It's a free country! (eBook)
320 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46442-7 (ISBN)
Blythe Roberson ist Comedy-Autorin und schreibt u. a. für The New Yorker, The Onion, Clickhole und für das VICE Magazine. Sie ist Harvard-Absolventin und moderiert Live-Comedyshows in Brooklyn und New York, in denen sie auch selbst regelmäßig auftritt. Ihr erstes Buch How to Date Men When You Hate Men erschien 2019.
Blythe Roberson ist Comedy-Autorin und schreibt u. a. für The New Yorker, The Onion, Clickhole und für das VICE Magazine. Sie ist Harvard-Absolventin und moderiert Live-Comedyshows in Brooklyn und New York, in denen sie auch selbst regelmäßig auftritt. Ihr erstes Buch How to Date Men When You Hate Men erschien 2019.
Einleitung
Wir leben in einem freien Land
Du kannst nur so und so viele Gedichte über das Freisein lesen, Joni Mitchells Reisealbum Hejira nur so und so oft anhören, bevor in deinem Inneren etwas zerreißt. Am 17. Januar 2019 starb die Dichterin Mary Oliver, und ich saß an meinem Schreibtisch im Büro und ignorierte meine Arbeit, um ihr Gedicht »Moments« zu lesen, das davon handelt, das Leben voll auszukosten, solange man lebt, und dass das Langweiligste überhaupt ist, Vorsicht walten zu lassen.
Fuck, dachte ich. Ich muss kündigen.
In diesem Moment traf ich die Entscheidung, und zwei Monate später tat ich es. Und dann, weil man so etwas nach einer Kündigung offiziell tun muss, begab ich mich auf einen Great American Road Trip, einen Großen Amerikanischen Roadtrip.
Ich hatte bereits jahrelang davon geträumt, einen langen Roadtrip zu machen, aber natürlich klappte es nie. In diesen Jahren begann ich, glaubwürdig zu behaupten, Google Maps sei meine Lieblingshomepage, dass ich die ausgefeilten Roadtrips, die niemals Wirklichkeit wurden, dort »zum Spaß« plante. Meist entwarf ich meine theoretischen Reisen mit der Idee, etwas über sie zu schreiben. Zu Beginn träumte ich von einem Roadtrip, auf dem ich alle Männer besuchen würde, für die ich je Gefühle gehabt hatte, um »sie zu interviewen« (rumzumachen). Diese Idee verdankte ich weniger der Überzeugung, dass daraus ein spannendes Buch würde, als der Erkenntnis, dass meine Crushes sich über das ganze Land verteilt hatten, was eine interessante Route versprach.
Dann wurde mir Folgendes klar: Auch wenn ich eine puritanische Bitch bin, die sich keinen Spaß zugestehen kann, ohne sich dabei eine Hausaufgabe zu geben, war es mir sehr wohl erlaubt, einen Roadtrip zu machen, ohne darüber zu schreiben. Und so verbrachte ich die nächsten dreieinhalb Jahre, immer wenn ich freihatte, mit Roadtrips. Im Laufe dieser Reisejahre dachte ich darüber nach, warum ich unbedingt mit einem Auto durch Amerika fahren wollte, warum ich mich einmal in einen Typ verknallt hatte, nur weil er mir von seinem Roadtrip erzählte. Ich dachte über die kanonischen amerikanischen Reiseerzählungen nach, in denen der Roadtrip als Inbegriff der Freiheit inszeniert wird. Und ich fragte mich, warum der amerikanische Kanon so wenig Reiseliteratur enthält, die von Frauen verfasst wurde, und was das für mich bedeutete, eine Frau, die unterwegs sein wollte.
Als mein Gehirn sich nicht mehr allzu sehr an ein regelmäßiges Einkommen und eine arbeitgebergebundene Krankenversicherung klammerte, nachdem ich entschieden hatte, es sei vernünftig und tatsächlich sogar richtig gut, meinen Job zu kündigen, um mich auf das Schreiben zu konzentrieren und, na ja, also, frei zu sein, beschloss ich, eine amerikanische Reiseerzählung aus weiblicher Sicht zu verfassen. Mein Buch sollte die folgende Frage beantworten: Was wäre geschehen, hätte Reiseschriftsteller Bill Bryson seine Tage bekommen? (Die Frage, was passiert wäre, wenn Jack Kerouac seine Tage bekommen hätte, stellte sich erst gar nicht: Er wäre ausgeflippt und hätte seinen Roadtrip abgebrochen. Es hätte der Beatgeneration ein Ende gesetzt.)
