So alt war ich noch nie (eBook)
336 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02059-7 (ISBN)
Stephanie Hielscher wurde 1977 in Lippstadt geboren. Nach einigen geografischen und inhaltlichen Umwegen schloss sie in Berlin das Studium der Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Dokumentarfilm ab und volontierte anschließend beim Musiksender MTV. Seither arbeitet sie als freie Journalistin, hostet seit 2022 den Podcast «50 über 50» und geht den Themen der Lebensphase ab 50 zusammen mit ihren Gästen auf den Grund. Sie lebt mit Mann, Sohn und Hund in Berlin.
Stephanie Hielscher wurde 1977 in Lippstadt geboren. Nach einigen geografischen und inhaltlichen Umwegen schloss sie in Berlin das Studium der Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Dokumentarfilm ab und volontierte anschließend beim Musiksender MTV. Seither arbeitet sie als freie Journalistin, hostet seit 2022 den Podcast «50 über 50» und geht den Themen der Lebensphase ab 50 zusammen mit ihren Gästen auf den Grund. Sie lebt mit Mann, Sohn und Hund in Berlin.
Age-Shaming MUSS AUFHÖREN!
Susann Atwell spricht über das Älterwerden, Veränderungen in ihrem Beruf und über falsche Annahmen von sich selbst.
Aha, da ist er also, der Moment. Ich husche von der Küche ins Bad und komme am Spiegel im Schlafzimmer vorbei: Schlabberlook, Brille, ungeschminkt. So begegnet mir der Moment, in dem ich das erste Mal denke: Boah, bist du alt geworden.
Nein, stimmt nicht. Ich hatte schon mal so einen Moment: Da waren die Kita-Mütter, die zum ersten Mal zu uns nach Hause kamen, der Spiegel. Sie sahen ein Hochzeitsbild von meinem Mann und mir und sagten: Ihr seid ja schon lange verheiratet! Das war zu dem Zeitpunkt erst drei Jahre her. Nichts hat uns so schnell altern lassen wie die Geburt und Kleinkindphase unseres Sohnes. Aber das war ein anderes Altern, eine Vorstufe vielleicht, denn mit Mitte dreißig hatten wir noch ein ganz anderes Altwerden vor uns. Und das ist bei mir offenbar jetzt.
Mit einem Schlag verstehe ich die Wehmut des Alterns nicht nur theoretisch, sondern auch emotional. Aus einer kleinen Ecke im Hinterzimmer meines Egos ruft es dennoch: Ja, aber mit 45 bist du immer noch nicht alt! Das richtige Altsein ist dann mit neunzig dran. Mein Sohn sieht das anders. Er denkt schon jetzt, ich sei steinalt, und sagt: «Mama, du bist 150 Jahre alt!»
Die Alterserscheinungen, die ich auf einmal sehe, sind vermutlich der Anfang des «richtigen» Älterwerdens. The point of no return. Ich sehe einen leichten sogenannten Truthahnhals. Ich sehe deutlich, dass T-Shirts, was ich eh schon wusste, nichts für mich tun. Vor allem dann, wenn ich keinen BH drunter trage. Ich sehe, dass mein Körper immer westfälischer – oder sagen wir es kosmopolitisch –, hawaiianischer wird. Zum Glück ist Vaiana mein allerliebster Disneyfilm!
Was mach ich jetzt mit dem Truthahnhals und meiner schwindenden Sehkraft?
Zipperlein kenne ich schon immer gut. Ich leide bei Infekten mehr als andere in meiner Familie. Leider. Ich habe schon ewig Eisenmangel und unbestimmte Schmerzen in der Haut, eine Lunge, die schnell außer Puste kommt, und diverse Allergien. Mal sehen, was noch dazukommt. Weil ich aber eben schon immer von Wehwehchen geplagt bin, bedeuten solche Kinkerlitzchen für mich noch lange nicht, dass ich mich auf einmal körperlich alt fühle.
