Die Sonne dimmen (eBook)
208 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-31807-9 (ISBN)
Die Menschheit schafft es nicht schnell genug, sich von den fossilen Energien zu lösen. Das Ziel des Pariser Abkommens, die Erderwärmung auf maximal 2 Grad Celsius zu begrenzen, ist kaum noch zu erreichen. Für Milliarden Menschen, besonders im globalen Süden, bedeutet das einen Überlebenskampf. Bald wird es nur die Wahl geben zwischen wachsendem Leid durch Klimafolgen - und solarem Geoengineering. Dabei wird die Erde durch Reflexion von Sonnenstrahlen in der Atmosphäre künstlich heruntergekühlt. Diese technische Zwischenlösung verschafft die nötige Zeit, um die Wirtschaft zu dekarbonisieren und genügend grüne Energie zu erzeugen, um der Atmosphäre das CO2 wieder zu entziehen, das zur Aufheizung geführt hat.
Der renommierte Wissenschaftsautor Thomas Ramge findet es höchste Zeit, Geoengineering zu erforschen, zu diskutieren und einen internationalen Plan für einen verantwortungsvollen Einsatz zu fassen, der verhindert, dass einzelne Staaten, Tech-Milliardäre oder Unternehmen einfach vorpreschen. Sein Buch bricht das Tabu um das künstliche Dimmen der Sonneneinstrahlung und hat das Ziel, eine konstruktive politische Debatte anzustoßen, wie der Übergang ins postfossile Zeitalter gelingen kann.
Thomas Ramge denkt und schreibt an den Schnittstellen von Technologie, Ökonomie und Gesellschaft. Er hat 20 Sachbücher und einen Roman veröffentlicht, darunter Wollt ihr ewig leben?, Sprunginnovation (mit Rafael Laguna de la Vera), Augmented Intelligence und Das Digital (mit Viktor Mayer-Schönberger). Seine Essays und Reportagen erscheinen unter anderem in Die Zeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Welt am Sonntag, brand eins, The Economist, Harvard Business Review, MIT Sloan Management Review und Foreign Affairs. Ramges Arbeiten wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Deutschen Essaypreis 2022, dem Axiom Business Book Award 2019 (Gold Medal, Economics), dem getAbstract International Book Award 2018, dem Herbert Quandt Medienpreis, dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis und dem ADC Award.
1
Einstieg: Himmel und Schwefel
Not so cool Cooling Credits
Luke Iseman und Andrew Song stehen auf einem Parkplatz an der San Francisco Bay. Es ist ein sonniger Aprilmorgen, noch kühl, aber kaum Wind. Neben ihrem grauen Wohnmobil liegt eine große Heliumflasche auf dem Asphalt. Iseman führt den Schlauch von der Flasche an die Öffnung eines Wetterballons. Song dreht das Ventil auf, der weiße Ballon füllt sich langsam auf seinen Durchmesser von rund zwei Metern. Iseman hält ihn fest im Griff. Er löst den Schlauch, schließt die Ballonöffnung mit schwarzem Isolierband. »Wir sind definitiv keine Wissenschaftler«, sagt der Mittdreißiger mit dem Irokesenschnitt und lächelt verschmitzt in die Kamera des CBS-Fernsehteams. Dann lässt er los. Der Ballon steigt zunächst überraschend langsam, nimmt dann aber doch zügig Fahrt auf für seine Reise in die Stratosphäre. Die beiden Gründer des kalifornischen Start-ups »Make Sunsets« schauen zufrieden nach oben. Dem Helium ist Schwefeldioxid beigemischt. Wieder setzt Iseman sein Lächeln auf: »Die Menge Schwefel ist lächerlich wenig, aber ein Anfang.« Die Sache mit dem Anfang kennt man von kalifornischen Gründern, wenn sie die Welt verändern und dabei reich werden wollen.
