Schule schaffen (eBook)
220 Seiten
Goldegg Verlag GmbH
978-3-99060-453-3 (ISBN)
- Kinder in die Schule gehen, ohne Angst zu haben?
- Kinder statt mit Leistungsdruck zu kämpfen, ihrer natürlichen Wissbegierde nachgehen dürften?
- Lehrerinnen und Lehrer ihren Unterricht flexibel an den Bedürfnissen der Kinder ausrichten könnten?
- Eltern entspannt an der Entwicklung ihrer Kinder teilhaben könnten, statt selbst Schulaufgaben zu machen?
- Schule einfach wieder Spaß macht?
Was in vielen Fällen utopisch klingt, wäre möglich, wenn alle Beteiligten es wollen und aktiv dazu beitragen, dass eine Vision wahrwerden kann: Schule, die Spaß macht. In der Realität scheitern viel zu viele gute Ideen an einer unbeweglichen Bürokratie, einzementierten politischen Dogmen, starren Weltbildern und mangelndes Aufeinander-Zugehen.
Es herrscht vielerorts eine Fehlersuch-Mentalität, Schwächen rücken statt der zu unterstützenden Stärken in den Fokus, reale Probleme und Sorgen werden unter den Teppich gekehrt und heiße Eisen erst gar nicht angefasst. Statt der Bedürfnisse der Kinder steht eine überbordende Bürokratie und eine Politik des Gegeneinanders im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Der Rotstift regiert, Leistungs- und Notendruck und teure Nachhilfestunde tragen ihr Übriges dazu bei, um aus der Begeisterung für alles Neue lästige Schulpflicht werden zu lassen. So mündet Engagement in Frustration, aus Freude, Neugier und natürlichem Lernwillen wird gelangweilte Resignation.
Kinder, Lehrerinnen und Lehrer und Eltern leiden unter Stress, Schulangst, Burn-out und Zukunftssorgen. Dass es auch anders geht, zeigen viele Positiv-Beispiele.
In diesem Buch findet der Bildungsexperte und Spitzenpolitiker, Christoph Wiederkehr, deutliche Worte zum Ist-Zustand und kritisiert hart, aber sachlich und fair, was in der Schulpolitik schiefläuft. In einem mutmachenden Ausblick greift er inspirierende Ideen auf, streicht eine Vielzahl an Möglichkeiten hervor, wie Schule sein könnte und wie es gemeinsam zu schaffen ist, die Schule auf ein neues Level zu heben. - Damit Schule wieder Spaß macht!
Christoph Wiederkehr ist einer der großen, aufstrebenden politischen Talente unseres Landes. Mit Anfang 30 wurde er Wiener Vizebürgermeister - von seinen Anfängen als engagierter Schulsprecher bis hin zur Übernahme der Bildungsagenden in der Regierungskoalition Wiens verfolgte er immer ein Ziel: die Schule zu verbessern. Als amtsführender Stadtrat für Bildung, Jugend, Integration und Transparenz in Wien gilt er als leidenschaftlicher Verfechter für Veränderungen im Bildungssystem. Er möchte bestehende Blockaden überwinden und die Schule zu einem Ort machen, an dem das Lernen nicht nur effektiv ist, sondern auch Spaß macht. Mit seiner Ambition und Entschlossenheit bringt er frischen Wind in die Bildungspolitik, und sein Engagement für Integration und Transparenz zeigt seine umfassende Vision für eine zukunftsorientierte Gesellschaft. Als dynamischer, weltoffener Mensch ist Christoph Wiederkehr eine treibende Kraft für positive Veränderungen.
Ein System,
das die Falschen als Feinde betrachtet
»Ich ziehe einfach mein Ding durch. Mich mit den Diskussionen im Bildungsbereich zu beschäftigen, damit habe ich schon lange aufgehört. Die Politik legt ständig neue Rezepte vor, die nicht wirken. Das ist alles viel zu kurz gedacht, viel zu kleinteilig, um einen großen Schritt nach vorn zu gehen.« So hat mir vor einiger Zeit ein engagierter Lehrer an einem Gymnasium im Westen Wiens sein Motto fürs Überleben im System geschildert. Ich kann die Einstellung leider sehr gut nachvollziehen.
Viele Diskussionen im Bildungssystem sind bereits Jahrzehnte alt. Die beiden dominierenden Parteien der letzten Jahrzehnte, die ÖVP und SPÖ, standen sich mit ihren ideologisch getriebenen Scheindebatten im Bildungsbereich gekonnt im Weg. Je nachdem, wer gerade den Ton etwas mehr angibt, wird an der Schraube Bildungssystem eine halbe Drehung nach rechts oder eine halbe Drehung nach links gedreht. Durch das ewige Hin und Her sind die Schrauben ausgeleiert. Vielfach geht gar nichts mehr. Ein Beispiel dafür ist die Gesamtschule der Zehn- bis Vierzehnjährigen. Das Thema braucht niemand mehr anzugehen, es ist politisch völlig verbranntes Terrain. Die an sich gute Idee einer gemeinsamen Schule in den ersten acht Schuljahren lässt sich in Österreich wohl nicht mehr verwirklichen. Wir brauchen also andere Modelle.
Föderalismus, Bundesministerium, Bildungsdirektionen und Lehrergewerkschaft sind die Zutaten für das Systemversagen, auf das wir zusteuern. Die Aufteilung der Bildungskompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden macht anfällig für Behäbigkeit und gegenseitige Blockaden. Ich habe selbst erlebt, wie gute Projekte zwischen den verschiedenen Ebenen hängen bleiben – weil sie absichtlich ausgebremst werden oder weil sich kein Weg durch den bürokratischen Dschungel schlagen lässt. Eine Gewerkschaft mit der Tradition, den Stillstand zum alles entscheidenden Credo zu machen und die ausgestreckte Hand zur Zusammenarbeit immer wieder zu verweigern, stützt die bleierne Trägheit im System. Dazu kommt ein Beamtenapparat, der für die Rahmenbedingungen der Monarchie ausgelegt ist, als Österreich ein Land mit mehr als 40 Millionen Menschen war. Die Schulverwaltung ist also in großen Teilen für die fünffache Bevölkerungsgröße ausgelegt. Seither hat sich in ebendiesem Apparat des Bildungssystems wenig verändert.
Bildung in Österreich scheint grundsätzlich in den Grundfesten in der Zeit Maria Theresias festzustecken. Durch viele Klassenzimmer weht immer noch der Charme, der schon vor 50 Jahren dort anzutreffen war. Wenn ich mich mit Eltern über ihre Eindrücke unterhalte, fällt nicht selten der Ausspruch: In der Schule, in die meine Kinder jetzt gehen, sieht es immer noch so aus wie zu meiner Zeit. Abgestandene Luft, Tafeln, von denen die grüne Beschichtung abblättert, zu kleine Turnsäle und nicht selten gedrückte Stimmung.
Wenn man diesen Apparat eine Zeitlang aus der Nähe beobachtet und als Regierungsmitglied hinter die Kulissen blicken kann, wird man den Eindruck nicht los, dass häufig die Falschen als Feinde im Bildungssystem gesehen werden und gegen sie gearbeitet wird: Kinder, Eltern und Lehrkräfte. Kindern wird die Perspektive für eine gute Schulzeit geraubt, Eltern wissen vor lauter Stress nicht mehr, wie sie die Schulzeit bewältigen sollen, und selbst den engagiertesten Lehrerinnen und Lehrern reißt irgendwann der Motivationsfaden und auch sie gehen nicht mehr gerne zur Schule. Das alles wird im System schließlich noch mit einer kräftigen Prise Fortschrittsfeindlichkeit in Form von grundsätzlicher Ablehnung des Einsatzes neuer Technologien oder Instrumente gemixt.
Die eigentlichen Feinde eines gut funktionierenden, motivierenden Schulsystems gedeihen indessen munter weiter und breiten ihre destruktive Kraft ungehindert aus. An erster Stelle stehen hier der Bildungsföderalismus und seine Auswüchse, allen voran die vor einigen Jahren etablierten Bildungsdirektionen. Damit wurde eine Institution als Sinnbild für den gescheiterten österreichischen Bildungsföderalismus geschaffen. In dieser gemischten Bund-Land-Behörde sind die Wege viel zu kompliziert. Die diversen Abteilungen sind entweder dem Bund oder dem Land zugeordnet. Das heißt, Beamtinnen und Beamte, die unter einem Dach zusammenarbeiten sollen, haben unterschiedliche Dienstgeber. Bei einer Abteilung ist der Bund Dienstgeber, bei einer anderen das Land. Wie soll da die Kooperation gut laufen, wenn die Entscheidungskette nicht durchgehend ist, sondern bei zwei ganz und gar unterschiedlichen Verwaltungskörperschaften – eben der Bundesebene und der Landesebene – endet? Es kommt nicht aus heiterem Himmel, dass engagierte Pflichtschuldirektorinnen und Pflichtschuldirektoren häufig nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen, wenn sie ein Anliegen haben oder eine gute Idee.
