Die Furien - Frauen, Rache und Gerechtigkeit (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
384 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-492028-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Furien - Frauen, Rache und Gerechtigkeit -  Elizabeth Flock
Systemvoraussetzungen
22,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
In ihrem so bewegenden wie erschütternden Porträt fragt die renommierte Journalistin Elizabeth Flock: Warum werden Frauen gewalttätig? Was bedeutet weibliche Selbstermächtigung? Und wie könnte eine Gesellschaft aussehen, in der Frauen echte Macht haben? Brittany Smith aus Alabama tötet den Mann, der sie in ihrem Haus vergewaltigt haben soll. Angoori Dahariya führt eine Gruppe von Frauen in Uttar Pradesh an, die Opfer häuslicher Gewalt rächt. Cicek Mustafa Zibo kämpft mit Tausenden Frauen gegen den IS in Syrien. Drei unvergessliche Frauen. Drei mitreißende Geschichten über gewaltsamen weiblichen Widerstand. Drei verschlungene Pfade in Richtung Gerechtigkeit. Elizabeth Flock beschäftigt sich in »Die Furien« mit einem Thema, das in unserer Gesellschaft immer noch als schwierig gilt: Frauen, die Gewalt ausüben.  Dabei stellt sie unsere Annahmen über Gewalt auf den Kopf: Sie erzählt keine Opfergeschichten, sondern zeigt uns Frauen, die tödliche Gewalt anwenden, weil Regierung, Polizei, Gerichte - die Institutionen, die sie schützen sollten - versagen. Und sie zeigt, mit welchen Konsequenzen Frauen rechnen müssen, wenn sie es wagen, dieses unumstößliche Tabu zu brechen. Ein kämpferisches, aufrüttelndes Plädoyer über weibliche Selbstermächtigung, das lange nachhallt.

Elizabeth Flock ist Journalistin und Autorin. In ihren Texten setzt sie sich speziell mit Themen sozialer Gerechtigkeit und Genderpolitik auseinander. Sie schrieb unter anderem für den »New Yorker«, die »New York Times«, die »Washington Post« und »The Atlantic«. In der »PBS NewsHour« erschien ihre Dokumentation zu sexueller Belästigung und Vergeltungsmaßnahmen im U.S. Forest Service (nationale Forstbehörde der USA), für die sie einen Emmy Award gewann und für einen Peabody Award nominiert wurde. Sie ist IWMF- und PEN-Amerika-Stipendiatin. Flock lebt in Taos, New Mexico.

Elizabeth Flock ist Journalistin und Autorin. In ihren Texten setzt sie sich speziell mit Themen sozialer Gerechtigkeit und Genderpolitik auseinander. Sie schrieb unter anderem für den »New Yorker«, die »New York Times«, die »Washington Post« und »The Atlantic«. In der »PBS NewsHour« erschien ihre Dokumentation zu sexueller Belästigung und Vergeltungsmaßnahmen im U.S. Forest Service (nationale Forstbehörde der USA), für die sie einen Emmy Award gewann und für einen Peabody Award nominiert wurde. Sie ist IWMF- und PEN-Amerika-Stipendiatin. Flock lebt in Taos, New Mexico. Dr. Stephanie Singh, geboren 1975 in München, studierte Literaturwissenschaften und Philosophie in Tübingen, Aix-en-Provence, Strasbourg und München. Nach der Promotion absolvierte sie ein Volontariat zur Verlagsredakteurin und ist heute selbständige Übersetzerin aus dem Englischen und Französischen. Zu ihren Schwerpunkten gehören anspruchsvolle Sachbücher aus den Bereichen Philosophie, Kultur- und Ideengeschichte sowie Werke zu feministischen Themen. Nach zwei längeren Aufenthalten in den USA lebt sie seit 2022 mit ihrem Mann und ihrem Sohn wieder in München.