Ich würde also losfahren und darüber schreiben. Aber … wohin wollte ich eigentlich fahren? Für eine Reise, die so lang ist, dass sie ernsthafte Reflexion verdient, braucht man eine organisatorische Leitlinie. Meine war eine abgewandelte Version eines »optimierten« Roadtrips durch die Nationalparks. In den vergangenen Jahren hatte ich mehrere Artikel über Menschen gelesen, die alles genau berechnet und die – rein mathematisch – beste Strecke gefunden hatten, um alle Nationalparks in den aneinandergrenzenden 48 Bundesstaaten zu besuchen. Ich wusste noch nicht, in welchen Parks ich am Ende campen, in welchen ich nur ein paar Stunden wandern und welche ich ganz auslassen würde, aber ich wusste, dass ich eine dieser von einem Algorithmus generierten Superkarten als Orientierungshilfe benutzen wollte.
Meine Entscheidung, monatelang am Stück zu campen und zu wandern, war keine Mutprobe. Es sollte keine Feuertaufe werden, um herauszufinden, ob ich meinen Rucksack einen Berg hinaufschleppen könnte oder etwas über mich selbst lernen würde, wenn ich in der freien Natur schlief. Wandern hatte mir bereits etwas über mich beigebracht, zum Beispiel: Wenn ich länger als fünf Minuten Sport treibe, werden mein gesamtes Gesicht und mein Körper knallrot und bleiben es für den Rest des Tages. (Ich habe irische Vorfahren.) Dafür fühle ich mich wohl in der Natur, es fühlt sich richtig an; ich bin ein Outdoor-Typ. Wandern gehört zu den drei Dingen, die mir wirklich am Herzen liegen, neben Tennis und Dramaserien über erfolgreiche Frauen, die zu viel trinken.
Meine Liebe fürs Campen und Wandern kann ich auf einen Kindheitsausflug an den Devil’s Lake zurückführen, einen State Park in Wisconsin, etwa drei Stunden Fahrt von dort entfernt, wo ich aufgewachsen bin. An den Ufern des Devil’s Lake stehen an die 150 Meter hohe Quarzitklippen. Für Kinder, die in der Eintönigkeit flacher Maisfelder aufwachsen, eine Sensation. Eines Sommertags quetschte mein Stiefvater TB – dessen echter Name Tom Brandes ist, der von meinen Freund*innen und mir irgendwann TB Ice getauft wurde, typisch 2000er – alle Kinder aus der Nachbarschaft hinten in seinen weißen Kidnapper-Van und fuhr uns für einen Campingausflug an den Devil’s Lake, ohne dass auch nur eine*r von uns angeschnallt gewesen wäre. Rückblickend betrachtet, wählte er den Devil’s Lake wohl nicht aufgrund seiner majestätischen Klippen, sondern eher, weil drei Stunden Fahrt die Maximalzeit sind, die man mit einer Meute nicht angeschnallter Kinder hinten im Van fahren kann, ohne aufgrund eines Schwerverbrechens verhaftet zu werden.
Am zweiten Tag unseres Ausflugs nahm TB das – zumindest in meiner Erinnerung – Dutzend Kinder auf eine von einem Ranger geführte Wanderung mit. Am Ende der Wanderung beschrieb der Ranger eine Felsformation, die alle, die sich dafür interessierten, in etwa 150 Metern Entfernung bestaunen konnten. Nach einer halben Stunde keimte in uns der Verdacht, dass wir mehr als nur etwa 150 Meter gelaufen waren. Genau genommen hatten wir keine Ahnung, wo wir uns befanden. In seiner Funktion als einziger Erwachsener erklärte uns TB, dass wir umkehren und unsere Schritte zurückverfolgen müssten. Doch wir – 25 vorpubertäre Rowdys – waren viel zu aufgedreht. »Nein!«, schrien wir. »Wir wollen weitergehen!« Tom wiederholte, wir hätten uns verlaufen und es wäre besser, umzukehren. »Wir leben in einem freien Land! Lasst uns darüber abstimmen!«, forderten wir, und die Kinder überstimmten den Erwachsenen vierzig zu eins.
