Lösungsorientiert Schule machen (eBook)
107 Seiten
Carl-Auer Verlag
978-3-8497-8501-7 (ISBN)
Ben Furman, Dr., Psychiater und Psychotherapeut, ist Mitbegründer des Helsinki Brief Therapy Institute. Er ist anerkannter Experte für lösungsfokussierte Therapie, Beratung und Pädagogik und entwickelte das lösungsfokussierte Lern- und Arbeitsprogramm Ich schaff's! Veröffentlichungen u. a.: 'Ich schaffs! Spielerisch und praktisch Lösungen mit Kindern finden - Das 15-Schritte-Programm für Eltern, Erzieher und Therapeuten' (10. Aufl. 2024), 'Gut gemacht! Das 'Ich-schaffs!'-Programm für Eltern und andere Erzieher' (4. Aufl. 2021), 'Es ist nie zu spät, erfolgreich zu sein' (zus. mit Tapani Ahola, 3. Aufl. 2021), 'Twin Star - Lösungen vom anderen Stern' (zus. mit Tapani Ahola, 6. Aufl. 2023), 'Jetzt gehts! Erfolg und Lebensfreude mit lösungsorientiertem Selbstcoaching' (zus. mit Rolf Reinlaßöder, 2. Aufl. 2013), 'Hey, das kannst du! Wie Fähigkeitsdenken Kindern hilft, Herausforderungen zu meistern' (2023).
Ben Furman, Dr., Psychiater und Psychotherapeut, ist Mitbegründer des Helsinki Brief Therapy Institute. Er ist anerkannter Experte für lösungsfokussierte Therapie, Beratung und Pädagogik und entwickelte das lösungsfokussierte Lern- und Arbeitsprogramm Ich schaff's! Veröffentlichungen u. a.: "Ich schaffs! Spielerisch und praktisch Lösungen mit Kindern finden – Das 15-Schritte-Programm für Eltern, Erzieher und Therapeuten" (10. Aufl. 2024), "Gut gemacht! Das 'Ich-schaffs!'-Programm für Eltern und andere Erzieher" (4. Aufl. 2021), "Es ist nie zu spät, erfolgreich zu sein" (zus. mit Tapani Ahola, 3. Aufl. 2021), "Twin Star – Lösungen vom anderen Stern" (zus. mit Tapani Ahola, 6. Aufl. 2023), "Jetzt gehts! Erfolg und Lebensfreude mit lösungsorientiertem Selbstcoaching" (zus. mit Rolf Reinlaßöder, 2. Aufl. 2013), "Hey, das kannst du! Wie Fähigkeitsdenken Kindern hilft, Herausforderungen zu meistern" (2023).
Einführung
Seit den frühen 1980er-Jahren engagiere ich mich dafür, den Umgang von Schulen mit psychologischen Herausforderungen zu verbessern. Nach meinem Medizinstudium zog ich 1979 nach Lappland im Norden Finnlands und begann meine Tätigkeit als praktischer Arzt in einem medizinischen Versorgungszentrum. Eine meiner Aufgaben war die Tätigkeit als Schularzt. Dadurch lernte ich viel über die mannigfaltigen Herausforderungen, mit denen Lehrkräfte heutzutage konfrontiert sind. Als Schularzt freundete ich mich mit Tapio Hyttinen an, dem zuständigen Sonderschullehrer, der eine kleine Gruppe von Schülern1 mit Verhaltensproblemen unterrichtete und später viele Jahre lang Schulleiter in verschiedenen Grundschulen war. Tapios unkonventionelle Art im Umgang mit seinen Schülern hat mich nachhaltig beeindruckt. Ich erinnere mich, wie er mich einmal gefragt hat, was man meiner Meinung nach mit Schülern machen solle, die sich in der Klasse aufspielen und den Unterricht stören. Ich antwortete, meines Wissens würden Lehrer solche Schüler normalerweise für eine gewisse Zeit vom Unterricht ausschließen. Tapio schmunzelte und sagte, er mache genau das Gegenteil: »Ich bitte die anderen Schüler, den Klassenraum ein Weilchen zu verlassen, damit ich mit dem Störenfried ein ernstes Gespräch unter vier Augen führen kann.« Ich staunte über Tapios Kreativität, und so war es kaum verwunderlich, dass ich sofort begeistert war, als ich viele Jahre später mit einer Version der Kurzzeittherapie in Berührung kam, die mich an Tapios Geschichten über seine Arbeitsweise erinnerte.
