Digitale Medien und Technologie bei Sehbeeinträchtigungen (eBook)
254 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-7866-4 (ISBN)
Dino Capovilla, Dr. phil., ist Professor für Pädagogik bei Sehbeeinträchtigungen sowie Allgemeine Heil-, Sonder- und Inklusionspädagogik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
1.Assistive Technologie
Epigraf: Für uns ist Braille, so ist zu hören, ein Symbol.
Aber es mangelt ihm wahrhaft an Kultur …
Wenn man bedenkt, dass er, als er sein Alphabet konstruierte,
das W vergessen hat … (Henri, zit. n. Benke, 2006, S. 51).
In diesem ersten Kapitel lernen Sie die Bedeutung von assistiver Technologie im Unterricht kennen. Außerdem werden wir Sie mit ersten wichtigen Begriffen vertraut machen. Sie werden unterschiedliche Eingabemöglichkeiten kennenlernen. Hier geht es vor allem um die Eingabe mit der Tastatur, insbesondere mittels Tastenkombinationen. Es wird aber auch um Eingabemöglichkeiten an Geräten gehen, die über gar keine Tastatur verfügen. Beispiele hierfür sind etwa Smartphones und Tablets. Danach geht es weiter mit dem Thema Sprachausgabennutzung, gefolgt von den Themen Brailleschrift und ihrer Verwendung an Computern, Smartphones und Tablets.
1.1Assistive Technologie und Unterricht
In einem idealtypischen Klassenzimmer spiegelt sich unsere Gesellschaft wider (Capovilla & Meier, 2023). Eine Menge Unterschiede prägen dabei den schulischen Alltag. Lernende mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen und Geschichten, mit unterschiedlichen Neigungen, Leidenschaften und Wünschen lernen gemeinsam. Die Bedürfnisse und Möglichkeiten aller Kinder und Jugendlicher sind unterschiedlich. Das wird hier als Bereicherung und als Gewinn für Lehrende und Lernende erlebt.
Das Unterrichtsgeschehen ist in der Regel an den Bedürfnissen und Möglichkeiten einer überschaubaren Zahl von Lernenden ausgerichtet (Capovilla & Meier, 2023). Wenn es Lernenden nicht selbstständig gelingt, sich an die Anforderungen des Unterrichtsgeschehens anzupassen, gibt es folgende zwei Möglichkeiten: Die Rahmenbedingungen können verändert werden, was bedeutet, dass der Unterricht inhaltlich an die Voraussetzungen der Lernenden angepasst wird. Die zweite Möglichkeit besteht darin, an den Kompetenzen der Lernenden zu arbeiten, was bedeutet, dass die Lernenden lernen, sich besser den Bedingungen im Unterricht anzupassen.
Einfach gesagt bedeutet das Verändern von Rahmenbedingungen, Lernbarrieren abzubauen. In den meisten Fällen geht es darum, Medien und Technik sinnvoll einzusetzen. Dazu gehören digitale Dokumente, barrierefreie Lernplattformen, Notebooks, Smartphones, Tablets etc. Sind Medien und Technik möglichst barrierefrei zugänglich, lassen sich Informationen auch von sehbeeinträchtigten Lernenden sehr einfach erfassen und verwenden.
Enorm wichtig sind aber auch die individuellen Kompetenzen der Lernenden. Reicht die Veränderung der Rahmenbedingungen im Unterricht nicht aus, lässt sich über die Stärkung der Kompetenzen ebenso viel erreichen. Diese am Einzelfall orientierte Herangehensweise ist das pädagogische Konzept der traditionellen Sonderpädagogik. Es gibt hier eine ganze Reihe von pädagogischen und didaktischen Möglichkeiten, die erprobt und bewährt sind. Weil sich unser Lernangebot jedoch auf digitale Medien und Technologie konzentriert, werden die anderen Möglichkeiten an dieser Stelle nicht weiter thematisiert.
In unserem Lernangebot favorisieren wir also die Ansätze, bei denen die Teilhabe am Unterricht durch digitale Medien und Technologie gestärkt wird. Anders als bei den Veränderungen der Rahmenbedingungen, orientieren wir uns damit an den Lernvoraussetzungen der einzelnen Kinder und Jugendlichen.
Allerdings führt die Stärkung der individuellen Kompetenzen nur dann zum gewünschten Erfolg, wenn sich gleichzeitig auch die Rahmenbedingungen des Unterrichts verbessern und ihn so zugänglicher machen. Ganz ohne eine Veränderung der Lernbedingungen im Unterricht geht es also nicht. Andererseits reicht die bloße Veränderung der Rahmenbedingungen häufig aber auch nicht aus. Je spezieller die Anforderungen der Lernenden sind, desto wichtiger wird die individuelle Stärkung der Kompetenzen und die Verwendung von digitalen Medien und Technik.
