Eine kurze Geschichte der AfD (eBook)

Von der Eurokritik zum Remigrationsskandal

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
272 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02223-2 (ISBN)

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Eine kurze Geschichte der AfD -  Eva Kienholz
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Eva Kienholz fasst in ihrer «Kurzen Geschichte der AfD» prägnant und anschaulich die zunehmende Radikalisierung der Alternative für Deutschland zusammen.  Die AfD hat die politische Landschaft in Deutschland seit ihrer Gründung 2013 tiefgreifend verändert. Entstanden als wirtschaftsliberale Partei, deren Hauptziel es war, den Euro in Deutschland wieder abzuschaffen, hat sie sich seitdem in mehreren Wellen radikalisiert. Von Bernd Lucke über Frauke Petry, Jörg Meuthen und Tino Chrupalla sind ihre Aussagen immer extremer geworden. Björn Höcke agitiert heute für die «Remigration» von Menschen mit Migrationshintergrund und gilt als gesichert rechtsextrem: Er hat das Ringen um die Macht in der Partei gewonnen. Trotzdem, oder gerade deswegen, hat die AfD in der Gunst der Wählerinnen und Wähler beständig zulegen können und breite Bevölkerungsschichten erreicht. Bei den drei Landtagswahlen in Ostdeutschland im Herbst 2024 erreichte sie in zwei Bundesländern über 30 Prozent der Stimmen, in Thüringen wurde sie sogar stärkste Kraft - ein Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik. Eva Kienholz zeichnet die Entwicklung der Partei nach, die sich immer weiter nach rechts bewegt hat und nun offen nach der Macht im Land greift. Ein wichtiges Buch zum Verständnis der politischen Landschaft in Deutschland.

Eva Kienholz, geboren 1987 in Heidelberg, studierte Germanistik, Geschichte und Deutsche Literatur in Mannheim und Berlin. Sie ist als Journalistin und freie Autorin tätig. 2015 begann sie, sich intensiv mit der AfD und der Neuen Rechten zu beschäftigen. 2020 erschien ihr Buch «Ihr Kampf. Wie Höcke & Co. die AfD radikalisieren» im Verlag Das Neue Berlin. 

Eva Kienholz studierte Germanistik, Geschichte und Deutsche Literatur in Mannheim und Berlin. Sie ist als Journalistin und freie Autorin tätig. 2015 begann sie, sich intensiv mit der AfD und der Neuen Rechten zu beschäftigen. 2020 erschien ihr Buch «Ihr Kampf. Wie Höcke & Co. die AfD radikalisieren» im Verlag Das Neue Berlin. 

1 Der gescheite Professor Lucke oder: Eine Partei entsteht als eurokritische Alternative


Unter den ausgebreiteten Armen des Erlösers


An einem grauen Wintertag trafen sich 18 Männer in Oberursel im Taunus. Ein Konferenzraum in einem Hotel erschien ihnen zu teuer, also versammelten sie sich in einem kleinen, karg möblierten Gemeindesaal der evangelischen Christuskirche. Diesen Raum hatte einer der Versammelten organisiert – seine Frau war in der Gemeinde aktiv. Und so wurde am 6. Februar 2013 unter den ausgebreiteten Armen einer hölzernen Jesusstatue eine neue Partei gegründet, auf deren Namen sich die Männer nach langer Debatte einigten: Alternative für Deutschland. Doch die Geschichte hinter der Gründung der AFD begann schon früher.

Am 25. März 2010 sprach Angela Merkel als Kanzlerin im Bundestag. Deutschland und Europa wurden gerade von der schwersten Finanzkrise der Nachkriegszeit erschüttert, Merkel schloss direkte Finanzhilfen an das besonders hart getroffene Griechenland vor den Parlamentariern trotzdem aus. Wenige Stunden später stimmte sie auf einem EU-Gipfel dann aber doch für das erste Rettungspaket für Griechenland. Ihre Entscheidung bezeichnete Merkel als «alternativlos». Die Wortwahl der Kanzlerin wurde heftig kritisiert, die Gesellschaft für deutsche Sprache kürte «alternativlos» sogar zum Unwort des Jahres, weil es die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung verstärken würde. Dieses politische Diktum der Kanzlerin sollte die Gründung einer Partei forcieren, die sich als Gegenentwurf zu den etablierten Parteien begriff. Merkels «alternativlos» sollte die Gründungsväter auch bei der Namensgebung inspirieren.

