Tradition und Gesellschaftskritik
Campus (Verlag)
978-3-593-38426-9 (ISBN)
Mit Bezug auf Traditionen wird Bestehendes legitimiert. Die Kritik an Traditionen, sei es in Bezug auf Familie, Religion oder andere Bereiche, ist daher wesentlicher Bestandteil von Gesellschaftskritik. Andreas Langenohl zeigt dies an zwei Beispielen, der postsowjetischen demokratischen Kritik in Russland und den Postcolonial Studies. Dabei hinterfragt er gängige soziologische Modernisierungstheorien und leistet eine fundamentale Neubewertung der Bedeutung von Traditionen in Gegenwartsgesellschaften.
Andreas Langenohl ist Leiter der Forschungsgruppe "Idiome der Gesellschaftsanalyse" im Exzellenzcluster "Kulturelle Grundlagen von Integration" an der Universität Konstanz.
Einleitung. Tradition und Kritik: Herausforderungen an die Modernisierungstheorie
1 Die kulturellen Rahmenbedingungen gesellschaftlichen Wandels: Zur Reformulierung des Konvergenztheorems
1.1 Die Entwicklung der Modernisierungstheorie und der Streit um die Konvergenzannahme
1.2 Modernisierung und die Kritik der Tradition
2 Der Begriff der Tradition
2.1 Der Traditionsbegriff Max Webers
2.2 Die Vernachlässigung intellektueller Kommunikation in der Kritik an Weber
2.3 Die Gleichursprünglichkeit der Tradition und ihrer Kritik
2.4 Die Bedeutung von Tradition für die Konvergenzannahme in der Hochmoderne
2.5 Tradition und Gesellschaftskritik
3 Intellektuelle Selbstthematisierung und die Institutionalisierung von Gesellschaftskritik
3.1 Intellektuelle Kommunikation in der Sozialtheorie
3.2 Intellektuelle Kommunikation in gesellschaftlichen Artikulationsstrukturen
3.3 Intellektuelle Gesellschaftskritik und die Konvergenz hochmoderner Gesellschaften
4 Modernisierung als reflexive Kritik der Tradition
4.1 Zum diagnostischen Wert intellektueller Kommunikation für die Konvergenzannahme
4.2 Zur Methodologie: Theoriegeleitete Exploration
4.3 Postkoloniale und postkommunistische Kritik
5 Postcolonial studies
5.1 Rekonstruktion des Debattenzusammenhangs postkolonialer Kritik
5.2 Die Thematisierung der Institutionalisierung der Postcolonial studies
5.3 Die intellektuelle Artikulationsstruktur postkolonialer Kritik
6 Postkommunistische demokratische Kritik
6.1 Der Debattenverlauf postkommunistischer Kritik seit der Perestrojka
6.2 Umbrüche der Institutionalisierung intellektueller Kritik in Russland
6.3 Postkommunistische Kritik in ihrer intellektuellen Artikulationsstruktur
7 Modernisierungsproblematiken und die Bestimmung des Gesellschaftlichen
7.1 Modernisierungstheorie und Territorialität
7.2 Außereuropäische Gesellschaftskritik und die Tradition der europäischen Moderne
7.3 Kritik und die diskursiven Grenzen des Gesellschaftlichen
Die vorliegende Studie leistet einen Beitrag zur modernisierungstheoretischen Debatte innerhalb der Soziologie. Damit stellt sie sich in den Kontext eines der zentralen Paradigmen der Soziologie als eigenständiger wissenschaftlicher Disziplin, das sie gleichermaßen von der Politikwissenschaft, der politischen Ökonomie und der Geschichtswissenschaft abgrenzt. Die Studie schließt dabei an neuere Diskussionsbeiträge an, die die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des modernisierungstheoretischen Theorems gesellschaftlicher Konvergenz stellen. Das Konvergenztheorem, das in den letzten Jahren etwas von der Aufmerksamkeit zurückerobern konnte, die ihm in der "klassischen" Phase der US-amerikanischen Modernisierungstheorie in