Widerstand in der Rosenstraße (eBook)

Die Fabrik-Aktion und die Verfolgung der »Mischehen« 1943

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
224 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560178-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Widerstand in der Rosenstraße -  Wolf Gruner
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Berlin, Februar 1943: Der Widerstand von Frauen gegen die Inhaftierung ihrer jüdischen Männer in der Rosenstraße gilt als Beispiel für gelungenen Widerstand. Der Autor schildert den wahren Hergang der Ereignisse. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Wolf Gruner, geboren 1960 in Berlin (Ost), Studium der Geschichtswissenschaften, 1994 Dr. phil., anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter u.a. am Zentrum für Antisemitismusforschung (TU Berlin), Gastwissenschaftler und -professor in Israel, Japan und den USA.

Wolf Gruner, geboren 1960 in Berlin (Ost), Studium der Geschichtswissenschaften, 1994 Dr. phil., anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter u.a. am Zentrum für Antisemitismusforschung (TU Berlin), Gastwissenschaftler und -professor in Israel, Japan und den USA.

Einleitung


Am 27. Februar 1943 verhaftete die Gestapo auf brutale Weise in ganz Deutschland über zehntausend jüdische Deutsche, Männer, Frauen und Kinder. Der ostdeutsche Landesrabbiner Martin Riesenburger bezeichnete diesen Tag später als »das große Inferno«.[1] In Berlin wurden dabei auch viele Menschen interniert, die nach der NS-Terminologie in so genannter Mischehe lebten. Sie wurden in Sammellagern aussortiert und in ein besonderes Gebäude in einer kleinen Straße in Berlin-Mitte gebracht. Vor dem Haus Rosenstraße 24, einem Verwaltungsgebäude der Jüdischen Gemeinde Berlin, versammelten sich bald viele ihnen nahe stehende Frauen, Männer und Kinder. Dass diese Angehörigen gegen die befürchtete Deportation ihrer jüdischen Partner vor dem Gebäude Rosenstraße protestierten, fand vor allem im letzten Jahrzehnt in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit Beachtung. Der Protest wird als einmalige und vor allem erfolgreiche Widerstandsaktion gewürdigt, die den Abtransport dieser Juden aus »Mischehen« nach Auschwitz verhindert habe. In einer Rede vor dem deutschen Bundestag sagte z.B. der israelische Historiker Yehuda Bauer am 27. Januar 1998 über das NS-Regime: »Nicht daß die Diktatur so ganz totalitär gewesen wäre, so daß eine Protestbewegung prinzipiell unmöglich war! Nicht nur der Protest gegen den Mord an deutschen Behinderten, der im August 1941 in einen wenigstens teilweisen Stopp der sogenannten Euthanasie mündete, bezeugt das, sondern auch der Protest der deutschen Frauen in der Berliner Rosenstraße im Februar 1943, der zur Befreiung ihrer jüdischen Männer führte.«[2]

Während der Würdigung des Protestes Yehuda Bauer zuzustimmen ist, steht allerdings in Frage, ob dieser wirklich erfolgreich war und die Insassen befreite. Diverse Quellen legen seit geraumer Zeit nahe, dass eine Deportation der Internierten in der Rosenstraße von der Gestapo gar nicht geplant war. Die jüdischen Deutschen aus »Mischehen« hatte das Reichssicherheitshauptamt im Februar 1943, wie hier nachgewiesen werden wird, generell von den Massentransporten ausgenommen. Die in die Rosenstraße Verbrachten sollten deshalb zunächst überprüft werden, ob sie ihren »Mischehestatus« nachweisen konnten, um von den Transporten freigestellt zu werden. Das Reichssicherheitshauptamt verfolgte aber noch ein zweites, perfides Ziel: Insassen der Rosenstraße sollten Hunderte Mitarbeiter der Berliner jüdischen Einrichtungen ersetzen, damit diese gleich nach dem Austausch deportiert werden konnten. Diese These hatte ich zuerst 1994 in einem anderen Zusammenhang skizziert[3] und dann nach neuen, intensiven Recherchen im Jahr 2002 in einem Aufsatz ausführlicher entwickelt.[4] Dem Artikel folgte eine oft sehr polemisch geführte Diskussion, die – verstärkt durch den Film »Rosenstraße« von Margarete von Trotta – vor allem in und von den Medien ausgetragen wurde. Um diese Debatte zu versachlichen, sollen in diesem Buch ausführlich die Für und Wider der gegensätzlichen historischen Interpretationen diskutiert sowie neue Argumente präsentiert werden. Es geht im Folgenden also auch um die Erinnerung der Geschichte der Rosenstraße und um die Geschichte dieser Erinnerung.

