Was ist los in unseren Schulen? (eBook)
208 Seiten
Seifert Verlag
978-3-904123-96-9 (ISBN)
OSR. Christian Klar, BEd., 1962 in Wien geboren. Er steht seit 1988 im Schuldienst. Nach mehreren Stationen als Lehrer ist er seit 2012 Schulleiter einer Mittelschule in Wien. Seit 2015 berichtet er immer wieder medial über die Situation an Wiens Schulen und warnt vor den Entwicklungen in diesem Bereich. Christian Klar ist ÖVP-Bezirksvorsteher-Stellvertreter in Wien-Floridsdorf.
OSR. Christian Klar, BEd., 1962 in Wien geboren. Er steht seit 1988 im Schuldienst. Nach mehreren Stationen als Lehrer ist er seit 2012 Schulleiter einer Mittelschule in Wien. Seit 2015 berichtet er immer wieder medial über die Situation an Wiens Schulen und warnt vor den Entwicklungen in diesem Bereich. Christian Klar ist ÖVP-Bezirksvorsteher-Stellvertreter in Wien-Floridsdorf.
INTEGRATION
Der Begriff „Integration“ wird vom lateinischen „integratio“ (Erneuerung) abgeleitet und bedeutet in der Soziologie die Ausbildung einer Wertgemeinsamkeit mit einem Einbezug von Gruppierungen, die zunächst andere Werthaltungen vertreten, oder einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit einem Einbezug von Menschen, die aus den verschiedensten Gründen von dieser Gemeinschaft ausgeschlossen (exkludiert) und teilweise in Sondergemeinschaften zusammengefasst waren. Integration hebt den Zustand der Exklusion und der Separation auf.
Im Bildungsbereich wird der Begriff unterschiedlich verwendet. Grob geht es um drei Bereiche:
In Integrationsklassen sollen Kinder mit besonderen Bedürfnissen, Lernschwierigkeiten oder körperlichen Einschränkungen in den Regelschulbereich integriert, also eingegliedert werden. Durch ein eigenes Benotungssystem können diese Kinder mit positiven Zeugnissen im Klassenverband bleiben und im Jahrgang aufsteigen, auch wenn sie die Bildungsziele nicht erreichen. Dafür wird zusätzliches Lehrpersonal bereitgestellt. Früher gab es auch einen Zahlenschlüssel, der dafür sorgte, dass in diesen Klassen weniger Kinder sind. Dieser wurde mit dem Bildungsreformgesetz 2017 aufgehoben.
Der zweite Bereich umfasst verhaltensauffällige Kinder, Kinder mit Autismusausprägungen oder Ähnlichem. Diese Kinder bekommen reguläre Zeugnisse, können also nur aufsteigen, wenn sie das jeweilige Jahr positiv abschließen.
Der dritte Bereich umfasst Kinder mit fehlenden bzw. nicht ausreichenden Deutschkenntnissen. Dies ist grundsätzlich für neu in Österreich angekommene Kinder gedacht, umfasst aber viel zu oft auch in Österreich geborene, aber in Parallelgesellschaften aufgewachsene Kinder.
INTEGRATION VON KINDERN MIT SPF (SONDERPÄDAGOGISCHEM FÖRDERBEDARF)
Die Vergabe eines SPF ist grundsätzlich ein Bescheid, dass ein Kind Lernschwierigkeiten bzw. einen Entwicklungsrückstand hat und daher den vorgesehenen Lernstoff nicht ausreichend erfassen kann. Es gibt wegen der unterschiedlichen Kompetenzen keine Schnittstelle mit den Kindergärten, daher startet die Feststellung am Beginn der Volksschule. Die Ressourcen für zusätzliche Kosten für die Betreuung dieser Kinder sind mit 2,7 % gedeckelt. Daher ist man bestrebt, dass die Anzahl der zu vergebenden SPF-Bescheide diese Deckelung nicht überschreitet, unabhängig vom tatsächlichen Bedarf.
