Rückkehr der Wölfe (eBook)

Wie ein Heimkehrer unser Leben verändert

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014
224 Seiten
Riemann (Verlag)
978-3-641-14343-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rückkehr der Wölfe - Eckhard Fuhr
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Wer hat Angst vorm bösen Wolf? Wie der mythische Heimkehrer Ängste und Hoffnungen auslöst
150 Jahre lang waren Wölfe in Mitteleuropa ausgerottet. Doch seit der Jahrtausendwende ist Deutschland wieder Wolfsland, und in ganz Europa erobern Wölfe mit stürmischem Elan angestammte Lebensräume zurück. Der Wolf ist zum politischen und medialen Mega-Star geworden.

Eckhard Fuhr berichtet über die neue Konkurrenz für die Jäger und die Not der Schäfer, ihre Herde zu schützen, ebenso wie über das mythologisch gegründete Bild des Wolfs in der Volksseele. So entsteht ein umfassendes Bild des Problems, und es wird deutlich, dass wir uns nicht nur mit der physischen Präsenz der Wölfe auseinandersetzen müssen. Die größere Herausforderung ist die mentale: zuzulassen, dass in unserem durchorganisierten und gut kontrollierten mitteleuropäischen Biotop die wilde Natur immer noch mächtig ist.

Eckhard Fuhr (Jahrgang 1954) studierte Geschichte und Soziologie und trat danach in die politische Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein. Zehn Jahre lang leitete er das Feuilleton der Welt und ist zurzeit Korrespondent für Kultur und Gesellschaft bei der WELT-Gruppe. Er schreibt die wöchentlichen Kolumnen »Fuhrs Woche« und »Fuhrs Hund« und greift immer wieder Themen des Naturschutzes, der Landwirtschaft und der Jagd auf.

Prolog: Auf den Wolf gekommen

Die Herbstsonne stand schon am Himmel. Der Hirsch, der im Morgengrauen auf der Lichtung geäst hatte, war längst in den Wald gezogen. Seit Stunden saßen wir regungslos in unserem Versteck, eingepackt in zottelige Tarnanzüge, in denen es uns jetzt mehr als wohlig warm wurde. Meinen ersten Wolf sah ich, als ich mir hinter der Gesichtsmaske den Schweiß aus den Augen gerieben hatte. Die Nase am Boden, kam er genau dort aus dem Wald, wo vor einer Stunde der Hirsch verschwunden war. Er hatte es nicht eilig, und er überquerte die Wiese auch nicht besonders zielstrebig. Wie ein schlechtgelaunter Teenager trödelte er in den Tag hinein. Etwa ein halbes Jahr alt musste der im Frühjahr geborene Jungwolf sein. Der dunkle, graubraune Winterbalg, den er früh angelegt hatte, ließ ihn älter erscheinen. Das Wölfchen wirkte schon wie ein Wolf. Nach einigen Minuten folgte ihm ein zweiter.

Als die Bühne leer war, löste sich meine Benommenheit, Zivilisationsgeräusche drangen an mein Ohr. Wir waren im Lausitzer Braunkohlerevier auf die Wolfspirsch gegangen, nicht weit vom Kraftwerk »Schwarze Pumpe«. Mein Begleiter, der Biologe und Tierfilmer Sebastian Koerner, packte Kamera und Stativ zusammen. Für ihn sind solche Wolfsbeobachtungen nichts Spektakuläres. Hundertmal hatte er solches erlebt. Ein Großteil der Filmaufnahmen, die es von wildlebenden Wölfen in Deutschland gibt, stammt von ihm. Für mich war der Anblick der Wölfe im Morgenlicht der Anstoß, die Arbeit an diesem Buch endlich zu beginnen.

Ich wollte deutsche Wölfe mit eigenen Augen gesehen haben, bevor ich über sie schreibe. Nicht dass ich an ihrer Existenz gezweifelt hätte. Aber ich dachte mir, dass man sich mit einem eigenen Bild im Kopf sicherer in einem Gebiet bewegt, wo Zerrbilder, Wunschbilder oder Phantombilder besonders üppig gedeihen. Und ich wollte natürlich auch wissen, ob eine Begegnung mit Wölfen tatsächlich ein so aufwühlendes, ja erschütterndes Erlebnis ist, wie es vielfach geschildert wird.

Nahe war ich den Wölfen schon öfter gekommen. Doch gezeigt hatten sie sich mir noch nie. Bei einer winterlichen Jagd auf dem niedersächsischen Truppenübungsplatz Munster, wo 2012 ein Wolfspaar Junge aufzog und damit ein Rudel begründete, liefen die Wölfe durchs Treiben. Von vielen Jagdteilnehmern wurden sie gesehen. Bei mir kamen sie nicht vorbei, obwohl ich auf dem Weg zu meinem Stand zahlreiche Wolfsfährten im Schnee gefunden hatte. Sollte mein Stöberhund Kontakt zu den Wölfen gehabt haben, war der friedlich verlaufen, denn Viko fand sich wohlbehalten bei mir ein, wenn auch erst Stunden nach Ende der Jagd.

Bei einer sommerlichen Wolfspirsch auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow in Sachsen-Anhalt kam ich immerhin in Hörweite der Wölfe. Klaus Puffer, Förster und Wolfsbeauftragter des für den Wald auf dem Militärgelände zuständigen Bundesforstbetriebs, hatte mir eine Ansitzleiter in der Nähe eines kleinen Tümpels zugewiesen, wo er oft schon spielende Welpen beobachtet hatte. In den langen Stunden bis Sonnenuntergang zeigte sich noch nicht einmal ein Wildschwein. Gerade wollte ich mich zu dem vereinbarten Treffpunkt auf den Weg machen, als mich ein dumpfes, dann schnell anschwellendes Heulen erstarren ließ. Ein zweiter Wolf fiel ein. Zweistimmig schraubte sich das Heulen des Paares in die Höhe. Drei-, viermal wiederholte sich das, bis ein vielstimmiges gellendes Winseln den Wolfschor vervollständigte. Die Familie absolvierte ihr Begrüßungsritual, gleich nebenan, so kam es mir vor. Aber mit den Augen erwischte ich nicht einmal die Schwanzspitze eines Wolfes. In der Lausitz erst, wo das deutsche Wolfswunder um die Jahrtausendwende herum seinen Anfang nahm, sollte es so weit sein. Am meisten beeindruckte mich die Gelassenheit der Wölfe. Die Begegnung mit ihnen war kein Erweckungserlebnis, sondern eine Ernüchterung im besten Sinne: Die Wölfe selbst sind das klare Kontrastprogramm zu den Hysterien, die sie bei ihren menschlichen Zeitgenossen mitunter entfachen.

Es ist allerdings schwer, nüchtern zu bleiben bei der Beschäftigung mit Wölfen. Wie kein anderes Tier findet der Stammvater unserer Hunde direkten Zugang zu unseren Emotionen. Menschen und Wölfe waren, seit sie sich in den eiszeitlichen Steppen Eurasiens begegneten, aufeinander bezogen. Sie teilten denselben Lebensraum, jagten dieselben Beutetiere, wendeten gleiche Jagdstrategien an, ähnelten sich in ihrem Sozialverhalten und entwickelten deshalb ein »Verständnis« füreinander, das es so in keiner anderen Mensch-Tier-Beziehung gibt. Wir werden uns noch ausführlich mit der Frage befassen, was das für die menschliche Kulturentwicklung bedeutet. Offensichtlich ist jedenfalls, dass es um Elementares geht, wenn der Wolf wiederauftaucht. Er lässt niemanden gleichgültig. Die Zehntausende von Jahren währende Sonderbeziehung zwischen Mensch und Wolf erklärt die gewaltige Resonanz, die seine Rückkehr in die mitteleuropäische Kulturlandschaft findet. Es gibt noch andere solcher Rückkehrer, etwa den Biber, den Seeadler, den Luchs, die Wildkatze oder die Kegelrobbe, deren Anwesenheit nicht folgenlos bleibt für Landwirtschaft, Jagd oder Fischerei. Aber keiner polarisiert so wie der Wolf, um keinen gibt es ein solches Geschrei. Der Wolf ist zum medialen Megastar geworden. Naturnutzer wie Schafhalter oder Jäger stellt er vor manchmal schwer lösbare Probleme. Naturschützer feiern seine Rückkehr als Erfolg des Artenschutzes und können doch ihre Verblüffung über die stürmische Wiederausbreitung dieser in den meisten Ländern Europas offiziell immer noch vom Aussterben bedrohten Art nicht verbergen. Naturromantiker begrüßen den Wolf als Boten angeblich unberührter Wildnis und übersehen dabei gern, dass es nicht die bei uns ohnehin nicht mehr vorhandene Wildnis ist, die den Wolf anlockt, sondern die durch intensive Landwirtschaft auf einen historischen Höchststand gefütterten Populationen seiner Beutetiere, vornehmlich Reh, Rothirsch und Wildschwein. Städter lieben den Wolf mehr, als das die Landbevölkerung tut, die ihn zum direkten Nachbarn hat. Ältere hegen ihm gegenüber größere Bedenken als Jüngere. Der Osten Deutschlands – Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern – wird in wenigen Jahren flächendeckend vom Wolf besiedelt sein. Im Süden und Westen ist er bislang nur zeitweiliger Gast, das aber immer öfter. Die westlichsten Rudelterritorien liegen – Stand 2014 – in der Lüneburger Heide.

Ost und West, Stadt und Land, Schützen und Nutzen, Natur und Kultur – man muss diese Polaritäten nur aufrufen, um zu verstehen, was einen Journalisten, der sich seit Jahrzehnten vornehmlich mit Politik und Kultur in Deutschland befasst, am Wolf interessiert. Wenn man dann noch bedenkt, dass dieser Journalist ebenfalls seit Jahrzehnten leidenschaftlicher Jäger und Hundefreund ist, dann wird man sich nicht mehr darüber wundern, dass am Wolf für ihn kein Weg vorbeiführt.

Wir leben nicht mehr wie unsere steinzeitlichen Vorfahren in einer animistisch belebten Natur. Unsere Beziehungen zu Tieren sind oft eher sentimental als spirituell. Der Wolf aber, dieses uralte Gegenüber, stellt uns auch heute noch die Frage, wer wir sind und welche Rolle wir beanspruchen in dem, was die einen Schöpfung, die anderen Natur und wieder andere Biosphäre nennen. Die Wölfe eröffnen uns die Chance, in unserem Naturverständnis klüger, ehrlicher und realistischer zu werden.

Aufmerksam auf die Wölfe wurde ich bald nach der deutschen Wiedervereinigung. Im Mittelpunkt meiner journalistischen Arbeit standen zwar die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Folgen dieser Zeitenwende. Aber gewissermaßen aus dem Augenwinkel nahm ich doch wahr, dass sich auch in der Natur so etwas wie eine Wende anbahnte. Anfang der Neunzigerjahre häuften sich die Berichte über Wölfe, die aus Polen kommend bis in die Nähe der alten und neuen Hauptstadt Berlin vordrangen und auf dem Autobahnring zu Tode kamen. Auch geschossen wurden zuwandernde Wölfe immer wieder, obwohl seit dem 3. Oktober 1990 in der ehemaligen DDR das deutsche und europäische Naturschutzrecht galt, nach dem der Wolf eine streng geschützte Art ist, für deren Erhaltung und Förderung sich die Politik aktiv einsetzen muss. Als ich damals in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung meinen ersten Artikel über die Rückkehr der Wölfe schrieb – Überschrift: »Die Wölfe kommen« –, erklärte mich mancher Leserbriefschreiber zum Spinner. Genauso gut hätte man behaupten können, die Deutschen wollten die Monarchie wieder einführen oder bekämen ihre Kolonien zurück.

Für die große Mehrheit der Deutschen war vor zwanzig Jahren die Vorstellung, ihr Land könnte wieder von Wölfen besiedelt werden, schlicht abwegig. Man stand doch an der Schwelle zum 21. Jahrhundert und erlebte gerade die Anfänge einer digitalen Revolution. Wölfe gab es seit mehr als hundert Jahren in Deutschland nicht mehr. Die letzten ihrer Art in den Vogesen, in der Eifel oder in Sachsen wurden um 1900 erlegt. Schon das waren nur noch versprengte Einzeltiere und Durchwanderer. Gut, in Ostpreußen waren sie nie gänzlich verschwunden. Aber wie lange schon war das alte Ostpreußen versunken? Nein, Wölfe passten einfach nicht in die Zeit.

Die Wölfe sahen das anders. Als hätten sie einen Sinn für historische Dramaturgie, begannen sie ihre Landnahme westlich von Oder und Neiße just in dem Moment, in dem Parlament und Regierung ihre Arbeit in Berlin aufnahmen und sich der Fokus politischer und kultureller Öffentlichkeit vom Rhein an die Spree verschob. Die Veröstlichung Deutschlands und die Verwestlichung der Wölfe trafen zusammen, als ein Wolfspaar auf dem Truppenübungsplatz Muskauer...

Erscheint lt. Verlag 29.9.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Technik
Schlagworte eBooks • Mythos Wolf • Naturschutz • Raubtier • Umwelt • Wildtier • Wolf • Wolf, Umwelt, Wildtier, Raubtier, Mythos Wolf, Naturschutz
ISBN-10 3-641-14343-8 / 3641143438
ISBN-13 978-3-641-14343-5 / 9783641143435
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