Im Wirtschaftskrieg -  Hannes Hofbauer

Im Wirtschaftskrieg (eBook)

Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland
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2024 | 1. Auflage
240 Seiten
Promedia Verlag
978-3-85371-919-0 (ISBN)
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Die Instrumente eines Wirtschaftskrieges sind zahlreich. Sie reichen von Sanktionen gegen Personen, Unternehmen und ganze Branchen über Embargos, Blockaden und Boykottmaßnahmen bis zu physischen Angriffen auf Infrastruktureinrichtungen. Washington und Brüssel haben im März 2014 damit begonnen, russische Bürger und Firmen auf schwarze Listen zu setzen. Was anfangs als Bestrafung für die Abspaltung der Krim von der Ukraine gedacht war, wurde später mit der Durchsetzung westlicher Werte argumentiert. Seit Februar 2022 befindet sich der Westen im großen Wirtschaftskrieg mit Russland. Allerdings stand auch die Sowjetunion bereits ab 1948 (bis Mitte der 1990er-Jahre) unter einem scharfen westlichen Embargo-Regime; damals ging es darum, den Kommunismus einzudämmen. Ein Blick in die Geschichte westlicher Sanktionspolitik zeigt, wie konstant dieses Instrument zur Durchsetzung geo- und wirtschaftspolitischer Interessen im Einsatz ist. Nach Großbritannien übernahmen die USA diesbezüglich die Führungsrolle, wobei ihnen die EU um nichts nachsteht. Neben dem Kampf gegen Russland werden im vorliegenden Buch des Wiener Historikers Hannes Hofbauer auch die westlichen Sanktionsregime gegen Kuba, Nordkorea, Jugoslawien, den Irak und Iran behandelt. Der Wirtschaftskrieg gegen Moskau hat eine bis dahin nicht gekannte Dimension erreicht. Einfrieren, Beschlagnahmen und Diebstahl russischen Eigentums sind zu einer gängigen Praxis geworden. Moskau reagiert entsprechend. In der Welt außerhalb der transatlantischen Blase kann man einen Vertrauensverlust in die von Washington und Brüssel dominierten Institutionen beobachten. Eine Entwestlichung des eurasischen Raumes und des Globalen Südens ist die Folge.

Der Autor Hannes Hofbauer, geboren 1955 in Wien, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Publizist und Verleger. Von ihm sind zum Thema erschienen: 'Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung' (2016) und 'Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte' (2022).

Der Autor Hannes Hofbauer, geboren 1955 in Wien, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Publizist und Verleger. Von ihm sind zum Thema erschienen: "Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung" (2016) und "Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte" (2022).

Ein Blick zurück: Sanktionsregime und Embargos im Spiegel der Geschichte


Der erste uns bekannte Fall eines Wirtschaftsembargos ereignete sich im Jahre 432 vor unserer Zeitrechnung22 und führte kurz darauf zum großen Schlachtengang von Sparta gegen Athen und den Attischen Seebund, dem 30 Jahre dauernden Peloponnesischen Krieg. Es ging um die Vorherrschaft im antiken Griechenland. Zwischen den beiden Zentren herrschte bereits ein jahrzehntelanges Zerwürfnis, als der starke Mann Athens, Perikles, den Handelsschiffen aus Megara, der damals wichtigsten Hafenstadt am Isthmus von Korinth, die Anlandung in den Häfen des attischen Seebundes verbot. Dem war ein geopolitischer Seitenwechsel Megaras vorausgegangen, das sich zuvor Sparta angenähert hatte. Athen antwortete mit besagtem Embargo und schloss damit eine der führenden Handelsstädte, Megara, von den Märkten der Ägäis aus. Die Reaktion des peloponnesischen Bündnisses, dem Sparta vorstand, lautete Krieg; es war im Übrigen der erste Krieg in der europäischen Geschichte, der dank des Militärstrategen Thukydides in die Geschichtsschreibung einging.23

