, wie die Wahrnehmung sich auf das Verhalten auswirkt.

Jakob von Uexküll, 1864–1944, war ein bedeutender Zoologe des 20. Jahrhunderts. Er machte deutlich, dass Lebewesen ihre Umwelt subjektiv wahrnehmen und zeigte, wie die Wahrnehmung sich auf das Verhalten auswirkt.

Einleitung

Was heißt Umwelt?


EIN anmutiges Kindermärchen berichtet von einem Manne, der eines Tages auf seinen eigenen Schatten aufmerksam wurde und ihn für ein lebendiges Wesen hielt. Anfangs schien es ihm wohl, daß der Schatten sein Diener sei und allen seinen Befehlen getreulich nachkam, indem er seine Bewegungen nachahmte. Aber allmählich kamen ihm Bedenken, ob der Schatten nicht zuerst die Bewegungen vormache und er es sei, der seinen Schatten nachahme. Er begann, auf seinen Schatten Rücksicht zu nehmen, und sorgte dafür, daß der Schatten nicht etwa auf scharfe Steine oder Glassplitter fiele, die ihn verletzen könnten. Er selbst nahm die unbequemsten Stellungen ein, wenn nur der Schatten gemächlich sitzen konnte. So wurde er schließlich zum getreuen Diener seines Schattens – ja, er sank zum Schatten seines Schattens herab.

Die Lehre aus dieser Geschichte ist leicht zu ziehen. Leider haben die meisten Naturforscher sie nicht beherzigt und haben in der von ihnen verkündeten Weltanschauung den Schatten zum Herrn der Wirklichkeit gemacht.

Wie kam es dazu?

Jeder Mensch, der in der freien Natur um sich schaut, befindet sich in der Mitte eines runden Eilandes, das von der blauen Himmelskuppel überdacht ist. Das ist die ihm zugewiesene anschauliche Welt, die alles für ihn Sichtbare enthält. Und dieses Sichtbare ist entsprechend der Bedeutung, die es für sein Leben hat, angeordnet. Alles, was nah ist und unmittelbar auf den Menschen einwirken kann, steht in voller Größe da; das Ferne und daher Ungefährliche ist klein. Die Bewegungen der fernen Dinge können ihm unsichtbar bleiben, während die Bewegungen der nahen Dinge ihn aufschrecken. Wenn wir im Schatten eines Baumes ruhen, so bleibt uns das Wandern seines Schattens, das durch das Vorüberziehen der fernen Sonne hervorgerufen wird, verborgen. Dagegen gibt sich jede Bewegung der Blätter des Baumes, die durch den Wind oder einen auffliegenden Vogel veranlaßt wird, deutlich im Schattenbilde kund.

Dinge, die sich dem Menschen unsichtbar nähern, weil sie durch andere Gegenstände verdeckt sind, verraten sich seinem Ohr durch Geräusche oder seiner Nase als Geruch und, wenn sie ganz nahe herangekommen sind, durch den Tastsinn.

Die Nähe ist durch einen immer dichter werdenden Schutzwall der Sinne ausgezeichnet. Tastsinn, Geruchsinn, Gehörsinn und Sehsinn umgeben den Menschen wie vier Hüllen eines nach außen hin immer dünner werdenden Gewandes.

Diese Sinnesinsel, die jeden Menschen wie ein Gewand umgibt, nennen wir seine Umwelt. Sie zerfällt in verschiedene Sinnessphären, die beim Herannahen eines Gegenstandes nacheinander in Erscheinung treten. Alle in weiter Ferne gelegenen Gegenstände sind für den Menschen nur Sehdinge, nähern sie sich, so werden sie auch Hördinge, dann Riechdinge und schließlich noch Tastdinge. Die mit allen Sinneseigenschaften versehenen Dinge kann der Mensch noch zum Munde führen und auch noch zu Geschmacksdingen machen.

