Militia Christi (eBook)
180 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-7931-0 (ISBN)
Adolf von Harnack (1851-1930) aus Dorpat (heute Estland) war Leitgestalt der liberalen Theologie im Kaiserreich: 1874 Privatdozent, 1876 Professor für Kirchengeschichte in Leipzig, 1879 Theologieprofessor in Gießen und 1887 in Marburg, ab 1888 in Berlin (nach Intervention des Kaisers zu seinen Gunsten). 1890 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften (u.a. Leitung der Kirchenväterkommission), 1905 Generaldirektor der Berliner Staatsbibliothek, 1910 Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft. Bei Kriegsbeginn 1914 wurde Harnack gebeten, einen Entwurf für den Aufruf des Kaisers "An das deutsche Volk" niederzuschreiben. Die Gesammelten Kriegsschriften des protestantischen Gelehrten liegen auch als Band 6 der Reihe "Kirche und Weltkrieg" vor.
Militia Christi
Die christliche Religion und der Soldatenstand
in den ersten drei Jahrhunderten44
Adolf von Harnack
VORWORT
Die Probleme, die in den nachstehenden beiden Abhandlungen untersucht werden, habe ich in meinem Werke über die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten (1902) S. 297 ff. 388 ff. kurz erörtert. Sie schienen mir schon damals eine eingehendere Behandlung zu verdienen; aber in dem Rahmen der Missionsgeschichte konnte ich eine solche nicht bieten. Hier ist sie nun nachgebracht. Ich habe mich streng an das Thema gehalten, da ich in Bezug auf allgemeinere Fragen („Die Religion im römischen Heere“, „Die Beurteilung des Kriegs und des Kriegerstandes bei den griechisch-römischen Philosophen“ usw.) Neues nicht zu bringen vermochte und Bekanntes nicht wiederholen wollte. Man muss aber den Hintergrund stets im Auge behalten, wenn man das besondere Problem des Verhältnisses der Kirche zum Soldatenstand zu würdigen unternimmt. „Religio Romanorum tota castrensis“, sagt Tertullian, „signa veneratur, signa iurat, signa omnibus deis proponit“. Aber auch die abschätzigen Urteile der Philosophen über den Kriegsdienst dürfen nicht vergessen werden; denn das Christentum galt nicht nur als „Philosophie“, sondern war ihr auch wirklich wahlverwandt und wurde von ihr beeinflusst.
Man wird in dem Verhältnis der alten Kirche zum Krieg und zum Heere wiederum ihre beispiellose Elastizität und ihren Universalismus bewundern. Die Kirche hielt die höchsten Ideale aufrecht und richtete sich doch in der Welt ein. Sie verstand es sogar einer ganz weltflüchtigen Zukunftshoffnung konservative Motive für das weltliche Leben abzugewinnen, und sie bewährte es auch hier wieder, dass sie das Gegensätzliche zu dulden vermag, indem sie es umklammert. Weltkirche war sie schon damals, als sie noch schutzlos der Welt gegenüberstand.
Das besondere Recht, das Verhältnis der christlichen Religion zum Heere in einer monographischen Darstellung zu entwickeln, liegt darin, dass sich die alten Christen – vor allem im Abendland – auch als Krieger Gottes empfanden und dass sich der weltgeschichtliche Umschwung vom Heidentum zum Christentum öffentlich zuerst im Heere vollzogen hat.
In Bezug auf die Stellung der Christen zum Militärdienst besitzen wir eine Studie von Bigelmair in dem Buche: „Die Beteiligung der Christen am öffentlichen Leben in vorkonstantinischer Zeit“ (München, 1902) S. 164-201, und soeben – der Satz dieser Blätter war bereits nahezu abgeschlossen – kommt mir die Abhandlung de Jong's zu: „Dienstweigering bij de oude Christenen“ (Leiden, 1905). Beide Untersuchungen, besonders die erste, sind gründlich und fördernd; ich hoffe aber, dass die meinige neben ihnen nicht überflüssig sein wird, da in jenen Arbeiten die „Militia Christi“ kaum gestreift ist und sie Vollständigkeit des Materials und der Gesichtspunkte nicht überall angestrebt haben.
Berlin, den 20. März 1905.
A. H.
Die christliche Religion und der Soldatenstand – dieser Titel umfasst drei Probleme: (1) Hat die christliche Religion selbst in ihrer Geschichte irgend einmal oder dauernd einen kriegerischen Charakter angenommen und Recht und Pflicht des heiligen Kriegs gepredigt? (2) Hat die Kirche militärische Organisation (in übertragenem Sinn) zeitweilig oder dauernd bei sich eingeführt und ihre Gläubigen oder einen Teil derselben als Soldaten Christi diszipliniert? (3) Wie hat sich die Kirche zum weltlichen Soldatenstand und zum Krieg gestellt, liess sie sie gelten oder duldete oder verurteilte sie sie? Es sind drei verschiedene Fragen, aber sie stehen doch in einem engen Zusammenhang mit einander. Sie sollen im Folgenden in Bezug auf die drei ersten Jahrhunderte der Geschichte des Christentums beantwortet werden. Die erste und zweite Frage ist in eine Untersuchung zusammengefasst, die dritte aber besonders behandelt. Wer mit diesen Fragen durch die folgenden Jahrhunderte bis zur Gegenwart schreiten wird, darf auch noch auf interessante Einblicke und auf wertvolle Erkenntnisse rechnen. Das hier Erörterte soll nur den Grund legen.
I.
