Intellektuelle Grenzgänger - Wiebke Aits

Intellektuelle Grenzgänger

Migrationsbiografien nordafrikanischer Studierender in Deutschland

(Autor)

Buch | Softcover
231 Seiten
2008
Campus (Verlag)
978-3-593-38641-6 (ISBN)
35,00 inkl. MwSt
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Transkulturelle Studien
Über 10 000 Studierende aus den nordafrikanischen Maghrebstaaten besuchen derzeit eine deutsche Universität. Wiebke Aits untersucht anhand von drei exemplarischen Biografien die Strategien, die Bildungsmigranten entwerfen, um mit den persönlichen, soziokulturellen und rechtlichen Widersprüchen ihrer Lebenssituation fertig zu werden. Hierzu gehören transnationale Beziehungsnetzwerke, die Gestaltung transkultureller Begegnungen vor Ort sowie die Konstruktion hybrider kultureller Identitäten. Im ethnologischen Forschungsprozess gelingt der Autorin ein Dialog, der dichte Informationen zur komplexen Thematik der Migration enthält.

Wiebke Aits studierte Kultur- und Erziehungswissenschaften sowie Romanistik. Sie arbeitet in der transkulturellen Jugendarbeit in Bremen, unter anderem als Streetworkerin beim VAJA e.V.

Dank

Vorwort von Prof. Dr. Maya Nadig


1. Einleitung

2. Migration
2.1 Definitionen
2.2 Anfänge und Entwicklung ethnologischer Migrationsforschung
2.3 Aktuelle Tendenzen ethnologischer Migrationsforschung
2.3.1 Transnationale Verbindungen und diasporische Communities
2.3.2 Transkulturelle Gesellschaften, pluralisierte Identitäten und kulturelle Hybridität
2.4 Handlungsstrategien in der Migration

3. Migration von Studierenden
3.1 Anfänge und Entwicklung der Bildungsmigration
3.2 Zur Situation nordafrikanischer Studierender in Deutschland
Exkurs: Migration aus dem Maghreb nach Europa
3.2.1 Rahmendaten
3.2.2 Bisherige Forschungen

4. Empirisches Material
4.1 Nordafrikanische Studierende in Bremen
4.2 Methodische Herangehensweise
4.2.1 Qualitative Forschung
4.2.2 Interviewtechniken und Leitfaden
4.2.3 Auswertung und Darstellung des Materials
4.2.4 Reflexionen zur Forschungssituation
4.3 Zugang zum Feld
4.4 Mourad (Marokko): "Ich bleibe in der Mitte. Ich lerne von dieser Seite und von dieser Seite."
4.4.1 Kurzbiografie
4.4.2 Der Begegnungsverlauf und seine Inhalte
4.4.3 Subjektive Handlungsstrategien
4.4.4 Reflexionen zum Beziehungsverlauf
4.5 Samir (Algerien): "Indirekt wollte ich ein Gleichgewicht schaffen."
4.5.1 Kurzbiografie
4.5.2 Der Begegnungsverlauf und seine Inhalte
4.5.3 Subjektive Handlungsstrategien
4.5.4 Reflexionen zum Beziehungsverlauf
4.6 Karam (Tunesien): "Ich kann aktiv sein, wenn man mir die Gelegenheit gibt, ich zu sein."
4.6.1 Kurzbiografie
4.6.2 Der Begegnungsverlauf und seine Inhalte
4.6.3 Subjektive Handlungsstrategien
4.6.4 Reflexionen zum Beziehungsverlauf