Die mit allen erdenklichen Sinneseigenschaften ausgestatteten Gegenstände bleiben ihrem Wesen nach immer Erzeugnisse des menschlichen Subjekts und sind keine Dinge an sich selbst, die ohne Subjekt für sich allein bestehen könnten. Erst wenn sie alle Sinneshüllen, die das Eiland zu verleihen hat, sich übergeworfen haben, stehen die Objekte dieser Welt in ihrer vollen Gegenständlichkeit vor uns.

Was sie vorher sind, solange sie noch völlig hüllenlos dastehen, das werden wir nie ergründen. In diesem Zustande haben sie für den Biologen nur dann Interesse, wenn sie als Reizquellen auftreten und durch ihre Wirkungen auf die Sinnesorgane diese zur Erzeugung von Eigenschaften veranlassen. Denn die Aufgabe der Sinnesorgane besteht immer darin, Reize in Eigenschaften zu verwandeln.

Jedem Sinnesorgan ist, wie wir sahen, eine Sinnessphäre der Umwelt zugeordnet. Die Sinnessphäre des Auges ist die umfassendste, denn sie reicht vom Körper des Menschen bis zum Horizont. Viel kleiner ist die Tastsphäre, denn sie reicht nicht weiter als die tastende Hand.

Da die Sinnessphären der einzelnen Menschen sich in allen Grundzügen gleichen, gleichen sich auch die Gegenstände in ihren verschiedenen Umwelten.

Daraus hat man den voreiligen Schluß gezogen, die Gegenstände seien für sich allein bestehende Wirklichkeiten, die auch unabhängig von den Subjekten ihr eigenes Dasein führten. Es wird kaum einen gebildeten Menschen geben, der nicht bereit ist, darauf zu schwören, daß die gleiche Sonne, der gleiche Mond und die gleichen Sterne auf alle Lebewesen herabscheinen – anstatt vorsichtigerweise zu urteilen, daß die Gestirne in gleicher Weise nur in den Umwelten unserer Mitmenschen auftreten. Auch diese Behauptung ist nicht korrekt, denn wenn kleine Kinder nach dem Monde greifen, so ist das ein Beweis dafür, daß ihr Mond, der an ihrem Kinderhorizont in einer Entfernung von kaum acht Metern steht, nicht derselbe ist wie der unsrige. Der Horizont, der für uns Erwachsene in einer Entfernung von ungefähr sechs Kilometern die sichtbare Welt abschließt, ist erst durch vielfältige Erfahrungen allmählich so weit hinausgeschoben worden. Wir haben es nach und nach gelernt, bekannte Gegenstände nicht mehr klein, sondern fern zu sehen. Helmholtz berichtet, daß er als kleiner Junge mit seiner Mutter vor der Garnisonkirche in Potsdam stand und sie gebeten habe, die kleinen Püppchen herabzuholen, die sich auf dem Dach der Kirche als Dachdecker betätigten.

Bei den Tieren, deren Umwelten von einem kleinen Horizont umschlossen sind, ändern sich die Himmelslichter von Grund aus. Wenn die Mücken in der Abendsonne tanzen, so gibt es für sie nicht unsere große Menschensonne, die in einer Entfernung von sechs Kilometern zur Rüste geht, sondern es sind ihre kleinen Mückensonnen, die einen halben Meter von ihnen entfernt untergehen. Mond und Sterne gibt es am Mückenhimmel nicht.

Wer sich nur ein wenig mit den Umwelten der Tiere beschäftigt hat, wird nie auf den Gedanken kommen, den Gegenständen eine Eigengesetzlichkeit zuzuschreiben, die sie unabhängig von den Subjekten macht. Denn hier ist die Wandelbarkeit der Objekte das oberste Gesetz. Ein jeder Gegenstand ändert sich von Grund aus, wenn er in eine andere Umwelt versetzt wird. Ein Blütenstengel, der in unserer Umwelt der Träger einer Blume ist, wird in der Umwelt der Schaumzikade zu einer mit Flüssigkeit gefüllten Röhre, aus der die Zikade die Flüssigkeit, die sie zur Erbauung ihres aus Schaumbläschen bestehenden Hauses benötigt, herauspumpt.