Ich hatte mit Anfang vierzig erste kleine Anzeichen der Perimenopause, die jetzt noch mal mit ähnlichen Symptomen bei mir vorbeischaut: juckende Haut, schlaflose Nächte, zyklisch bedingte Kopfschmerzen, PMS aus der Hölle. PMS ist für extrem harmoniebedürftige Menschen wie mich sehr schlimm, denn bei mir zeigt sie sich durch Stimmungsschwankungen und eine kurze Zündschnur. Wenn die sich dem Ende zuneigt – und das geht leider schnell –, kann ich richtig ruppig werden. Dann mag ich mich selbst nicht mehr, und der Truthahnhals wird von jetzt auf gleich so dick, dass mir der Kragen platzt. «Mir platzt gleich der Kragen!», das hat mein Papa früher oft gesagt. Und der war nicht in der Perimenopause. Was der wohl hatte? Wahrscheinlich war ich in der Pubertät.
Ungefähr zu dieser Zeit lernte ich auch Susann Atwell kennen. Jeden Nachmittag flimmerte sie über meinen Fernsehbildschirm und moderierte SAM, das Magazin auf Pro7. Susann ist zehn Jahre älter als ich und befand sich damals für mich völlig außerhalb meiner Reichweite. Sie reiste zu den Oscars, interviewte halb Hollywood und arbeitete als Model. Ich saß in meinem Kinderzimmer in einem kleinen Dorf und sah ihr dabei zu, während ich durch die Vogue blätterte. Dass wir einmal die gleichen Themen haben würden, wäre mir nie in den Sinn gekommen.
Doch als ich Susann kontaktiere, meldet sie sich sofort zurück. Die Themen Älterwerden und die Wechseljahre treiben auch sie ordentlich um – spätestens seit sie eine überraschende, wechseljahrsbedingte Sturzblutung vor laufender Kamera erlebte. Wir treffen uns zum ersten Mal in Hamburg. Dort lebt sie die meiste Zeit mit ihrer Familie und pendelt ansonsten nach Frankfurt, um für den Hessischen Rundfunk zu moderieren.
Wie hast du die Zeit vor deinem 50. Geburtstag und den Geburtstag selbst erlebt?
Das war ein sehr turbulentes Jahr. Ich hatte tatsächlich eines der schlimmsten Jahre meines Lebens. Ich habe mich in dem Jahr von einem Mann, der mich in vielerlei Hinsicht betrogen hat, getrennt. Wir haben zusammengelebt, und zu Beginn des Jahres habe ich nach vielen fürchterlichen Erlebnissen die Entscheidung gefällt, dass ich gehen muss. Dann habe ich meine Sachen gepackt und bin in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ausgezogen und habe vorübergehend für ein halbes Jahr bei einer Freundin gewohnt. Im August bin ich dann mit meiner Tochter in eine neue Wohnung gezogen. Dort habe ich irgendwie erstmals darüber nachgedacht: Ich werde ja 50! Will ich eigentlich meinen Geburtstag feiern? Ich bin grundsätzlich auch nicht so der Feiertyp. Ich bin eher eine Spaßbremse.
Ich auch.
Wie sympathisch. Dann saß ich mit einem Freund beim Abendessen, und der hat gesagt: «Du musst doch feiern, du wirst doch 50. Das ist doch auch super, weil das ein Neustart ist.» Und dann habe ich einen Raum gemietet, und er hat das Buffet gemacht. Ich habe fünfzig, sechzig Leute eingeladen, die mich begleitet haben, und wir haben groß gefeiert. Das war wirklich schön, weil es für mich auch ein neuer Abschnitt war. Das war nicht nur ein neues Jahrzehnt, das für mich begann, sondern auch die Beendigung einer ganz bestimmten Phase in meinem Leben und dieser schlimmen Erlebnisse. Das war wirklich ein krasses Jahr.
Wie hast du dich dann neu aufgestellt? Oft steht man mit 50 fest in vielen Bereichen seines Lebens und geht dann einfach weiter. Aber wenn bei dir alles weggebrochen war, ist diese Zahl auch ein krasser Neuanfang gewesen, mit dem du so gar nicht gerechnet hast.
Mit Neuanfängen rechnet man ja selten. Oft geht dem ein Schicksalsschlag voraus. Mein vierzigster Geburtstag war sehr einschneidend für mich. Damals habe ich mit meinem damaligen Lebensgefährten in New York gefeiert. Ich war gerade noch mal Mutter geworden, und das war wirklich so: Wow, vierzig. Ich fand es irgendwie ganz cool, aber habe gleichzeitig gedacht – das weiß ich noch ganz genau: Okay, aber nach der vierzig kommt die 41, 42, 43, 44, 45 und so, und dann kommt ja auch irgendwann die 50. Das fand ich tatsächlich ziemlich krass. Einfach diese Zahl! Auch jetzt, ich bin 55, und ich finde das echt hart. Aber das sagen ja die meisten: Man fühlt sich natürlich nicht danach. Ich fühle mich wie Mitte dreißig.
