Magie (eBook)

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2015 | 1. Auflage
130 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560230-0 (ISBN)

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Magie -  Diethard Sawicki
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Diethard Sawicki: promovierter Historiker und Literaturwissenschaftler

Diethard Sawicki: promovierter Historiker und Literaturwissenschaftler

7. Eine kurze Geschichte der Magie


Obwohl die Ausübung von Magie den Glaubenslehren des Christentums widerspricht, enthält die Bibel eine ganze Reihe von Stellen, die von magischen Praktiken berichten – allerdings mit Missbilligung. Magie wird den mit Gottes Hilfe geschehenden Wundern, wie sie Moses, Aaron und Jesus vollbrachten, als Blendwerk und verwerfliches Treiben gegenübergestellt. Dennoch präsentiert die Bibel Magie als etwas, das tatsächlich funktioniert. Die Wundertaten von Moses und Aaron unterscheiden sich von den Taten der ägyptischen Magier Jannes und Jambres (2. Tim. 3, 8) allein durch ihre eindrucksvollere Qualität: Aaron schleudert auf Befehl Gottes seinen Stab vor dem Pharao auf die Erde, und der Stab verwandelt sich in eine Schlange. Die Magier des Ägypters vermögen das Gleiche mit ihrer Zauberkraft zu bewirken, doch Aarons Schlangen-Stab verschlingt die der Magier. Sie sind genau wie Aaron in der Lage, durch ihre Magie Frösche über das Land zu bringen (2. Mos. 7, 912; 8, 13). Erst bei weiteren Kunstgriffen versagen die Ägypter angesichts der Macht, die der Gott der Juden den Anführern des Volkes Israel verliehen hat.

Dass die Beschwörung und Befragung von Totengeistern möglich ist, zeigt die Geschichte von König Saul beim Weib von Endor: Der verzagte Saul wendet sich an die Frau, die ihm den Propheten Samuel aus dem Totenreich herbeiruft (1. Sam. 28, 725). Die Befragung selber ist nicht eindeutig dargestellt. Es scheint, als werde das Weib vom Geist Samuels ergriffen oder visioniere seine Erscheinung. Ob Saul selbst den Geist reden hört oder die Zauberin wie ein Medium agiert, bleibt offen. Saul sieht den toten Propheten zumindest nicht, sondern muss die Beschwörerin über sein Aussehen berichten lassen.

Auch das Neue Testament bietet Magiergestalten. Sie werden gleichfalls negativ geschildert, um die besondere Macht Gottes, die Jesus und die Apostel durch ihre Wunder augenfällig machen, herauszustellen. Neben dem nur kurz erwähnten jüdischen Zauberer Bar-Jesus auf Zypern, den der Heilige Paulus zur Strafe kurzerhand mit Blindheit schlägt (Apg. 13, 611), ist Simon der Magier zu nennen. Er versucht, durch seine effektvolle Zauberei den Aposteln die Anhänger abspenstig zu machen und möchte Petrus das Geheimnis der Krankenheilung abkaufen (Apg. 8, 924). Die ausführlichsten Berichte über Simon bieten die apokryphen Petrus-Akten. Darin werden geradezu burleske Zauberwettkämpfe zwischen Petrus und Simon geschildert. Der Magier unterliegt aber, denn seine Künste, bei denen er nicht auf Gottes Hilfe rechnen kann, sind lediglich Blendwerk, matte Imitationen der Wunder Jesu. Simon etwa kann einen Toten durch seine Künste nur zu einem zombiegleichen Scheinleben erwecken. Als der Magus vor einer großen Menge in Rom aufsteigt und durch die Luft fliegt, lässt ihn Petrus abstürzen.

Wollte man die magischen Praktiken benennen, die das Leben während der griechisch-römischen Antike am deutlichsten prägten, müsste die Wahl wohl auf verschiedene Methoden der Divination fallen, durch die zukünftige Ereignisse und die Gunst der Götter in Erfahrung gebracht werden sollten. Im Vordergrund standen zum einen die Herbeiführung visionärer Zustände durch Ekstasetechniken – so etwa gelangte die Pythia im Orakel von Delphi zu ihren Einsichten. Zum anderen wurden Naturvorgänge gedeutet. Beispielsweise waren die Prophezeiungen des Apollo-Orakels von Sura in Lykien durch die Deutung der Bewegungen heiliger Fische in einem Becken zu erlangen. In Dodona diente das Blätterrauschen einer Eiche und das Verhalten der in ihr nistenden Tauben als auskunftgebendes Mittel.

Im Römischen Reich waren zwei Divinationsverfahren über die private Praxis hinaus fester Bestandteil des offiziellen Kultus: Die Vogelschau und das Lesen aus den Eingeweiden von Opfertieren, insbesondere der Leber. Zuständig waren jeweils spezielle Priester, Auguren und Haruspizen (augures, haruspices), die nur auf Anordnung durch Amtsträger staatsrelevante Fragen beantworten lassen durften. Die Auguren steckten für ihre Tätigkeit einen bestimmten Bereich des Himmels für sich als Beobachtungszone ab und schufen so einen Raum, innerhalb dessen Grenzen die zur Beantwortung bedeutsamen Bewegungen stattfanden. Die Leberschau, ein schon bei den Babyloniern, Griechen und Etruskern geübtes Verfahren, beruhte auf der Deutung der Beschaffenheit der Leber eines ausgewählten Opfertieres. Die Falten, Wölbungen, Fettbänder und Blutgefäße hatten jeweils ihre tradierten Bezeichnungen und festgelegten Bedeutungen.

Bronzemodell einer Schafsleber, etruskisch, um 100 v.u.Z. Beschriftet sind die divinatorischen Bedeutungen der einzelnen Teile. Die Leber ist geteilt in Regionen des Glücks und des Unheils (lat. felicitas/regiones dirae).

Das populäre Bild von Magie im Mittelalter wurde in den letzten zwanzig Jahren ganz erheblich von Marion Zimmer Bradleys Artus-Roman Die Nebel von Avalon (1982) geprägt: ein auf heidnische Bräuche zurückgehendes magisches Wissen, das man sich keltisch oder germanisch stilisiert vorstellt. Diese Auffassung entbehrt weitestgehend einer wissenschaftlichen Fundierung: Zwar mag es plausibel erscheinen, dass im frühen Mittelalter an den Außenrändern des ehemaligen Römischen Reichs solche heidnischen Vorstellungen noch lebendig waren: Wie diese im Einzelnen aussahen, ist indessen nur schwer zu rekonstruieren. Es ist allenfalls in Ansätzen gelungen, Spuren heidnischer Vorstellungen und Kulte im Mittelalter und der Frühen Neuzeit aufzuspüren. Bei der Vorstellung, die mittelalterliche Magie habe noch stark auf heidnischen Traditionen beruht, handelt es sich letztlich um Erfindungen des romantischen Nationalismus. Die vermeintlich ursprüngliche Schöpferkraft der Kelten und Germanen wurde von Altertumswissenschaftlern, Volkskundlern und Mythenforschern des 19. Jahrhunderts zum Ursprung und zur Kraftquelle der Nationen stilisiert. Die kulturellen Leistungen der Kirche und der lateinischen Gelehrtenkultur galten dagegen als unschöpferische Fremdbestimmung. Viel besser lässt sich dagegen nachvollziehen, wie ursprünglich von Priestern gesprochene Segensworte und Gebete außerhalb des Klerus Verbreitung fanden und als formelhaft verfestigte Heil- oder Bannsprüche zu magischen Zwecken dienlich gemacht wurden. Ein bis in die Zeit Karls des Großen zurückverfolgbarer magischer Brauch ist die Tagewählerei, also das Ausüben bestimmter Handlungen nur an Tagen, die dafür als besonders günstig galten.