Sowohl um den Hergang und die Hintergründe der Fabrik-Aktion als auch um den mit ihr verknüpften Protest in der Rosenstraße hat sich über die Jahre hin ein dichtes Geflecht von Behauptungen gelegt. Es besteht hauptsächlich aus folgenden Annahmen: 1. Die Fabrik-Aktion habe nur in Berlin stattgefunden. 2. Sie habe allein das Ziel verfolgt, die jüdischen Zwangsarbeiter aus der Rüstungsindustrie zu deportieren. 3. Alle Berliner Juden, die in »Mischehen« lebten und bisher als »geschützt« galten, sollten im Zuge dieser Aktion ebenfalls abtransportiert werden und seien deshalb interniert worden. 4. Letzteres habe Goebbels entschieden. 5. Der Abtransport der Juden aus »Mischehen« sei durch den öffentlichen Protest ihrer Ehepartner vor deren Internierungsstätte verhindert worden. 6. Es hätten nur Frauen protestiert. 7. Goebbels persönlich habe interveniert und die geplante Deportation gestoppt.

In diesem Buch werden deshalb folgende Fragen behandelt: Welche Ziele verfolgte die NS-Führung im Februar 1943 mit der Fabrik-Aktion? Wer hat die Großrazzia organisiert und wie ist sie durchgeführt worden? Wer sollte in die Deportationen einbezogen werden? Wie gestaltete sich die Politik gegenüber den »Mischehen« bis 1942 und welches waren die Ziele der NS-Führung im Frühjahr 1943? Weshalb sind in Berlin viele jüdische Partner aus solchen Ehen tagelang festgehalten worden? Was passierte im Lager Rosenstraße? Was geschah vor dem Gebäude? Was spricht gegen die bisher vorherrschende Auffassung, dass der Protest der Angehörigen die geplante Deportation der Insassen gestoppt habe? Welche Folgen hatten die Vorgänge für die künftige NS-Politik gegenüber den »Mischehen«?

In diesem Buch wird nachgewiesen, dass die NS-Führung im Februar 1943 nicht plante, die Insassen der Rosenstraße zu deportieren. Im Gegensatz zu den bisher veröffentlichten Büchern zu diesem Thema[5], die weitgehend auf nachträglichen Zeitzeugenaussagen basieren, stützt sich meine Argumentation auf unberücksichtigte und neu erschlossene Dokumente der Gestapo, der damaligen jüdischen Einrichtungen, der Berliner Schutzpolizei sowie der katholischen Kirche. Aussagen von damals Beteiligten und Erinnerungen von Überlebenden spielen in diesem Buch trotzdem eine gewichtige Rolle. Für die Darstellung und die Analyse der Vorgänge waren viele, darunter bisher unbekannte Zeugnisse von Überlebenden grundlegend. In diesem Buch werden also die Entwicklung, der Ablauf und die Folgen der Ereignisse um die Fabrik-Aktion und die Rosenstraße untersucht und in ihren geschichtlichen Hintergrund eingeordnet.