Vorwort


Kurz vor meinem 21. Geburtstag hatte ich genug Geld gespart, um mit meinen Freundinnen nach Rom zu fliegen. Dabei dachte ich nur an die Spanische Treppe und die guten Rigatoni. Eine von uns schlug vor, an einer Stadtführung teilzunehmen. Wir entdeckten eine Tagestour zu den Sehenswürdigkeiten, gefolgt von einer abendlichen Führung durch die Touristenbars der Stadt. Unser Stadtführer war etwas älter als wir, ein kräftiger Mittzwanziger mit Stoppelbart. Zwei meiner Freundinnen flirteten mit ihm, während wir das Kolosseum besichtigten. Ich erinnere mich nicht, irgendeine Meinung über ihn gehabt zu haben.

In der ersten Bar, die wir abends besuchten, trank ich einen Schnaps, genau wie die anderen – auch unser Stadtführer. Der Laden war kitschig und hatte labbrige Burger und fettige Chicken Wings im Angebot. Auf der Bar standen Alkoholflaschen, die von hinten angeleuchtet wurden. Ich glaube nicht, dass ich außer dem Schnaps noch etwas getrunken habe, und doch habe ich meine Erinnerungen seither mehrfach angezweifelt. Anschließend gingen wir zum Trevi-Brunnen und warfen, den Blick abgewandt, Münzen über unsere Schultern in das Wasser. Der lokale Aberglaube besagt, dass wir dadurch eines Tages in die Stadt zurückkehren würden. Das ist meine letzte Erinnerung an diesen Abend. Als Nächstes erinnere ich mich daran, wie ich in einem schwach beleuchteten Raum irgendwo in Rom aufwachte, während ich von unserem Stadtführer vergewaltigt wurde. Er musste mir Rohypnol in den Drink gemischt haben – K.-o.-Tropfen.

Ich lernte in diesem Moment auf die harte Tour, dass Kampf oder Flucht nicht die einzigen Reaktionsmöglichkeiten in einer Bedrohungslage sind. Eine weitere ist: zu erstarren. Ich war passiv, ließ es geschehen, dissoziierte und zog mich zurück. Ich ging nicht zur Polizei, weil ich nicht glaubte, dass man mir dort helfen würde. Noch Jahre danach war ich wütend: Wütend auf ihn, weil er mir das angetan hatte, auf meine Freundinnen, weil sie mich nicht gerettet hatten, und auf mich selbst, weil ich mich nicht gewehrt hatte. Wie den meisten Frauen war auch mir in anderen Situationen und auf andere Arten Gewalt angetan worden. Doch das Ereignis in Rom war prägend. Die vergangenen 15 Jahre habe ich mich in meinem Körper nicht zu Hause gefühlt. Ich habe mich nicht wohl in meiner Haut gefühlt, die ich einst als Schutzschild empfunden hatte. Ich habe mich oft gefragt, wie jener Morgen und mein Leben seither verlaufen wären, wenn ich damals Zugriff auf ein Messer oder eine Pistole gehabt hätte.

Doch diese Phantasie führte zu noch komplizierteren Fragen. Wenn ich ihn an jenem Morgen erschossen hätte, ginge es mir jetzt besser, oder sogar noch schlechter? Hätten mir die Behörden geglaubt, wenn ich mich gewehrt hätte, oder wäre ich ins Gefängnis gekommen? Und die schmerzlichste Frage von allen: Wie vielen weiteren Frauen hat er weh getan, weil ich geschwiegen und nichts getan hatte?

Zehn Jahre nach dem Geschehnis, im Frühling 2016, beschloss ich, ihn ausfindig zu machen. Ich kannte nur seinen Vornamen und den Namen des Unternehmens, das die Stadtführungen anbot, doch als Journalistin brauchte ich nur eine Stunde, bis ich seinen vollen Namen, seine Profile in den sozialen Netzwerken und seinen Wohnort gefunden hatte. Er sah genauso aus wie in meiner Erinnerung, allerdings nicht ganz so stämmig, und hatte die rote Haut eines Alkoholikers. Sein LinkedIn-Profil verriet, dass er ein Möbelgeschäft führte. Außerdem stand dort, wo er aktuell wohnte – nämlich in der Stadt, in der ich damals lebte. Mir drehte sich der Magen um. Ich bekam Juckreiz. Ich blinzelte, wollte ganz sichergehen, dass ich richtig las. Vielleicht wohnte er in meinem Viertel. Vielleicht war ich schon einmal in seinem Geschäft gewesen, auf der Suche nach einem Sofa oder einem Stuhl.

