Vom Sakralen zum Banalen?
Evangelische Akademie Baden (Verlag)
978-3-89674-567-5 (ISBN)
„Zukunft und Entwicklung kirchlicher Liegenschaften“
Haus der Katholischen Kirche
23. Juni 2009 in Stuttgart
„Vom Sakralen zum Banalen?“
Evangelische Akademie Baden
20. - 21. November 2009 in Bad Herrenalb
Darf man eine Kirche in eine Disco umfunktionieren oder in eine Kletterhalle? Was auf den ersten Blick absurd erscheint, ist für die Kirche heute blanke Realität: Viele ihrer Bauten sind schlichtweg nicht mehr zu unterhalten und werden daher umgenutzt, veräußert oder sogar abgerissen. Das stellt die Kirche vor große Herausforderungen. Fragen des Denkmalschutzes spielen ebenso eine Rolle wie ökonomische, gestalterische und energetische Fragen.
Entsprechend richtet sich das Buch, das als Zusammenschnitt dreier Tagungen zu dem Thema entstanden ist, an alle Menschen, die sich mit Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Kirchengebäuden beschäftigen – ob als Gemeindemitglied, Pfarrer, Architekt, Kommunalpolitiker, Gesellschaftsbeobachter oder Planer. Es soll dazu beitragen, dass Dialoge geführt werden und Chancen für neue Nutzungen, neue Nutzer und lebendige Räume wahrgenommen werden können.
Inhalt
Vorwort
Kirche und Kirchlichkeit gestern und heute. Sozial- und geisteswissenschaftliche Betrachtungen
Wolfgang Pehnt
Möglichkeitsorte. Die Kirche als verdichtete Stadt und was daraus zu lernen wäre
Bernhard Schäfers
Die kulturhistorische und soziale Dimension sakraler Räume
Thomas Erne
Kirchen – religiöse Zeichen im öffentlichen Raum
Konservierung oder Konversion? Reflexionen aus der Arbeitspraxis
Helmut Striffler
Kirche als bemerkenswerter „Ander“-Ort
Arno Lederer
Konfirmation oder Transformation
Ulrike Roggenbuck-Azad
Gedanken zum Umgang mit kirchlichen Liegenschaften aus Sicht der Denkmalpflege
Stefan Werner
Was tun mit unseren Kirchen?
Heiner Giese
Kirchliche Liegenschaften: Last oder Chance?
Ingo Strugalla
Ohne Strukturen geht es nicht
Vom Andachtsraum bis zur Kletterhalle. Fallstudien über den Umgang mit kirchlichen Liegenschaften
Karin Berkemann
„Was ist denn das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet.?“ Kirchen zwischen Symbol- und Denkmalwert
Kerstin Gothe
Der Umbau sakraler Räume – ein Überblick
Hans Frieser
Städtebauliche Auswirkungen bei der Umnutzung kirchlicher Liegenschaften
Den Raum sprechen lassen. Bildungsangebote zum Kirchenraum
Matthias Ludwig
„Schätze ! …“ Eine Ausstellung zur Gegenwart und Zukunft der Kirchen des 20. Jahrhunderts
Ulrike Beichert
Irdisches Paradies und himmlisches Sternenzelt. Eine spirituelle Reise durch die Klosterkirche Bad Herrenalb
Abbildungsquellen 259
Vorwort Vom Sakralen zum Banalen? Kirchenräume im Wandel Der Petersdom, Le Corbusiers Notre Dame du Haut in Ronchamp oder die eigene Stadt- und Dorfkirche … – Kirchenräume sind weit mehr als reine Bausubstanz. Mag zwar jedes beliebige Gebäude durchaus zeichenhaften Charakter besitzen, so erscheinen uns doch gerade sakrale Bauten als kulturelle Zeichen par excellence. Sie bedienen sich in ihrer eigenen Gestalt nicht nur spezifischer Symbole, sondern werden ihrerseits hochgradig symbolisch aufgeladen und stellen somit gleich in doppelter Hinsicht kulturelle Objekte dar, die einzelne Dörfer und Quartiere ebenso wie ganze Stadtbilder gleichermaßen prägen und repräsentieren. Selbstverständlich sind es nicht die Bauten selbst, die sich dieses gestalterischen Repertoires bedienen, sondern die Bauherren und Architekten, die eine bestimmte Formen- und Symbolsprache nutzen. Diese und ähnliche Formulierungen – Kirchbauten zu personalisieren – sind vermutlich selbst der Tatsache geschuldet, dass es sich bei den meisten Kirchen um sehr unverkennbare Zeichen handelt, die etwas ‚Eigenes‘ besitzen und eine ‚eigene‘ Wirkung auf die Betrachter und Nutzer zu entfalten scheinen. Nicht zuletzt zeigt sich bereits in diesem kurzen Schreiben über Kirchbauten, wie stark auch unser Denken über Kirchbauten, unser Empfinden von Kirchbauten kulturell geprägt ist und welchen