Als ich einige Jahre später nach Helsinki zurückkehrte, begann ich meine Facharztausbildung in Psychiatrie. Damals war die Psychoanalyse die vorherrschende Therapieform. Die meisten unserer Lehrbücher stammten von Psychoanalytikern, und fast alle Professoren – für Kinder- sowie Erwachsenenpsychiatrie gleichermaßen – waren psychoanalytisch ausgebildet. Auch ich hatte vor, Psychoanalytiker zu werden, aber zu der Zeit wehte schon ein frischer Wind durch die Szene der Psychotherapie. Die kognitive Verhaltenstherapie, die in den psychologischen Fakultäten der Universitäten entwickelt worden war, gewann an Popularität, und die Familientherapie – oder Systemische Therapie, wie sie heute meist genannt wird – war das »new kid on the block«. Systemische Therapie war so, wie ich sie erlernt habe, eher auf die Zukunft ausgerichtet als auf die Vergangenheit. Sie propagierte die Einbeziehung des sozialen Umfelds der Klienten und traute ihnen zu, dass sie – mit kleinen Hilfestellungen der Therapeuten – ihre eigenen Lösungen finden können.
Mitte der 1980er-Jahre erhielt ich einen Telefonanruf von einer allseits bekannten finnischen Nichtregierungsorganisation (NGO), der Mannerheim League for the Child. Die Organisation hatte beschlossen, eine einjährige Ausbildung in Kurzzeittherapie für Psychotherapeuten und Berater zu entwickeln, und sie baten mich, zusammen mit Tapani Ahola eine Lehrveranstaltung anzubieten. Ich war in der Welt der Systemischen Therapie immer noch ein Neuling, aber Tapani hatte schon reichlich Erfahrung gesammelt, da er als Leiter einer Rehabilitationsklinik für heranwachsende Drogenabhängige die Kurzzeittherapie bei Teenagern und ihren Familien einsetzte.
In den darauffolgenden Jahren bot die NGO jährliche Ausbildungen in Kurzzeittherapie an. Die Teilnehmer bildeten ein weites Spektrum von professionellen Helfern ab, darunter Ärzte, Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Schulberater, Sonderschullehrer etc. Nicht selten gab es bei den Problemen, mit denen die Klienten zu uns kamen, einen Zusammenhang mit der Schule.
Etwa zu der Zeit beschlossen wir gemeinsam mit einigen der Entscheidungsträger in der NGO, Geschichten von Lehrkräften und anderem Schulpersonal zu sammeln, die in der Schule ähnliche Prinzipien wie die der Kurzzeittherapie anwenden, um dortige Probleme und Herausforderungen in den Griff zu bekommen. Das Projekt hieß sinngemäß »Keine Sündenböcke mehr«. Ein paar Jahre später erschien dazu ein Buch über praktische Lösungen für Schulprobleme.2 Die vielen eingängigen Geschichten darin behandelten Themen wie Mobbing, destruktives Verhalten, Schuleschwänzen, Klassenatmosphäre, Lernschwächen, Leistungsdefizite und sogar Ladendiebstahl. Dies ist eine der inspirierenden Geschichten aus dem Buch, sie stammt von einem Sonderschullehrer:
In meiner Arbeit ist der allerbeste Helfer die Figur einer Ratte, die mein Schüler Tim vor ein paar Jahren gezeichnet hat. Da die Schüler mich oft gebeten haben, ihnen davon eine Kopie zu machen, entschloss ich mich, diese magische Kraft zu meinem Vorteil zu nutzen. Also versprach ich Mathis, einem launischen Jungen, der sich für so gut wie gar nichts interessierte, ihm ein Bild der Ratte zu geben, wenn er im nächsten muttersprachlichen Test acht von zehn Punkten erreichen würde. Seine entsetzte Reaktion ignorierte ich, als er sagte: »Sind Sie verrückt? Solche Noten habe ich seit Jahren nicht mehr bekommen.«
Aber er war clever und stur, und eines Tages bekam er die Ratte.
Ich rollte das Bild der Ratte feierlich zusammen, steckte es in seinen Ranzen und verbot ihm, es im Schulgebäude herumzuzeigen und damit anzugeben, denn ich hätte nicht genug Exemplare, dass alle eins hätten bekommen können. Aber ich bat ihn, die Ratte zu Hause an einen würdigen Platz in seinem Zimmer aufzuhängen und sich immer an die erreichten acht Punkte zu erinnern, wenn er das Bild anguckte.