Schon bald ertappte ich mich bei der Phantasie, seinen Laden niederzubrennen. Monatelang dachte ich darüber nach, wie ich es anstellen würde, welche Materialien ich verwenden und wie ich meine Spuren verwischen würde. Auf Facebook schickte ich ihm schließlich eine Nachricht, fragte, ob er noch wisse, was er mir angetan hatte, wie vielen weiteren Frauen er weh getan habe und ob er, wie ich, häufig nicht schlafen konnte. Er antwortete nicht. Vielleicht hat er die Nachricht gar nicht gesehen. Doch ich war nun auf der Jagd – nach Antworten und nach Frauen, die ihrem Instinkt gefolgt waren und sich gewehrt hatten.

Frauen, die Selbstjustiz praktizieren, tauchen in Medien, Literatur und in verschiedenen Kulturen häufig auf. Man denke nur an die Protagonistinnen von Verblendung, Kill Bill, Watchmen – Die Wächter, Lady Vengeance, den Song Goodbye Earl, an die Furien oder die Göttinnen Kali und Athene. Diese Figuren faszinieren uns vielleicht auch deshalb, weil wir gern wie sie wären. Auch ich fühlte mich von solchen Geschichten angezogen und verbrachte Jahre damit, mich mit gewalttätigen Frauen in Mythologie und Geschichte zu beschäftigen. Einige von ihnen finden in diesem Buch Erwähnung. Erst später merkte ich, dass es viele lebendige Versionen solcher Frauen gibt.

***

Meine Füße wirbelten Staub auf, als ich an einem schwülen Augusttag im Jahr 2008 eine glühend heiße Straße in Mumbai entlangging. Ich hatte in Indien meinen ersten Auftrag als Reporterin für ein Wirtschaftsmagazin erhalten. Mein Blick fiel auf ein Plakat auf dem Mittelstreifen – eines jener Plakate, die normalerweise Politikerinnen und Politiker oder Helden der Geschichte zeigen. Ich hielt inne. Auf dem Plakat war eine schmale Frau mit rundem Gesicht und durchdringendem Blick zu sehen. Unter dem Bild stand: Phoolan Devi, »Königin der Banditen«.

Neugierig tippte ich ihren Namen in mein Smartphone. Ich erfuhr, dass Phoolan Devi eine Frau aus einer niedrigen Kaste war, die sich aus einer Kinderehe befreit, Banditin geworden und jahrelang Verbrechen gegen Frauen und arme Menschen gerächt hatte. 2001 war sie verstorben. In mir regte sich etwas, die Wissbegierde, die sich einstellt, wenn man jemanden findet, nach dem man gar nicht bewusst gesucht hat, und erkennt, dass es zweifellos noch mehr gibt wie sie: Frauen, die sich selbst verteidigen, wenn die Institutionen, die dies eigentlich tun sollten, sie nicht ausreichend schützen.

Dieses Buch ist das Ergebnis meiner fortwährenden Suche nach Frauen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen. Es erzählt von drei realen Frauen, die ihre schmerzhaften Geschichten in Macht verwandelten. Und es erzählt auch, wie Frauen manchmal zu weit gehen.

In einer Kleinstadt in Alabama begegnete ich einer Frau, die vor Gericht stand, weil sie einen Mann erschossen hatte, der sie in ihrem Haus angegriffen und vergewaltigt haben soll. In Nordostsyrien traf ich eine Guerillakämpferin, die gegen die Terror- und Gewaltherrschaft der Dschihadisten ins Feld zog. Und in Nordindien, dem Geburtsort der Banditenkönigin, traf ich die Anführerin einer weiblichen Bürgerwehr, die mit Bambusstöcken gegen Missbrauchstäter kämpfte und der Polizei gleichermaßen furchtlos gegenübertrat.