Und so liefen wir tiefer in den Wald. Wir liefen an einer Spalte in einem gigantischen Quarzit-Block vorbei und tauften sie trunken vor Macht auf den Namen »TBs Arschritze«. Wir malten uns aus, unwiederbringlich verloren zu sein, auch wenn wir rückblickend betrachtet mindestens einen Wegweiser passierten. Wir wanderten ein Geröllfeld hinab, das unserer Ansicht nach unmöglich Teil des Wanderwegs sein konnte, aber definitiv dazugehörte.
Ich fühlte mich, als sei alles möglich; vielleicht war es das erste Mal, dass ich jeden Moment bewusst erlebte. Ich fühlte mich hellwach. Und damit war ich nicht allein. Der Ausflug weckte in allen der 400 anwesenden Kinder ein tiefes Verlangen, auf unbefestigter Erde zu schlafen. Auch 20 Jahre später gehen diese Kinder aus der Nachbarschaft und ich immer noch zusammen zelten. Wir erklimmen Berge und duschen eine Woche lang nicht. Und jedes Mal versuchen wir erneut, verlorenzugehen.
Der Unterschied zwischen den Ausflügen mit meinen Freund*innen und der Reise, die ich bald ganz allein antreten sollte, war, dass ich nicht eine Woche unterwegs wäre, sondern monatelang. Allerdings hatte ich keine Vorstellung, wie viele Monate genau. Ich hatte eine Liste der Parks und die Reihenfolge, in der ich sie besuchen wollte, sonst hatte ich, in Sachen Planung, nichts. Diese Ungewissheit war für mich weit unangenehmer, als mitten in der Wüste auf hartem Untergrund zu schlafen oder, wie ich es dann ebenso oft tat, im Prius meines Stiefvaters, weil ich zu faul war, mein Zelt aufzubauen. Ich bin eine Planerin. Von Natur aus. Ich bin »überspannt«. Ich bin jemand, der für eine einwöchige Reise ein achtseitiges Google-Dokument vorbereitet. Doch diesmal flog ich an einem Dienstag los und hatte keine Ahnung, wo ich am Mittwoch schlafen würde. Der Versuch, das Universum eine Woche lang meinem Willen zu unterwerfen, war das eine. Die Erwartung, die Reise würde sich meinem Willen monatelang am Stück unterwerfen, schien derart aussichtslos, dass ich es erst gar nicht versuchte. Studien zeigen, dass der halbe Spaß einer Reise in der Planung besteht; in diesem Fall bestand der halbe Spaß wohl in der Frage, ob es mir gelingen würde, mich einen Sommer lang einfach treiben zu lassen.
An dieser Stelle folgt, was ich bereits geklärt hatte: Als Ausgangspunkt sollte mir die optimierte Nationalpark-Route dienen, die ich jedoch leicht abwandeln würde, sodass sie nur Parks enthielt, von denen ich bislang kein Junior-Ranger-Abzeichen hatte – kleine Plastikanstecker, die man sich im Rahmen des Junior-Ranger-Bildungsprogramms verdient, indem man ein Arbeitsheft für Kinder ausfüllt. Ich war verrückt nach ihnen, seit ich meinen ersten am Devil’s Lake bekommen hatte, einen Anstecker, der mit einem...
Erscheint lt. Verlag | 2.9.2024 |
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Übersetzer | Christiane Bernhardt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Amerika Probleme • Amerikas Schattenseiten • Amerikas Schätze • bill bryson ähnliche bücher • BIPOC • Blythe Roberson • bücher über usa • bücher usa reisen • cheryl strayed ähnliche bücher • Fernweh Buch • Freiheit der Straße • Freiheitssuche • geschenkideen für usa reisende • Geschenk USA • Gewalt gegen Frauen • Glacier National Park • Kings Canyon • Mittlerer Westen • Mount Rainier • Nationalparks USA • Native Americans • picknick mit bären ähnliche bücher • Reiseberichte • reiseberichte bücher • Reiseberichte Frauen • reiseberichte usa bücher • reiseberichte usa westküste • Reiseerzählung • Reisen als Frau • Reiseroman • Reiseroman USA • roadtrip bücher • Roadtrip USA • Sehnsucht USA • Sequoia • Stephen Colbert • Suche nach Freiheit • Travelogue • USA Reise • usa soziale probleme • van life • wandern usa nationalparks • Westküste • wie ticken amerikaner • Wildcampen • Wind Cave National Park • Yosemite |
ISBN-10 | 3-426-46442-X / 342646442X |
ISBN-13 | 978-3-426-46442-7 / 9783426464427 |
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Größe: 1,8 MB
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