In diesem Lernangebot werden Sie sich mit pädagogisch relevanten digitalen Medien und Technologie befassen, die vor allem an möglichen Bedürfnissen sehbeeinträchtigter Personen ansetzen. Konkret wird es um heute übliche Endgeräte wie Desktop-Rechner, Notebooks, Smartphones oder Tablets gehen, aber auch um Netzwerke, wie das Internet. Außerdem geht es um Betriebs- und Anwendungssoftware, insbesondere spezielle Software für sehbeeinträchtigte Menschen.
Natürlich wird sich dieser Kurs auch mit dem allgemeinen Abbau von Lernbarrieren beschäftigen. Der Großteil des Lernangebots bezieht sich jedoch auf Möglichkeiten, die an den individuellen Voraussetzungen der Lernenden ansetzen.
Assistive Technologie ist ein Sammelbegriff für technische Hilfen, die physische, sensorische oder kognitive Fähigkeiten ausgleichen und Fertigkeiten von Menschen mit Behinderung stärken (Story, Mueller & Mace, 1998, S. 19). Assistive Technologie dient vor allem dazu, in möglichst vielen unterschiedlichen Umgebungen selbstbestimmt und unabhängig agieren und auftreten zu können.
Sehbeeinträchtigte Menschen arbeiten häufig recht intensiv mithilfe solcher Technik. Sie hilft ihnen, die behinderungsbedingten Einschränkungen teilweise auszugleichen. Das beginnt mit dem einfachen Erstellen von Sprachnachrichten mit dem Smartphone und reicht bis zur Erstellung von statistischen Auswertungen in Microsoft Excel oder noch weiter. Ziel unseres Angebots ist es, dass Sie so weit wie möglich alle diese Niveaus bedienen können. Die entsprechende Unterrichtsplanung und didaktische Reduktion werden Sie mit Ihrer mitgebrachten allgemeinen pädagogischen Kompetenz leisten können. Das, was Sie in unserem Lernangebot lernen, ist also für alle Lernenden und Lehrenden relevant, auch wenn naturgemäß nicht alle das gleiche Niveau an digitalisierungsbezogenen Kompetenzen erreichen.
Manchen Lernenden fällt der Umgang mit digitalen Medien und Technik aber auch schwer, meist durch kognitive, motorische oder auch andere Beeinträchtigungen. In diesen Fällen liegt es an Ihnen, Ihre eigene fachliche pädagogische Kompetenz fantasievoll einzubringen und damit die Lernenden bei der Umsetzung der Konzepte zu unterstützen.
Generell sind Kompetenzen zum Verwenden digitaler Medien und Technik für die Zielgruppe ein großer Gewinn. Neben dem grundlegenden Verständnis der Benutzungsoberfläche geht es um das systematische Erlernen alternativer Steuerungsmöglichkeiten. Besonders sehbeeinträchtigte Personen, die mit ihrem Sehvermögen visuell orientiert arbeiten, kombinieren diese dann mit den klassischen Steuerungsmethoden, wie etwa der Maus. Wie Sie dabei sinnvoll vorgehen, hängt jeweils vom Einzelfall ab. Eine generelle Regel für alle gibt es dabei nicht.
Übungsaufgaben
Welche beiden Aussagen zu assistiver Technologie sind richtig?
a) Assistive Technologie ist vor allem Informations- und Kommunikationstechnologie.
Diese Antwort ist korrekt! Im engeren Sinne werden unter dem Begriff assistive Technologie vor allem Geräte, Ausrüstungen und technische Systeme zusammengefasst, die sehr häufig der Informations- und Kommunikationstechnologie zuzuordnen sind. Außerdem kann assistive Technologie auch nach Behinderungskategorien unterschieden werden (Sehen, Hören, Mobilität, Motorik, Kognition, Sprechen). Wir befassen uns in diesem Lernangebot mit assistiver Technologie aus dem Bereich „Sehen“.
b) Assistive Technologie bezieht sich auf Sonderanfertigungen, die speziell für behinderte Menschen entwickelt und produziert werden.
Naja. Technische Sonderanfertigungen gehören selbstverständlich auch zur assistiven Technologie. Allerdings kann auch allgemein verfügbare Technik wie die Spracherkennung auf Smartphones, eine elektrische Schiebetür oder auch die Rechtschreibprüfung in einer...
Erscheint lt. Verlag | 18.9.2024 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik |
ISBN-10 | 3-7799-7866-0 / 3779978660 |
ISBN-13 | 978-3-7799-7866-4 / 9783779978664 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 774 KB
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich