Ostfriesland für die Hosentasche (eBook)
304 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403374-7 (ISBN)
Katharina Jakob kommt vom Bodensee und lebt seit 1988 in Hamburg. Sie ist ein großer Fan von Ostfriesland - auch dank guter ostfriesischer Freunde. Sie studierte Journalistik und Musikwissenschaft, wurde Redakteurin und arbeitet heute als freie Journalistin und Autorin.
Katharina Jakob kommt vom Bodensee und lebt seit 1988 in Hamburg. Sie ist ein großer Fan von Ostfriesland – auch dank guter ostfriesischer Freunde. Sie studierte Journalistik und Musikwissenschaft, wurde Redakteurin und arbeitet heute als freie Journalistin und Autorin. Insa Lienemann führt neben ihrer Arbeit als Autorin vor allem ein erfolgreiches Familienunternehmen: Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern wohnt die gebürtige Ostfriesin (1977) nach einigen Jahren in Hamburg heute wieder im Herzen Ostfrieslands. Klaus-Peter Wolf, 1954 in Gelsenkirchen geboren, lebt als freier Schriftsteller in der ostfriesischen Stadt Norden, im selben Viertel wie seine Kommissarin Ann Kathrin Klaasen. Wie sie ist er nach langen Jahren im Ruhrgebiet, im Westerwald und in Köln an die Küste gezogen und Wahl-Ostfriese geworden. Seine Bücher und Filme wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Bislang sind seine Bücher in 26 Sprachen übersetzt und über fünfzehn Millionen Mal verkauft worden. Mehr als 60 seiner Drehbücher wurden verfilmt, darunter viele für »Tatort« und »Polizeiruf 110«. Der Autor ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland. Die Romane seiner Serie mit Hauptkommissarin Ann Kathrin Klaasen stehen regelmäßig mehrere Wochen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste, derzeit werden mehrere Bücher der Serie prominent fürs ZDF verfilmt und begeistern Millionen von Zuschauern.
Die beiden Autorinnen, nur eine von ihnen kommt gebürtig von dort, haben sich vorgenommen, einige wesentliche und liebenswürdige Details herauszupicken.
Wer diesen Landstrich und seine Bewohner wirklich kennenlernen will, braucht entweder einen waschechten Ostfriesen […] oder den hier vorgelegten Reiseführer für die Hosentasche.
Speckendicken und Neujahrslaufen: keine halben Sachen
Eines ist gewiss: Der Ostfriese hat keine Angst vor Kalorien, sonst gäbe es Speckendicken heutzutage nicht mehr. Denn da ist der Name Programm. Speckendicken sind Pfannkuchen, die man an Silvester isst und die mit allem angereichert sind, was Küche und Keller hergeben. In früheren Zeiten war dies eine der wenigen Gelegenheiten, zu denen sich die Knechte und Mägde sattessen konnten.
Der Speckendicken-Teig besteht aus Mehl und Eiern, dazu Mettwurst und reichlich Speck, Zucker, Milch, Sirup, Kardamom und Anis. Was sich wie eine wilde Mischung anhört, ist auch eine, aber sie ist ungemein lecker und bringt dicke, saftige Pfannkuchen hervor. Öffentlich serviert werden sie am Silvestertag in einigen ostfriesischen Mühlen, zumindest dort, wo ehrenamtliche Mühlenvereine die Tradition des Speckendicken-Essens wieder aufleben lassen. Man sollte allerdings frühzeitig reservieren. Meist sind die Mühlenrestaurants bis auf den letzten Platz besetzt.
Der erste Tag des neuen Jahres beginnt mit dem Neujahrslaufen: Vor allem in den Dörfern ist es guter Brauch, von Haus zu Haus zu spazieren und den Nachbarn ein glückliches neues Jahr zu wünschen. Und wenn man schon mal bei Tjade und Okka im Flur herumsteht, kann man auch gleich ein paar Löffelchen Bohntjesopp zu sich nehmen. Doch Vorsicht: Wo immer Ihnen dieses Getränk begegnet (es ist keine Suppe, sondern eine Art alkoholischer Brandbeschleuniger), halten Sie sich unbedingt zurück. Ein Auswärtiger ist ihm definitiv nicht gewachsen. Womit bewiesen wäre: Mit dem Fassen guter Neujahrsvorsätze hält sich der Ostfriese nicht auf.