Alle drei Frauen nahmen die Dinge selbst in die Hand, weil Polizei, Gerichte und staatliche Strukturen sie nicht beschützt hatten. Alle drei leben in Kulturen, in denen Ehre eine große Rolle spielt und die Gewalt, der sie begegneten, durch tief im kollektiven Bewusstsein verankerte Vorstellungen von Männlichkeit und Frausein hervorgebracht wurde. Die Forscherin Nimmi Gowrinathan argumentiert in Radicalizing Her: Why Women Choose Violence, eine Frau, die zu den Waffen greife, tue dies, »weil sie das Zielobjekt ist«. Die Frauen in diesem Buch und die Gemeinschaften, denen sie angehörten, waren solche Zielobjekte. Diese Frauen wurden gewalttätig, um zu überleben; sie griffen zu einem Revolver, Stöcken und einer Kalaschnikow, um sich und andere Frauen zu schützen. Sie brachen das Gesetz und soziale Normen, riskierten Gefängnis und Todesgefahr. Meine Fragen blieben: Nutzten oder schadeten ihnen diese Taten letztlich? Und bewirkten sie irgendeine systemische Veränderung?

 

Dieses Buch ist keine Fiktion. Um Ereignisse zu rekonstruieren, bei denen ich nicht zugegen war, stütze ich mich auf ausführliche Interviews mit den drei Frauen und allen anderen beteiligten Personen, die ich befragen konnte. Wann immer möglich, habe ich Ereignisse, Erinnerungen und biographische Details mit einer Fülle von Dokumenten abgeglichen, etwa mit Kranken- oder Gerichtsakten, Polizeiberichten, Tagebucheinträgen, E-Mails, Textnachrichten, Briefen, Zeitungsartikeln, wissenschaftlichen Untersuchungen und vielem mehr. Alle historischen und zeitgenössischen Berichte in diesem Buch, die über die drei Frauen hinausgehen, alle Zitate und Äußerungen basieren nach Möglichkeit auf Primärquellen, lokalen Stimmen und angesehenen Forschungsarbeiten. Letztlich spiegelt dieses Buch jedoch die Geschichten der drei Frauen wider.

Um die Geschichten von Brittany Smith, Angoori Dahariya und Çiçek Mustafa Zibo zu erzählen, lernte ich die drei Frauen über Jahre hinweg kennen. Von Britannys Fall erfuhr ich im April 2019 durch einen Online-Artikel in The Appeal, der davon berichtete, dass einer Frau in Alabama eine lebenslange Haftstrafe drohte, weil sie ihren angeblichen Vergewaltiger umgebracht hatte. Die Geschichte barg für mich mehr Fragen als Antworten, so dass ich schon bald nach Alabama flog, um mich mit Brittanys Mutter zu treffen. Gemeinsam besuchten wir Brittany in einer Psychiatrie in Tuscaloosa. Ihr Aufenthalt dort war gerichtlich angeordnet worden. Vor Ort erzählte mir eine...

Erscheint lt. Verlag 30.10.2024
Übersetzer Stephanie Singh
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Banditenkönigin • Bandit Queen • Der Bundesstaat von Alabama gegen Brittany Smith • drei Frauen • Femizid • Frauen und Gewalt • Frauen und Macht • Gewalt in der Gesellschaft • Heldinnen • Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen • Investigativer Journalismus • Kill Bill • Missbrauch • Phoolan Devi • Rache • Rachegöttin • Reportage • Sexuelle Übergriffe • Stand Your Ground • Vergewaltigung • Warum morden Frauen? • Wilde Furien • Wut • YPJ
ISBN-10 3-10-492028-1 / 3104920281
ISBN-13 978-3-10-492028-3 / 9783104920283
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 6,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Warum sich im Rettungsdienst zeigt, was in unserer Gesellschaft …

von Luis Teichmann

eBook Download (2024)
Goldmann (Verlag)
14,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99