Es gibt also wesentlich mehr Kinder, die einen solchen Förderbescheid benötigen würden, als Bescheide ausgestellt werden. Eine Testung und daraus folgende Vergabe eines SPF in der Mittelstufe ist nicht mehr erwünscht und daher sehr selten. Selbst wenn die SPF-Bescheidung gelingt, ist es aufgrund des Mangels an geeigneten Plätzen sehr schwer, einen passenden Platz für ein Kind zu bekommen.
Bei der Bildungsreform 2017 wurde das eigene „Lehramt Sonderschule“ abgeschafft und in die allgemeine Lehramtsausbildung integriert.
Yasmin kann keine Aufgaben lösen, aber sie ist gerne mit anderen Kindern zusammen
Yasmin ist sehr eingeschränkt in ihren geistigen Möglichkeiten, schulische Aufgaben in der Schule kann sie nicht lösen. Aber sie ist gerne unter anderen Kindern, und sie wird von den anderen gut aufgenommen. Wenn die anderen Kinder schulische Aufgaben zu lösen haben, malt Yasmin schöne Bilder oder lernt das kleine Einmaleins, auch wenn sie es nie wirklich beherrschen wird. In Gegenständen wie Sport, Werken, Zeichnen und Musik ist sie besonders glücklich, denn da kann sie mit den anderen mitmachen. Yasmin hat einige Freundinnen in der Klasse. Nach der Schule wechselt sie in eine andere Betreuungsform, selbstständig leben kann sie nicht.
Burak macht überall mit, aber es ist viel zu schwer
Burak hatte bereits in der Volksschule einen sonderpädagogischen Förderbedarf festgestellt bekommen, anders hätte er die Volksschule auch nicht geschafft. Er ist ein braves und gut in die Klassengemeinschaft integriertes Kind, reguläre Schularbeiten oder Tests könnte er nicht positiv schaffen, aber er macht überall mit. Manchmal erledigt er Abschreibarbeiten, während die anderen selbstständig zu lösende Arbeitsaufträge bekommen. Nach Abschluss seiner Schulpflicht beginnt Burak eine geförderte Lehre als Gärtner beim Stadtgartenamt.
Öckan kommt aus einer anderen Schule, er wiederholt die erste Klasse und schafft sie wieder nicht
Öckan geht bei uns in die erste Klasse. Er hat fünf Jahre für den Abschluss der Volksschule gebraucht, die erste Klasse Mittelschule hat er in einer anderen Schule nicht geschafft. Öckan ist sehr groß und kräftig, die Kinder in seiner Klasse haben Angst vor ihm. Öckan kann dem Unterricht nicht wirklich folgen, er versteht nicht, was man von ihm möchte. Immer wieder wird er gewalttätig, auch hier ist er sich seiner Verantwortung nicht bewusst.
Öckans Vater ist ein einfacher Mann, er ist berufstätig. Immer wieder müssen wir ihn anrufen und ihn bitten, Öckan von der Schule abzuholen. Schließlich schickt er seine Frau, Öckans Mutter, um den Sohn abzuholen. Sie kann allerdings gar kein Deutsch. Obwohl Öckan eigentlich schon zu alt ist für die Feststellung eines Sonderpädagogischen Förderbedarfs, können wir eine Testung erwirken. Das Ergebnis ist eindeutig, Öckan ist nicht in der Lage, dem Unterricht in einer Regelschule zu folgen. Der Bescheid folgt einige Wochen später, und schließlich wird für Öckan ein für ihn geeigneter Schulplatz gefunden.
Ohne SPF gibt es keine geförderte Lehrstelle
Martin braucht Unterstützung beim Lernen, er ist sehr bemüht, aber langsamer als die anderen Kinder. Martin wird in der ersten Klasse der Mittelschule getestet, das Ergebnis ist die Zuteilung eines Sonderpädagogischen Förderbedarfs. Im Laufe der Jahre kann in einigen Gegenständen der SPF aufgehoben werden. In der vierten Klasse ist es Martins Ziel und das seiner erziehungsberechtigten Großeltern, dass sein SPF insgesamt aufgehoben wird. Sie wünschen sich ein Zeugnis als Regelschüler.
Wir diskutieren und befürworten die Aufhebung. Doch dann stellt sich heraus, dass Martin damit keine Förderungen nach der Schule, wie zum Beispiel eine geförderte Lehrstelle mit verlängerter Lehrzeit, bekommen würde. Daher belassen wir es beim SPF im Abschlusszeugnis. Martin bekommt eine Lehrstelle als Tischler, für die dreijährige Lehre sind für ihn vier Jahre vorgesehen. Martin absolviert diese Lehre erfolgreich und arbeitet seither als Tischler in einem großen Möbelhaus.
Integration hat Grenzen
In einer Volksschule soll ein Kind in die Regelklasse aufgenommen werden, das unter anderem nicht stubenrein ist. Es trägt eine Windel, pünktlich in der zweiten Pause füllt sich diese Windel. Entsprechend entwickelt sich ein intensiver Geruch in der Klasse, für die anderen Kinder ist das unzumutbar. Einige Wochen wird überlegt, wer beziehungsweise ob jemand dafür zuständig ist, das Kind frisch zu wickeln. Es gibt kein Personal dafür, die Eltern bestehen aber auf das Recht auf Schule für ihr Kind. Der Ausgang dieses Falls ist mir nicht bekannt.
In einem anderen Fall wird ein Kind mit schwerem Autismus eingeschult, zumeist sitzt oder liegt es in der Klasse und gibt röhrende Laute von sich. Die anderen Kinder können sich nicht konzentrieren. Um die Situation zu erleichtern, geht die Integrationslehrperson mit diesem Kind in den Garten oder in einen anderen Raum. Es gibt noch fünf weitere Kinder in dieser Integrationsklasse, die deshalb auf die zusätzliche Betreuung verzichten müssen.
INTEGRATION VON KINDERN MIT VERHALTENSAUFFÄLLIGKEITEN
Samuel überfordert uns alle und leidet selbst
Samuel kommt aus einer Förderklasse. Nach zwei Jahren ist die Rückführung in eine Regelklasse vorgesehen. Samuel hat keinen Sonderpädagogischen Förderbedarf, trotzdem kommt er in eine Integrationsklasse, weil hier immer zumindest zwei Lehrpersonen gleichzeitig in der Klasse sind. Samuel hat eine Form von Autismus, er hält Lärm und Durcheinander nicht aus. Für ihn muss alles in geregelten Bahnen laufen. Schlechte Voraussetzungen in einer Schule, in der immer viel los ist.
Die ersten Wochen gestalten sich schwierig, aber es gibt keine gröberen Vorfälle. Samuel ist schulisch besser als seine Klassenkameradinnen und -kameraden, manchmal langweilt er sich im Unterricht, seine Arbeiten am Computer und seine Präsentationen sind hervorragend. Schwierig wird es aber, wenn es Unruhe gibt. Sport, Werken sowie Zeichnen sind Herausforderungen für ihn. Wenn es ihm zu laut wird, brüllt er herum, immer wieder bedroht er sogar andere. Der Versuch der Reintegration in eine Regelklasse wird dennoch nicht aufgegeben.
Eines Tages kommt ein Kind zu mir:
„Herr Direktor, kommen Sie schnell. Samuel wirft mit Stühlen auf andere Kinder.“
Ich eile in die Klasse. Samuel hat einen Stuhl in der Hand, gerade möchte er ihn werfen. Einige andere Stühle liegen bereits quer in der Klasse herum. Ich...
Erscheint lt. Verlag | 30.8.2024 |
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Verlagsort | Wien |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Bildung • Brennpunktschule • Erziehung • Integration • Migration • Schule |
ISBN-10 | 3-904123-96-3 / 3904123963 |
ISBN-13 | 978-3-904123-96-9 / 9783904123969 |
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Größe: 595 KB
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