Plattdüütsk – Hochdeutsch zum Jahreswechsel
Olljahrsdag: Silvester
Neeijahr: Neujahr
Proost Neeijahr: Prost Neujahr
Neeijahrskoken: Neujahrskuchen
Beck vull Schandaal: »Mund voller Lärm« (Neujahrsgebäck)
Dat olle Lesder: Waffeleisen zum Backen von Neujahrskuchen (»das alte Eisen«)
Fastnachtslaufen der Handwerker: Teufelsgeiger an der Tür
Wer einen Ostfriesen fragt, wann Karneval ist, bekommt meist keine klare Antwort. Es sei denn, man befindet sich an der Küste. Dort wissen alle, die vom Tourismus leben, wann die Karnevalsflüchtlinge aus dem Rheinland anreisen, denn dann ist hier Hochsaison. Ansonsten wird es schwierig, Karneval findet in Ostfriesland kaum statt. Nur das friesische Varel macht eine Ausnahme, hier sind die Karnevalsfeiern fast so umtriebig wie in Mainz. Und dann gibt es noch eine dritte Variante: Im Harlingerland und auf Wangerooge kommen die Gesellen und Lehrlinge verschiedener Handwerkszünfte in aller Frühe zum sogenannten Fastnachtslaufen zusammen. Sie sind verkleidet als »Hauptmann«, »Schornsteinfeger« sowie »Eierweib« und ziehen lärmend von Tür zu Tür, um Bargeld zu verlangen. Dazu schlägt der Hauptmann die sogenannte Teufelsgeige – ein mannshoher Stab, an dem Schellen, Saiten oder Dosen befestigt sind –, das Eierweib sammelt das Geld ein, und wenn es keines gibt, fasst der Schornsteinfeger in seinen Beutel und beschmiert das Gesicht des Geizkragens mit Ruß. Auf diese Weise kommt ein ansehnliches Sümmchen zusammen, das die Handwerker abends mit ihren Meistern auf den Kopf hauen.
Gesetzter geht es am Faschingsdienstag beim Bessensmieten zu, dem traditionellen Besenwerfen. Das ist ein Straßenwettkampf, bei dem es darum geht, Reisigbündel ohne Stiel so weit wie möglich zu schleudern. Gewinner ist hier wie beim Boßeln die Mannschaft, die das Ziel mit der geringsten Wurfzahl erreicht.
Ostern: Wettkampf der bunten Eier
Viele Bräuche haben sich rund um die Ostertage entwickelt, einer davon ist weithin sichtbar: das Paaskefüür, wie das Osterfeuer auf Plattdeutsch heißt (Paaske geht auf das jüdische Passah-Fest zurück). In den Touristenzentren und auf den Inseln werden die Feuer von der Gemeinde organisiert: auf Norderney etwa direkt am Strand, mit Blick auf Juist und den Sonnenuntergang.
Das Holz dafür wird oft schon ab Herbst gesammelt. Kurz vor dem Fest schichtet die Gemeinde daraus hohe Haufen, Jugendliche halten Wachen ab, damit niemand vor der Zeit Hand an den Stoß legt. Am Ostersamstag versammeln sich alle vor dem Reisighaufen, fast immer gibt es Getränke und Gegrilltes, manchmal auch Musik. Bei Einbruch der Dunkelheit heißt es dann: Feuer frei.
Während im übrigen Land am Ostersonntag Eier gesucht und verspeist werden, machen Ostfriesen etwas, das man eigentlich nicht tun soll: mit dem Essen spielen. Rund um die bunten Eier haben sich zahlreiche Familienspiele entwickelt, so etwa das Eiertrüllern, das Eiersmieten und das Hicken-Bicken. Beim Eiertrüllern geht es darum, Ostereier von einer Erhebung – einer Düne, dem Deich oder gleich von »Eierbergen« wie in Aurich – hinunterkullern zu lassen. Möglichst heil sollen sie unten ankommen und möglichst weit ausrollen. Damit das gelingt, baut man eine Rollbahn, die Lünskebahn. Wessen Ei am weitesten getrüllert ist, wird Sieger, vorausgesetzt, das Ei ist noch als solches erkennbar.
