Bekenntnis und Interesse - Christian Hiebaum

Bekenntnis und Interesse

Essay über den Ernst in der Politik
Buch | Hardcover
226 Seiten
2008
De Gruyter (Verlag)
978-3-05-004455-2 (ISBN)
89,95 inkl. MwSt
In der Politik wird gelogen, geheuchelt, intrigiert und höchst selektiv moralisiert. Und wenn argumentiert wird, dann nicht selten strategisch. Zuweilen nicht einmal das: Über weite Strecken dominiert eine berechenbare und hohle Phraseologie die öffentliche Debatte. Diese Beobachtung lässt viele Demokraten zynisch werden, oder wenigstens zu Realisten, die den politischen Streit als bloßen Interessenkonflikt verstehen, als eine Art Spiel.

Mitunter werden auch moralische Gründe für eine solche Sichtweise ins Treffen geführt. Wer sich heute in der Politik ernsthaft zu einer Wahrheit bekennt, und sei es zu einer neoliberalen, macht sich jedenfalls verdächtig. Er riskiert, als fundamentalistisch und politikunfähig zu gelten.

Doch der politische Objektivismus ist besser als sein Ruf. Insbesondere ist er gegen den Vorwurf zu verteidigen, er sei die Grundlage des Puritanismus und der Intoleranz. Ihn zeichnet die Annahme aus, dass Werturteile und Urteile über die inhaltliche Richtigkeit von Normen objektiv wahr oder falsch sein können. Zudem vertritt der Objektivist die Auffassung, dass die Orientierung der Akteure an dem, was sie für objektive Werte und objektiv gültige Normen halten, auch in der Politik prinzipiell gut ist. Und er glaubt, dass es zur angemessenen Bestimmung individueller Interessen einer Vorstellung vom objektiv guten Leben

In der Politik wird gelogen, geheuchelt, intrigiert und höchst selektiv moralisiert. Und wenn argumentiert wird, dann nicht selten strategisch. Zuweilen nicht einmal das: Über weite Strecken dominiert eine berechenbare und hohle Phraseologie die öffentliche Debatte. Diese Beobachtung lässt viele Demokraten zynisch werden, oder wenigstens zu Realisten, die den politischen Streit als bloßen Interessenkonflikt verstehen, als eine Art Spiel. Mitunter werden auch moralische Gründe für eine solche Sichtweise ins Treffen geführt. Wer sich heute in der Politik ernsthaft zu einer Wahrheit bekennt, und sei es zu einer neoliberalen, macht sich jedenfalls verdächtig. Er riskiert, als fundamentalistisch und politikunfähig zu gelten. Doch der politische Objektivismus ist besser als sein Ruf. Insbesondere ist er gegen den Vorwurf zu verteidigen, er sei die Grundlage des Puritanismus und der Intoleranz. Ihn zeichnet die Annahme aus, dass Werturteile und Urteile über die inhaltliche Richtigkeit von Normen objektiv wahr oder falsch sein können. Zudem vertritt der Objektivist die Auffassung, dass die Orientierung der Akteure an dem, was sie für objektive Werte und objektiv gültige Normen halten, auch in der Politik prinzipiell gut ist. Und er glaubt, dass es zur angemessenen Bestimmung individueller Interessen einer Vorstellung vom objektiv guten Leben bedarf.

1;Inhaltsverzeichnis;8
2;Vorwort;10
3;Einleitung: Lust/Unlust Ernst/Unernst;14
4;I. Bekenntnis;36
4.1;1. Formaler Aberglaube;38
4.2;2. Die Einbettung des Aberglaubens;49
4.3;3. Der Preis der Kulturalisierung;66
4.4;4. Der metaethisch-ontologische Irrweg;77
4.5;5. Wahrheit, Rationalität und Dissens;85
4.6;6. Objektivismus, Skepsis und Toleranz;101
4.7;7. Der wechselseitige Respekt und das Gute;115
4.8;8. Resümee;132
5;II. Interesse;136
5.1;1. Macht und Interesse;138
5.2;2. Interessen, Wünsche und Wohlbefinden;145
5.3;3. Objektivität und Wertbezug von Interessen;153
5.4;4. Interessen, Identitäten und Kontexte;164
5.5;5. Objektive Interessen, wahre Interessen und;174
5.6;Autonomie;174
5.7;6. Politisierung von Interessen;182
5.8;7. Individual- und Kollektivinteressen;185
5.9;8. Resümee;195
6;Nachtrag: Symbolpolitik Wie aus moralischem Ernst politischer Unernst werden kann;198
7;Personenregister;218
8;Literaturverzeichnis;221

"Der Autor unternimmt einen lustvollen Ritt durch die Landschaft der politischen Theorie und der weiteren Philosophie." TIL in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 11. November 2008

4. Der metaethisch-ontologische Irrweg (S. 76-77)

Die berühmteste philosophische Version des ontologischen Einwands gegen ethische Objektivität stammt von David Hume. Um nachzuweisen, "dass Laster und Tugend keine Tatsachen sind, deren Dasein wir durch die Vernunft erkennen können", schlägt er vor, sich einmal einen absichtlichen Mord etwas näher anzusehen:

Betrachtet denselben von allen Seiten und seht zu, ob Ihr das tatsächliche oder realiter Existierende finden könnt, was Ihr Laster nennt. Wie Ihr das Ding auch ansehen möget, Ihr findet nur gewisse Affekte, Motive, Willensentschließungen und Gedanken. Außerdem enthält der Fall nichts Tatsächliches. Das "Laster" entgeht Euch gänzlich, solange Ihr nur den Gegenstand betrachtet.