Wirtschaftsembargos konnten auch außerhalb staatlicher Strukturen wirkmächtig werden. Vor allem in Zeiten territorialer Zersplitterung, wie sie beispielsweise das Spätmittelalter prägten, lag die ökonomische Macht in der Hand von Städten und ihren Handelshäusern. Für weite Teile des europäischen Nordens und Westens war es das Städte­netzwerk der Hanse, das den Handel unter seiner Kontrolle hatte. Und diese Macht gab der Hanse auch die Möglichkeit, einzelne Konkurrenten per Embargo aus dem Geschäft zu drängen. Im Visier der norddeutschen Handelskontore stand über Jahrzehnte die Grafschaft Flandern mit ihrer Wirtschaftsmetropole Brügge. Dort wollte man den hansischen Kaufleuten mit Steuern finanziell zu Leibe rücken und ihre Monopolstellung verhindern. Die Hansestädte reagierten mit Boykottmaßnahmen. Brügge wurde bereits 1280 der Stapelmarkt für Waren, die aus dem Ostseeraum kamen, entzogen und an eine willfährigere Händlergruppe im nahen Aardenburg vergeben.24 1358 war es erneut Brügge, das mit einem Boykott durch die Hanse geschädigt wurde; diesmal beugten sich die flandrischen Handelshäuser und akzeptierten die von der Hanse eingeforderten Privilegien.25

Über Jahrhunderte: England im Wirtschaftskrieg


Ein historisch großer Wirtschaftskrieger war England. Das gesamte 17. und 18. Jahrhundert hindurch kämpfte London mit Sanktionen und Embargos gegen »Feinde« und aufkommende Konkurrenten.26 Seit ihrer Gründung im Jahr 1600 wurde das Flaggschiff des britischen Welthandels, die East India Company (EIC), mit Brachialgewalt auf den Weltmarkt gepusht. Die bedruckten Baumwollstoffe, Kalikos, benannt nach der Hafenstadt Calicut im indischen Kerala, waren nicht nur in England hochbegehrt, sondern wurden weltweit vermarktet.

Ausgestattet war die EIC mit allerlei Handelsmonopolen, militärischem Begleitschutz, einer eigenen zivilen Gerichtsbarkeit und dem königlich verbrieften Recht, Krieg gegen »Ungläubige« führen zu dürfen. Bis zur Verwandlung Indiens in eine Kronkolonie (1858) übte die East India Company hoheitliche Aufgaben für die Krone aus. Als die aufkommenden englischen Textildruckereien gegen die indische Konkurrenz zu Felde zogen, erließ der König im Jahr 1700 einen Importstopp für Kalikos. Damit nicht genug, beschloss das britische Parlament 1719 die sogenannten »Kaliko«-Gesetze. Sie verboten EngländerInnen das Tragen von bedruckten Baumwollstoffen, wie sie in Indien und Persien hergestellt wurden. Die Luxusgesetze hielten nicht lange an, dafür wurden die protektionistischen Zwangsmaßnahmen auch auf unbedruckte Stoffe ausgeweitet. Besonders betroffen war Bengalen. Webern, deren man habhaft werden konnte, sollten die Daumen abgeschnitten werden. Der britische Generalgouverneur Lord Bentick brachte die damit angerichtete Zerstörung bildhaft zum Ausdruck, wenn er über die Einwohner bemerkte, dass »ihre Knochen in der Ebene Bengalens bleichten«.27

Damit war der Binnenmarkt von lästiger ausländischer Ware freigeschaufelt. Nachdem die EIC im Textilhandel mit Indien keinen Auftrag mehr hatte, verlegte sie sich auf den Export indischer Kolonialwaren nach China, allen voran Opium. Um den chinesischen Markt zu öffnen, kam das vollständige damals vorhandene Repertoire an ökonomischen Zwangsmaßnahmen zum Einsatz. Die Opiumkriege (1840er-, 1860er Jahre) schalteten den chinesischen Widerstand aus; die darauffolgenden »ungleichen Verträge« sicherten Großbritannien, gefolgt von anderen europäischen Industriestaaten, mit den sogenannten Treaty Ports exterritoriale Handelskolonien im Reich der Mitte, die über ihre Enklaven hinaus Währungen ausgaben und über diverse Konzessionen, Zoll- und Postmonopole verfügten.

Weltgeschichtliche Bedeutung erlangte ein Boykott der East India Company durch die nordamerikanischen Kolonien, die unter der britischen Krone standen und für ihre Unabhängigkeit kämpften. Das Handelsmonopol der EIC für Tee war jenseits des großen Teiches von den Kolonisten der amerikanischen Ostküste schon geraume Zeit unterlaufen worden. Man trank den Aufguss geschmuggelter Blätter aus den Niederländischen Antillen. London antwortete darauf mit einer weiteren Privilegierung der East India Company, erließ ihr die Steuern, damit sie die Preise der holländischen Schmuggelware unterbieten und den Boykott der britischen Produkte unterlaufen konnte. Um dennoch die Staatskasse zu füllen, wurden die Neusiedler jenseits des Atlantiks von der Krone zur Kasse gebeten. Das fehlende Mitspracherecht über die Verwendung der Mittel empörte sie. Am 16. Dezember 1773 schritten die Mutigsten von ihnen zur Tat, verkleideten sich als Indianer – teils um ihre Identität zu verschleiern, aber auch, um sich symbolisch vom europäischen Mutterland abzugrenzen28 – und stürmten vier angelandete Schiffe der East India Company. Unter dem Schlagwort »Boston Tea Party« ging der Aufstand in die Geschichte ein. Die aufgebrachten, verkleideten Bürger kippten 350 mit Tee beladene Kisten ins Hafenbecken. Der Wirtschaftskrieg zwischen dem britischen Königshaus und seinen Kolonien erreichte damit eine neue Dimension. Dass der Anführer der Aufständischen, John Hancock, einer der Hauptimporteure des geschmuggelten Tees aus den Niederländischen Antillen war, unterstreicht die ökonomischen Interessen, denen Sanktions- und Embargomaßnahmen zu allen Zeiten zugrunde lagen. Eineinhalb Jahre später begann der Unabhängigkeitskrieg der 13 Kolonien gegen die britische Krone.

Die historisch – vor dem transatlantischen Wirtschaftskrieg gegen Russland ab 2014 – tief greifendsten und umfangreichsten Sanktionen zielten ab 1806 (bis 1813) auf Großbritannien. Nach dem Sieg über Preußen verkündete Napoléon am 21. November 1806 von Berlin aus eine totale Wirtschaftsblockade des Vereinigten Königreichs inklusive aller seiner Kolonien. Dem war ein Importverbot für englische Produkte nach Frankreich und – umgekehrt – eine britische Blockade gegen den französischen Hafen Brest vorausgegangen. Wir befinden uns im Zeitalter der merkantilistischen Wirtschaftspolitik, die auf Entwicklung des Binnenmarktes unter möglichst weitgehender Ausschaltung von Importen aus dem Ausland ausgerichtet war. Napoléon stachelten seine militärischen Siege auf dem Kontinent zur wirtschaftlichen Kriegsführung gegen das British Empire an. Mit der sogenannten Kontinentalsperre zwang er so gut wie alle Staaten Europas (mit Ausnahme Portugals und des Osmanischen Reichs), sich gegen Großbritannien zu stellen. Die wirtschaftliche Sperre der britischen Inseln umfasste in elf Artikeln29 ein vollständiges Handelsverbot, die Beschlagnahmung aller britischen Waren sowie Sekundärsanktionen gegen jedes Schiff, das in britischen Häfen angelegt hatte. Britische Kaufleute, so sie sich in Europa blicken ließen, wurden als Kriegsgefangene behandelt.30 Zur Durchsetzung seiner Allmachtsfantasie überzog der Kaiser der Franzosen den Kontinent mit einem Netz an Spitzeln und Zöllnern, führte Krieg gegen das unwillige Portugal und schoss sich insbesondere auf den russischen Zaren ein, dem er Schmuggel englischer Waren in großen Mengen vorwarf: »Es gibt Beweise«, schrieb Napoléon an Zar Alexander I. im November 1810, »dass die (britischen, d. A.) Kolonialwaren auf der jüngsten Leipziger Messe mit 700 Wagen aus Russland geliefert wurden und dass 1200 Handelsschiffe unter schwedischer, portugiesischer, spanischer und amerikanischer Flagge, von den Briten eskortiert mit 20 Kriegsschiffen, ihre Fracht teilweise in Russland angelandet haben.«31 Eine offene französische Drohung mit Krieg, sollte diese Praxis nicht abgestellt werden, beantwortete Zar Alexander I. damit, »neutralen« Handel über russische Häfen zuzulassen. Die Briten wussten dies zu nutzen und Napoléon begann seinen Russlandfeldzug zu planen, der ihn schließlich ab 1812 ins Verderben führte.

Ein anderer, für Wirtschaftssanktionen typischer, ungewollter Nebeneffekt bestand in der Substitution von Gütern, deren Handel großräumig verboten wurde. Als Beispiel sei der Zucker genannt, der vor der Kontinentalsperre – als Luxusprodukt – aus britischen Kolonien oder anderen Überseegebieten in Form von Zuckerrohr importiert wurde. Seine Verdrängung vom...

Erscheint lt. Verlag 16.9.2024
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Blockade • COMECON • Embargo • Irak • Marshall-Plan • Nordkorea
ISBN-10 3-85371-919-8 / 3853719198
ISBN-13 978-3-85371-919-0 / 9783853719190
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