Eiersmieten ist schlichter, klassischer Eierweitwurf auf einer Wiese. Sollte es an Ostern regnen, spielt man Hicken-Bicken im Haus. Dazu werden die Eier mit den Spitzen gegeneinander gestoßen. Wer als Letzter noch ein unversehrtes Ei besitzt, hat gewonnen.
Ostfriesenspiele im Freien
Kaispööl: Wurfspiel auf Norderney, bei dem Münzen gegen Zielsteine geworfen werden, ohne dass man sie treffen darf; wer am nächsten dran ist, gewinnt.
Nötenscheten: Auch ein Wurfspiel, vor allem an Ostern; dabei wird versucht, mit Hilfe von Kugeln Walnüsse aus einem Kreis zu schießen.
Der Maibaum: Kampf um die Ehre
Maibäume in Norddeutschland? Ist das nicht was durch und durch Süddeutsches? Ostfriesland ist die Region der Ausnahmen, daher pflegt sie auch mit Hingabe ihre Maibaum-Tradition. Geschmückte Bäume ragen in vielen Dörfern und Siedlungen in den Himmel. Sie sind nicht mehr so zahlreich wie früher, als in wirklich jedem Ort einer stand. Das liegt daran, dass so ein Baum viel Arbeit macht. Die Dörfler, die das auf sich nehmen, treffen sich am 30. April, um ihr Exemplar mit Birkenreisig, Tannengrün und vielen bunten Papierblumen und Bändern zu schmücken. Dann wird das Ganze mit Hilfe von Seilen und einem Traktor hochgezogen, alle fassen mit an, bis das Prachtstück schließlich mitten auf dem Platz steht. Der Wind lässt die Bänder flattern, die Sonne bringt das Birkenreisig zum Leuchten. So einen schönen hatten wir noch nie, sagen die Leute jedes Mal und klatschen sich gegenseitig auf die Schultern. Es gibt Bier und Gelächter, man prostet sich zu. Und dann kommt die Dunkelheit und mit ihr der Stress.
Denn von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang am Maifeiertag ist der Baum praktisch vogelfrei. Jeder kann ihn stehlen. Dazu genügt es, wenn man drei Spatenstiche um ihn herum graben und einmal die Hand gegen seinen Stamm legen kann. Wem das gelingt, der hat den Maibaum erfolgreich gestohlen und die Maibaumgesellschaft blamiert, die nicht imstande war, auf ihn aufzupassen. Früher ging es um die Ehre, heute sehen die Ostfriesen das eher sportlich. Um ihren Maibaum zu bewachen, stellen die Dörfler Wachen auf. Die müssen Disziplin im Leib haben, denn die Nacht ist lang, das Bier fließt in Strömen, und wenn dann die Schläfrigkeit heraneilt, haben Diebe leichtes Spiel.
Wer auf den Inseln wohnt, muss nicht nur zu Land wachsam sein, sondern auch zu Wasser, denn oft rauschen im Morgengrauen Boote mit zu allem entschlossenen Burschen heran. Ist aber alles gutgegangen, dann tanzt anderntags ein glückliches Dorf um seinen Maibaum, der alle anderen an Schönheit überstrahlt. Der Sommer kann kommen.
Brautpfadlegen in Aurich
Es war einmal eine schöne Tochter aus dem ostfriesischen Grafengeschlecht der Cirksena. Sie hatte einen Liebsten und wollte sich mit ihm am Himmelfahrtstag vermählen. Als der Tag kam, schwamm ganz Aurich in Blumen. Voller Vorfreude stieg die Braut auf den Turm ihres Hauses und hielt nach ihrem Bräutigam Ausschau. Bald erkannte sie in der Ferne Reiter. Das musste das Gefolge ihres Liebsten sein. Sie ließ ein rotes Tuch flattern, um ihn willkommen zu heißen. Ein Reiter löste sich aus dem Tross – es war der Bräutigam – und sprengte direkt auf den Turm zu. Allein, ohne schützendes Gefolge. Plötzlich fielen Schüsse. Ein Nebenbuhler, der die Grafentochter für sich begehrte, tötete den Edlen vor den Augen seiner Braut. Sie fiel in Ohnmacht und starb wenige Tage darauf. Und all die Blumen, die für die Hochzeit ausgestreut worden waren, säumten nun den Trauerzug des unglückseligen Paares.
