Transaktionale sexuelle Bildung -  Dominik Mantey

Transaktionale sexuelle Bildung (eBook)

Eine praxistheoretische Skizze
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
163 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8575-4 (ISBN)
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In diesem Buch entwickelt Dominik Mantey das Konzept einer transaktionalen sexuellen Bildung. Auf Basis praxistheoretischer Grundannahmen entsteht ein Verständnis von sexueller Bildung, welches Körper, praktisches Wissen, Räume, Dinge und vor allem Handlungsvollzüge in den Blick nimmt. Dabei sind die Subjekte und »ihre« Bildungsprozesse relational mit der Gesellschaft verknüpft. Sexuelle Bildung wird in der Unbestimmtheit der sexuellen Praxis verortet und verändert sowohl die sexuellen Subjekte als auch die Sexualität der Gesellschaft. Normatives Ziel ist die Zunahme der sexuellen Gesundheit.

Dominik Mantey, Dr., ist Professor für Soziale Arbeit an der Hamburger Fern-Hochschule. Seit Jahren lehrt und forscht er im Bereich der Sexualität in der Sozialen Arbeit. Zuvor arbeitete er als Sexualpädagoge und Berater bei pro familia. Weitere Informationen zum Autor unter: www.prof-dominik-mantey.de

2.Bildungstheoretische Heuristik


Vor dem Hintergrund des Ziels, eine Theorieskizze der sexuellen Bildung zu entwerfen, stellt sich in diesem Kapitel zunächst die Frage, was eine solche Theorieskizze auszeichnet und worüber sie Auskunft geben sollte. Diese auf den ersten Blick einfache Frage stellt sich hinsichtlich von Bildung komplex dar, zumal sich Theorien, Konzepte und Texte, welche Bildung thematisieren, sehr stark unterscheiden, etwa hinsichtlich der Inhalte oder der theoretischen Reichweite und Tiefe.

Um eine Antwort zu finden, werden im Folgenden drei – auch zeitgeschichtlich – unterschiedliche, aber qua Rezeption breit anerkannte Bildungstheorien kurz aufgegriffen und hinsichtlich ihrer thematischen Inhalte befragt. Gefragt wird, worauf diese Theorien eine Antwort geben, um diese zu gewinnenden Fragen an eine Theorieskizze sexueller Bildung anzulegen.

Herangezogen werden die Bildungstheorien Wilhelm von Humboldts (1960–1981), Wolfgang Klafkis (1985/2007) und Christoph Kollers (2018). Wilhelm von Humboldts Bildungskonzept wird herangezogen, weil sein Konzept als Ausgangspunkt und noch immer Fluchtpunkt vieler Bildungstheorien gelten kann. Dies zeigt sich z. B. daran, dass viele einführende Texte zum Thema Bildung bei Wilhelm von Humboldt ansetzen (Koller, 2009; Pongratz & Bünger, 2008; Raithel et al., 2009) und auch aktuelle Theoretiker:innen, wie Hans-Christoph Koller, sich zu Humboldt in ein Verhältnis setzen (Koller, 2010). Wolfgang Klafki wird als Vertreter des späten 20 Jahrhunderts herangezogen, weil er bereits die nach dem 2. Weltkrieg formulierten Kritiken am humanistischen Bildungsideal aufnehmen konnte und entsprechend bspw. die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Bildung maßgeblich thematisiert hat. Hans-Christoph Koller wird ergänzt, weil er als Bildungstheoretiker des 21. Jahrhunderts bereits postmoderne Entwicklungen der Bildungstheorie nachvollziehen konnte, etwa die Infragestellung des Subjekts.

Da die vorliegende Arbeit auch an die Soziale Arbeit anschließen möchte und sexuelle Bildung zum Teil auch in der Praxis der Sozialen Arbeit empirisch zu verorten ist, wird anschließend ein Blick in den Diskurs um Bildung in der Sozialen Arbeit geworfen (u. a. Sting, 2018), um hier vorfindliche Perspektiven in die Heuristik aufzunehmen.

2.1Wilhelm von Humboldt


Der 1767 in Potsdam geborene Wilhelm von Humboldt ist zugleich Bildungstheoretiker und Schulreformer. Er gilt als der zentrale Vertreter des pädagogischen Neuhumanismus. Als Neuhumanist wendet er sich gegen eine Erziehung zu gesellschaftlicher Brauchbarkeit und beruft sich bei seiner Bestimmung der Bildungsziele weder auf religiöse und politische Autoritäten noch auf aktuelle gesellschaftliche Erfordernisse der Zeit (Koller, 2009). Bezugspunkte sind stattdessen die inneren Anlagen der Menschen, seine „ewig unveränderliche Natur“, die sich im Entwicklungsprozess individuell entfalten soll (Koller, 2009; Raithel et al., 2009).

Seine Theorie allgemeiner Bildung sieht entsprechend von realistischen Anforderungen der Ausbildung ab und thematisiert primär den Prozess der Bildung der Individuen, nicht das gesellschaftliche Produkt (Raithel et al., 2009). Vor diesem Hintergrund denkt Wilhelm von Humboldt Bildung nicht als Privileg einzelner weniger, sondern als Bildung für alle und entwirft ein für alle einheitliches Schulsystem (Koller, 2018; Raithel et al., 2009). Zugleich räumt er der allgemeinen Bildung einen Vorrang gegenüber spezieller Bildung, etwa der Berufsbildung, ein (Koller, 2018).

