Jahrbuch der Systemischen Sozialen Arbeit. Band 2. Ökologie der Sozialen Arbeit. Beiträge für co-evolutionäre Strategien -

Jahrbuch der Systemischen Sozialen Arbeit. Band 2. Ökologie der Sozialen Arbeit. Beiträge für co-evolutionäre Strategien (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
170 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8638-6 (ISBN)
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Was heißt es, Soziale Arbeit insgesamt ökologisch zu verstehen? Anhand von Praxisbeispielen wird gezeigt, welche Themen und Fragestellungen dabei in den Vordergrund rücken und eine Transformation der Sozialen Arbeit ermöglichen. Eine Reflexion der Ausgangsbedingungen, die auch das Verständnis von Ökologie und der Grenzen der ökologischen Perspektiven in der Sozialen Arbeit umfasst, runden diese neue Sicht auf die Soziale Arbeit ab. Sie schafft zukunftsfähige Arbeitsgrundlagen und geht weit über die Konzeption von Projekten hinaus.

Wilfried Hosemann, Jg. 1948, Dr. phil., Professor (i.R.) lehrte Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Systemische Soziale Arbeit, soziale Gerechtigkeit und die Beratung von Familien und Organisationen. Sebastian Sierra Barra ist Professor für Organisationsentwicklung an der Evangelischen Hochschule Berlin. Seinem Magister-Studium der Politik- und Sozialwissenschaften an der Goethe Universität Frankfurt am Main folgte eine Promotion am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie über »Digitale Praxen«. Akademische und außerakademische Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind Mensch-Medien Ko-evolution, Digitalisierung, Infrastrukturen, Ökonomien. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vilém Flusser Club e. V. und ist Vorstandsmitglied des Xinnovations e. V. sowie der Deutschen Gesellschaft für Systemische Soziale Arbeit.

Gespräch über Ökologie, Soziale Arbeit und Möglichkeiten von Transformationen


Wilfried Hosemann und Sebastian Sierra Barra

Der Text ist das Ergebnis zahlreicher Diskussionen, die mit der Hoffnung verbunden waren, wir könnten ein Gespräch aufzeichnen und verschriften. Das hat nur begrenzt geklappt, und so haben wir uns für einen schriftlichen Dialog entschieden. Die literarische Figur eines Gesprächs bringt für uns die Offenheit und Unsicherheit der Situation gut zum Ausdruck. Das Springen von einem Punkt zum nächsten, die lückenhaften Erklärungen, die fehlenden belastbaren Beweise sind uns bewusst – die komplexen Prozesse einer ökologischen Transformation verlaufen auch nicht linear. Wir hoffen trotzdem, nachvollziehbare und überprüfbare Argumente vorzulegen.22

Sebastian: Was wollen wir hier klären, worum geht es? Ich habe Interesse an einer Diskussion zur Ökologie, die sich nicht vor Raumzeit-Fragen, Technik und den eigensinnigen Strukturen der beteiligten Systeme drückt.

Wilfried: Ich denke, wir sollten den Rahmen diskutieren, in dem wir wichtige Themen des ökologischen Wandels und der ökologischen Ausrichtung der Sozialen Arbeit verorten. Wir haben uns verabredet, einen Raum zwischen Empathie, Empirie und Analyse zu diskutieren. Mir ist wichtig, die Soziale Arbeit insgesamt unter einer ökologischen Perspektive zu betrachten.

Sebastian: Was im Hinblick auf den erforderlichen ökologischen Transfer erfolgreiche Soziale Arbeit sein soll, ist noch unbestimmt. Was manche anders sehen und energisches Vorgehen fordern. Mein Vorschlag ist, wir tasten uns erstmal an unser Verständnis von Ökologie heran.

Wilfried: Zu Beginn gleich eine radikale Ausgangsthese: Eine Reduktion der Ökologie auf die „natürliche“ Umwelt, also auf die grüne und die physikalische Umwelt, beschädigt den Ökologiegedanken geradewegs an seiner zentralen Stelle: der evolutionären Entwicklung. Denn die evolutionäre Entwicklung findet ebenso mit technischen und sozialen Umwelten statt.

Sebastian: Wahrscheinlich müssen wir zunächst weiter über den Gegenstand sprechen. Die Ausgangslage scheint doch die zu sein, dass „Natur“ zu einem neuen Bezugspunkt – nicht nur für die Soziale Arbeit – erklärt wird. Überall werden jetzt Nachhaltigkeitsprogramme diskutiert und eingeführt, die schon von diesem Bezugspunkt „Natur“ oder „Ökologie“ ausgehen. Die Auseinandersetzung um die Deutung dessen, was Natur überhaupt meint, bleibt aus. Mit dieser Deutung soll das Feld – so die gängige Vorstellung – des Sozialen neu organisiert werden. Hier stoßen wir auf eine altbekannte Figur, die das Andere – in diesem Fall „die Natur“ – als das Authentische, das Wirkliche und Reale begreift und damit die Systemgrenze zur Gesellschaft oder zum menschlichen Leben bestärkt. Selbst dann noch, wenn man auf die Abhängigkeiten des Letzteren vom Ersteren verweist. Der Gegenstand Ökologie, das wäre mein Vorschlag, sollte als Entwicklungszusammenhang verstanden werden und nicht entlang von Schließungs- und Öffnungsfiguren. Ökologie ist nicht deshalb herausfordernd, weil ich jetzt auch noch an die Natur denken muss, sondern weil der Blick sich eben nicht mehr auf getrennte Bereiche, Objekte usw. richten kann. Ich denke, man sollte Ökologie als Herausforderung sehr ernst nehmen, weil sie den Blick auf relationale, verwobene und verschränkte Existenzformen ermöglicht. Wir werden uns später an eine Definition von Ökologie wagen, aber zuerst seine Einbettung diskutieren.