Im gleichen Jahr, 2010, erschien der umstrittenste Bestseller der Merkel-Ära: «Deutschland schafft sich ab» von Thilo Sarrazin. Darin warnte der frühere Berliner Finanzsenator vor der steigenden Zuwanderung, insbesondere aus muslimisch geprägten Ländern. Muslimische Migranten würden Deutschland durch ihre mangelnde Bildung bei gleichzeitig hohen Geburtenraten in eine Abwärtsspirale stürzen, argumentierte Sarrazin. Trotz massiver Kritik anderer Autoren, Wissenschaftler und Politiker, und obwohl viele seiner Aussagen als tendenziös oder verzerrend entlarvt wurden, löste Sarrazin eine schrille gesellschaftliche Debatte über die Integrationspolitik aus – und das zu einem Zeitpunkt, als Deutschland mit seiner Neuerfindung als Einwanderungsgesellschaft fremdelte. Kritik an «Multikulti» und «Massenzuwanderung» wurde denn auch bald – neben der Kritik an der Eurorettungspolitik – zu einem wichtigen argumentativen Standbein der AFD.

 

Zum ersten Gesicht der Partei wurde Bernd Lucke, ein Professor für Makroökonomie an der Universität Hamburg, der nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch darüber hinaus das große Ganze betrachten wollte. Obwohl bereits spätere Protagonisten wie Alexander Gauland und Frauke Petry in der Anfangsformation standen, avancierte der umtriebige Lucke schnell zum ersten Spielmacher der AFD. Wie sehr ihm die Parteigänger an den Lippen hingen, zeigte sich beim ersten Bundesparteitag.

Schon zwei Monate nach dem Treffen in Oberursel ging es für die Gründungsmitglieder, davon 14 aus dem Westen und vier aus dem Osten, nach Berlin. Der Parteitag stieg im Hotel Intercontinental, direkt im Botschaftsviertel. In seiner Rede sprach Lucke von einer neuen Kraft, die sich anschicken würde, «die Zwangsjacke der erstarrten und verbrauchten Altparteien zu sprengen». Vor 1500 Anhängern echauffierte er sich über eine Regierung, die behaupten würde, dass es zu ihrer Politik keine Alternative gäbe. «Wir wollen der Regierung sagen, meine Damen und Herren, jetzt ist sie da, die Alternative. Die Alternative für Deutschland.» Bereits in ihren ersten Zügen gehörte die Verachtung der politischen Konkurrenz zum programmatischen Kern der AFD – und sie kam gut an: Luckes Rede löste einen stürmischen Applaus aus, Aufbruch lag in der Luft.

Um einer Vereinnahmung durch das rechte politische Lager zu entgehen, versuchte Lucke, die AFD beim Gründungsparteitag als eine «Partei neuen Typs» aus der Mitte der Gesellschaft vorzustellen, die weder links noch rechts sei und keinen ideologischen Wegweiser brauche. Wie schwer sich die Abgrenzung nach rechts gestalten sollte, zeigte sich aber schon bei diesem ersten Parteitag – und das nicht nur, weil im Publikum ein älterer Patriot mit braunem Kurzarmhemd energisch eine Deutschlandfahne schwenkte. Ausgerechnet die NPD hielt zur gleichen Zeit in derselben Straße und mit sehr ähnlichen Parolen eine Kundgebung ab – weil sie offenbar schon damals in der AFD eine Konkurrenz sah. Ihr Motto: «Raus aus dem Euro! Es gibt nur eine Alternative – die NPD

 

Eigentlich war die CDU Luckes politische Heimat gewesen, auch wenn er dort nie hohe Posten bekleidet hatte. Schon mit 14 Jahren war Lucke in die Junge Union eingetreten. 2011 trat er nach 33 Jahren aus Protest gegen die Eurorettungspolitik aus. Nicht er habe die Partei verlassen, sondern die Partei ihn, sagte Lucke einmal der FAZ. Schon in seinen letzten Jahren in der Union hatte sich Lucke so weit von der Politik der Regierungspartei entfernt, dass er außerhalb der Partei gleich gesinnte Euroskeptiker in einem «Plenum der Ökonomen» um sich scharte. Mehr als 300 Professoren kritisierten dort mit Lucke die politische Bewältigung der Eurokrise. Als der Bundestag dann auch dem Europäischen Rettungsschirm zustimmte, formierte sich Mitte 2012 das Bündnis Bürgerwille, eine überparteiliche Sammlungsbewegung gegen die Europolitik, der neben späteren AFD-Funktionären wie Lucke oder Beatrix von Storch auch eine Reihe von Unions- und FDP-Politikern angehörten. Lucke, inzwischen aus der CDU ausgetreten, gelang es wieder nicht, Einfluss auf die große Politik zu nehmen, um eine weitere finanzpolitische Verflechtung europäischer Staaten zu verhindern. Also rief er die Wahlalternative 2013 ins Leben. Eigentlich wollte die Gruppierung mit den Freien Wählern kooperieren, doch bereits nach der ersten gemeinsamen Landtagswahl Anfang 2013 in Niedersachsen war das Projekt gescheitert.