Dazu kommen die politischen Spielchen innerhalb der Bildungsdirektionen, die die Behörde mitunter zur veritablen Schlangengrube machen. Nur ein Beispiel, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Arbeit im vorher schon erwähnten Maschinenraum der Bildungspolitik läuft: Sobald wir auf der Fachebene Vorschläge für Veränderungen diskutieren, gehen diese Infos immer wieder schnurstracks an die ÖVP, die genüsslich mit der öffentlichen politischen Agitation dagegen beginnt und damit die Umsetzung von Projekten gefährdet. Als wir beispielsweise kurzfristige Lösungen für den Lehrkräftemangel in der Volksschule besprochen haben, kamen sehr vertrauliche Überlegungen direkt an die ÖVP, die dadurch in einer ohnehin bereits angespannten Situation die Lösung dieses Problems erschwerte. Der für Wien überraschend erscheinende Einfluss der ÖVP in der Bildungsdirektion kommt daher, dass die ÖVP durch das ÖVP-geführte Ministerium und die ÖVP-dominierte Lehrergewerkschaft wichtige Hebel bei Personalbesetzungen hat. Durch die Art der Bestellungen von Spitzenjobs in der Bildungsdirektion sind häufig parteipolitische Gesichtspunkte für SPÖ und ÖVP ausschlaggebend. Das Parteibuch zählt hier leider oft mehr als die eigene Vision oder die Loyalität zur Bildungsdirektion. Die Parteipolitik muss meiner Meinung nach dringend raus aus der Bildungsdirektion. Es muss zählen, was jemand kann, und nicht, aus welcher politischen Partei jemand kommt.
Das Schulsystem ist leider an einem Punkt angekommen, an dem viele engagierte Beteiligte am Punkt der Desillusionierung angekommen sind. Das trifft viele Junglehrerinnen und Junglehrer, einsatzbereite Eltern, aber auch Politikerinnen und Politiker, denen es tatsächlich darum geht, etwas zum Besseren zu verändern.
Angstfrei und Talente fördernd, nur so geht Schule.
Das Gegenmodell zur aktuellen Lage ist für mich der Glaube an den Einzelnen und die Förderung der Talente. Das hat viel mit Vertrauen zu tun, Vertrauen in die Kinder und Jugendlichen und ihre Qualitäten. Viel zu oft stehen nur die vermeintlichen Defizite im Mittelpunkt. Anna, die Tochter eines Bekannten, erzählt mir immer wieder, wie sie im Mathe-Unterricht gepiesackt wird. Sie versteht eben nicht alles auf Anhieb, zum Beispiel, dass sich in einer Pyramide rechtwinkelige Dreiecke verstecken. Auf die Idee, das Thema anhand von Gegenständen aus der Praxis aufzuarbeiten, ist offenbar noch niemand gekommen. Es bleibt beim Versuch, den Kindern die mathematischen Formeln einzuhämmern. Dass die Kunstlehrerin Anna jedes Mal freudestrahlend begrüßt, geht an ihr aufgrund des ständig größer werdenden Drucks in Mathematik fast schon spurlos vorüber. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass sich viele nur an die Schule als einen Ort erinnern, an dem gesagt wurde, was jemand nicht kann. Völlig zu Unrecht. Wie viele Mathe-Experten und -Expertinnen haben Sie im Bekanntenkreis? Die meisten von uns haben ihre Stärken anderswo und können sie im Lauf ihres Lebens wunderbar ausspielen.
Wichtig für die persönliche Entwicklung ist vor allem, ein gutes Selbstvertrauen und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Ohne ein wertschätzendes Umfeld und eine schulische Umgebung, die vor allem die Neugier der jungen Menschen im Blick hat, funktioniert das nicht. Insbesondere in der Schulzeit können Lehrpersonen mit flapsigem, abwertendem Feedback viel zerstören. So war es auch bei mir. Ich wollte nach der Volksschule unbedingt auf ein Gymnasium mit Schwerpunkt Musik, denn einerseits habe ich gern gesungen und andererseits wollten einige meiner Freunde auch auf diese Schule. Trotz intensiver Vorbereitung habe ich die Aufnahme nicht geschafft, was für mich eine große Enttäuschung war. Die Worte der Musiklehrerin, die meine Aufnahmeprüfung durchführte, brannten sich aber bis heute in mein Gedächtnis ein und haben meine Lust auf Musik für lange Zeit zerstört. »Christoph, du bist absolut unmusikalisch, kannst nicht singen und hast kein Taktgefühl« – für mein damaliges neunjähriges Ich war das genug, um monatelang traurig zu sein und tatsächlich 15 Jahre nicht mehr vor Leuten zu singen. Heute habe ich dieses Kindheitstrauma fast überwunden und singe zumindest im Auto ab und zu mit, auch wenn ich nicht allein unterwegs bin. Diese Geschichte erzähle ich, um aufzuzeigen, wie viel Aussagen von Lehrpersonen zerstören können und wie wichtig ein wertschätzender Umgang mit Kindern für ihr Selbstwertgefühl ist.
Schule steht oft im Gegensatz zu den ersten Erfahrungen, die Kinder mit Bildung machen – das passiert im Kindergarten. Kein Wunder, dass viele Kinder in den ersten Wochen ihrer Volksschulzeit liebevoll vom Kindergarten erzählen. Mag die Eingewöhnung manchmal eine Herausforderung sein, so denken doch fast alle gern an ihre Zeit im Kindergarten zurück.
Für mich ist ein gut funktionierender...
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung |
ISBN-10 | 3-99060-453-8 / 3990604538 |
ISBN-13 | 978-3-99060-453-3 / 9783990604533 |
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Größe: 209 KB
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