den 1950er und 1960er Jahren gezollt worden war, besagt, dass Modernisierungsprozesse, im Unterschied zu anderen Formen gesellschaftlichen Wandels, alle von ihnen erfassten Gesellschaften auf dasselbe Entwicklungsgleis setzen und zu vergleichbaren Resultaten auf den Gebieten des politischen Systems, der ökonomischen Ordnung und der kulturellen Wertorientierungen führen. Der Begriff, der die Bedeutung dieser Annahme wohl am deutlichsten abbildet, ist das von Walt Whitman Rostow geprägte Konzept des "takeoff": Gemäß dieser modernisierungstheoretischen Hypothese führt die Industrialisierung eine Volkswirtschaft an einen Punkt, ab dem sich wirtschaftliches Wachstum selbst erhält und die für moderne Gesellschaften typischen Struktur- und Kulturmuster erzeugt (Rostow 1960). Der Begriff des "takeoff" zeigt ebenfalls exemplarisch, dass die Modernisierungstheorie seit den 1950er Jahren stets auf außenpolitische Rationalitäten bezogen war, denn die Idee eines selbsterhaltenden Wachstums, das bestimmte, den politischen und ökonomischen Systemen des Westens gleichsam nachgebildete Gesellschaftsordnungen nach sich zöge, legitimierte sowohl Entwicklungszusammenarbeit als auch militärische Hilfen an die "Entwicklungs"-Länder, in denen die Stellvertreterauseinandersetzungen des Kalten Krieges ausgetragen wurden. Dieser Bezug ist nach wie vor vorhanden, wenn auch nicht so deutlich wie vor einem halben Jahrhundert, was jedoch nichts an der Notwendigkeit ändert, Modernisierungstheorie für ein politisch instrumentalisierbares und daher gewagtes Geschäft zu halten. Seit den 1950er Jahren ist die Konvergenzannahme auf vielfältige Weise unter Stress gesetzt worden. Nachdem sie in den 1960er und 1970er Jahren von der dependencia- und der Weltsystemtheorie herausgefordert worden war, deren Vertreter argumentierten, dass die wirtschaftliche Entwicklung - die ökonomische Modernisierung - der Industrienationen systematisch auf Kosten der wirtschaftlichen Entwicklung und politischen Strukturbildung der agrarischen Gesellschaften der südlichen Hemisphäre gehe, geriet sie in den 1980er Jahren in die Kritik postmodernen Denkens. Dessen Repräsentanten argumentierten, dass zwischengesellschaftliche Konvergenz nicht nur unwahrscheinlich, sondern auch gar nicht wünschenswert sei, da es sich um eine eurozentrische Konvergenz handele, die alternative Entwicklungsweisen und vor allem kulturelle Eigenständigkeit an den Rand dränge und zum Verschwinden bringe (vgl. Seidman 1994). Nachdem so die Konvergenzannahme zunächst für ideologisch erklärt worden war, wurde sie anschließend als ein Teil eines hegemonialen Diskurses des "Westens" abgetan. In der Konsequenz bedeutete dies, dass ein, wenn nicht das maßgebliche sozialwissenschaftliche Paradigma gesellschaftlicher Entwicklung im 20. Jahrhundert seines theoretischen Rückgrats beraubt wurde.
Erscheint lt. Verlag | 8.10.2007 |
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Reihe/Serie | Campus Forschung ; 926 |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 143 x 214 mm |
Gewicht | 590 g |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Allgemeine Soziologie |
Schlagworte | HC/Soziologie/Soziologische Theorien • Modernisierungstheorie • Politische Soziologie • Postkommunismusforschung • Traditionsforschung |
ISBN-10 | 3-593-38426-4 / 3593384264 |
ISBN-13 | 978-3-593-38426-9 / 9783593384269 |
Zustand | Neuware |
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