Diese Legende hat Generationen von Kindern in Aurich und Umgebung dazu gebracht, den Bruudpadd zu legen, also den Brautpfad. Einen Tag vor Himmelfahrt pflücken sie Butterblumen, Veilchen oder Gartenblumen und legen sie in kunstvollen Bildern entlang der Wege aus. Anker, Herzen, Schiffe, ja ganze Landschaften werden da mit Blumen komponiert. Diese Tradition ist etwas in Vergessenheit geraten, wird aber derzeit wiederentdeckt: Einige Ortsräte oder Kulturvereine rufen die Grundschüler extra dazu auf, den Brautpfad zu legen. Dabei können höchst künstlerische Motive zustande kommen, die eine Jury begutachtet und prämiert.
Sommerfeste und Galli-Markt
Im Sommer ist für Feierlustige...
Erscheint lt. Verlag | 26.3.2015 |
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Einführung | Klaus-Peter Wolf |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Schulbuch / Wörterbuch ► Lexikon / Chroniken |
Technik | |
Schlagworte | A28 • A31 • Ammerlander • Äquator • Arbeitslosenquote • Arztpraxis • Aurich • ausgezeichnete • Auswärtige • Bahnhof • Bauart • Bekanntheit • Bewegungsablauf • Bindestrich • Bockwindmühle • Bohnensuppe • Bohntjesopp • Brauch • Brunnenfigur • Deutschland • Droge • Dünenkette • durchscheinen • Ebbe • Einbürgerung • Einbürgerungstest • Einzelleistung • Ems • Emslander • Erfolgsgeschichte • Erforschung • Ernährungswirtschaft • Etappenlauf • Etikett • Exportschlager • Familienhand • feierlichkeit • Feldkampf • Festlandseite • Festlandsrest • Figur • Flagge • Fragment • Fremdmist • Fremdschiet • Friesensportart • Fürstentochter • Gästekarte • Gepflogenheit • Handel • Häuptlingsburg • Herzstück • Hochkultur • Hosentasche • Humor • Hymne • Immobilienwirtschaft • Insel • Inseln • Inselort • Jahreszeit • Journalistik • Kalorie • Katastrophe • Kindsbesichtigung • Knochenbrecher • Konzernniederlassung • Köstlichkeit • Kreierrennen • Kriminalroman • Kuhkampf • Kuhmist • Landesgrenze • Lebensweisheit • Leer • Machtkampf • Manntränke • Marketinggesellschaft • Maschendrahtzaun • Maulwurf • Maulwurfsfund • Medienbereich • Mentalität • Milchwirtschaft • Misswahl • Mühle • Muschelkalkzement • Musikwissenschaft • Nachtigall • Namensgebung • Nationalsozialismus • Nationalsport • Neujahrslaufen • Norderney • Nordfriesische • Nordsee • Nordseemuschel • Offshore • Oll? • Olympiade • Orgel • Orgellandschaft • Orgelsommer • Ostfriesenausweis • Ostfriesengeld • Ostfriesenherz • Ostfriesenlauf • Ostfriesenmist • Ostfriesenspieß • Ostfriesenwitz • ostfriesische • Ostfriesland • Perlenkette • Pfannkuchen • Pultstockspring • Pultstockspringer • Radweg • Reise • Reiseführer • Restaurant • Sachbuch • Sammelleidenschaft • Sanddornbeere • Saterfriesische • Saterland • Schienenverkehr • Schloßgespenst • Schlund • Seeseite • Segelschifffahrt • Sielhafen • Socken • Spaßveranstaltung • Speckendicken • Spitzensport • Spracheinsel • Stadtführung • Strandfund • Süppchen • Tatort • Teestube • Teetied • torbogen • Totenritual • Tourismus • Trendsport • Überschwemmung • Unfreiheit • Unsumme • Unterhaltung • Unternehmerlegende • Unterschatz • Urlaub • Urlauberbus • Verbrechen • Vermächtnis • Vernunft • Vigelinsechen • Wattenmeer • Wehranlage • Wehrturm • Windmühlenbauer • Wintersportparadies • Wirtschaftswunder • Wirtschaftszweig • Witz • Wohlstand • Zahlmodell • Zeitungslandschaft • Zugereiste |
ISBN-10 | 3-10-403374-9 / 3104033749 |
ISBN-13 | 978-3-10-403374-7 / 9783104033747 |
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