Gab es für dich trotzdem irgendein Ereignis oder ein Erlebnis, bei dem du gemerkt hast: Okay, jetzt werde ich älter, wenn vielleicht nicht körperlich, dann gesellschaftlich? Oder in der Wahrnehmung von außen?
Ich weiß nicht genau, ob das nur meine Wahrnehmung ist oder ob es tatsächlich so ist, das muss ich ehrlich sagen: Age-Shaming ist ja ein großes Thema. Ich habe das noch nicht erlebt. Ich glaube, das findet tatsächlich eher in meinem Kopf statt. Ich denke: «Oh, krass, du bist 55, und oh Gott, der Typ oder die Frau, mit der du gerade sprichst, ist Anfang dreißig, und die müssen doch denken: Du bist eine Oma.» Ich werde nie vergessen, wie ich mal bei einer Veranstaltung in Berlin stand. Eine junge Schauspielerin kam zu mir und fragte nach meinem Alter. Ich sagte, ich sei 35. Und sie hat entgegnet: «Boah, so alt schon?» Also, das war irgendwie lustig, aber ich dachte: «Oh Gott, ist man mit 35 schon alt?» Und jetzt bin ich zwanzig Jahre älter!
Ich finde das ganz bezeichnend. Ich habe mir ein Interview mit dir angeschaut, das ist ein paar Jahre alt. Da saßt du mit einem Mann, und der hat gesagt: «Dein Alter sieht man dir ja gar nicht an.» Ich finde, das ist kein Kompliment.
Nee, das ist überhaupt kein Kompliment.
Und du bist ganz locker damit umgegangen. Deine Antwort war: «Ich WERDE aber älter.» Ich fand das so cool.
Echt? Ich erinnere mich nicht.
Ja. Ich fand das so gut und dachte mir im gleichen Moment: Gut, das war das, was sie sagt, aber was hat sie gedacht in diesem Moment?
Es wäre mal spannend zu wissen, wann das war.
Vor sechs Jahren.
Da habe ich das, glaube ich, noch nicht so empfunden. Heute würde ich mich tierisch aufregen. Das ist etwas, was ich öfter höre. Das sind diese vergifteten Komplimente, und die Menschen, die das sagen, die denken natürlich überhaupt nicht darüber nach. Sie denken, sie sagen etwas Nettes. Heute würde ich was entgegnen. Ich weiß aber nicht genau, was.
Und weißt du, was du denkst in so einem Moment?
Ja, was für ein Scheiß? Ich rege mich wirklich darüber auf. Julianne Moore hat mal gesagt: «Uns bleibt ja überhaupt nichts anderes übrig, wir müssen ja älter werden.» Ich würde es schön finden, wenn wir dahin kämen, dass man einfach jemanden schön findet, und zwar unabhängig vom Alter. Dass man diesen Beisatz nicht braucht. Man kann ja jemandem ein Kompliment machen und sagen: Du siehst toll aus heute. Oder ich finde super, wie klug du bist, oder was weiß ich. Es gibt verschiedene Wege, jemandem ein Kompliment zu...
Erscheint lt. Verlag | 12.11.2024 |
---|---|
Zusatzinfo | Mit 17 4-farb. Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 50 über 50 • Altern • Älterwerden • Annabelle Mandeng • Chance • Christiane von Hardenberg • Erfolgsgeschichten Frauen • Frauengesundheit • Frauke van Bevern • Fünfzig • Fünfzigster Geburtstag • Geburtstag • Geschenkbuch • Geschenkbuch für Frauen • Gespräche • Helena Orfanos-Boeckel • Ildikó von Kürthy • Inspiration • Kim Fisher • Kirsten Hanser • Lebenserfahrung • Lebensmitte • Leyla Piedayesh • Lisa Ortgies • Marie Bäumer • Midlife • Mut • Sheila de Liz • Silvana Koch-Mehrin • Stephanie Dettmann • Sue Giers • Susann Atwell • Ü50 • Vera Int-Veen • vorbilder frauen • Wechseljahre |
ISBN-10 | 3-644-02059-0 / 3644020590 |
ISBN-13 | 978-3-644-02059-7 / 9783644020597 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 13,2 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich