Elefanten im All (eBook)
384 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9209-9 (ISBN)
Ben Moore (geb. 1966) ist Professor für Astrophysik an der Universität Zürich. Der Brite hat über 200 wissenschaftliche Abhandlungen verfasst, unter anderem zum Ursprung der Planeten und Galaxien sowie zu Dunkler Materie und Dunkler Energie. Seit 2013 hält er eine Vorlesung zur Astrobiologie, welche sich mit der möglichen Entstehung und Existenz von außerirdischem Leben beschäftigt. Unter seinem Künstlernamen 'Professor Moore' verbindet er Klänge aus seiner Gitarre und dem Universum mit seiner Leidenschaft für elektronische Musik. 2010 entwickelte er mit seinen Studenten ein Urknall-Lovemobile für die Zürcher Street Parade, vor Kurzem erschien sein erstes Soloalbum Escape Velocity.
Ben Moore, geboren 1966 in Großbritannien, ist seit 2002 Professor für Astrophysik an der Universität Zürich. Er hat über 300 Forschungsarbeiten zur Entstehung kosmischer Strukturen – Sterne, Galaxien und Planeten - veröffentlicht. Bei Kein & Aber erschienen von Ben Moore die Bücher Elefanten im All (2012), Da draußen (2014), Mond: Eine Biografie (2019) und zusammen mit Katharina Blansjaar Gibt es auf der dunklen Seite vom Mond Aliens? (2017). Zudem ist er Kolumnist beim Das Magazin des Tages-Anzeigers.
WAS WIR WISSEN UND WOHER WIR ES WISSEN
Wenn ich als Teenager Schulferien hatte, half ich bei meiner Schwester aus. Sie besaß ein Café in Whitby an der Küste von Yorkshire. Ich machte Sandwiches, bediente die Gäste und spülte Geschirr, während ihr Mann mit der Reggae-Band Jab-Jab durch Europa tourte. Ich sparte so viel zusammen, dass ich mir eine Gitarre kaufen konnte, um mir meinen lang gehegten Traum zu erfüllen: in einer Rockband zu spielen. Der Arbeitstag war lang, von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends, und die Nächte verbrachte ich in den hell erleuchteten Spielhallen, die noch immer das Ufer säumen, mit Spielen wie Galaxian und Tron. Der Höhepunkt meiner frühen musikalischen Ambitionen war die Darbietung des Stückes »Paranoid« von Black Sabbath vor der gesamten Schule, und das waren immerhin tausend Kinder mitsamt ihren Eltern. Fletch, mein bester Freund, sang mit einer Stimme, die der von Ozzy Osbourne unglaublich ähnelte, und wenn es irgendetwas gab, das den Glanz und Erfolg dieses Events vielleicht ein wenig geschmälert hat, dann nur die Tatsache, dass Flechts Exfreundin ihm am Ende unseres Auftritts eine Sahnetorte ins Gesicht klatschte.
Der Einfluss unserer Lehrer und Mentoren kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Ich war gerade fünfzehn, als mein Physiklehrer, Mister Jones, mir mitteilte, meine Fähigkeiten seien unter aller Sau. Zu dieser Einschätzung war Mister Jones vor allen Dingen deshalb gekommen, weil ich mit Fletch ein ausgesprochen witziges Gespräch geführt hatte, das von Mister Jones leider belauscht worden war. Meine Defizite, die einer wissenschaftlichen Laufbahn entgegenstanden, wurden vor der ganzen Klasse in epischer Breite enthüllt, und um meiner Disqualifikation Ausdruck zu verleihen, befahl man mir, mich in die Ecke zu stellen – mit dem Rücken zur Klasse, »wie ein räudiger Köter vor dem Supermarkt«. Die Demütigung saß tief, aber sie weckte in mir den Wunsch, meinen Lehrer zu widerlegen.
Trotz dieser Schlappe hatte ich den Eindruck, dass man sehr viel leichter Wissenschaftler wird als Rockstar, obwohl der Wunsch, Musik zu machen, noch immer in mir steckt. Kürzlich wurden meine diesbezüglichen Ambitionen befriedigt: Ich wurde eingeladen, mit der Elektrorockband Milk67 Gitarre zu spielen. Es war ein Riesenspaß, und den Höhepunkt bildete unser »Big Bang Truck« auf der Zürcher Street Parade 2010. Unser Lovemobile war 25 Meter lang, es beförderte hundert dem Anlass entsprechend gekleidete Tänzer, eine Laserharfe und eine 1 Million Volt starke musikalische Teslaspule. Die Rückseite des Lovemobile bildete eine Wand von Lautsprechern – die Beschallung mit hunderttausend Watt ließ die Gebäude erzittern, während wir langsam um den See herumfuhren und live für eine halbe Million Menschen spielten. Die Verbindung von Wissenschaft und Musik macht Spaß!
Die von Leuten wie Galilei, Descartes und Newton angestoßene wissenschaftliche Revolution hat nicht nachgelassen, und sie geht noch immer weiter. Die größte Errungenschaft unserer Gattung ist das von uns erlangte Wissen, dank dessen wir unsere natürliche Umwelt und den Kosmos verstehen können. Wir haben das Alter, die Größe und den Umfang unseres Universums genau bestimmt, und wir haben den Ablauf seiner Entwicklung während der längsten Zeit seiner Geschichte geklärt. Dass sich das Universum ausdehnt und dass es so alt und so groß ist, wie wir errechnet haben, gilt nicht mehr nur als Theorie – es wird in der wissenschaftlichen Gemeinde und von denen, die sich mit der Masse der Beweise vertraut gemacht haben, weithin als Tatsache akzeptiert.
Das alles klingt beeindruckend – aber wie können wir bei allem so sicher sein? Wie messen wir das Alter von Sternen und fernen Galaxien, die wir nicht besuchen können? Wie messen wir die Ausdehnung des Universums über Distanzen, die wir selbst nie zurücklegen werden? Woher wissen wir, dass das Universum sich ausdehnt, dass es eine endliche Lebensdauer und damit einen eindeutigen Anfang hat? Gibt es brauchbare alternative Erklärungsmodelle? In diesem Kapitel will ich versuchen, diese und andere Fragen zu beantworten.
Um zu begreifen, welche Stellung wir im Universum einnehmen, müssen wir das Universum als Ganzes würdigen und verstehen. Alle Antworten kennen wir jedenfalls nicht, und es gibt viele offene Fragen in Astrophysik und Kosmologie, genau wie in anderen wissenschaftlichen Fächern. Wir bemühen uns zum Beispiel seit vielen Jahren um eine kosmische Bestandsaufnahme der gesamten Materie, die irgendwo existiert, um die ziemlich grundlegende Frage zu beantworten: Woraus besteht das Universum? Die Sterne und Galaxien, die wir mit unseren Teleskopen sehen können, machen zusammengenommen bei Weitem nicht den größten Anteil der vorhandenen Materie aus. Wir wissen, dass die Atome, aus denen die Sterne bestehen und aus denen auch wir gemacht sind, nur einen geringen Bruchteil der Materie ausmachen, die in unserem Universum existiert. Da wir wissen, dass Materie und Energie ein und dasselbe sind und dass beide für die Geschichte und die Zukunft des Universums bedeutsam sind, müssen wir alle Formen von Materie und Energie bei unserer kosmischen Bestandsaufnahme berücksichtigen. Zwei der schwierigsten Probleme für das Verständnis der Zusammensetzung des Universums bestehen in der unbekannten Natur der Dunklen Materie und der Dunklen Energie. Auf das erste dieser »dunklen« Themen komme ich noch im Laufe dieses Kapitels zurück. Bevor ich fortfahre, möchte ich kurz die Konvention beschreiben, derer sich Wissenschaftler bedienen, um mit der gewaltigen Spannbreite der Zahlen umzugehen, die sie für die Quantifizierung des Universums benötigen.
Diese Tabelle zeigt das Zahlensystem, das praktisch alle Wissenschaftler nutzen. Das metrische System, das Ende des 18. Jahrhunderts im revolutionären Frankreich eingeführt wurde, besaß nur sechs Vorsätze, von einem Tausendstel bis eintausend. 1960 wurde die Skala erweitert, von einem Milliardstel bis zu einer Milliarde. Zusätzlich wurde das Internationale Einheitensystem festgelegt, im Französischen als »Système international d’unités« bezeichnet, abgekürzt »SI«.
Es ist bequem, Zahlen in Potenzen von 10 zu schreiben. Nehmen wir zum Beispiel eine der fundamentalsten »Naturkonstanten«, die Lichtgeschwindigkeit: Sie beträgt 299792458 Meter pro Sekunde und wird gewöhnlich als 3 x 108 ms–1 geschrieben. Das bedeutet, dass Licht in einer Sekunde eine Strecke von fast 300000 Kilometern zurücklegt, was annähernd der Entfernung von unserer Erde bis zum Mond entspricht. Wissenschaftler pflegen Zahlen auf- oder abzurunden, weil es oft nur auf die »Größenordnung« ankommt. In einem Jahr legt Licht eine Strecke von zehn Billionen Kilometern zurück. Eine Billion ist 1000000000000, und weil das eine Menge Nullen sind, die man hinschreiben und zählen muss, sagen wir einfach 1012. Das Universum ist so groß, dass wir Entfernungen in dieser Längeneinheit angeben, dem »Lichtjahr«. Licht benötigt nur den Bruchteil einer Sekunde, um den Durchmesser der Erde zu durchqueren, und nur acht Minuten, um von der Sonne zu uns zu gelangen, aber es braucht über vier Jahre, um uns von Alpha Centauri, dem nächstbenachbarten Stern, zu erreichen. Sie ahnen bereits: Unsere Milchstraße ist ganz schön groß …
Die kleinsten Objekte, mit denen wir uns befassen, sind einzelne Elementarteilchen wie etwa das Elektron, das eine effektive klassische Größe von 0,000000000000001 Meter oder 10–15 Meter hat – das ist ein Billiardstel eines Meters. Es ist, gelinde gesagt, ziemlich schwer, Zahlen zu begreifen, die so groß bzw. so klein sind. Wir sind Beträge von ganz anderer, begrenzter Größenordnung gewohnt. Wir sind vertraut damit, dass ein Fußballstadion hunderttausend Zuschauer fasst, und wir können uns eine Großstadt mit einer Million Einwohnern vorstellen. Ab einer Milliarde versagt unser Vorstellungsvermögen, und alles, was größer ist, scheren wir über einen Kamm und empfinden es als – nun ja, als sehr, sehr groß.
DIE ZEIT
Um anzugeben, wie alt etwas ist, benötigen wir einen Zeitmaßstab. Die Drehung der Erde um ihre eigene Achse und ihre Bewegung um die Sonne liefern uns die natürlichen Zeitmaßstäbe des Tages und des Jahres. Die Babylonier unterteilten Tag und Nacht in zusammen 24 Stunden. Die Stunde unterteilten sie sexagesimal in ein Sechzigstel und dieses nochmals in ein Sechzigstel, obwohl die erste Uhr, die tatsächlich Sekunden anzeigt, erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstehen wird. An dieser auf der Bewegung der Erde basierenden Zeitdefinition änderte sich mehrere Jahrtausende lang nichts. Sie wurde bis 1967 als internationaler Maßstab benutzt. Geringfügige Schwankungen in der Länge des Erdtages haben jedoch zur Folge, dass diese Definition der Zeit sich mit der Zeit ändert. Die durch die Rotation der Erde definierte Sekunde ist daher als Standardmaß nicht hinreichend präzise oder stabil. Außerdem gehen selbst die besten mechanischen Uhren nur auf bis zu wenige Sekunden pro Tag genau.
Die Länge unseres »Tages« ist tatsächlich die Folge eines Ereignisses, das sich vor viereinhalb Milliarden Jahren während der Entstehung unseres Sonnensystems zutrug. Die Planeten bildeten sich zur gleichen Zeit wie die Sonne im Verlauf der Kontraktion einer riesigen rotierenden Gaswolke. In jener Zeit stieß ein kleiner Planet – etwa von der Größe des Mars – mit unserer Erde zusammen. Weil die beiden Himmelskörper nicht frontal zusammenprallten, wurde die Erde in eine Drehbewegung um die eigene Achse versetzt, und ein Trümmerhaufen wurde auf eine Umlaufbahn...
Erscheint lt. Verlag | 29.8.2012 |
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Übersetzer | Friedrich Griese, Monika Niehaus |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Naturwissenschaften ► Physik / Astronomie |
Technik | |
Schlagworte | Astrophysik • Atom • Außerirdische • Biologie • Geologie • Geschichte • Kosmologie • Neurowissenschaft • Sachbuch • Sterne • Universum • Urknall |
ISBN-10 | 3-0369-9209-X / 303699209X |
ISBN-13 | 978-3-0369-9209-9 / 9783036992099 |
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Größe: 4,5 MB
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