Praxishandbuch Biografiearbeit mit Paaren und Familien -  Hubert Klingenberger,  Erika Ramsauer,  Leslie Seymor

Praxishandbuch Biografiearbeit mit Paaren und Familien (eBook)

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2024 | 1. Auflage
172 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8865-6 (ISBN)
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Beziehungen und Familien sind vielfältig und bunt, ihre Strukturen im Wandel begriffen. In solch vielfach variablen Konstellationen des Zusammenlebens ist die Beschäftigung mit dem eigenen Leben wichtig, sich den eigenen biografischen Weg bewusst zu machen nicht selten von essenzieller Bedeutung. Neben grundlegenden Begriffen der Biografiearbeit richtet das Buch einen speziellen Blick auf Biografien von Frauen, Männern und queeren Personen sowie die zentralen Phasen der Paar- und Familiengeschichten und -entwicklungen. Es bietet Wissensimpulse und methodische Anregungen, zum Beispiel zur Entwicklung der eigenen Sprachfähigkeit, sowohl für Gruppen als auch für die Selbstreflexion. In der tieferen Beschäftigung mit dem eigenen Geworden-Sein finden Einzelpersonen, Paare und Familien viele stärkende Ressourcen zur Lebensbewältigung, -gestaltung und Zukunftsplanung - für sich als Paar, für die Kinder und in der Familie.

Hubert Klingenberger, Dr., freiberuflicher Dozent, Projektmanager und pädagogischer Berater mit den Themenschwerpunkten Lernen, Führen, Persönlichkeitsentwicklung, München. www.hubertklingenberger.de

1.Frauen stärken Frauen – Biografiearbeit mit und für Frauen


„Wir haben immer die Wahl.“
(Sophie Scholl)

Dieses Kapitel nimmt Personen in den Blick, die sich von ihrem Erleben her als weiblich – wie immer das zu definieren ist – wahrnehmen.

Wandel der Frauenbiografien


Noch vor ca. 40 Jahren hieß es, dass Mädchen vor allem nett, hübsch, hilfsbereit und fleißig sein sollen. Die Schriftstellerin Monika Krautgartner schreibt in ihrem Beitrag „Ich war ein schreckliches Mädchen“,11 dass Mädchen sehr oft den Satz „So etwas tut man als Mädchen nicht“ hörten. Wenn dann die Gegenfrage „Warum nicht?“ kam, galt die junge Frau als unbequem, schrecklich und lästig. Die Eltern waren zuständig, den Mädchen die traditionellen Erwartungen an ihre Rolle als werdende Frau zu lehren. Da blieb oft wenig Raum zur eigenen Entfaltung. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass im Spätmittelalter die Frau noch als Eigentum des Mannes betrachtet wurde.12 Der Vater konnte seine Tochter entweder verehelichen oder sie verkaufen. In den Zeiten der Reformation war der Mann der Herr der Familie, und Frauen waren auf den Haushalt begrenzt. Auch im 18. Jahrhundert gab es für Mädchen kein offizielles Bildungssystem. Bei jungen Mädchen waren Mütter und Großmütter für die Ausbildung zuständig, in adeligen Kreisen gab es die Möglichkeit der „Höheren Töchterschule“ bis zum 15./16. Lebensjahr. Im 19. Jahrhundert entstanden dann Schulen für Mädchen, in der Schwerpunkte der Haushaltführung, Konversation und auch musische Belange gesetzt waren.13 Die mangelnde Frauenbildung war auch ein wichtiges Thema der frühen adeligen und bürgerlichen Frauenbewegung.

Die moderne Frauenbewegung begann Mitte des 19. Jahrhundert, als die Frauen für ihre Rechte kämpften. Es folgten 1918 das Frauenwahlrecht und das Recht auf Bildung und Erwerbstätigkeit. Danach erkannte die Industrie Frauen als Kundinnen, und im Bereich Mode erschienen kurze Kleider und der sogenannte Bubikopf als moderne Frisur. Ab den 50er Jahren wurden Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet, und Frauen gewannen durch die Erwerbstätigkeit eine neue Unabhängigkeit.

Bis 1958 mussten Frauen die Erlaubnis ihres Ehemannes einholen, dass sie arbeiten durften. Danach entstand das Gleichberechtigungsgesetz, wenn es auch nur zögerlich umgesetzt wurde. Haushalt und Kindererziehung waren klar der Frau zugeordnet. Erst 1977 trat das 1. Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechtes in Kraft. Ab da gab es keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenverteilung mehr in der Familie und der Gehorsamsparagraf wurde aufgehoben.14

Seit 1911 gibt es den Internationalen Tag der Frauen (von Clara Zetkin initiiert), der sich im Laufe der Jahre immer wieder von der Zielsetzung her wandelt. Heute gilt er vor allem in Großstädten als Kampftag gegen Sexismus, Gewalt an Frauen, Diskriminierung und auch Rassismus.15

Seit 2001 gibt es den ‚Girls Day‘, an dem Firmen Mädchen typische Männerberufe vorstellen.16 Diese sind meist besser bezahlt als die typischen Frauenberufe, die immer noch von ca. 50 Prozent der weiblichen Jugend ergriffen werden. Bis heute gibt es noch keine gesetzliche Frauenquote in den Führungsetagen, da sie vom deutschen Bundestag abgelehnt wurde.

Zusammengefasst haben Frauen schon vieles erreicht, aber es gibt auch noch viele Punkte, die anzugleichen bzw. zu diskutieren sind, wie zum Beispiel auch die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen. In früheren Zeiten hatten Frauen zu funktionieren und auch heute müssen gerade ältere Frauen oft lernen, sich zum Beispiel auch die Freiheit, nichts zu tun, zu nehmen.

Anna ist Bäuerin und hat sich ihr Leben lang um die Familie und den Haushalt am Hof gekümmert. Eine Freundin meinte vor kurzem, sie solle doch einmal mit zu dieser Frauengruppe im Ort gehen. Anna denkt lange darüber nach. Sie fragt ihren Mann, was er dazu sagt. Dieser lehnt ihr Vorhaben mit den Worten „Da werden dir nur Flausen in den Kopf gesetzt!“ ab. „Nicht dass du dann auch nur noch das tust, was du möchtest, wie Herbert von seiner Frau erzählt hat.“

Virginia Satir, eine US-amerikanische Psychotherapeutin listete folgende fünf Freiheiten auf.17

1. „Die Freiheit, das zu sehen und zu hören, was im Moment wirklich da ist, anstatt was sein sollte, gewesen ist und erst sein wird

2. Die Freiheit, das auszusprechen, was ich wirklich fühle und denke und nicht das, was von mir erwartet wird

3. Die Freiheit, zu meinen Gefühlen zu stehen und nicht etwas anderes vorzutäuschen

4. Die Freiheit, um das zu bitten, was ich brauche, anstatt immer erst auf Erlaubnis zu warten

5. Die Freiheit, in eigener Verantwortung Risiken einzugehen, anstatt immer nur auf Nummer Sicher zu gehen und nichts Neues zu wagen“

Biografische Reflexion

Welche Freiheiten werden Sie in nächster Zeit für sich entwickeln und in Anspruch nehmen? Notieren Sie diese in einem Büchlein oder auf einem Stück Papier und tauschen Sie sich gerne mit einer anderen Frau dazu aus.

Die Geschlechterrollen halten sich immer noch und jede Generation reproduziert neue Rollenstereotype.18 Seit 2006 gibt es in der Werbung im deutschsprachigen Raum das „Gendermarketing“, das heißt es werden Produkte darauf abgestimmt, was Mädchen bzw. Jungen brauchen. Wichtig ist eine geschlechtersensible Erziehung, das heißt das Kind soll ganzheitlich und als Individuum wahrgenommen werden. Menschen entwickeln sich am besten, wenn sie vielseitige Interessen und Beziehungen leben können. Das heißt konkret, es wäre wichtig, dass alle jungen Menschen in allen Bereichen ihre Erfahrungen machen dürfen.

Biografische Reflexion

Folgende Fragen beziehen sich auf die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft in Ihrem Leben als Frau.

Vergangenheit:

 Welche Vorteile hatten Sie, als Mädchen geboren zu sein?

 Was durften Sie als Kind nicht tun, weil Sie ein Mädchen waren?

 Welches Bild hatten Ihre Eltern von Mädchen und Jungen?

 Was mussten Sie tun, weil Sie ein Mädchen waren?

 Sexualität als Mädchen – erinnern Sie sich an die ersten Erfahrungen?

Gegenwart:

 Was gefällt Ihnen heute an Ihrer Rolle als Frau in Haus, Familie, Beruf, Ehrenamt, Nachbarschaft …?

 Was wäre anders, wenn Sie ein Mann wären?

 Wie haben Frauen, die Sie positiv geprägt haben, ihr Leben als Frau gestaltet und was haben Sie vielleicht übernommen?

 Wie können Sie Ihre Sexualität als Frau ausleben?

 Welche Frauen sind für Sie in Ihrem jetzigen Leben besonders wichtig und warum?

Zukunft:

 Wie möchten Sie Ihr zukünftiges Leben als Frau gestalten?

...

Erscheint lt. Verlag 9.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-8865-8 / 3779988658
ISBN-13 978-3-7799-8865-6 / 9783779988656
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