Kennengelernt haben sich Luke Iseman und Andrew Song im Jahr 2015. Iseman arbeitete zu der Zeit als Direktor für Hardware-Start-ups der renommierten Start-up-Schmiede Y Combinator. Song stand als Marketingmanager in Diensten von Indiegogo, einer Plattform, auf der Erfinder Geld für ihre Projekte einsammeln. Gemeinsam haben sie 2022 dann selbst Investoren überzeugt, mehr als eine Million Dollar in ihre Idee zu investieren. In rund 20 Kilometern Höhe wird der Wetterballon platzen und das Schwefeldioxid freisetzen. Sie verdienen damit nicht nur Geld, sondern helfen auch dem Klima. So sehen das zumindest die Make-Sunsets-Entrepreneure. Die junge Firma macht ihren Kunden ein günstiges Angebot. Für zehn Dollar bringen sie mit Wetterballons ein Gramm Schwefeldioxid (SO2) in die Stratosphäre ein. Dort bildet das Schwefelgas in Verbindung mit kleinen Wassertröpfchen eine weiße Nebelschicht, die sich mindestens ein Jahr hält. Diese Schicht reflektiert Sonnenstrahlung zurück ins All, sodass weniger Sonnenenergie durchdringen kann, die die Erde aufheizt. Ein Gramm Schwefeldioxid in der Stratosphäre gleicht den Klimaschaden von einer Tonne Kohlendioxid aus, behauptet Make Sunsets. Auf der Unternehmenswebseite teilen Iseman und Song regelmäßig mit, wie viele Kilogramm SO2 sie aufsteigen lassen.[1] Skeptiker halten das Start-up für einen PR-Stunt. Viel zu gering sei die Schwefelmenge, um in der Stratosphäre eine Kühlwirkung zu entfalten. Immerhin, der PR-Effekt ist messbar. Über Medien in der gesamten Welt senden Iseman und Song ihre zentrale Botschaft: Der Planet Erde lässt sich vor dem Klimakollaps nur noch bewahren, wenn die Menschen so schnell und so effektiv wie möglich die Sonne dimmen. Klimaforscher und -schützer schlagen die Hände über dem Kopf zusammen.[2]
Seit rund 15 Jahren streitet die Forschungsgemeinde darüber, ob sogenanntes solares Geoengineering überhaupt näher erforscht werden soll. Der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ignoriert das Thema konsequent, unter anderem, weil eine Reihe Länder, darunter Deutschland, eine Diskussion dazu blockieren. Die Mehrzahl der IPCC-Wissenschaftler und Klimaschützer möchte unbedingt den Eindruck vermeiden, es gäbe eine einfache, schnelle und günstige Lösung für den Treibhauseffekt. Und dann kommt ein kleines Start-up aus Kalifornien daher und macht ohne seriöse wissenschaftliche Begleitung aus Sonnenstrahlenmodifikation (Solar Radiation Modification, kurz SRM) ein fragwürdiges Geschäftsmodell. Make Sunsets zeigt vor allem, wie Geoengineering nicht ablaufen sollte. Aber manchmal braucht es wohl Tabubrüche, um festgefahrene Debatten aufzubrechen und der Politik neue Impulse zu geben. Die Klimadebatte hat einen solchen Impuls dringend nötig. Sie hängt in einer Dauer-Wiederholungsschleife in Parlamenten, internationalen Foren und Talkshows. Derweil steigen die Temperaturen immer weiter – die Emissionen ebenso. Solares Geoengineering wird die Diskussionen und Verhandlungen über Klimapolitik in den kommenden Jahren aufbrechen und in eine neue Richtung lenken. Und die Technologie wird sich spätestens im nächsten Jahrzehnt ihren Weg in die Welt bahnen – ob wir das wollen oder nicht.
Die Silicon-Valley-Ballons in der Stratosphäre sind eine Vorausdeutung auf die Klimawelt von morgen. Es ist keine Frage mehr, ob solares Geoengineering betrieben werden wird, sondern nur noch, wann, ob geplant und im Zusammenwirken wichtiger geopolitischer Akteure oder vogelfrei von wem auch immer. Die Sonne zu dimmen, ist billig. Man könnte auch sagen: zu billig. Die Erdtemperatur mit Schwefelaerosolen auf dem aktuellen Niveau zu halten, kostet voraussichtlich weniger als 20 Milliarden US-Dollar jährlich. Damit ließen sich kurzfristig Hunderte Milliarden an Klimafolgekosten einsparen, mittelfristig vermutlich Billionen. Staaten oder auch kleine Staatsgemeinschaften aus dem Globalen Süden, die besonders stark unter dem Klimawandel leiden, wären in der Lage, die Sonne zu dimmen. Ein Technik-fanatischer Tycoon mit einem Persönlichkeitsprofil eines Elon Musk könnte sich dazu berufen fühlen, das Thermostat der Erde herunterzuregeln. Auch eine radikale Non-Profit-Organisation mit vielen Unterstützern im Hintergrund könnte ankündigen: Das Leid durch Klimafolgen ist zu groß. Solare Strahlenmodifikation mag keine perfekte Lösung sein, ist aber besser als gar keine. Wir machen das jetzt. Und irgendein Land ließe sich schon finden, das die Starterlaubnis für Ballons oder Flugzeuge gibt. Vorstellbar ist auch ein weltweites Geoengineering-Chaos. Unterschiedliche Akteure säen Wolken und dimmen die Sonne, unkoordiniert und mit unterschiedlichen Methoden auf mehreren Kontinenten.