Der gleiche Blütenstengel wird für die Ameise zu einem aufstrebenden Steg, der ihr Heimatnest mit ihrem Jagdgebiet in der Blume verbindet. Für die weidende Kuh wird der Blütenstengel zu einem kleinen Teil ihrer wohlschmeckenden Nahrung, die sie kauend in ihr breites Maul schiebt.

Die Lehren der Positivisten, die sich auf die Eigengesetzlichkeit der Objekte gründen und mit Vorliebe von den Sinnestäuschungen der Subjekte handeln (um nicht die Wandelbarkeit der Objekte zuzugeben), erhalten durch zwei für die menschlichen Umwelten charakteristischen Eigentümlichkeiten eine scheinbare Unterstützung: das sind die Erweiterung des Raumes und die Verlegung des Weltmittelpunktes, die eng miteinander zusammenhängen.

Kein Tier wird je in Gedanken den Umweltraum seiner Sinne verlassen, dessen Mittelpunkt es bildet. Es mag noch so weit wandern, stets wird es vom Umweltraum, der von seinen Sinnessphären erfüllt ist, umgeben bleiben, mögen die Gegenstände noch so häufig wechseln. Der Mensch aber zeigt, wenn er weitere Wanderungen unternimmt, die Neigung, den Raum, in dem er sich befindet, von seinen Sinnessphären loszulösen und ihn entsprechend den von ihm durchmessenen Wegen nach allen Seiten zu erweitern. Das Himmelsgewölbe muß sich zugleich immer mehr ausdehnen und wird in Gedanken immer höher aufgebaut. Den Mittelpunkt, über den die Himmelsglocke gestülpt ist, bildet dann nicht mehr der umherwandernde Mensch, sondern sein Heimatort. Nicht mehr bewegt sich der Mensch gemeinsam mit dem ihm getreulich folgenden Raum, wie es der Augenschein lehrt, sondern der Mensch bewegt sich in einem ruhenden Raum, der sich völlig von ihm freigemacht hat und seinen eigenen Mittelpunkt besitzt. Der Raum ist dann autonom geworden wie die Gegenstände in ihm.

Im Lauf der Jahrhunderte hat der Mittelpunkt des immer weiter anschwellenden Raumes seinen Platz mehrfach gewechselt. Auf den geozentrischen Raum, in dem die Erde den Mittelpunkt bildete, folgte nach heißen Kämpfen der heliozentrische Raum mit der Sonne als Mittelpunkt, der bis in unsere Tage hinein gedauert hat.

Bereits Kant hatte die selbstherrliche Stellung des Raumes erschüttert, indem er ihn als eine menschliche Anschauungsform entlarvte. Von da ab war es nur ein Schritt, um den Umweltraum des einzelnen Menschen wieder in seine Rechte einzusetzen.

Warum dieser Schritt bis heute nicht erfolgt ist, liegt an den unzweifelhaften Vorteilen, die die Vorstellung eines objektiven, alle Lebewesen umfassenden Raumes dem bürgerlichen Leben gebracht hat. Der konventionelle Raum, in dem sich alle Beziehungen von uns zu unseren Mitmenschen abspielen, hat alle einzelnen Umwelträume auf den gleichen Nenner gebracht und ist dem Kulturmenschen unentbehrlich geworden. Wir können ohne ihn nicht die einfachste Landkarte entwerfen, denn es ist unmöglich, alle subjektiven Standpunkte in einem gemeinsamen Bilde zu vereinigen.

Um eine Karte zu entwerfen, muß man die sinnlichen Anschauungen ausschalten und sie durch Symbole ersetzen, die sich einer gedanklichen Konstruktion einfügen lassen. Eine Karte ist kein Bild, das angeschaut wird, sondern eine Zusammenstellung symbolischer Zeichen, die man erlernen muß, um die Karte lesen zu können.

Pastor...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Alexander Schmidt • Alfred von Domaszewski • Anton Dohrn • Arthur von Oettingen • Autobiographie • Bismarck • Dorpat • Friedrich Bienemann • Heidelberg • Neapel • Reval • Rom • Umweltlehre
ISBN-10 3-10-560235-6 / 3105602356
ISBN-13 978-3-10-560235-5 / 9783105602355
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