Thema des ersten Kapitels ist deshalb die Entstehung der heute dominierenden Auffassung über die Vorgänge in der Rosenstraße. Es wird dargestellt, dass die These von der Befreiung durch den Protest gleich nach dem Krieg entstanden ist und sich rasch in Wissenschaft und Öffentlichkeit verbreitet hat. Dabei wird sowohl ihre Wirkung in der Öffentlichkeit als auch in der Fachliteratur analysiert. Im zweiten Kapitel geht es um die Vorgeschichte und die Hintergründe der Ereignisse. Die Fabrik-Aktion wird in die Entwicklungsgeschichte der vom NS-Staat organisierten antijüdischen Massendeportationen eingeordnet. Anhand diverser Dokumente werden die Ziele dieser Großrazzia beleuchtet. Detailliert wird die Verhaftung von 11000 jüdischen Deutschen, in ihrer Mehrheit Zwangsarbeiter, und ihre Unterbringung in Sammellagern am 27. Februar 1943 im Reich und in Berlin beschrieben. Ausführlich gehe ich auf die weithin unbekannte Tatsache ein, dass 4000 von den für die Deportation nach Auschwitz vorgesehenen Menschen in jenen Tagen in den Untergrund flüchteten, von denen es einem Teil gelang, bis Kriegsende zu überleben. Anschließend wird die Organisation der Massentransporte vom März 1943 nach Auschwitz untersucht. Das dritte Kapitel behandelt die viel diskutierte Frage nach den Ursachen der Internierung der Juden aus »Mischehen« in der Berliner Rosenstraße. Hierfür wird zuerst ein Blick auf die Entwicklung der NS-Politik gegenüber den »Mischehen« bis 1942 geworfen, danach gezeigt, mit welchen Zielen die jüdischen Partner aus »Mischehen« in die Großrazzia Ende Februar 1943 einbezogen wurden. Dargestellt wird, was mit dieser Gruppe in Berlin geschah, wie sie in allen Sammellagern aussortiert und dann in einem besonderen Lager in der Rosenstraße konzentriert wurden. Untersucht wird, wann und warum die ersten Insassen freikamen, wie lange sich die Entlassungen hinzogen und was mit den Freigelassenen passierte. Ausführlich zeige ich, wie die Insassen überprüft und mehrere hundert von ihnen für Tätigkeiten in den jüdischen Einrichtungen sowie für die Gestapo rekrutiert wurden. Im Mittelpunkt des vierten Kapitels steht der Protest der Angehörigen gegen die vermutete Deportation. Es geht um folgende Fragen: Wie viele Menschen versammelten sich in der Rosenstraße? Welche Motive hatten sie und wie gestaltete sich ihr Protest? War es eine machtvolle Demonstration oder eher ein stummer Protest? Abschließend werden noch einmal die Für und Wider der These vom Stopp einer geplanten Deportation der Mischehepartner analysiert. Im letzten Kapitel geht es um die Folgen der Ereignisse, die nach der Fabrik-Aktion verschärfte NS-Politik gegen Juden aus »Mischehen«: die zunehmenden Verhaftungen in einzelnen Regionen, die verschärfte Zwangsarbeit sowie die Deportationen in den Jahren 1944 und 1945.

Wenn die Ursachen der Internierung der jüdischen Partner aus »Mischehen« in der Rosenstraße und die Frage nach dem Erfolg des Protestes in diesem Buch kritisch diskutiert werden, geschieht das nicht, um die Handlungen der in der Rosenstraße protestierenden Menschen in Frage zu stellen. Ihr Mut ist und bleibt unbestritten! Meine langjährigen Forschungen sollen vielmehr dazu beitragen, die antijüdische Politik des NS-Staates nachvollziehbar zu analysieren. In der bisher vorherrschenden...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2015
Reihe/Serie Die Zeit des Nationalsozialismus – »Schwarze Reihe«
Die Zeit des Nationalsozialismus – »Schwarze Reihe«
Die Zeit des Nationalsozialismus. "Schwarze Reihe".
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Berlin • Deportation • Deutschland • Fabrikaktion • Geltungsjude • Gestapo • Mischehe • Nationalsozialismus • Reichssicherheitshauptamt • Rosenstraße • Sachbuch • SD • Theresienstadt • Widerstand
ISBN-10 3-10-560178-3 / 3105601783
ISBN-13 978-3-10-560178-5 / 9783105601785
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