Im Zentrum der aktuellen Debatten bleibt die Frontstellung zwischen Mensch und Umwelt, Geist und Materie, Kultur und Natur tragend. Vorausgesetzt wird, dass Mensch, Umwelt, Ökologien miteinander interagieren. Eine lineare, kontextlose Vorstellung von Interaktion bestätigt aber die Grenzziehung, womit die Verschränktheiten von Existenzformen aus dem Blick geraten können. Der Ausgangspunkt der Trennung wird als Faktenlage, als letztbegründende Realität gesetzt. Gerade unter ökologischen Gesichtspunkten geht es aber vielmehr um evolutionäre Prozesse von Symbiosen, von gegenseitiger Hervorbringung durch co-evolutionäre Prozesse. Wobei ich mit co-evolutionären Prozessen nicht einfach nur Prozesse verstehen will, in denen sich zwei Arten wechselseitig stark beeinflussen, sondern mit Lynn Margulis, 1999, Entwicklungen anspreche, bei denen sich wechselseitig interne Strukturveränderungen ergeben.

Wilfried: Ganz schön grundlegend, aber was bedeutet das für die Soziale Arbeit und ihre Praxis?

Sebastian: Ein wichtiger Vorgang für die Soziale Arbeit war traditionell, sich über Begriffe wie „Not“, „Solidarität“ und „Gerechtigkeit“ Verbündete zu suchen oder zu imaginieren. Man verbündete sich dabei mit den Unterdrückten, Benachteiligten, den gesellschaftlich Sprachlosen im Namen sozialer Gerechtigkeit.

Die neue Situation besteht darin, dass man sich nun mit der Natur verbündet. Das ist der größte Solidaritätspartner überhaupt auf der Erde. Man verbündet sich mit dem Ökosystem, das nach Verbündeten „schreit“, denn Artensterben, die Vermüllung usw. sind nicht zu übersehen und bedürfen grundsätzlicher Antworten. Der Planet scheint zu signalisieren: „Ich bin am kollabieren!“ Entsprechend wird formuliert, „Wann unternehmen wir endlich was!“, siehe Club of Rome oder Fridays for Future. Die Situation erfordert, neue Formen des Umgangs mit unserer natürlichen Umgebung zu finden, was direkte Auswirkungen auf die Formen der Solidarität und der Kooperation zwischen Gesellschaften, Gemeinschaften und Menschen hat. Das Neue für die Soziale Arbeit ist, man hat nicht nur eine spezielle Gruppe hinter sich, mit der man sich solidarisieren kann, wie Arbeiter:innen, Frauen, verletzliche Gruppen. Jetzt hat man das ganze menschliche und nicht-menschliche Leben auf seiner Seite, weil auch die Reichen, Organisationen und unterschiedlichste Milieus unter den negativen Folgen leiden.

Wilfried: Ein Merkmal des universellen Ökosystems ist allerdings, dass es nicht kommunizieren kann. Es kann nur agieren, nur sein. Und wenn man mit den davon Betroffenen kommunizieren will, wird es richtig schwierig, siehe die Weltklimakonferenzen in Paris und Dubai.

Sebastian: Und noch etwas erscheint mir interessant. Eigentlich gibt es nur noch Verbündete gegen Feinde, die innerhalb menschlicher Verbünde, wie Nationen, Gesellschaften, Gemeinschaften verortet werden. Alles Handeln mit und gegen die materielle und lebende Umwelt geschieht im Rahmen der erlebten sozialen Bezüge und der Weltgesellschaft.

Wilfried: Diese Weltgesellschaft ist aber auch nicht ansprechbar. Und das bedeutet praktisch, dass die Anderen, lassen wir mal den Feindbegriff weg, zum „notwendigen“ Handeln bewegt werden müssen. Die Anderen sind Familienangehörige, die Mitbürger:innen, die Kolleg:innen, die Vorgesetzten mit anderer Meinung, oder aber auch „andere“ Organisationen, die Unverständnis für ökologische Probleme haben, die Parteien, die nicht schnell und entschlossen genug handeln. Anstelle eines fernen Gegenübers, zum Beispiel des Kapitalismus, hat man es jetzt überall mit „Nicht-Verbündeten“, „Ignoranten“ oder „Ökologie-Schädigern“ zu tun.

Sebastian: Das wäre ja nicht nur eine Ausdehnung der sozialen Figur, für die die Profession steht, sondern eine qualitative Veränderung, weil das klar definierbare Außen verschwindet, oder?

Wilfried: Ein Außen bleibt, anders können wir gar nicht denken und handeln. Es muss immer neu bestimmt werden: aber was, wie und von wem? Hat die Soziale Arbeit ein neues „Außen“ – außerhalb der bisherigen sozialen Themen wie bspw. Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Beteiligung, Mitwirkung an sozialer Entwicklung und Anerkennung von sozialer und persönlicher Identität?

Sebastian: Das geht mir zu schnell, die Frage...

Erscheint lt. Verlag 20.11.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-8638-8 / 3779986388
ISBN-13 978-3-7799-8638-6 / 9783779986386
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