5. Vergleichende Deutung der Fallbeispiele und Interpretation der Ergebnisse

6. Schlussbetrachtung

Tabellenverzeichnis

Literatur

Selbstverortung und Schaffung von Zugehörigkeiten (Konstruktion kultureller Identitäten) sowie Einbindung in die lokale Community Als Migrant erlebt sich Mourad zunächst in einer marginalen gesellschaftlichen Position, in der er sich als "fremd" konstruiert erfährt und die somit auch Gefühle des Ausgegrenztseins hervorruft. Dennoch versucht er stets Verbindungen zu schaffen, und es gelingt ihm, innerhalb der Gesellschaft ganz differenzierte Zugehörigkeiten für sich zu finden und zu definieren. So ordnet er sich konkreten Bezugsgruppen seines Lebensalltags zu und beschreibt sich etwa als Teil der Universität, seiner Arbeit, seines Praktikums oder auch seiner Wohngemeinschaft. Jedoch gibt es auch in diesen Bereichen Erfahrungen, in denen er Differenzen erlebt und sich nicht als gleichberechtigt verstanden fühlt. Daraus entsteht ein ambivalenter Eindruck des Dazugehörens und gleichzeitigen Fremdseins. In diesem neuen Lebensumfeld, so betont Mourad, wird insbesondere die Frage nach der eigenen Identität bedeutsam. Sehr viele Gemeinsamkeiten erlebt er mit anderen MarokkanerInnen, mit denen er trotz aller Unterschiede des Herkunftsmilieus und der Migrationserfahrung seiner Meinung nach einen kulturellen Hintergrund teilt. Jedoch betont er dabei gleichzeitig die starken Differenzen innerhalb dieser lokalen Community, die von dem Bestreben einer totalen Anpassung an so genannte "westliche" Werte bis hin zur Abgrenzung in einem vorwiegend islamisch-religiösen Milieu reichten. Mourad spricht sich dabei gegen jegliche Extreme aus und verortet sich in einer mittigen Position, denn er möchte für verschiedene Einflüsse aufgeschlossen bleiben. Die Religion spielt in seinem Leben eine große Rolle, so dass er sich der muslimischen Gemeinschaft besonders zugehörig fühlt. Als verletzend und irritierend beschreibt er dabei die negative Meinung über den Islam, die er in Deutschland oftmals erlebt. Mourad gelingt es, sich in seiner kulturellen Identität in unterschiedlichen Anteilen zu entwerfen. So nimmt er sich gleichzeitig als muslimisch, arabisch, marokkanisch, aber auch zur deutschen Gesellschaft zugehörig wahr. Entwicklung von Transkulturalität und kultureller Hybridität im Denken/Diskurs und Handeln Mourad begegnet in seiner Migrationssituation vielfältigen Veränderungen und ganz unterschiedlichen kulturellen Elementen, für die er sich jedoch öffnen kann. So beschreibt er zunächst vor allem Kompetenzen, die er durch diese Erfahrung gewonnen hat. Insbesondere die Entwicklung einer distanzierten Perspektive, mit der es ihm möglich wird, sowohl seine Herkunfts- als auch Aufnahmegesellschaft mit Abstand zu betrachten, so wie auch die Fähigkeit, flexibel zu sein und sich auf verschiedene Situationen einlassen zu können, sind dabei für ihn bedeutsam. In diesem Verständnis beansprucht er für sich, verschiedenste Einflüsse aufzunehmen und sich nicht auf eine bestimmte Identität festlegen zu lassen. Diese Transkulturalität ist jedoch auch mit inneren Widersprüchen verbunden, mit denen es für ihn schwierig ist, umzugehen. So beschreibt Mourad beispielsweise das gleichzeitige, aber konträre Bedürfnis, einerseits eine Feier mit FreundInnen zu erleben, jedoch andererseits seine religiöse Vorstellung im Umgang mit Alkohol dabei nicht zu verletzen. Dabei gelingt es Mourad dennoch, diese internen Differenzen und mehrfachen Zugehörigkeiten zu akzeptieren und zu vereinbaren und diese Hybridisierung nicht nur als verunsichernd wahrzunehmen, sondern für sich selbst auch als Bereicherung und Lernprozess zu definieren. 