Erst nach diesen vielen misslungenen Versuchen, an etablierte politische Strukturen anzudocken, gründete Lucke die AFD mit – und wurde prompt neben der Chemikerin Frauke Petry und dem Publizisten Konrad Adam zu einem von drei gleichberechtigten Parteivorsitzenden gewählt, die bei der AFD Bundessprecher heißen. Deutschland betrachtete er damals offenbar als renitentes Kind. Er sei nicht aus Wut Politiker geworden, erklärte Lucke, sondern aus Enttäuschung.

Seine Waffe war die Querflöte


Bernd Lucke wurde 1962 in Westberlin geboren und wuchs in Nordrhein-Westfalen auf. In seiner Freizeit sammelte er Fossilien und Farne. Seinen Wehrdienst leistete Lucke als Querflötist beim Stabsmusikkorps der Bundeswehr in Siegburg ab. Luckes anschließende akademische Laufbahn war die eines Musterschülers: Als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes studierte er Volkswirtschaft, Philosophie und Neuere Geschichte in Bonn, erhielt ein Stipendium in Berkeley und schloss sein Studium als Diplom-Volkswirt ab. Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn, parallel dazu begann er ein Fernstudium in Mathematik, bekam noch ein Stipendium, promovierte 1991 im Fachbereich Wirtschaftswissenschaft mit summa cum laude an der FU Berlin und wurde später Professor für Makroökonomie an der Universität Hamburg. Luckes Universitätskarriere und seine Unterstützer aus der wissenschaftlichen Welt sorgten dafür, dass die AFD medial zunächst als Professorenpartei wahrgenommen wurde.

In der Anfangszeit gab Lucke freigiebig Interviews, in denen sich der ehrgeizige Professor als konservativer, etwas verschrobener Familienvater präsentierte. Er lud Journalisten in sein Klinkerhaus in Winsen an der Luhe, gelegen zwischen Hamburg und Lüneburg, gab sich als evangelisch-reformierter Christ bescheiden, fast asketisch, gekleidet in Strickpullover, die er von seinem Vater geerbt hatte. Mit seiner Ehefrau und seinen fünf Kindern spiele er gerne Tischtennis, ein Auto oder einen Fernseher bräuchten sie nicht. Statt in teuren Hotels schlafe er auf Dienstreisen lieber in Jugendherbergen, weil ihm ein Bett und eine saubere Dusche genügten. Statt Bier trinke er lieber Orangensaft.

Als Menschenfänger, der die Massen mitzunehmen vermag, trat Lucke allerdings nur selten in Erscheinung. Wollte er witzig sein, schlug er gerne mal unter der Gürtellinie zu. Nachdem der SPD-Politiker Sebastian Edathy in Verdacht geraten war, sich kinderpornografisches Material besorgt zu haben, sagte Lucke beim ersten politischen Aschermittwoch der AFD im niederbayerischen Osterhofen: «Man hat das Gefühl, dass sich niemand im Bundestag für unsere Kinder interessiert – außer Herr Edathy.»

Auch wenn ihm der Applaus seiner Anhänger nach solchen Ausfällen gewiss war, blieb Lucke für alle anderen der pedantische Professor, der die politische Konkurrenz in Finanzfragen gekonnt zu stellen wusste, aber nicht immer den richtigen Ton traf. In parteipolitischen Fragen kümmerte er sich gerne...

Erscheint lt. Verlag 13.8.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Alice Weidel • Björn Höcke • Brandenburg • Identitäre Bewegung • Islamisierung • Jörg Meuthen • Landtagswahlen • Lucke • Martin Sellner • Ostdeutschland • Radikalisierung • Rechtsextrem • Rechtsextremismus • Remigration • Sachsen • Thürigen • Wahlen
ISBN-10 3-644-02223-2 / 3644022232
ISBN-13 978-3-644-02223-2 / 9783644022232
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