Es dauerte nicht lange, bis ein guter Freund von Mathis, der ähnlich drauf war, auch gierig darauf war, ein Bild der Ratte zu ergattern. Allerdings konnte er es kaum fassen, dass Mathis so eine gute Note bekommen hatte! Danach waren Lisa, Ruben, Memet und Jakob dran – und es war immer dasselbe: sieben oder acht von zehn Punkten …
Die Ratte war wirklich ein raffiniertes Biest. Auch wenn sie nur heimlich umherstreifte, zierte sie die Kinderzimmerwände von immer mehr kleinen Helden. Und inzwischen überrascht es mich kaum noch, wenn ein Schüler, den ich gar nicht kenne, zu mir kommt und die Ratte sehen will, denn ich weiß ja: Er meint damit nicht mich …
Hier ist noch eine Geschichte aus demselben Buch:
Die Lehrerin einer 6. Klasse war es allmählich leid, dass die Schüler sich ständig an sie wandten und bei jedem noch so kleinen Problem Hilfe brauchten. Sie wollte, dass die Schüler selbst mehr Verantwortung dafür übernehmen, ihre Probleme zu lösen.
Die Klasse wurde immer wieder nach dem Zufallsprinzip in feste Gruppen von vier Schülern geteilt. Jede Gruppe war verantwortlich dafür, dass es allen Vieren gut geht. Wenn einer von ihnen ein Problem hatte, sollte er dies der Gruppe mitteilen. Dieses Team durfte dann während der Pause im Klassenzimmer bleiben, um über eine Lösung zu beraten. Anschließend erzählten sie der Lehrerin ihren Lösungsvorschlag. Das Team sollte sich auch beim Lernen gegenseitig unterstützen. Es stellte sich heraus, dass diese Methode der »Lösungsgruppen« gut funktionierte, und sie gehört seitdem in unserer Schule zum festen Repertoire.
Inzwischen sind drei Jahrzehnte seit dem Erscheinen des Buchs über die praktischen Lösungen für Schulprobleme vergangen, und die lösungsfokussierte Psychologie im Bildungskontext erfreut sich in vielen Ländern weltweit großer Beliebtheit. – So ist es nun an der Zeit, das Thema einer erneuten Betrachtung zu unterziehen.
Heutzutage bezieht sich der lösungsfokussierte Ansatz3 nicht mehr nur auf eine Sammlung origineller und inspirierender Geschichten und Beschreibungen, wie Lehrer und andere Professionelle in Schulen es geschafft haben, dortige Herausforderungen auf kreative und unkonventionelle Weise zu meistern. Über die letzten Jahrzehnte hat sich das Fähigkeitsdenken in der Erziehung zu einem umfassenden pädagogischen Konzept entwickelt: Es wird in vielen Schulen und pädagogischen Einrichtungen in aller Welt verwendet und hat als Sprungbrett für die Entwicklung zahlreicher Tools und Methoden zur Lösung und Vorbeugung von schulischen Problemen gedient.
Mit diesem Buch möchte ich Sie damit vertraut machen, wie Sie das Fähigkeitsdenken im erzieherischen Kontext anwenden können. Ich werde Ihnen dazu eine vielfältige Sammlung unterschiedlichster Hilfsmittel aus der lösungsfokussierten Pädagogik vorstellen – in der Hoffnung, nicht nur Ihr Interesse für diesen Ansatz zu wecken, sondern Sie auch dazu zu inspirieren, die beschriebenen Ideen in Ihren Schulalltag zu integrieren.
1 Zur besseren Lesbarkeit verwende ich bei allgemeinen Personenbezeichnungen das generische Maskulinum. Selbstverständlich sind damit immer alle Geschlechter gemeint.
2 Das Buch liegt nur im finnischen Original vor: Koulun omat konstit – käytännön ratkaisuja koulun pulmatilanteisiin. Mannerheim...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2024 |
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Reihe/Serie | Systemische Pädagogik |
Verlagsort | Heidelberg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Schulpädagogik / Grundschule |
Schlagworte | Burnout • Fehlverhalten • Institution Schule • Klassenatmosphäre • Lehrende • Lehrkräfte • Lösungsfokussiert • Mobbing • Motivation • Respektlosigkeit • Schulklima • Schulleitung • Schulvermeidung • Verhaltensstörungen |
ISBN-10 | 3-8497-8501-7 / 3849785017 |
ISBN-13 | 978-3-8497-8501-7 / 9783849785017 |
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