Die maurischen Siedlungsgebiete in Spanien und das byzantinische Reich fungierten als Brücken, über die das antike griechische Schrifttum und Werke arabischer Gelehrter ins mittelalterliche Europa gelangten. Astrologie und Alchimie sind so im damaligen Wissenshorizont verankert worden. Inwiefern die Kreuzzüge auch zum Kulturtransfer beitrugen, ist schwierig zu beurteilen. Für den Templerorden jedenfalls, dessen Angehörigen vorgeworfen wurde, sie seien in Palästina ketzerischen orientalischen Geheimlehren verfallen, ist denkbar, dass dies nur Verleumdungen aus machtpolitischem Kalkül waren.

Als magischer Schlüsseltext des Mittelalters kann ein unter dem Namen Picatrix bekannt gewordenes arabisches Werk gelten. Es handelt sich um ein Kompendium astrologischer Lehren mit Anleitungen zur Herstellung von Talismanen. Etliche der Handlungsanweisungen beinhalten die Erzeugung von Gemischen aus organischen Substanzen – Blut, Sperma, Eingeweiden. Die Vorstellung von Ritualen, die zu bestimmten Zeitpunkten (Vollmond) unter Verwendung Ekel erregender Substanzen stattfinden, hat über Jahrhunderte hinweg das Bild von magischen Praktiken geprägt. Die Zusammenkünfte der Hexen, die in Shakespeares Macbeth mit allerlei merkwürdigen Zutaten – Molchesauge, Hundelunge, Unkenzehe, Natternzunge (IV, 1) – ihren Zaubertrank brauen, sind beispielsweise eher eine durch den Picatrix inspirierte Erfindung als die realistische Schilderung magischer Praktiken in der Frühen Neuzeit.

Als spektakulärer Ausnahmefall berühmt geworden sind die Taten des bretonischen Adligen Gilles de Rais (14041440), Trägers des hohen Ehrentitels eines Marschalls von Frankreich und Kampfgefährten der Heiligen Johanna von Orléans. Er wurde 1440 wegen Kindermordes und Ketzerei angeklagt. Die Akten des gegen Gilles de Rais geführten Prozesses, in dem er zum Tode verurteilt wurde, lassen eine vielschichtige Problematik erkennen. Gilles de Rais erscheint als hochkultivierter, sensibler Mann, dem es seine Machtposition ermöglichte, seine pädophil-sadistischen Neigungen über Jahre hinweg ungehindert auszuleben. Die Dokumente sprechen von bis zu 140 Kindern, deren Überreste in Abtritten und an anderen Stellen seiner Wohnstätten gefunden wurden. Aufgrund seines üppigen Lebensstils in finanzielle Schwierigkeiten geraten, nahm Gilles de Rais Alchimisten an seinem Hofe auf, darunter Francesco Prelati, einen gebildeten Italiener, dessen exquisites Latein Gilles für ihn einnahm. Prelati behauptete, durch Visionen mit einem Dämon namens Barron in Kontakt zu stehen, mit dessen Hilfe die alchimistischen Arbeiten zum Erfolg gebracht werden sollten. Die erhofften Resultate wollten sich allerdings nicht einstellen – auch nicht als Prelati mitteilte, der...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Östliche Weisheit / Alte Kulturen
Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Geisteswissenschaften
Technik
Schlagworte alchimie • Aleister Crowley • Antoine Court de Gébelin • Astrologie • Ekstase • Eliphas Lévi • Fischer Kompakt • Frankreich • Gilles de Rais • Hexe • Hexenverfolgung • James G. Frazer • Kabbala • Magie • Sachbuch • Spiritismus • Tarot • Ursprungsmythos • Voodoo • Widerglaube • Zirkelspiritismus
ISBN-10 3-10-560230-5 / 3105602305
ISBN-13 978-3-10-560230-0 / 9783105602300
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