4.4.4 Reflexionen zum Beziehungsverlauf Die Forschungsbeziehung zwischen Mourad und mir ist insbesondere durch Kontinuität und gegenseitige Anerkennung gekennzeichnet. So erlebe ich es als sehr unterstützend, dass sich Mourad von selbst als Interviewpartner anbietet und mir auch im Laufe der Forschung immer wieder seine Bereitschaft zum Gespräch signalisiert. Innerhalb der Interviews schildert Mourad zunächst jedoch nur sehr vorsichtig seine Erfahrungen. Dabei ist er mit Kritik an der deutschen Gesellschaft und Berichten über Ausgrenzungserfahrungen sehr zurückhaltend und vor allem darum bemüht, Verbindungen zu schaffen. Ich bekomme dadurch den Eindruck, dass es ihm wichtig ist, unsere Forschungsbeziehung nicht zu gefährden und keine Disharmonien oder Brüche zu provozieren. Zudem zeigt Mourad auch Bedenken und verborgene Ängste, ob er sich mir anvertrauen kann. Durch die Äußerung dieser Gefühle scheint sich jedoch ihre Intensität zu verringern. Mit der Zeit, wachsendem Vertrauen und der Stabilisierung unserer Beziehung wird Mourad schließlich sicherer und bestimmter in seinen Ausführungen und kann vermehrt auch Negatives und Schwierigkeiten äußern. So gelingt es ihm zunehmend, den Raum für sich zu nutzen, von seinen Erlebnissen zu erzählen und seine Meinungen zu vertreten. Damit zeigt er auch, dass er die Forschung und Interviews sehr ernst nimmt und sie als Möglichkeit begreift und nutzt, sich selbst zu repräsentieren. Unsere Treffen finden in einer entspannten Atmosphäre statt, in der wir aufmerksam miteinander umgehen, etwa indem wir füreinander kochen und zusammen essen. Verständigungsschwierigkeiten und Missverständnisse treten jedoch in der Thematisierung des unterschiedlichen Verständnisses von Geschlechterbeziehungen auf, so dass dieser Bereich zwischen uns als zu persönlich oder nah erscheint und wir ihn an einer bestimmten Grenze der Kommunikation so stehen lassen und im weiteren Verlauf der Interviews vermeiden. In unserem Kontakt verbindet uns neben der Forschungsbeziehung zudem unser gemeinsames wissenschaftliches Interesse am Thema Migration. Dies führt auch zu einem Austausch von Inhalten, Texten und Materialien sowie zu einigen Besuchen von Veranstaltungen, die sich mit Aspekten von Migrationsprozessen beschäftigen. In dieser gemeinsamen Auseinandersetzung erlebe ich vor allem unsere unterschiedlichen Perspektiven als interessant, denn wir unterscheiden uns in unserem gesellschaftlichen, kulturellen und geschlechtsspezifischen Hintergrund und bearbeiten die Thematik zudem aus der Sicht verschiedener Fachdisziplinen. So ergibt sich ein Raum, in dem wir Gespräche über persönliche Erfahrungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und auch Differenzen führen können und in dem sich eine wechselseitige Nutzung unserer verschiedenen Kompetenzen ergibt. Dabei haben wir einen respektvollen und vorsichtigen Umgang miteinander, in dem sich weniger Widersprüche als vielmehr eine Ergänzung unserer Positionen zeigt, so dass ich uns in der Forschungsbegegnung als gutes "Team" empfinde.

Erscheint lt. Verlag 13.5.2008
Reihe/Serie Transkulturelle Studien ; 3
Vorwort Maya Nadig
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 140 x 213 mm
Gewicht 328 g
Themenwelt Sozialwissenschaften Ethnologie Völkerkunde (Naturvölker)
Schlagworte Ausländische Studierende • Ausländische Studierende / Ausländerstudium • Ethnografie • Ethnopsychoanalyse • HC/Ethnologie/Völkerkunde • Interkulturalität • Maghreb • Migration • Migration / Migrant • Nordafrikaner
ISBN-10 3-593-38641-0 / 3593386410
ISBN-13 978-3-593-38641-6 / 9783593386416
Zustand Neuware
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