DER CHRISTLICHE KRIEGERSTAND
„Miltia Christi“, „Militia dei vivi“: die Anschauung, welche diesen Begriffen zu Grunde liegt, konnte in der alten christlichen Religion anscheinend nur einen sehr beschränkten Spielraum gewinnen. Sprüche Jesu wiesen in eine ganz andere Richtung, und die Natur des Evangeliums selbst, wie es die erste Generation verstehen musste, erschien allem Kriegerischen entgegengesetzt. Geduld, Demut, Dienstfertigkeit, Verzicht auf das eigene Recht: diese Tugenden sollen den Christen durchdringen; sogar die Notwehr wird nicht anerkannt. Selig gepriesen werden die, welche das Unrecht ertragen; den Sanftmütigen wird der Besitz des Erdreichs verheissen; „Friede“ wird allen Menschen verkündigt, und das Evangelium selbst heisst „das Evangelium des Friedens“. Wie es „die Gewaltigen“ machen, so sollen es die Jünger Jesu nicht machen, und ihre Gesinnung soll der Gesinnung der Herrschenden entgegengesetzt sein. Es bedarf nicht weiterer Worte, um festzustellen, dass das Evangelium alle Gewalt ausschliesst und nichts Kriegerisches an sich hat oder auch nur dulden will. Wie zum Ueberfluss – aber es war gewiss nicht überflüssig – ist Matth. 26, 52 noch gesagt: „Steck dein Schwert ein; denn wer zum Schwert greift, wird durchs Schwert umkommen“, und daran schliesst sich die Mitteilung, dass der Vater im Himmel sein Werk auf Erden nicht durch Legionen kriegerischer Engel ausführen wolle (s. auch Joh. 18, 36).
Aber „der Krieg“ ist eine der Grundformen alles Lebens, und es gibt unveräusserliche Tugenden, die im Kriegerstande ihren höchsten oder doch ihren symbolischen Ausdruck finden – der Gehorsam und der Mut, die Bereitschaft und Treue bis zum Tode, die Entsagung und die Kraft (virtus). Keine höhere Religion kann daher die Bilder entbehren, die vom Kriege genommen sind, und sie wird eben deshalb auch „Krieger“ nicht entbehren können. Ob sie sich dann von diesen Notwendigkeiten bestimmen lässt, auf das militärische Element und seine Formen mehr und weiter einzugehen, das ist eine Frage, bei deren Beantwortung sich stets ein wichtiger Teil der Geschichte der Religion enthüllt. Ist man bisher auf diese Seite auch der christlichen Religionsgeschichte noch wenig eingegangen45, so ist das nur ein Beweis dafür, dass wir die Gesichtspunkte, unter denen die Religion zu betrachten ist, noch immer nicht vollständig überschauen.
Aber noch von einer anderen Seite her ist das Verhältnis der höheren Religionen zum Kriegerischen von Wichtigkeit. Sie alle haben sich aus Vorstufen niederer Art entwickelt, und auf diesen Vorstufen war die Verbindung der Religion mit dem Kriegerischen eine sehr enge. In jenen Religionen, in denen die religiösen und die politischen Ziele so gut wie ganz zusammenfallen, sind alle „religiosi“ auch „milites“, und der Krieg ist die ultima ratio der Religion; er ist immer „heiliger“ Krieg. Die jüdische Religion war auf einer bestimmten geschichtlichen Stufe von langer Dauer nicht anders beschaffen gewesen, und da sich die christliche aus ihr entwickelt hat, ist es a priori wahrscheinlich, dass sie Züge älterer Art, also auch kriegerische, bewahrt haben wird.
Endlich ist noch daran zu erinnern, dass sich unter den Sprüchen Jesu, wie die Evangelien sie überliefern, doch auch ein paar finden, die kriegerisch lauten: „Ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen, sondern das Schwert“. „Das Reich des Himmels dringt mit Gewalt ein, und die Stürmer reissen es an sich“, dazu der dunkle Spruch bei der letzten Mahlzeit, man solle seinen Mantel verkaufen und ein Schwert kaufen. Endlich, dass das Wort Jesu, man solle um seinetwillen alles verlassen, und das Bekenntnis zu ihm bei der Taufe wie ein Fahneneid aufgefasst werden konnten, werden wir sehen. Sofern die Sprüche Jesu in der Folgezeit aus den geschichtlichen Zusammenhängen herausgerissen wurden, mussten auch die kriegerisch lautenden einen Spielraum erhalten, wie sie ihn ursprünglich nicht besessen hatten46.
Blicken wir nun von den Anfängen auf die gegenwärtigen Zustände, so gewahren wir folgendes: (1) In den orientalischen Kirchen sind das Volkstum (event. auch der Staat) und die Religion wieder so zusammengewachsen, dass in Fällen der Not der heilige Krieg proklamiert wird, um mit dem Volkstum den „Nationalgott“ zu verteidigen. Aber auch ohne Proklamation empfindet sich der Russe, der Armenier u.s.w. als Krieger Gottes, wenn seine Kirche oder sein Volkstum angetastet wird, und selbst der orientalische Priester oder Mönch ergreift das Kreuz und feuert die Scharen der gläubigen Volksgenossen zum heiligen Feldzug an. (2) Solange die abendländisch-katholische Kirche mit Staaten in ähnlicher Weise verbunden war wie die morgenländische, hat auch sie heilige Kriege im Namen Christi und für ihn geführt. Erinnert sei nur an die Kriege Karls des...
Erscheint lt. Verlag | 28.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung |
ISBN-10 | 3-7693-7931-4 / 3769379314 |
ISBN-13 | 978-3-7693-7931-0 / 9783769379310 |
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