Diese Passage ist schon deshalb bemerkenswert, weil sie den zentralen Gegeneinwand nachgerade mitformuliert. Hume verweist darin nämlich auf mentale Zustände wie Affekte und Gedanken, die man genauso wenig "sieht" wie Werte. Wenn wir eine Tötung als Mord ansehen, haben wir u. a. ausgeschlossen, dass es für sie einen Rechtfertigungsgrund gibt oder dass eine "allgemein begreifliche heftige Gemütserregung" ( 76 öStGB) vorliegt. Andernfalls würden wir nur eine Tötung sehen. Einen Mord als solchen zu erkennen schließt gewisse Werturteile bereits ein.

In jüngerer Zeit hat John Mackie mit seinem "Argument aus der Absonderlichkeit" denselben Einwand gegen den Werteobjektivismus erhoben wie Hume:

Worin liegt die Verbindung zwischen der natürlichen Tatsache, daß eine Handlung einen Akt absichtlicher "Grausamkeit" – d. h. ein Zufügen von Schmerzen rein aus Spaß – darstellt, und der moralischen Tatsache, daß sie falsch ist? Es kann sich dabei nicht um eine Schlußfolgerung, nicht um eine logische oder analytische Notwendigkeit handeln. Dennoch ist das Zusammentreffen dieser beiden Eigentümlichkeiten nach Auffassung der Objektivisten auch nicht zufällig. Die Falschheit muß den deskriptiven Eigenschaften dieser Handlung irgendwie "nachfolgen" [consequential], zu ihnen "hinzutreten" [supervenient], eine solche Handlung ist falsch, weil sie ein Zufügen von Schmerzen rein aus Spaß darstellt. Doch was in aller Welt ist mit diesem "weil" gemeint? Und woher wissen wir um die so charakterisierte Beziehung, wenn es sich dabei um mehr handeln sollte als um die Tatsache, daß solche Handlungen gesellschaftlich – und auch von uns selbst, vielleicht weil wir uns die Einstellung unserer sozialen Umwelt zu eigen gemacht haben – verurteilt werden? Es genügt keineswegs, ein Vermögen anzunehmen, mit dem man die moralische Falschheit erkennen kann, man muß eine Fähigkeit voraussetzen, mit der wir zugleich sowohl die natürlichen Eigenschaften, die Grausamkeit ausmachen, als auch die sittliche Falschheit, als auch die geheimnisvolle Beziehung zwischen diesen beiden Arten von Eigenschaften erkennen.

Wäre es nicht fatal, wenn Mackie und Hume recht hätten? Zwar glaubt Mackie, dass wir es hier nur mit einem metaethischen Problem zu tun hätten, welches Nichtphilosophen nicht weiter zu kümmern brauche, doch könnte man genauso gut auch Zweifel haben an seiner Unterscheidung zwischen Ethik (die uns alle angehe) und Metaethik (die nur von philosophischem Interesse sei). In der Tat: Wie könnten wir verfahren wie bisher und gleichzeitig denken, dass wir uns dabei nur einer Illusion hingeben?

Dass man sich bewusst einer Illusion hingeben kann, wissen wir bereits. Wir lassen uns von Filmen zu Tränen rühren und in höchste Anspannung

Erscheint lt. Verlag 25.2.2008
Verlagsort Basel/Berlin/Boston
Sprache deutsch
Maße 150 x 240 mm
Gewicht 520 g
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Annahme • Argument • Beobachtung • Debatte • Erec • Essay • Ethics & Moral Philosophy • Fundament • Interesse • Interessen • Konflikt • Leben • leibniz • Liberal • Messe • Messen • Moral • Normen • Objectivity • Objekt • Objektiv • Objektivismus • Orient • Orientierung • Philosophie • Philosophy • Phraseologie • Political • Political Ethics • Political Philosophy and Social Philosophy • Political Science • Political science, Philosophy • Politik • Politische Philosophie • Puritanismus • Schriften • Spiel • Streit • Toleranz • Verstehen • VIII/1 • Vorstellung • Wahrheit • Wert • Werte
ISBN-10 3-05-004455-1 / 3050044551
ISBN-13 978-3-05-004455-2 / 9783050044552
Zustand Neuware
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