Die DARPA, der Forschungsarm des US-amerikanischen Militärs, hat 2022 ein Programm zur Aufdeckung von sogenanntem »rogue geoengineering« aufgesetzt.[3] Die USA möchten offenkundig wissen, wenn irgendwo auf der Welt jemand mit dem Klima herumspielt. Wie werden die USA reagieren, wenn Indien im Jahr 2035 nach mehreren Hitzewellen mit Millionen Hitzetoten den Versuch unternimmt, in Südasien die Temperatur zu senken und die Niederschläge zu erhöhen? Und wie könnte die chinesische Regierung auf einen solchen Eingriff reagieren, wenn dieser im Süden Chinas zu noch mehr Hitze- und Dürreperioden führt? Alleingänge im Geoengineering werden geopolitische Konflikte erzeugen. Umgekehrt gilt: Alle Menschen weltweit haben ein gemeinsames Interesse daran, den Klimakollaps zu vermeiden. Klimaschutz ist eines der wenigen Politikfelder, in denen die unterschiedlichen Lager der neuen, multipolaren Weltordnung noch kooperieren. In einem optimistischen Szenario könnte ein neuer Entscheidungsmechanismus für solares Geoengineering wieder zu mehr internationaler Zusammenarbeit führen. Zugegeben, das ist nur ein Hoffnungswert.
Methadon für Carbon-Junkies
Wissenschaftlich gesichert hingegen ist: Im Unterschied zu allen anderen Klimaschutzmaßnahmen wirkt solare Strahlenmodifikation schnell. Die beste Indikation hierfür geben große Vulkanausbrüche wie der von 1991 in Indonesien, durch den im Folgejahr die weltweite Durchschnittstemperatur um rund 0,5 Grad sank. Den Himmel künstlich mit Schwefel zu verdunkeln, ist schon heute verlockend. Denn wir leben bereits in einer Welt mit rund 1,5 Grad Erwärmung über den vorindustriellen Durchschnittstemperaturen. Doch wie attraktiv wird das Dimmen der Sonne sein, wenn auch die obere Marke des Pariser Abkommens von »deutlich unter zwei Grad« endgültig Geschichte ist und das Erdsystem auf eine Erwärmung von drei Grad zusteuert? Denn dann drohen die sogenannten Kippelemente im Klimasystem wie Dominosteine zu fallen: Erst schmelzen große Teile des (dann nicht mehr) »ewigen Eises« an den Polen. Dann tauen die Permafrostböden des hohen Nordens auf und lassen Unmengen weiterer Klimagase frei. Was passiert, wenn die Monsune ausbleiben und die Hurrikane sich dramatisch häufen? Und was geschieht, wenn die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC) und mit ihr der Golfstrom zusammenbrechen, wie eine viel beachtete niederländische Studie vom Frühjahr 2024 befürchtet?[4] Welche politischen Mechanismen setzen sich in Gang, wenn Inselstaaten im Meer versunken sind und Bangladesch zu weiten Teilen überflutet ist? Wenn Teile Zentralafrikas und Südasiens unbewohnbar werden und der Migrationsdruck auf die nördliche Hemisphäre stetig zunimmt? Wenn die Anzahl der Todesopfer durch Flutschäden immer weiter steigt und die Nahrungsmittelsicherheit im Globalen Süden noch weiter sinkt? Vielleicht beginnt ja dann das »Climate Endgame«, der Überlebenskampf der Menschheit, den der Risikoforscher Luke Kemp vom Center for the Study of Existential Risk an der University of Cambridge befürchtet.[5]
Dieses Horrorszenario ist leider kein pessimistisches Gedankenspiel für Freunde dystopischer Romane. Mit Fortführung der aktuellen Klimapolitik des Pariser Abkommens wird sich die Erde bis Ende des Jahrhunderts voraussichtlich um 2,5 bis 2,9 Grad erwärmen.[6] Das setzt allerdings voraus, dass es zu keinen Rückschlägen bei der Dekarbonisierung kommt, zum Beispiel durch populistische Regierungen, die aus dem Abkommen...
Erscheint lt. Verlag | 11.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 1,5 Grad Ziel • 2024 • Carbon capture • CCS • Climate Engineering • co2 abtrennung • co2 entfernung aus luft • CO2 Speicherung • cop 28 • decarbonisierung • eBooks • elsberg celsius • Erneuerbare Energien • gefahr sonne • geoengineering governance • grüne Energie • IPCC report • Klimaanpassung • Klimawandel bekämpfen • Klimawandel Prognose • Mojib Latif • Neuerscheinung • Pariser Abkommen • politische maßnahmen gegen klimawandel • potsdam institut • solares geoengineering • sonne verdunkeln • Technikfolgenabschätzung • technologie gegen klimawandel |
ISBN-10 | 3-641-31807-6 / 3641318076 |
ISBN-13 | 978-3-641-31807-9 / 9783641318079 |
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