Stellenwert die Bauten für unser kulturelles Selbstverständnis besitzen. Doch während die christliche Kirchenlandschaft mit ihren rund 45.000 Sakralbauten in Deutschland lange Zeit als gebaut und gegeben galt, hat sich die Religionslandschaft grundlegend verändert: Längst finden sich neben den beiden großen christlichen Kirchen auch zahlreiche andere Religionen, die ihrerseits nach baulicher Repräsentation im öffentlichen Raum streben. Und längst gehören viele Menschen gar keiner Religion (mehr) an oder fühlen sich nicht zugehörig. Was im alltäglichen Erleben jedes Einzelnen selbstverständlich und vorerst wenig diskussionswürdig scheint, stellt die Organisationen der christlichen Kirchen vor große Herausforderungen: Viele ihrer Bauten sind schlichtweg nicht mehr zu unterhalten. Sie werden als Jugendzentrum, Diskothek, Bibliothek u. v. m. umgenutzt, veräußert oder wie etwa die evangelische Heiliggeistkirche in Hamburg-Barmbek schlichtweg abgerissen. Auf diese Weise führen sie den so genannten, häufig abstrakt diskutierten ‚gesellschaftlichen Wandel‘ plastisch vor Augen. Gerade diese Plastizität regt Debatten darüber an, ob die sprichwörtliche Kirche denn nun im Dorf zu lassen sei – oder eben nicht. Bereits diese wenigen Ausführungen deuten an, wie zahlreich die Diskurse über die Zukunft von Kirchengebäuden sein können und aus welch unterschiedlichen Perspektiven sie geführt werden: Es stellen sich Fragen des Denkmalschutzes ebenso wie ökonomische Fragen, gestalterische Fragen und Fragen der energetischen Sanierung, Fragen der Bedeutung von Religiosität heute und deren Repräsentation im öffentlichen Raum usw. Die Thematik beschäftigt Architekten ebenso wie Theologen, Kunsthistoriker wie Immobilienwirte, Soziologen wie Stadtplaner und Kommunalpolitiker. Während man allerdings noch in den vergangenen Jahren den Eindruck gewinnen konnte, im Süden der Republik würden diese Diskurse überhaupt nicht geführt werden, scheint das Thema zumindest in Baden-Württemberg mittlerweile ebenfalls angekommen zu sein: Allein im zweiten Halbjahr 2009 wurden drei einschlägige Tagungen dazu veranstaltet. Der vorliegende Band dokumentiert die beiden erstgenannten Veranstaltungen, bei denen im Unterschied zu vielen anderen, eher monoperspektivisch geführten Diskussionen versucht wurde, ganz bewusst die verschiedenen Herangehensweisen zu Wort kommen zu lassen und den Dialog zwischen den teils durchaus kontroversen Positionen zu fördern. Entsprechend heterogen wie die genannten Sichtweisen stellen sich die folgenden Beiträge dar. Sie werden unter folgenden Überschriften gegliedert: • Kirche und Kirchlichkeit gestern und heute Wissenschaftlich-analytische Betrachtungen aus Architekturgeschichte, Soziologie und Theologie; • Konservierung oder Konversion? Reflexion der Arbeitspraxis als Architekt, Denkmalpflegerin oder Liegenschaftsverantwortlicher; • Vom Andachtsraum bis zur Kletterhalle Systematische Aufbereitung von Fallstudien aus theologisch-kunsthistorischer und planerisch-kommunalpolitischer Perspektive sowie • Den Raum sprechen lassen. ,Bildungsangebote‘ zum Thema Kirchenraum (religionspädagogische Anregungen sowie Angebote der Ausstellungskommunikation). Dabei können die unterschiedlichen Perspektiven gewiss nicht (ausschließlich) auf die dahinterstehenden Disziplinen zurückgeführt werden: In den zahlreichen Diskussionen, die im Verlauf der Tagungen geführt wurden, zeigten sich über die Fachgrenzen hinweg unterschiedliche Haltungen bezüglich der Fragen, was denn nun Aufgaben und Funktionen von Kirchengebäuden heute seien und wie – wenn überhaupt – eine vom Leerstand ‚bedrohte‘ Kirche umgenutzt werden dürfe. Oder noch grundsätzlicher: Ob der Leerstand überhaupt eine Bedrohung darstelle oder ob dies nicht mehr oder weniger ‚zum Lauf der Geschichte‘ gehöre. Ob bedrohlich oder nicht: Die unterschiedlichen Akteure (vom Liegenschaftsverwalter bis zum Gemeindepfarrer, vom Ortsbürgermeister bis zum Pfarreimitglied) sind mit Veränderungen konfrontiert, für die bisweilen sehr unterschiedliche Handlungsstrategien gefunden werden wie etwa: • die Reduzierung von Standards (z.B. der Verzicht auf Heizung oder Dämmung) oder die Freigabe zum temporären Leerstand („Einmotten“) gegenüber der Freigabe zum Abriss; • die Akzeptanz von Umnutzungen sowie die aktive Mitgestaltung der Umnutzung von kirchlicher Seite gegenüber der Ablehnung jeglicher Umnutzung; • die gezielte Aufwertung einzelner Immobilien mit zeitgemäßen Standards gegenüber dem Versuch, möglichst den gesamten Bestand zu ‚halten‘; • die Etablierung partizipativer Verfahren, bei denen gemeinsam mit Gemeindemitgliedern und Anwohnern nach Entscheidungen gesucht wird gegenüber einsamen Entscheidungen einzelner Verantwortlicher; • der Versuch, über Bildungsarbeit (z.B. durch Ausstellungen oder Vorträge) für die kulturelle Bedeutung von Kirchen zu sensibilisieren und für deren Erhalt zu motivieren gegenüber der beobachtenden Akzeptanz einer sich verändernden Kirchenlandschaft. Eine dritte Unterscheidungslinie neben den inhaltlich-fachlichen und den strategiebezogenen stellte zudem der Gegenstand dar, auf den sich die Beiträge bezogen: In der Mehrzahl der Vorträge lag der Fokus auf Kirchbauten und sakralen Räumen im engeren Sinn. Darüber hinaus beschäftigten sich einige Referenten auch mit der Betrachtung kirchlicher Liegenschaften insgesamt: also mit Grundstücken, Pfarrhäusern, Gemeindezentren etc. Hier tun sich abermals ganz eigene Fragen auf – die Diskussion wird komplexer, es wird über sehr unterschiedliche Gebäude und ihre Nutzungen gesprochen; das Weiten des Blicks führt jedoch auch zu neuen Handlungsmöglichkeiten. In den ausführlichen Diskussionen über den Umgang mit Sakralbauten im engeren Sinn zeigte sich, was vermutlich auch für die kirchlichen Liegenschaften insgesamt gilt: Die unterschiedlichen Perspektiven und Strategien können sich sowohl widersprechen als auch ergänzen. So stoßen beispielsweise die Bemühungen, den Erhalt einer Kirche durch Sanierung und Nutzungserweiterung zu sichern, mit Blick auf denkmalpflegerische Kriterien nicht selten an ihre Grenzen. Äußerst lebhaft wurden auch Fragen zum Verhältnis von Ökonomie und Kirche diskutiert: Dürfen Kirchen überhaupt unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet werden? Brauchen wir nicht viel mehr nutzungsungebundene öffentliche Räume? Nicht lieber eine „schöne Ruine“ als gar keine Kirche? Im Gegensatz zu: Was nutzt die schönste Ruine, wenn man den Einsturz fürchten muss? Und wenn wir von öffentlichen Räumen sprechen, müssen sich dann nicht auch die Kommunen engagieren? Etc. Nicht zuletzt zeigte sich auch an den Publikumsreaktionen, dass Nachnutzungen sakraler Räume offensichtlich ein heikles Thema darstellen: Während ein Buchladen oder ein Café im ehemaligen Gottesdienstraum in der Regel als akzeptabel befunden wurden, ließen Fotografien einer Privatwohnung, einer Sporthalle oder eines Elektroladens den einen oder anderen durchaus tief Luft holen. Über alle Beiträge hinweg entstand zudem der Eindruck, dass bisher lediglich isolierte Fallbeispiele existieren, die sehr stark vom Engagement einzelner Personen und Gemeinden abhängen und eine Kategorisierung erschweren. Die Suche nach einer allgemein sinnvollen, übertragbaren Strategie zum Thema Kirchenumnutzung steht also noch ganz am Anfang – falls es sie bei den je sehr individuellen lokalen Bedingungen überhaupt geben kann. Eindeutig ist jedoch: Das Phänomen der ‚Kirchenräume im Wandel‘ betrifft die katholische genauso wie die evangelische Kirche und auf allen Seiten besteht ein deutlicher Wunsch nach einer engeren, konstruktiveren Zusammenarbeit von Gemeinde, Denkmalschutz, Stadtplanung und anderen beteiligten Akteuren. Gerade diese Heterogenität an Akteuren, Disziplinen, Foki und Strategien zeigt den Facettenreichtum, auf den man stößt, wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzen will (oder muss). Nicht zuletzt, weil diese unterschiedlichen Perspektiven sich in jedem Beitrag immer wieder auf individuelle Art und Weise