Der Ausgangspunkt von Humboldts Überlegungen ist die Frage nach dem Zweck des Menschen, genauer gesagt nach seiner Bestimmung (Koller, 2009; Raithel et al., 2009) – auf welche er folgende Antworten formuliert:

„Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Natur ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen“ (Humboldt, 1980, S. 64).

„Im Mittelpunkt aller besonderen Arten der Thätigkeit nemlich steht der Mensch, der ohne alle, auf irgendetwas einzelnes gerichtete Absicht, nur die Kräfte seiner Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Werth und Dauer verschaffen will“ (Humboldt, 1980, S. 235).

Ziele der Bildung sind aus Humboldts Sicht also ebenso wenig eine soziale Nützlichkeit, wie eine bestimmte berufliche Qualifikation, sondern die möglichst weitreichende Entwicklung der Menschen zu reflexiven und vielseitigen Persönlichkeiten (Raithel et al., 2009). Die dem Menschen innewohnenden Möglichkeiten sollen möglichst umfassend und so weit wie möglich verwirklicht werden (Koller, 2009). Eine Grenze nach oben wird nicht gezogen, aber ein harmonisches Gesamtbild soll entstehen und die Kräfte des Menschen sollen gleichmäßig entwickelt werden. Nicht nur der Verstand, sondern bspw. auch die Fantasie, sinnliche Anschauung und Wahrnehmungsfähigkeiten sollen entwickelt werden (Koller, 2009). Der Anspruch Humboldts an die individuellen Entwicklungsprozesse ist es, dass der Einzelne ein möglichst würdiger Repräsentant der Menschheit wird. Und es kommt noch ein weiterer Anspruch hinzu: die Individualität, der sich bildenden Menschen, ist im Bildungsprozess zu berücksichtigen (Humboldt, 1980; Koller, 2009). Es wird bezüglich dieser Anforderungen allerdings die Frage aufgeworfen, wie ein einzelner Mensch zugleich seine Individualität ausbilden und die Gattung in ihrer Breite bestmöglich verkörpern soll (Koller, 2009). Die Lösung Humboldts für diesen Widerspruch findet sich in der Idee der nur gesamtgesellschaftlich möglichen Verwirklichung des Ideals. „Der Einzelne kann (und soll) zwar versuchen, die Gesamtheit der menschlichen Möglichkeiten so weit wie möglich in seiner Person zu realisieren, doch gelingen wird ihm dies immer nur unvollkommen, bruchstückhaft“ (Koller, 2009, S. 79). Bildung bei Humboldt ist also kein ausschließlich individueller Vorgang, sondern ein gesellschaftlicher Prozess, der auf die Verschiedenheit der Menschen angewiesen ist und die Vervollkommnung der Gattung und des Einzelnen zum Ziel hat.

Es stellt sich die Frage, wie der Prozess der umfassenden und gleichmäßigen Bildung aller Kräfte zu einem Ganzen abläuft. Humboldt denkt diesen Prozess, als Entfaltung von innen, aber nicht als nach außen abgeschlossenen Prozess im Inneren der Individuen (Koller, 2009). Für den Bildungsprozess benötigt der Mensch die Welt außer sich. Er gelingt „allein durch die Verknüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung“ (Humboldt, 1980, S. 235). Bildung ist also auf eine möglichst umfassende Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt angewiesen (Koller, 2018).

Die angestrebte Wechselwirkung von Welt und Ich wird durch Humboldt in drei Richtungen konkretisiert (Koller, 2009; Raithel et al., 2009): Zum Ersten soll sie frei sein. Die Menschen sollen einen möglichst freien Zugang zu vielfältigen Aspekten von der Welt haben, der bspw. nicht durch Standesrecht eingeschränkt ist. Zum Zweiten soll die Wechselwirkung rege ausfallen. Beiden Seiten – Welt und Ich – kommt hierbei eine aktive Rolle zu: Das Ich ist keinesfalls passiv rezeptiv, sondern eignet sich die Welt aktiv an und auch die Welt – die nicht auf die gegenständliche materielle Umwelt reduziert ist, sondern auch bspw. andere Menschen beinhaltet – ist als aktive Instanz gedacht. Zum Dritten soll die Wechselwirkung durch mannigfaltige Situationen geprägt sein: Dem Menschen soll ein abwechslungsreiches Umfeld zur Verfügung stehen.

Die Auswahl der jeweiligen konkreten Gegenstände von Welt ist danach zu treffen, inwieweit sie zur umfassenden und gleichmäßigen Entwicklung aller menschlichen Potenziale beitragen können (Koller, 2009). Dabei kommt der Sprache in der Theorie Humboldts eine herausragende Bedeutung zu. Sie ist für ihn das zentrale Medium der aktiven Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt und fungiert als Vermittlerin sowohl zwischen Ich und Welt als auch zwischen Ich und Du (Koller, 2009, 2018). Humboldt versteht die...

Erscheint lt. Verlag 20.11.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-8575-6 / 3779985756
ISBN-13 978-3-7799-8575-4 / 9783779985754
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