Neue Wörter im Duden (eBook)
304 Seiten
Duden (Verlag)
978-3-411-91371-8 (ISBN)
Von der Ottographie zur Orthographie
Die deutsche Reichsgründung und der erste »Duden« – oder doch der zweite?
Der Stand der »Orthographischen Frage« hat sich seit dem Erscheinen der vorigen Auflage dieses Buches zu Anfang des Jahres 1900 wesentlich verändert. Mußte ich mich damals damit begnügen, am Schluß des Vorwortes die Hoffnung auszusprechen, »es werde dem unerträglichen Übelstand, daß die jungen Leute die Rechtschreibung, die sie in der Schule haben lernen müssen, nicht anwenden dürfen, wenn sie in den Staatsdienst treten, in absehbarer Zeit ein Ende gemacht werden«, so darf ich heute der lebhaften Freude Ausdruck geben, daß es den vereinten Bemühungen der Reichsbehörden, der deutschen Bundesregierungen und besonders des preußischen Unterrichtsministeriums gelungen ist, ein noch viel höheres Ziel zu erreichen. Die Regierungen haben nämlich auf Grund der Beschlüsse der »Orthographischen Konferenz«, die vom 17. bis zum 19. Juni 1901 in Berlin getagt hat, wirklich und wahrhaftig eine einheitliche Rechtschreibung für das ganze Deutsche Reich geschaffen. [Hervorhebungen im Original, DB]
Für einen preußischen Geheimen Regierungsrat – so wie man ihn sich vorstellt: korrekt zugeknöpft, gepflegter Bart und Brille – geradezu euphorisch leitet Dr. Konrad Duden (1829–1911) das Vorwort der 7. Auflage seines »Orthographischen Wörterbuchs der deutschen Sprache« von 1902 ein. Sein ganzes Berufsleben war Duden bestrebt gewesen, die deutsche Rechtschreibung zu vereinheitlichen. Dabei orientierte er sich an praktischen Erwägungen aus seinem Alltag als Lehrer und Schuldirektor zunächst in Soest, dann in Schleiz und zuletzt in Hersfeld.
In Schleiz traf Duden auf eine typische Situation: Jeder Lehrer unterrichtete seine eigene Rechtschreibung. Duden diskutierte das Problem im Kollegium und stellte ein kleines Buch zusammen, den sogenannten Schleizer Duden, mit knapp 6.000 Lemmata, der 1872 unter dem Titel »Die deutsche Rechtschreibung. Abhandlung, Regeln und Wörterverzeichniß mit etymologischen Angaben« in Leipzig im Verlag B. G. Teubner erschien und vor allem schwierig zu schreibende Ausdrücke enthielt. Diese und andere Veröffentlichungen Dudens erregten die Aufmerksamkeit der preußischen Schulverwaltung, und 1876 nahm er auf Einladung des preußischen Kultusministers an der Ersten Orthographischen Konferenz teil, zu der sich auch Vertreter des Deutschen Buchdruckervereins und des Deutschen Buchhändlerverbands sowie Delegierte aus Baden, Württemberg und Bayern einfanden.
Über Jahrhunderte hatten sich die Schreibweisen des Deutschen in seinen verschiedenen mundartlichen Ausprägungen zunehmend angeglichen. Von Schriftstellern, Sprachforschern und Lexikografen wie Justus Georg Schottelius (1612–1676), Johann Christoph Gottsched (1700–1766) und Johann Christoph Adelung (1732–1806) waren wichtige Impulse ausgegangen hin zu allgemeingültigen deutschen Schriftnormen. Von einem eindeutigen Regelwerk war man aber auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch weit entfernt. In akademischen Kreisen standen sich zwei Positionen gegenüber: Auf der einen Seite die als Leffel-Partei verspottete ›historische Schule‹, die im Rückgriff auf Jacob Grimm eine Schreibweise auf Basis des durch die Sprachentwicklung längst überholten Mittelhochdeutschen einführen wollte, wobei zum Beispiel der titelgebende Löffel1880 als Leffel zu schreiben gewesen wäre, obwohl ö gesprochen wird. Und auf der anderen Seite die fi-Partei, benannt nach der angestrebten Schreibweise des Wortes Vieh1880 in einer rein phonetischen Form. Konrad Duden als Mann der Praxis lehnte die ›historische Schule‹ als rückwärtsgewandt und elitär ab: »Die Schrift ist nicht für die Gelehrten, sondern für das ganze Volk da […], und dieses verlangt nichts weiter von der Schrift, als daß sie genau, und daß sie leicht zu handhaben sei« Obwohl der phonetischen Lösung zuneigend, war der Pragmatiker Duden jedoch zu weitgehenden Kompromissen und Übergangslösungen bereit. So plädierte er unter anderem für eine erst allmähliche Durchsetzung einer einfacheren Schreibung von Wörtern in verschiedenen Varianten wie bei Sofa1880/Sopha1880 und eine Eindeutschung der Schreibweise von Fremdwörtern wie bei Büro1915 statt Bureau1880.
Die Reichsgründung 1871 brachte das Dilemma der verschiedenen Schreibweisen noch deutlicher ins öffentliche Bewusstsein. Der 1815 nach den Napoleonischen1880 Kriegen gegründete Deutsche Bund aus einer Vielzahl im Prinzip souveräner Fürstenstaaten sowie einigen freien Städten war eine Kompromisslösung, die niemanden so recht befriedigte. Der Wunsch nach nationaler1880 Einheit und Überwindung des Partikularismus1880 blieb lebendig, selbst nachdem ein erster Anlauf unter demokratischen1880 Vorzeichen in der Revolution1880 von 1848/49, in der sich auch Duden als junger Student engagiert hatte, gescheitert war. Der Dualismus1880 zwischen Preußen und Österreich, den mächtigsten Gliedern des Deutschen Bundes, und die damit einhergehende Frage einer nationalen Vereinigung im Sinne einer großdeutschen1915 (unter Einschluss der Habsburgermonarchie) oder kleindeutschen (unter preußischer Hegemonie1880) Lösung wurde im Deutschen Krieg1893 von 1866 zugunsten der Preußen entschieden. Der Deutsch-Französische Krieg1915 von 1870/71 führte schließlich zur Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles1929 vor den Toren Paris’: Der deutsche Nationalstaat, das Deutsche Reich1880 mit dem König von Preußen als deutschem Kaiser1880 und seinem preußischen Ministerpräsidenten als Reichskanzler1880, wurde im Zeichen des Sieges über den ›Erbfeind1915‹ Frankreich quasi ›von oben‹ vollendet.
Zu den vielen Baustellen, die noch einer Vereinheitlichung bedurften – so wurde etwa die Mark1880 bis 1876 als Reichswährung durchgesetzt und im Bereich der Justiz 1879 ein Reichsgericht1915 als oberste Instanz festgelegt – gehörte auch die deutsche Orthographie1880/Orthografie1996. Doch die Vorschläge der Ersten Orthographischen Konferenz stießen auf heftigen Widerstand von konservativer Seite, der an die erhitzten Sprachdebatten der Gegenwart erinnert. In der Folge gaben besonders die größeren deutschen Teilstaaten sowie Österreich zunächst eigene Regelwerke zur Rechtschreibung heraus.
In den preußischen Vorschriften sah Konrad Duden, wie immer um realistische Lösungen bemüht, die größten Chancen, dass von ihnen eine gesamtdeutsche Vereinheitlichung ausgehen könnte, schließlich war Preußen der größte und mächtigste Gliedstaat des Reichs und beheimatete allein mehr Deutschsprachige als der Vielvölkerstaat1929 der Habsburger. Ausgehend von dem preußischen Regelbuch, aber auch Bestimmungen etwa aus Bayern berücksichtigend, brachte Duden, der mittlerweile in den preußischen Schuldienst gewechselt war, im Jahr 1880 das »Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache« heraus. Dieser erste offizielle »Duden« erschien im Verlag Bibliographisches Institut, der im Grunde bis heute die Dudenauflagen begleitet.
Konrad Dudens Wörterbuch fand schnell Verbreitung, nicht nur an Schulen, sondern auch unter Druckern, Setzern und Korrektoren. Die große Nachfrage machte immer neue Auflagen und stets erweiterte Überarbeitungen notwendig, mit denen Duden sich bis zu seinem Tod persönlich beschäftigte. Die 1. Auflage umfasst ungefähr 28.000 Lemmata. Die 4. Auflage von 1893 nahm mundartliche Ausdrücke aus der Literatur auf ebenso wie Fachbegriffe etwa aus Technik und Landwirtschaft. Die 5. Auflage ergänzte 1897 Ausdrücke aus der Seefahrt, die 6. von 1900 Begriffe aus Justiz und Militär.
Doch wie von Konrad Duden im einleitenden Zitat beklagt, durfte die in den Schulen vermittelte Rechtschreibung zunächst nicht im preußischen Staatsdienst angewandt werden. Der deutsche Reichskanzler und preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck ließ die in der Schule gültige Orthografie »bei gesteigerten Ordnungsstrafen« in der Verwaltung verbieten. Hier hatte man der ›Ottographie‹ zu folgen, wie sich hinter dem Rücken des ›Eisernen Kanzlers‹ über dessen konservative Haltung lustig gemacht wurde.
König Wilhelm I. von Preußen, der erste deutsche Kaiser, hatte seinem Ministerpräsidenten und Kanzler Bismarck weitgehend freie Hand gelassen. Auf dieses Zusammenwirken und die Führungspersönlichkeit Bismarcks waren die Reichsverfassung und das politische System des Reichs wesentlich ausgelegt....
Erscheint lt. Verlag | 11.11.2024 |
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Reihe/Serie | Duden - Sachbuch |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • 20. Jahrhundert • 21. Jahrhundert • Chronik • Duden • Lieblingswörter • Neuaufnahmen • neue Wörter • Vergangenheit • Zeitgeschichte • Zeitzeugnis |
ISBN-10 | 3-411-91371-1 / 3411913711 |
ISBN-13 | 978-3-411-91371-8 / 9783411913718 |
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Größe: 327 KB
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