verschränken, verbietet es sich, eine einzige und ausschließliche Gliederung der Beiträge vornehmen zu wollen. Lediglich der Übersichtlichkeit wegen haben wir uns deshalb entschlossen, die Aufsätze nach den bereits genannten Aspekten zu systematisieren: Wir beginnen mit den wissenschaftlich-analytischen Betrachtungen, schließen mit Reflexionen der eigenen Arbeitspraxis an, gefolgt von systematisierten Fallstudien und schließlich Bildungsangeboten. Letztlich soll jedoch den Leserinnen und Lesern selbst überlassen bleiben, unter welchem Aspekt genau sie den jeweiligen Beitrag lesen und welche Fragestellung sie selbst an ihn herantragen möchten. Die Übergänge sind sicher fließend. Entsprechend richtet sich das Buch an alle Menschen, die sich mit Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Kirchengebäuden beschäftigen – ob als Gemeindemitglied, Pfarrer, Architekt, Kommunalpolitiker, Gesellschaftsbeobachter oder Planer. Es soll dazu beitragen, dass Dialoge geführt werden, solange zahlreichere Handlungsoptionen bestehen. Denn wenn zu lange nicht entschieden wird, schrumpfen Entscheidungsspielräume und Chancen für neue Nutzungen, neue Nutzer und lebendige Räume werden vertan. Bei der Vorbereitung und Durchführung der beiden Tagungen, deren Beiträge mit diesem Band nun in schriftlicher Form vorliegen, waren zahlreiche Kooperationspartner beteiligt, denen wir an dieser Stelle danken möchten: Die Tagung „Zukunft und Entwicklung kirchlicher Liegenschaften“, die am 23. Juni 2009 im Haus der katholischen Kirche in Stuttgart stattfand, wurde veranstaltet von der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, der Beton Marketing Süd GmbH, dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart sowie dem werkbund Baden-Württemberg. Sie fand im Haus der katholischen Kirche in Stuttgart statt. An der Tagung der Evangelischen Akademie „Vom Sakralen zum Banalen?“, die am 20.und 21. November 2009 in Bad Herrenalb veranstaltet wurde, waren als Kooperationspartner die Evangelische Akademie Baden, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit dem Institut für Entwerfen von Stadt und Landschaft und dem Institut für Soziologie sowie der werkbund Baden-Württemberg und die BauWohnberatung Karlsruhe beteiligt. Maßgeblich unterstützt wurde diese Veranstaltung durch Mittel des Kompetenzbereichs „Technik, Kultur und Gesellschaft“ am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Auch die Veröffentlichung selbst stellt ein Kooperationsprojekt dar, an dem der Lehrstuhl von Prof. Dr. Michaela Pfadenhauer (Institut für Soziologie), das Team von Prof. Kerstin Gothe (Institut für Entwerfen von Stadt und Landschaft) und die Evangelische Akademie Baden beteiligt waren. Für die engagierte redaktionelle Bearbeitung der Texte, die Bildrecherche und die Kommunikation mit den Autoren danken wir Frau Carolin Groß herzlich. Lisa Kossmann gehört unser Dank für Lektorat und Korrektorat, Jill Enders danken wir herzlich für die grafische Bearbeitung und die Bildrecherche. Auch Ralf Stieber und Jochen Hohmann danken wir für die tatkräftige Unterstützung bei der Herstellung des Buches. Die Universitätsgesellschaft am KIT und die Evangelische Stiftung Pflege Schönau haben die Herstellung des Bandes finanziell unterstützt, wofür wir ebenfalls an dieser Stelle danken möchten. Karlsruhe, August 2011 Kerstin Gothe, Alexa Maria Kunz, Klaus Nagorni
Reihe/Serie | Herrenalber Forum ; 66 |
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Vorwort | Kerstin Gothe, Alexa Maria Kunz, Klaus Nagorni |
Sprache | deutsch |
Maße | 128 x 203 mm |
Gewicht | 400 g |
Einbandart | Paperback |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie |
Technik ► Architektur | |
Schlagworte | Architektur • Denkmalpflege • Geisteswissenschaft • Geschichte • Kirchenraum • Kultur • Sakrales • Sozialwissenschaft • Spiritualität • Städtebau • Umbau |
ISBN-10 | 3-89674-567-0 / 3896745670 |
ISBN-13 | 978-3-89674-567-5 / 9783896745675 |
Zustand | Neuware |
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